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DER BERGPFARRER
ОглавлениеHabt ihr es nicht schon über Land gehen gesehen, mein liebes, weißhaariges, altes Pfarrerl; im dürftigen Schoßrock, schwarzen Kniehosen, derben Bundschuhen; den weiten, grünlich schimmernden Filzhut ins Gesicht gedrückt?
Hoch droben, auf unwirtlichem Hang, wo die Füchse einander gute Nacht sagen, wo es dreiviertel Jahr Winter und einviertel Jahr kalt ist, da haust er mitten unter ein paar armen Bergbauern. Ungewohnt des ebenen Bodens, schreitet er knieweich fürbaß, das mächtige Regendach unter dem Arm. Bald prüft er mit kundigem Auge das am Himmel ziehende Gewölk, dann wieder blättert und liest er über die weit an die Nase heruntergerutschte Hornbrille hinweg im Brevierbuch. Zwischendrein weltliches Schelten und Kosen mit dem zottigen, hinterdrein laufenden Pfarrhund und freundliche Wechselrede mit begegnenden Bauern. Treuherzig ist sein Blick und ohne Falsch und Trug seine Rede. Augen verdrehen und Heuchelei sind ihm fremd. Den frommen Glauben an den Herrgott trägt er tief im Herzen vergraben, drum rutscht er ihm auch nicht bei jeder Gelegenheit auf die Zunge und zum Munde hinaus. Dafür guckt ihm an allen Ecken und Enden schalkhafter Humor und kerniger Mutterwitz hervor.
»Wie oft hast du dö Sünd begangen?« fragte er einmal den Bauern im Beichtstuhl. Der kratzt sich nachdenklich hinter dem Ohr und meinte:
»Rat halt amal!«
»Ratn, sonst hab i nix zu tun?« wettert der Pfarrer. »Also sagn wir, fünfmal!«
»Weiter aufer!«
»Zehnmal gar?«
»Nur aufer!«
»Zwanzigmal?«
»Aufer, sag i!«
Wie der Kurat in steigendem Entsetzen auf die Zahl vierzig kam, meinte der Bauer:
»Jetz hast akkrat um zwoa zviel graten!«
Wie es zur Buße kam, fragte der Bauer: »Wieviel Bueß?«
»Rat amal«, bedeutete ihm der Kurat.
»Nu, etliche Vaterunser?«
»Aufer!«
»Epper an’ Rosenkranz gar?«
»Aufer, sag i!«
Und so ging es in die Höhe, bis der Bauer schweißtriefend vierzig stotterte.
»So, jetzt hast um zwoa zviel graten«, meinte nun seinerseits der Kurat.
Mit den Bauern lebt mein Pfarrerl im besten Einvernehmen. Er ist ihr Berater in aller Not. Der Bauer läßt sich von ihm den Steuerbogen prüfen, er holt seinen Rat bei einem Ankauf so gut wie vor einer Heirat ein; denn der Kurat weiß wie keiner sonst Bescheid in einzelnen Familien, er ist in alle Verhältnisse eingeweiht, die andern Leuten ewig verschlossen bleiben. Auch um Geld .kommt der Bauer zum Herrn Kurat, der zinsenlos ausleiht, wenn er nicht selber bodenleer ist, was häufig genug vorkommt; denn sein Einkommen ist nicht viel größer als das eines Tagschreibers.
Den Gottesdienst hält er gewissenhaft, doch befleißigt er sich der möglichsten Kürze. An Werktagen eine kurze Messe, am Sonntag eine gesungene Meß und eine kleine Predigt, das ist der geistliche Küchenzettel. Lächerliches Pathos und salbungsvolle Gefühlsduselei sind dem Bergpfarrer fremd. Ein Ordensmann weilte bei ihm auf Besuch und gab seiner schmerzlichen Verwunderung über die kurze Dauer des sonntägigen Gottesdienstes Ausdruck. Dem erwiderte er: »Der Gottesdienst ist kein Strudelteig, den man in die Läng ziecht!« Mein Bergpfarrerl ist den armen, geschundenen Bergbauern in Leibes und Seelennot ein getreuer Berater und Tröster. Habe selbst einmal einer Predigt dieses wahrhaft guten Menschen beigewohnt, die mir in ihrer schlichten Herzenseinfalt unvergeßlich blieb.
Wie der brave Seelenhirt seinen Pfarrkindern von der Kanzel herab begreiflich machte, sie sollten doch jetzt nicht so viel Holz schlagen lassen, die Preise seien gegenwärtig schlecht. Sie möchten doch um Gottes willen ein bißl zu warten.
»Und nacher, meine lieben Leuteln, tuets nur ein bißl sparn! Da geht ein Sechserle fort, und da wieder eins! Und zehn Sechserln machen schon an’ Gulden. Und mit ein paar Gulden derkaufts ihr schon ein junges Schweindl! Und habts dann zu Weihnacht, nach dem Amt, doch auch was Guets zum Essen!«
An hohen Festtagen bekommt das einsame Pfarrerl eine Aushilf in Gestalt eines Kapuziners oder Franziskaners aus dem nächsten Kloster.
Ein solcher Aushilfskapuziner, so erzählte mir der Pfarrer unlängst eines Abends auf der Hausbank, predigte einmal mit gewaltiger Salbung unter beständigem pathetischem Nicken seines bärtigen Hauptes. Von der Kanzel aus sieht er ein altes Weiblein im Betstuhl kauern. Es flennt vor sich hin und schaut unentwegt tränenden Auges zu der Kanzel auf. Diese Wirkung seiner Worte auf das Volksgemüt geht dem Prediger tief zu Herzen. Immer salbungsvoller wird seine Rede, immer stärker bewegt sich sein Haupt mit dem herausgestrichenen Bart auf und nieder, und immer heftiger schluchzt das Weiblein. Nach der Predigt fragt er die Alte:
»Weibele! Was hat dich an meiner Predigt so gepackt?«
»Ja mei«, meinte das Weiblein. »Wie beim Predign Enker Bart allweil so auf und nieder gegangen ist, da ist mir halt wieder meine einzige Geiß eingfallen, dö mir vor vierzehn Tag auf’n Berg obn verunglückt ist!«
»Bin sonst nit schadenfroh«, fügte das prächtige Pfarrerl lachend bei. »Aber die Abfuhr han i ihm vergönnt!« Damit stand er von der Bank auf.
»So, jetzt aber ins Bett! Morgen ist Samstag; ein strenger Tag! Vormittag heißt’s Rasiern! Die Tonsur putzt mir dann die Häuserin aus! Aber mein Hals tät ich ihr nit anvertrauen! Nachmittag heißt’s dann Predig studieren, und gegen Abnd Beicht sitzn; und das Brevier will auch noch absolviert sein!«
Das schwarzlederne Brevierbuch mit dem mattroten Schnitt und den stark abgegriffenen Blättern ist überhaupt der unzertrennliche Begleiter des Kuraten auf seinen Wanderungen durch Berg und Wald. Kein Wunder, wenn er nach und nach äußere Eindrücke unwillkürlich zum Brevier in ein gewisses Verhältnis bringt. Sooft wir auf unseren Spaziergängen an einem schönen Platz vorbeikamen, meinte er:
»Dös wär aber jetzt ein Platzl zum Brevierbetn!«
Eine Fülle von Humor liegt auch darin, wenn der geistliche Herr in seinem Zimmer betend auf und ab geht und, beim langen Psalm Diligam angelangt, energisch seiner Häuserin zuruft:
»Hoi, Häuserin! Bringts mir gschwind ein Seidl Wein, jetzt kommt der Diligam!«
Offenbar hat er eine ungewisse Furcht vor dem langen Psalm und glaubt seiner ohne Weindl nicht Herr zu werden.
Die junge, dralle Pfarrersköchin, die mit einer gewissen frivolen Absichtlichkeit gewöhnlich neben dem Pfarrer beschrieben wird, ist da oben in der Einöde nicht zu Hause. Steigt nur einmal hinauf zu meinem Pfarrerl und schaut euch das alte Fegefeuer an. Sie macht mit ihrer Herrschsucht und ihrem grämlichen Altjungferntum des Bergkuraten Hauskreuz aus.
»Wie i noch jung bin gwesen, han i, Gott verzeih mir die Sünd, so an’ Glust ghabt nach an’ Kreuzl oder Ordensband! Seit i da heroben Pfarrer bin, ist’s mir graten! Han i den höchsten österreichischen Schlachtenorden kriegt, das Theresienkreuz!«
Seine Häuserin heißt nämlich Therese.
In dem kleinen Bergkirchlein fiel mir eine überlebensgroße, gut gearbeitete Holzfigur des heiligen Michael auf, die über dem Hochaltarbild, das Mariä Himmelfahrt darstellte, angebracht war. Dräuend schwang St. Michael sein Schwert aus luftiger Höhe.
Auf die Frage, wer die Statue verfertigt, meinte der weißhaarige frische Alte: »Die han lei i gmacht!«
Die Kirche sei von alters her dem heiligen Michael geweiht gewesen, und im Hochaltarbilde sei der tapfere Heilige im Kampfe mit den rebellischen Engeln dargestellt gewesen. Da habe man in neuerer Zeit an dessen Stelle die Mariä Himmelfahrt anbringen lassen. Das sei eine unverdiente Zurücksetzung:
»Was einmal dem Michel ghört hat, hätt man ihm nit nehmen sollen!
Wißts, Herr, i heiß auch Michel! Und das hat mich schiech verdrossen, daß mein Namenspatron so mir nix, dir nix pensioniert worden ist! Die Muttergottes han i mi aber nimmer traut wegzutun; sie könnt’s ungern habn! Und so hab i halt dö Figur gschnitzelt und obern Bild auf dem Hochaltar aufgstellt, weil i dös nit hab anschauen können, daß mein kreuzbraver Namenspatron sollt im Winkel stehn!«
Der alte Herr lud mich noch auf einen kleinen Plausch in seine Stube. Es war ein freundliches, einfach getäfeltes Zimmer, an dessen Wänden allenthalben hübsche Laubsägearbeiten und Heiligenbilder in wunderlich verschnörkelten, geschnitzten Rahmen hingen. Ein besonders fein gearbeiteter Rahmen umgab ein großes, farbenreiches Bild des heiligen Michael, welches zu Häupten des Bettes hing.
»Häuserin, hoi! Bringts a Halbe Wein und ein bißl Speck für den Herrn!«
Bald stand das Beschaffte auf blühweißem Tischtuch vor uns. Es war recht wohltuend, dem Kuraten zuzuhören. Er wußte so schlicht zu erzählen. Mitten in der Rede hielt er immer wieder inne, um mein Glas vollzuschenken und mich zum Zulangen aufzufordern: »Nur zugreifn! Es ist ja da zum Essen! Wenn’s was zum Anschaugn wär, hätt i Bildeln herglegt!«
Mit warmem Dank und Händedruck empfahl ich mich.
Sucht ihn doch einmal heim, meinen alten guten Bergpfarrer, es wird ihn freuen und mich. Aber ihr dürft ihn nicht suchen in der Nähe der Städte oder an der großen Heerstraße.
Scheu wie ein Flüchtling hat er sich zurückgezogen, weit hinauf in das Gebirge, bis an die Region der Gletscher. Drunten im ebenen Land ist für ihn kein Platz und kein Gedeihen.