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REINIGUNG
ОглавлениеWie oft habe ich den alten Auerbrugger vor meinem Fenster über die Gasse tappen sehen. Immer ängstlich an der Häuserfront entlang, einen langen Stock vor sich herschiebend, vorsichtig nach Hindernissen tastend. Er ist stockblind, weiß Gott, seit wieviel Jahren. Ich kenne ihn nicht anders. Er trägt auch seit urdenklichen Zeiten den rechten Arm in der Schlinge.
»Was fehlt dir am Arm, Auerbrugger?«
»O mei! Er ist allweil so gwesn! Oben im Scharnier kann ich ihn nit rührn! Ein Glasl Wein tät i grad schon aufderhebn, und ’s Maul wär so weit auch in Ordnung! Aber, naja!«
Der Auerbrugger gehört zum unveräußerlichen Inventar des Armenspitals.
»Mich darf man nit verkaufn und nit versetzn!«
Armenhäuser auf dem Lande, daß Gott erbarm! Wenn er oft so in dem rattenkahlen Neste vor dem papierverklebten Fenster saß und hörte draußen das Leben vorüberlärmen, da kam’s ihm oft gar nicht so leicht vor: »Wenn nur einmal die ganze Welt der Teufel holet!«
Da war gleich die Spitalsoberin dahinter. »Hörst auf, so zu fluchn!«
»Ah, was! Er holt sie ja doch nit!«
»Auerbrugger! Es geht auf Ostern zu! Geh ins Kloster hinauf und tu dich wieder einmal reinigen! Osterbeicht machen, du brauchst’s!«
»Freilich! I schau die Weiberleut zu viel an!«
Der alte, blinde Auerbrugger war nämlich im Spital noch zu verschiedenen Arbeiten gut zu gebrauchen. So tastet er sich, vorsichtig den langen Stock vor sich herschiebend, ganz von dem Reinigungsgedanken durchdrungen, die Straße entlang.
»Wohin, Auerbrugger?«
»Reinign!«
Er sucht, mit dem Stock weit an der Gassenfront vortastend, den Einbug in das Klostergaßl.
Da standen zwei Büblein. Die lachten.
»Horts, Büebln! Jetz sagts mir grad, da rechts mueß ja gleich das Klostergaßl abschneidn!«
»Freilich schneidet’s da rechts ab!«
»Seid so guet, Büebln, und tuet mich bis zum Einbug führn!«
»Wir führn dich schon! Ganz gern!«
Der kleinere von den beiden, aber der größere Lump, faßt den langen Stock am untern Ende und zieht den Blinden hinter sich her:
»So! Jetz geh nur fest nach!«
Und führt den Alten am Klostergaßl vorüber geradenwegs vor die Einfahrt des Traubenwirtshauses.
»So! Da bist beim Einbug! Kannst nimmer fehln!«
Sie ließen den Alten stehen und liefen davon.
»Vergelts enk Gott, Büeblen!«
Der Alte tastet sich rechter Hand weiter.
»Teuflment! Seit wann ist denn im Klostergaßl a hölzerner Fueßbodn glegt? Da bin i ja heilig beim Traubnwirt! Verfluchte Büebln!«
Durch die offene Tür der Gaststube hatten ihn schon ein paar übernächtige, zechende Gäste ersehen.
»Was könnt man ihm denn gleich antun?« Das war ihr erster Gedanke. Die Leute sind ja gar so gut und freundlich.
»Halt! I hab’s! Gschwind! A Restl Wein, a Restl Bier, a Restl Schnaps! So! Alls zusammengschüttet in ein Bierglas!«
»Auerbrugger! Hast Durst? Da! Trink!«
»Was habts denn Guets?«
»A Kaisermischung!«
»A Kaisermischung? Sapperlott! Dann mueß man’s mit Andacht trinkn! Sollts alle lebn!«
Drückt die blinden Augen zu und tut einen andächtigen Schluck.
»Na! Schmeckt’s?«
Der alte Auerbrugger prüft nach alter Weinbeißerart mit der Zunge schmatzend den Geschmack nach. Er war sich noch nicht ganz klar. »Hm! Weiß nit recht, wo i’s hin tuen soll! Aber was Bsunders ist ’s! Dös spür i!«
Er macht noch einen prüfenden Schluck.
»Hm! An’ bittern Nachgschmack hat’s! Dös wird aber schon guet fürn Magn sein!«
»Na ja! Der Kaiser trinkt’s alle Nacht vor dem Schlafengehn!«
»Eben! Dös merk i schon. Die Sach hat an’ Gehalt!«
Der Trunk stieg immer höher in der Achtung des Auerbrugger. Er stürzte das große Glas in einem Zug bis auf den letzten Tropfen hinunter. Dann lachte er mehr als vergnüglich auf.
»Hahaha! Und wärmen tuet’s! Respekt! Dös wärmt den Magn!«
Der Auerbrugger wurde immer aufgelegter:
»Mannder! Dös geht ins Bluet! Haha! Jetzt spür i erst, daß i lebendig bin! Vergelts enk Gott! Haha! So a Mischung, da hat der Kaiser freilich leicht lustig sein! Hahaha!«
»Hahaha!« grölten die Gäste mit.
Auerbruggers tote Augensterne leuchteten in besoffenem Glanz:
»Laßt mich eins tanzen!«
»Da! Tanz!«
Er torkelte lustig besoffen in der Stube herum.
Sie stellten ihm immerfort Stühle in den Weg. Der Blinde fiel ein ums andere Mal der Länge nach hin. Die guten Leute brüllten vor Vergnügen. Der Alte lachte mit:
»Na! So fein ist’s schon lang nimmer gwesn! Führt mi ausser in Gotts freie Natur! Da herin ist’s mir heut zu eng!«
Sie führten den lebenstollen Alten in den Hof hinaus und setzten ihn auf den Düngerhaufen!
»Da ist Natur! Frisch vom Zapfn!«
»Ah! So weich bin i schon lang nimmer gsessn! Ist dös heut a Lust!«
Er begann auf dem Düngerhaufen einen Gesang, daß jung und alt zusammenlief:
»In Lust, in Lust leb ich!
In Lust, in Lust schweb ich!
Und wer in Lust lebt,
Der ist mein Brueder!«
»Um so an’ Brueder tät i mi schön bedanken! Packts ihn auf und führts ihn heim, das bsoffene Schwein!« sagte der Traubenwirt.
Das war für die Buben ein Spaß. Sie luden den Alten auf einen halbgefüllten Mistkarren.
Der Auerbrugger weinte vor Freude:
»Na! Jetz tun sie mi gar noch mit dem Wagn heimführn! Vergelts enk Gott, Leut! Ist dös heut a Tag!«
An hundert Leute liefen johlend neben dem Karren her. Um ihn herum lachte und tobte die Bubenschar; sie bewarfen ihn mit Schmutz, bespritzten ihn mit Wasser. Der blinde Alte aber saß wie ein König des Lebens auf dem Dünger:
»In Lust, in Lust leb ich!
In Lust, in Lust schweb ich!«
Vor dem Armenhaus luden sie ihn ab. Warfen einfach den Karren um. Der Blinde fiel in einen Straßentümpel, der noch seit dem letzten Regen stand. Denn um die Armenspitäler herum scheint wenig Sonne.
»Oha!« meinten besorgt die Buben, während um den Alten der Kot aufspritzte. »Jetz wärst bei ein Haar in die Lackn gfallen!«
Und wieder ein Gebrülle und Gelächter, daß alles Vieh in den umliegenden Ställen unruhig wurde.
Der Alte hockte mit übergeschlagenen Beinen in der Lacke und ließ seine toten Augensterne glückselig im Kreise wandern: »Leutln! I sag’s enk! Ist dös heut ein Tag! Alls kreuzlebendig, und ich mittelt drin!«
»Guet schaust aus, Auerbrugger!« schrie die Oberin erbost vom Fenster herunter. Im nächsten Augenblick stand sie schon mit rotem Kopf vor der Türe:
»Guet hast dich greinigt!«
»Schwester Oberin! Heut han i einmal was vom Himml gspürt! So fein ist’s noch nie gwesen!«
Er fiel der Oberin freudetoll um den Hals. Die gab ihm ein höchst irdisches Kopfstück und schob ihn durch das baufällige Tor.
Der dunkle, rattenkahle Hausflur schluckte gierig Auerbruggers Seligkeit.
Hartklirrend flog die Tür des Armenhauses ins Schloß.