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DIE BARBAREN UND DAS GELD

An Rhein und Donau waren die Legionen des römischen Weltreichs stehen geblieben. Nordwärts und ostwärts dehnte sich in unermesslicher Weite waldreiches Land, bewohnt von halb nomadenhaften Völkerschaften. Anfänge von stadtähnlichen festen Siedlungen gab es fast nur an der Grenze zum Römerreich.

Aus dem Osten über die Wolga hereinbrechend war der Mongolenstamm der Hunnen über Europa gefegt, raubend und sengend und die überfallenen Völker mitreißend oder vor sich hertreibend. Die Schutzwälle, die das Römische Reich an seinen Grenzen errichtet hatte, konnten die Flut nicht aufhalten. Das Weltreich der Römer ging unter, andere Völker und Reiche füllten den Raum, jahrhundertelang sich in Kämpfen und Kriegen verändernd.

Den Zusammenhang zwischen Geldwirtschaft und Geschichtsverlauf hat die eigentliche Geschichtsforschung nie sonderlich berücksichtigt. Aber die Wirtschaftsgeschichte kennt die sogenannten »langen Konjunkturwellen« als die Zeitabschnitte steigender Geldvermehrung. »Mir ist keine Periode wirtschaftlicher Blüte bekannt, die nicht auf einen außerordentlichen Zufluss von Gold zurückzuführen wäre«, sagt Sombart. Die Kehrseite davon ist die wirtschaftliche Stagnation, der Zerfall der sozialen Organismen und der Kulturen, sobald das Geld sich vermindert, abfließt oder in anderer Art versickert.

Eine solche Periode war mit der anhaltenden Passivität der Handelsbilanz des römischen Weltreiches über die Kultur des Altertums gekommen und hatte der Zeit der Völkerwanderung ihren Stempel aufgedrückt. Jahrhundertelang waren die Raubkriege und Beutezüge der mit den Wanderungen der Goten und der Hunnen in Bewegung gekommenen Völker an der Tagesordnung. Rom hat die Arbeitsteilung nicht weiterentwickelt und ausgedehnt, sondern mit der Verschwendung des Geldes zugleich sein wirtschaftliches Blut verloren und seine Kraft vergeudet. Ackerbau, Gewerbe, Handwerk und Handel verkümmerten. Wer noch Geld hatte, hütete es als einen Schatz. Selbst die Barbaren wussten schon das alte römische Geld von den rot gewordenen Silbermünzen des späten Rom zu unterscheiden und verschatzten das bessere Geld. Die alten Germanen bohrten ein Loch durch den beliebten römischen Goldsolidus und trugen die Münzen an einer Schnur um den Hals. Was der Sinn des Geldes sein sollte, war fast vergessen. Aber die Gier nach den gleißenden Schätzen von Gold und Silber lag wie ein uralter Fluch über allem. Die ganze Geschichte der Völkerwanderung ist ein endloser Bericht über den Kampf um gewaltige Schätze, die dereinst einmal Geld waren und eine volkswirtschaftliche Funktion gehabt hatten, jetzt aber von der Raubgier und Prachtliebe der Großen verschluckt wurden. Gustav Freytag schildert in seinen »Bildern aus der deutschen Vergangenheit« die Fürstenschätze aus Armringen, Spangen, Diademen, Bechern, Becken, Schalen und Trinkhörnern samt ganzen Tischplatten und Pferdeschmuck. Die Tafelaufsätze, silberne Becken für Speisen und Früchte waren zuweilen von so protzigem Ausmaß, dass man sie mit Hilfsgeräten auf die Tische heben musste; eines Mannes Kraft reichte nicht mehr aus.

Der fränkische König Chilperich (561–584) ließ einen Tafelaufsatz aus Gold und Edelsteinen machen, 50 Pfund schwer; und der König Gunthram erzählte beim festlichen Mahl: »Fünfzehn Schüsseln, so groß, wie die größten dort, habe ich schon zerschlagen und habe nur diese behalten und eine andere, 470 Pfund schwer.« Zu solchen Prunkstücken wurde das gemünzte Gold und Silber, das aus der Beute und aus den Tributleistungen der jeweils Besiegten stammte, verarbeitet. Als die Franken unter Clodewech die Römer besiegt und aus Gallien vertrieben hatten, waren ihnen riesige Bestände römischen Goldes in die Hände gefallen. Aber bevor etwas Sinnvolles damit geschehen konnte, waren neue Widersacher an die Stelle der Erschlagenen getreten. Ein düsteres Bild von Tücke und Raubgier zeichnet Gustav Freytag nach mit der dramatischen Schilderung: »Als der Königssohn Chloderich seinen Vater auf Anstiften des Chlodewech getötet hatte, zeigte er dem Boten des argen Vetters die große Truhe, in welche der Ermordete seine Goldstücke zu legen pflegte, da sagte der Gesandte zu ihm: ›Miss die Tiefe mit dem Arm aus, damit wir die Größe wissen!‹ – und als der Frevler sich niederbeugte, zerschmetterte ihm der Franke den Kopf mit seiner Axt« (siehe G. Freytag: »Bilder aus deutscher Vergangenheit«, S. 155). – Verläßliche geschichtliche Nachweise über diesen Vorgang hat die Geschichtsforschung nicht gefunden und so mag es sein, dass die Fama hier – ebenso wie in der Nibelungensage – Dichtung und Wahrheit vermischte. Wieviel Wahrheit aber mag ganz im Dunkel der Vorzeit versunken sein?

Dem Golde gegenüber ist der Mensch unersättlich, und so hortete also die Raubgier und Besitzleidenschaft der kämpfenden Fürsten und Könige die noch aus dem Altertum vorhandenen Edelmetallbestände mehr und mehr in nutzlosen Schätzen. Als die fränkische Königstochter Rigunthe 584 zu den Westgoten nach Spanien gesandt wurde, füllte ihr Schatz 50 Frachtwagen. Jedem Fürstenkind wurde schon bei seiner Geburt ein Schatz angelegt. Zahllos sind auch die Berichte von vergrabenen und versenkten Schätzen. Wir denken an Alerichs, des Gotenkönigs Grab im Busento, an die geheimnisumwitterte Bestattung Attilas, des Hunnenkönigs in goldenem, silbernem und eisernem Sarg, an den Nibelungenhort und den ewigen Zwist um alle Schätze. Bis auf den heutigen Tag ist das Raunen um vergrabene Schätze zu hören. Noch 1895 wurde in Köln eine römische Kriegskasse mit 15 Zentnern römischer Münzen gefunden, ein Schatz, der wohl vor dem herannahenden Feind vergraben und nach verlorenem Kampf nicht wieder gehoben werden konnte.

In diesen Jahrhunderten der Völkerwanderung gibt es denn auch nur wenige, jeweils bald erstorbene Ansätze zur Neuerweckung einer Geldwirtschaft. Kelten und Germanen haben in ihren ersten Versuchen nur Nachprägungen der römischen und griechischen Münzen vorgenommen. Das Münzbild solcher Prägungen ist entsprechend roh, und die Unerfahrenheit des Stempelschneiders zeigt sich mitunter sogar in seitenverkehrter Wiedergabe des Münzbildes, das als Vorlage diente. Von einer Entfaltung der Geldwirtschaft kann erst wieder gegen Ende des ersten Jahrtausends gesprochen werden; der Reichtum des Altertums, der einstmals bereits in Münzen geprägt einen volkswirtschaftlichen Dienst getan und eine Entfaltung von Arbeitsteilung und Kulturblüte ermöglicht hatte, war einfach jahrhundertelang umgeformt und seiner Aufgabe entzogen worden: Objekt der Hortbildung, der Machtgewinnung, des Prunkes, des ständigen Kampfes und Raubes. Und die Kehrseite davon skizziert Hugo Rachel in seinen Betrachtungen zum Untergang der Antike, indem er schreibt: »Durch das unaufhaltsame Schwinden des baren Geldes trocknete das Wirtschaftsleben gleichsam aus und glitt in ein längst überwundenes Stadium, zur Naturalwirtschaft zurück« (siehe Hugo Rachel: »Kulturen, Völker und Staaten«, S. 99). Kriegsstürme, Raubzüge und Verwüstungen sind ein unfreundliches Wetter für das Erblühen einer neuen Kultur; die Lehre des Christentums, die Wesentliches zur Gestaltung einer neuen Welt bringen konnte, fiel noch auf steinigen Acker, während sie im Römerreich bereits seit dem Jahre 313 anerkannte Staatsreligion war. Bei manchem aus den germanischen Stämmen zum Christentum Übergetretenen verband sich die neue Lehre noch in absonderlicher Weise mit den überlieferten Begriffen der Väter, und noch nach Jahrhunderten war manche Handlung mehr vom Blut und Urväterglauben als vom Geiste echten Christentums diktiert.

So muss man, wenn man von einem »christlichen Abendlande« spricht, wohl doch ein wenig bedenken, dass dieser Begriff kaum vor dem 8. Jahrhundert seine Gültigkeit haben dürfte. Als Bonifatius bei Geismar die Donar-Eiche fällte, schrieb man bereits das Jahr 724; und als der Stamm der Sachsen als letzter großer Germanenstamm nach erbittertem Widerstand sich dem Christentum beugte – Widukind ließ sich im Jahre 785 taufen –, neigte sich dieses Jahrhundert bereits seinem Ende zu.

Erstmalig seit dem Untergang des weströmischen Reiches war in diesem 8. Jahrhundert in dem Frankenkönig Karl, der damit der Große werden sollte, ein Mann erstanden, der die Erben der untergegangenen römischen Weltmacht, die schon ziemlich festgefügten germanischen Reiche auf dem geschichtlichen Boden der einstigen römischen Herrschaft und weit darüber hinaus zu einem neuen Ganzen zu einen vermochte. Erstmalig traten jetzt auch aus dem Schoße der barbarischen Eroberer andere Gesichtspunkte als Krieg und Raub politikbestimmend hervor.

Dem Weitschauenden erschloss sich der Blick in eine neue Weltgestaltung, nicht minder großartig als die des versunkenen Römerreiches. Überlieferte Reste griechisch-römischer Kultur, Kunst, Gesetzgebung, Geistesbildung usw. auf dem Boden des für eine Gemeinschaftsbildung unter den Menschen unerhört fruchtbaren Christentums neu begründet, fingen an, unter Karl dem Großen zu gewaltigen Wandlungen zu führen.

Dass die Einführung des Christentums von Karl dem Großen nicht immer mit christlicher Duldsamkeit und Großmut betrieben wurde, ist bekannt; aber man wird bei der Würdigung seiner Taten bedenken müssen, dass die Einigung der germanischen Stämme unter der Glaubenslehre des Christentums von ihm als politische Notwendigkeit angesehen wurde. So betrachtet war es weniger der Christ Karl als vielmehr der germanische König und Schöpfer des nachmaligen »heiligen römischen Reiches deutscher Nation«, dem es unerträglich gewesen sein mochte, innerhalb dieses Reiches eine klaffende Lücke oder gar einen Herd der Feindschaft zu wissen, der gleichwohl von Menschen desselben Blutes bewohnt wird.

Doch wie man auch immer darüber denken mag – mit späten Wertungen ändern wir nichts an vollzogenen Werken, die Nachwelt hat auf den Tatsachen weiterzubauen –, unmerklich vollzog sich eine Verlagerung der wieder erwachenden Lebensströme des völkerbewegenden Verkehrs vom Mittelmeerraum zum Rhein. Denn unmerklich begann die innere Ordnung des werdenden Reiches, die gute Verwaltung, die sorgsame Rechtspflege, die Förderung des Unterrichts, dem sich der Kaiser im hohen Mannesalter selbst noch unterzog, ihre Früchte zu tragen. Auch die wirtschaftliche Förderung, hauptsächlich bestimmt von der Ordnung des Bodenrechts, der Lehensordnung, des Marktrechts und Münzwesens, wirkte sich aus.

Die germanischen Stämme, insbesondere in jenen Gebieten, die noch außerhalb der einstigen Römerherrschaft, also nordöstlich von Rhein und Donau, lagen, haben freilich bis in das letzte Jahrhundert vor der Jahrtausendwende überwiegend in altväterlicher Naturalwirtschaft gelebt. Soweit sie durch Tausch und Handel fremdländisches Gerät, Schmuck, Münzen und dergleichen erwarben und Zinn, Bernstein, Honig, Wachs oder Felle dafür gaben, diente das Erworbene nur dem persönlichen Bedarf, allenfalls auch einer stetigen Schatzbildung. Die durch Berührung mit den Römern und durch die Züge der Völkerwanderung in die Hände der Germanen gelangten griechisch-römischen Münzen wurden also, wie bei allen Naturvölkern, lediglich als Schmuck und Schatzmittel betrachtet. So versickerte auch hier ein großer Teil der Münzbestände des Römischen Reiches in den unergründlichen Wäldern Germaniens, ohne dass sie hier schon jene Wirtschaftsbelebung herbeiführen konnten, die in entwickelteren Kulturen bei solcher Art »aktiver Handelsbilanz« zustande zu kommen pflegt.

Um diese Zeit wäre es hier für eine ausgedehnte Geldwirtschaft auch einfach noch zu früh gewesen. Erst kam es darauf an, von der Naturalwirtschaft zur Arbeitsteilung zu gelangen; und auf dieser Linie der Notwendigkeit hatte das römische Kolonisationstalent – obwohl die Barbaren die Herren und die Römer die Unterlegenen waren – ein dankbares Betätigungsfeld gefunden. Was jetzt aus Rom kam, kam freilich nicht mehr in klirrenden Waffen, die früher die römische Kultur begleitet hatten, sondern es kam im Habitus der neuen Religion des Christentums. Sicher ist die fortschreitende Verschmelzung der fränkischen Herrschaft mit der römischen Kirche, die mit der Kaiserkrönung Karls des Großen ihren Höhepunkt erreichen sollte, einer der bedeutungsvollsten Vorgänge der europäischen Geschichte gewesen. Und wenn es in diesem Zusammenhang auch nicht primär wichtig sein mag, so war es doch andererseits auch nicht von Nachteil, dass das ganze Erbe der geldwirtschaftlichen Erfahrung der Römer sich im Zuge dieser Entwicklung auf die Völker des fränkischen Herrschaftsbereichs fortpflanzte.

Was die römische Kirche diesen Völkern zugleich mit dem neuen Weltbild des Christentums an gewerblichen Fertigkeiten und ökono-mischen Künsten des Rechnungswesens mit Maß-, Gewichts- und Geldeinheiten brachte, machte sich aber für die Kirche auch bezahlt durch die junge Kraft, deren die Kirche als Schutz bedurfte. Der Zerfall der alten römischen Weltmacht in ein weströmisches und oströmisches Reich – im Jahre 395 waren Rom

und Byzanz endgültig geschieden –, hatte auch für das Christentum, wenn nicht ursächlich, so doch als weitere Vertiefung der Kluft den großen Glaubenskonflikt zwischen arianischer und römisch-katholischer Christusvorstellung gebracht. Da die Vandalen, Goten, Langobarden und andere germanische Stämme sich zuerst der arianischen Lehre, wonach Christus nicht als Gottes Sohn gilt, zuneigten, bedeutete der Sieg des Frankenkönigs Chlodewech und sein Übertritt zum katholischen Christentum (496) zugleich den Sieg der römisch-katholischen Kirche über die arianisch-byzantinische. Der Fama zufolge soll Chlodewech vor der Schlacht gelobt haben, zum römischen Glauben überzutreten, wenn Christus ihm den Sieg schenkt. Dass man so etwas mit dem fremden Gott aushandeln könne, war dem Vorstellungsvermögen des fränkischen Kämpen durchaus natürlich. Nun waren also die Würfel gefallen und so ging die Entwicklung auf Jahrhunderte hinaus ihren neuen Weg.

Währenddessen erfuhr auch das byzantinische Reich ein wechselvolles Schicksal, bis es 1453 endgültig den Mohammedanern (Mohammed II.) erlag. In seiner hohen Blütezeit trugen die byzantinischen Münzen vornehmlich Christus- und Marienbildnisse. Justinian II (658–711) hatte als erster ein Christusbild auf seinen Solidus gesetzt, wie Robert Eisler meint, sicher weniger aus Frömmigkeit als vielmehr, um den Mohammedanern das Nachprägen seiner Münzen religiös zu verleiden (siehe R. Eisler: »Das Geld«, S. 160). Die Handelsbeziehungen mit Byzanz waren während der Zeit der Völkerwanderung noch schwach; erst die Jahrhunderte der Kreuzzzüge brachten den fränkisch-alemannischen Völkern den näheren Kontakt mit dem Orient – und damit auch byzantinische Einflüsse auf ihr Münzwesen. Letztere traten in der Brakteatenprägung der Stauferzeit, worauf wir noch kommen werden, besonders deutlich hervor.

Das Geld in der Geschichte

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