Читать книгу Und es jubeln die Rachegeister: Ein Regio Mystery Krimi aus Österreich - Karl Plepelits - Страница 4

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Samstag, 19. Juni 2004. Später Abend. Eine einsame Almhütte hoch über dem Unkener Heutal in den Salzburger Alpen.

In der Schlafkammer entfaltet sich gerade eine heiße Liebesszene, auch wenn strenge Hüter der Moral sie vielleicht in die Kategorie „vielleicht ein bisserl pervers“ einreihen würden. Erstens sind die Akteure der Liebesszene ein „alter Kracher“ und ein süßes „junges Ding“, sprich, eine attraktive junge Dame, die nicht einmal seine Tochter, eher seine Enkelin sein könnte. Und zweitens liegt der „alte Kracher“, bereits splitternackt und mit erwartungsvoll aufgerichtetem Gemächt, jedoch an Händen und Füßen und zusätzlich um den Oberkörper gefesselt, auf dem Bett und blickt mit ebenso erwartungsvollen Augen auf seine junge Gefährtin, die mit seiner Fesselung soeben fertig geworden ist. Nur ausgezogen ist sie noch nicht. Dabei kann er es kaum erwarten, ihren (um Goethe zu zitieren) „jungen und morgenschönen“ Körper zu betrachten, ihn zu spüren, zumal ihr „junges und morgenschönes“ Röslein. Denn nackt hat er sie noch nie gesehen. Auch mit ihr geschlafen noch nicht. Dies soll jetzt die festliche Premiere sein.

Und eben deshalb ist sein sonst so müdes Gemächt erwartungsvoll aufgerichtet. Männer haben es ja in dieser Hinsicht nicht so leicht wie Frauen und bedürfen, wie die Erfahrung zeigt, immer wieder jungen Blutes, um ihre Liebeskraft zu erneuern. Das ist einfach ein Naturgesetz. Und je älter, umso stärker sind die Herren der Schöpfung diesem unterworfen, auch wenn die Hüter (und vor allem Hüterinnen) der Moral darüber die Nase rümpfen.

Aber jetzt sind wir doch ein wenig vom Thema abgekommen. Also zurück zu unserem Liebespaar in der einsamen Almhütte, wo der hübsch gefesselte „alte Kracher“ schon sehnsüchtig darauf wartet, dass sich das süße „junge Ding“ ebenfalls entkleidet und seinem erwartungsvollen Schwanz (um nicht immer so geschwollen daherzureden) süße Freuden bereitet.

Erleuchtet wird diese romantische Szene durch eine Anzahl Kerzen. Denn die Sonne hat sich schon vor geraumer Zeit zur Ruhe gelegt, und in der urigen Almhütte mit ihren winzigen Fenstern ist es dementsprechend finster. Noch zögert Eveline Schubert; so heißt die junge Dame.

„Komm, Liebste“, murmelt Eduard Tomaides, der gefesselte, liebesdurstige Kavalier, mit begehrlicher, ungeduldiger Stimme. „Komm zu mir. Ich kann's ja schon fast nicht mehr erwarten.“

„Aber Eduard“, flötet seine Liebste. „Jetzt hast du doch so lange schon Geduld geübt. Da wird es dir doch auf ein paar Minuten mehr oder weniger nicht ankommen, bis es für dich Abschied nehmen heißt, noch dazu, wo dir jetzt sowieso die ganze Ewigkeit bevorsteht.“

Damit übertreibt Eveline nicht. Ihr Eduard hat tatsächlich lange genug Geduld geübt. Seit Monaten verehrt er sie, hat sich aber stets als wahrer Kavalier bewährt und sie nie bedrängt. Weiter als bis zu einem leidenschaftlichen Kuss war er bisher nie gegangen, oder genauer, weiter hatte sie ihn bisher nie gehen lassen. Die Situation sei halt gerade ungünstig; die anderen könnten ja was merken; oder sie habe gerade ihre Periode oder sonst ein unüberwindliches Hindernis. Aber, versprach sie, in absehbarer Zeit werde sich bestimmt eine Gelegenheit zu einem heimlichen Date finden, bei dem sie ihm beweisen könne, wie sehr sie ihn liebt.

Kennen und lieben gelernt haben sich die zwei auf einer Reise, die Eduard als Reiseleiter betreute. Er ist nämlich zwar, wie bereits erwähnt, schon ein „alter Kracher“, aber beileibe kein hilfloser Tattergreis, sondern erstens immer noch ein fescher Kerl, dem, wie man so schön sagt, die Herzen der Damen zufliegen, und zweitens ein durchtrainierter Sportler und Bergsteiger. Und die Reise, die Eduard leitete und an der Eveline teilnahm, war eine Wanderreise in Marokko unter dem Thema „Durch Wüste und Hohen Atlas“.

Zu Eveline fühlte er sich sofort hingezogen, vielleicht weil sie stets getreulich an seiner Seite blieb und ihm, so kam ihm jedenfalls vor, schöne Augen machte, und musste ungeachtet des eklatanten Altersunterschiedes ständig an den platonischen Mythos von der anderen Hälfte eines Menschen denken und fragte sich: Ist sie etwa meine wahre andere Hälfte? Jedenfalls lud er Eveline schon am ersten Abend in Marrakesch zu einem Stadtbummel zu zweit ein und hatte keine Hemmungen, ihr alle seine Lebensgeheimnisse zu erzählen – nein, alle nicht; aber ungewöhnlich viele. Einige Tage später wusste er, warum: Weil er sich in Eveline verliebt hatte. Und als er ihr (flüsternd, um die anderen nicht mithören zu lassen) seine Liebe gestand, gestand sie ihm, sich ihrerseits unsterblich in ihn verliebt zu haben.

Nur, wo sollten sie hier in Marokko ihre gegenseitige Liebe zelebrieren? In ihrem Zelt? In seinem Zelt? Ausgeschlossen. Das wäre niemals unbemerkt geblieben, hätte einen fürchterlichen Skandal erregt. Ähnlich war die Situation, wenn in einfachen, sprich, primitiven Gästehäusern des einen oder anderen Gebirgsdorfes übernachtet wurde. Und als sie zuletzt noch eine Nacht in einem schönen Hotel in Marrakesch verbrachten, da hatte halt leider gerade ihre Periode eingesetzt.

Also trennte man sich nach der Rückkehr aus Marokko am Münchner Flughafen mit einem leidenschaftlichen Kuss und dem Versprechen eines baldigen Wiedersehens an einem abgeschiedenen Ort. Hinzu kam nämlich ein weiteres Problem: Sie wohnt in der Nähe von Salzburg bei ihren Eltern, er in Innsbruck mit Ehefrau.

„Aber“, so erklärte sie, „ich kenne jemanden, der eine Almhütte besitzt. Den werde ich fragen, ob er sie uns eventuell zur Verfügung stellen würde. Falls es dir recht ist.“

„Mein süßer Liebling“, erwiderte er, „mir ist alles recht, wenn ich nur mit dir zusammen sein und dich nach Herzenslust lieben kann.“

„Und ich“, sagte sein süßer Liebling, „freue mich schon darauf, dich nach Herzenslust zu verwöhnen.“

All dies geschah in den Osterferien. Ein kleines Weilchen musste Eduard noch Geduld haben (für ihn war's natürlich ein großes Weilchen), bis sich eine Gelegenheit fand, Eveline nach Herzenslust zu lieben und sich von ihr nach Herzenslust verwöhnen zu lassen, nämlich bis zum neunzehnten Juni, dem Samstag vor der Sommersonnenwende. In dieser Nacht sollten, so nennt man es, „die Berge in Flammen stehen“, das heißt, von unzähligen Sonnwendfeuern erleuchtet sein – ein faszinierender Anblick.

Eduard und Eveline trafen sich in Unken, einem zwischen Innsbruck und Salzburg gelegenen Ort, und machten sich gemeinsam auf, um in Evelines Wagen ins Almgebiet des Unkener Heutals einzudringen und zuletzt über Stock und Stein die hochgelegene Almhütte zu erreichen.

„Liebling?“, begann Eveline plötzlich, während sie noch unterwegs waren. „Hast du dich schon einmal fesseln lassen?“

„Fesseln?“, wiederholte Eduard erschrocken. „Wieso fesseln? Oder wie meinst du das?“

„Ich meine, zur Steigerung der Lust.“

„Ach so, beim Vögeln, meinst du?“

„Klar.“

„Jetzt hast du mich aber schön erschreckt. Nein, habe ich noch nie. Steigert die Lust, sagst du?“

„Und wie. Weißt du, anders mache ich's gar nicht mehr, seit ich das einmal ausprobiert habe. Du wirst begeistert sein.“

„Ja? Na, wenn du sagst ... Also gut. Ich bin schon neugierig.“

Und das war Eduard wirklich. Denn sein Schwanz, und mochte dieser noch so alt sein, hatte anscheinend mitgehört und wurde ebenfalls neugierig und richtete sich mit (in Anbetracht seiner Alters) erstaunlicher Geschwindigkeit auf, und seinem würdigen Besitzer wurde es in der Hose unangenehm eng. Denn nun wusste er mit letzter Sicherheit oder glaubte mit letzter Sicherheit zu wissen, dass ihn Eveline heute nicht mehr abweisen werde und dass seine heißen Wünsche in Kürze in Erfüllung gehen sollten.

Und in der Tat: Kaum hatten sie die Almhütte betreten, da begann Eveline das große, lang erwartete Liebesfest zu arrangieren. Sie richtete das Bett her, stellte rundherum nicht weniger als zwölf Kerzen auf, die sie eigens mitgebracht hatte (die Hütte, abgelegen, wie sie ist, besitzt natürlich keinen Stromanschluss), küsste Eduard zärtlich, entkleidete ihn eigenhändig, liebkoste, süß lächelnd, seinen noch immer oder schon wieder aufgerichteten Schwanz, bettete ihn behutsam in die Kissen, liebkoste abermals seinen Schwanz; und zuletzt fesselte sie ihn (nicht den Schwanz, sondern Eduard selbst) mit Stricken, die sie ebenfalls eigens mitgebracht hatte, sodass er zuletzt bewegungslos fixiert war.

Doch anstatt hierauf sich selbst zu entkleiden, um ihm entweder mit einer Peitsche seine „Strafe“ zu geben, wie das die Anhänger dieser Art von Liebe nennen, oder seinen Schwanz in ihrem „jungen und morgenschönen“ und, so hofft Eduard, bald hüllenlosen Körper zu verbergen, zögert sie jetzt mit einem Mal, blickt ihn nur mit nachdenklicher Miene an und lächelt auch nicht mehr.

„Komm, Liebste“, murmelt er mit ungeduldiger, begehrlicher Stimme. „Komm zu mir. Ich kann's ja schon fast nicht mehr erwarten.“

„Aber Eduard“, flötet sie. „Jetzt hast du so lange schon Geduld geübt. Da wird es dir doch auf ein paar Minuten mehr oder weniger nicht ankommen, bis es für dich Abschied nehmen heißt, noch dazu, wo dir jetzt sowieso die ganze Ewigkeit bevorsteht.“

„Ha? Was sagst du da? Und wieso Abschied nehmen?“

„Du hast schon richtig verstanden. Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff.“

„Gehören denn solche Scherze zur Fesselung?“

„Das ist kein Scherz. Ich spreche von deiner bevorstehenden Strafe.“

„Soso. Von meiner bevorstehenden Strafe. Aber soviel ich weiß, wird da mit weichen Peitschen oder mit Reitgerten gestraft und nicht mit Drohungen. Habe ich jedenfalls gehört. Oder gelesen. Aber egal. Müssen wir jetzt überhaupt so viel reden? Schau, lass doch das Reden und komm einfach zu mir.“

Eduards Stimme klang zuletzt bereits ein wenig verärgert. Sicher ist ihm nicht entgangen, dass sein stolzer Schwanz unterdessen auf halbmast gesetzt worden ist.

„O ja, mein lieber Eduard, wir müssen so viel reden und sogar noch ein bisserl mehr. Damit du begreifst, warum du bestraft wirst und wofür. Also hör gut zu. Bestraft wirst du jetzt für die Ermordung meines Großvaters.“

„Deines Großvaters? Was redest du da? Was habe ich mit deinem Großvater zu tun?“

„Sagte ich doch. Ermordet hast du ihn. Erinnerst du dich nicht mehr?“

„Du, jetzt mach aber einen Punkt.“

„Und dadurch hast du meine Großmutter in tiefe und anhaltende Verzweiflung gestürzt. Und die Verzweiflung hat sich auf meine Mutter und schließlich auf mich selber fortgepflanzt. Drei Generationen hast du bisher unglücklich gemacht. Diese Freveltat muss doch bestraft werden. Oder siehst du das anders? Du kennst bestimmt die Weisheit: Rache folgt der Freveltat. Friedrich Schiller. Und wer weiß, wie viele Freveltaten du sonst noch auf dem Gewissen hast.“

Aus Eduards Gesicht ist inzwischen alle erwartungsvolle Röte geschwunden. Es ist jetzt weiß wie ein Leichentuch. Auch hat es ihm die Rede verschlagen. Aber dann kommt wieder Leben in seine Zunge.

„Du, bind mich sofort los“, knurrt er. „Oder ...“

„Ja, oder?“, sagt Eveline mit gespielter Freundlichkeit. Und da er nun wieder schweigt, fährt sie fort: „Also gut. Lass mich deine Erinnerung ein wenig auffrischen. Hör zu. Melk. Sommer 1958. In der Donau baden zwei junge Burschen. Gemeinsam schwimmen sie ans andere Ufer. Zurück kommt nur einer von ihnen. Die Leiche des anderen wird, ich weiß nicht, wie viele Tage später, ich weiß nicht, wie weit donauabwärts, entdeckt. Der Überlebende heißt Eduard Tomaides. Der Ertrunkene heißt Florian Zeilinger, war der Verlobte meiner schwangeren Großmutter und wurde vom Überlebenden ermordet. Sagt sie. Ist überzeugt davon. Nur das Mordmotiv, sagt sie, das ist für sie noch immer ein Rätsel. Aber vielleicht kannst du es mir ja jetzt verraten.“

„Was sagst du da? Du bist die Enkelin der Mitzi, der Maria Kisely?“

„Siehst du? Du weißt genauestens Bescheid. Also, das Motiv! Verrätst du es mir, bevor's zu spät ist?“

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