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Antwort auf einen Liebesbrief – Die hohe Kunst des Timings

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Kommen wir zu einem dritten und letzten Auszug aus der ars amatoria. Diesmal wendet sich Ovid an die „Gegenseite“. Im ersten Buch hat er männlichen Liebesschülern Tipps gegeben, wie man Liebesbriefe am besten in die Werbestrategie einbauen könne. Jetzt empfiehlt er den Damen, wie sie auf diese Form der Annäherung reagieren sollen.

1 Postque brevem rescribe moram. Mora semper amantes
2 incitat, exiguum si modo tempus habet.
3 Sed neque te facilem iuveni promitte roganti,
4 nec tamen e duro, quod petit ille, nega.
5 Fac timeat speretque simul, quotiensque remittes,
6 spesque magis veniat certa minorque metus.
(Ov. ars amatoria III 473ff.)
1 Schreibe nach kurzer Zeit zurück. Eine Zwischenzeit stachelt
2 Liebende stets an, aber nur, wenn sie von kurzer Dauer ist.
3 Doch erweise dich dem werbenden Jüngling nicht zu leicht zugänglich,
4 aber schlag ihm auch nicht hart ab, worum er bittet.
5 Mach, dass er zugleich bangt und hofft. Und jedes Mal, wenn du zurückschreibst,
6 soll sich die Hoffnung sicherer einstellen und geringer die Furcht.

Die richtige Reaktion gleicht einem Balanceakt. Das lässt sich nicht mit Spontaneität und Impulsivität meistern, sondern verlangt ein gewisses taktisches Konzept. Dieses Konzept heißt, sehr unschön ausgedrückt, den Mann eine Weile zappeln zu lassen und dann allmählich den Fuß von der Bremse zu nehmen.

Das Balancekonzept bezieht sich zum einen auf den Zeitpunkt der Antwort: nicht sofort, aber nach einer eher kurzen Zeitspanne, um das Interesse des Mannes nicht abkühlen zu lassen. Zum anderen bezieht es sich auf den Inhalt der Antwort: nicht zu rasch nachgeben, aber ihn auch nicht allzu herb vor den Kopf stoßen. Weitere Briefe abwarten und jedes Mal freundlicher antworten, so dass sich die Waage allmählich zur Hoffnung hin neigt: fac timeat speretque simul, Vers 5, hält die Gefühle des Liebhabers noch ganz im Gleichgewicht; timeat, „er soll bangen“, hat ebenso drei Silben wie speretque, „und er soll hoffen“. Das simul, „gleichzeitig“, resümiert diese Ausgeglichenheit gleichsam. Wenn überhaupt, dann hat das timere, „fürchten“, weil es an erster Stelle steht, in diesem Vers noch ein klein wenig mehr Gewicht.

Dann aber, im letzten Vers, entwickeln sich die Dinge aus Sicht des bangenden Liebhabers zum Guten: spes, „Hoffnung“ (betonte Anfangsstellung im Gegensatz zu timeat, „er soll bangen“, im vorangehenden Vers), magis, „mehr“, veniat, „soll kommen“ – das hört sich doch prima an; erst recht, wenn das erlösende certa, „sichere“, auftaucht. Die Wortstellung spiegelt sozusagen den zunehmenden Optimismus des Adressaten: „Hoffnung mehr soll kommen sichere“. Danach fällt der Vers gleichsam ab: minorque metus, „und weniger Furcht“, klappt nur noch nach. Zwei Verse, die das Wechselbad der Gefühle aufseiten des Liebhabers nachzeichnen und mit certa (spes), „sichere Hoffnung“, das (vorläufige) Happy End und indirekt den Jubel des jungen Mannes über seine letztlich erfolgreiche Liebesbriefstrategie signalisieren.

Wer das für eine zu artifizielle Interpretation hält, weiß zu wenig vom Drechseln römischer Dichter an ihren Versen. Da ist jedes Wort wohlüberlegt, da ist die Wirkung von Stilfiguren genau berechnet, da werden Silben gezählt. Das ist poetische ars im antiken Sinn – nicht nur intuitive „Kunst“, sondern auch mühevolles „Handwerk“.

Auf die handwerkliche Perfektionierung manchen Verses hat auch Ovid, der gewiss nicht zu den Langsamen gehörte, Stunden verwendet. Gerade deshalb lernt auch der Leser so viel bei einer gründlichen interpretatorischen Analyse und wird mit manch einer Entdeckung und Erkenntnis belohnt.

Ich sollte noch sagen, wie ich auf die hier vorgelegte Interpretation der beiden letzten Verse gekommen bin. Das stand in keinem Ovid-Kommentar und in keiner wissenschaftlichen Publikation zu dieser Stelle. Es war ein Schüler der Klasse 11, dem ich diese Erkenntnis verdanke.

Latein - da geht noch was!

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