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Zur Belohnung ein Blick auf die Beine

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Ovid erkennt die Gefahr. Er reagiert darauf, indem er in V. 17/18 eine Belohnung in Aussicht stellt. Tut er alles so, wie er soll, dann darf sich der Schüler über ein pretium, eine Belohnung für sein Pflichtbewusstsein freuen. In der Sprache der Pädagogik winkt ihm eine Remotivation. Und zwar keine geringe: Er wird die Beine der Dame zu sehen bekommen. contingent – das wird definitiv so kommen: Die Aussage steht als künftige Tatsache im Futur. Hier endlich wird der Schüler von den vielen „nervenden“ Imperativen, Konjunktiven und Gerundiva erlöst. Sie alle gehen, wenn sie befolgt werden, in eine indikativische Gewissheit über. Das Tempus-Modus-Profil dieser Passage ist wunderbar folgerichtig: Erst das tun, was einem in Form von praecepta, „Vorschriften“, nahegelegt wird, und dann die Belohnung dafür in Empfang nehmen – das ist die Funktion der ersten echten Indikativform dieser Passage.

Verstärkt wird diese Aussicht auf den Triumph durch eine p-Alliteration, die gewissermaßen die Explosivität des bevorstehenden Geschehens ankündigt. protinus pretium patiente puella – p-Laute wie Fanfarenstöße: Etwas für römische Verhältnisse Ungewöhnliches, wo nicht Unerhörtes wird sich ereignen. Die Beine des Mädchens werden zu sehen sein. Dabei hat die Dame keine Chance, sich dem zu entziehen. patiente puella macht schon klar, dass sie sich nicht dagegen wehren kann. Und dann folgt noch ein großartiges Hyperbaton, das die Unausweichlichkeit der Belohnung illustriert: oculis crura videnda tuis, in der Reihenfolge der Wörter im Lateinischen: „Augen Beine zu sehen deinen“. tuis oculis, „deine Augen“, umschließen sozusagen die Beine. Die können den Blicken nicht entgehen, ihnen nicht ausweichen. Die Beine sind Gefangene „deiner Augen“. Lässt sich ein Hyperbaton kunstvoller – und einleuchtender – nutzen?

Mit ebenso veranschaulichendem Effekt wird schon weiter oben in Vers 6 ein Hyperbaton verwendet: lege puella loci. „Nach dem Gesetz das Mädchen des Ortes“ – im Deutschen unmöglich, im Lateinischen kein Problem, das von lege abhängige Genitivattribut loci zu trennen und die Umklammerung des Mädchens durch das „Gesetz des Ortes“ zu visualisieren. Auch hier hat das Mädchen keine Chance, dem „Sachzwang“ zu entgehen. Sie muss die körperliche Nähe des Liebhabers hinnehmen, weil sie in den Circus gegangen ist und sich so zur „Gefangenen“ des hier geltenden Gesetzes gemacht hat. Aus der Umklammerung durch lege … loci kommt sie nicht mehr heraus.

Vielleicht ist es gelungen aufzuzeigen, welches interpretatorische Potenzial in solchen Ovid-Passagen steckt und wie sehr ein Lateinunterricht, der dieses genaue interpretatorische Hinsehen fördert, sich auch als allgemeines Schulungszentrum anbietet, um literarische Qualität bewusst zu machen und sie als ästhetisches Vergnügen zu entdecken. Die antike Literatur zeichnet sich anerkanntermaßen durch ein besonders hohes Maß an formaler Gestaltungskraft aus, wie sie sich besonders in der effektvollen Verwendung von Stilmitteln erweist. Insofern ist jeder gute lateinische Literaturunterricht eine hohe Schule für literarische Erziehung und ein Widerstandszentrum gegen bloßen Literaturkonsum. Auch hier pochen Altphilologen nicht auf einen Alleinvertretungsanspruch, wohl aber stellen sie die von den Schülern in ihrem Unterricht erworbenen Kompetenzen anderen Literaturfächern gern zur Verfügung – und natürlich auch für den allgemeinen Genuss von Literatur über die Schule hinaus.

Latein - da geht noch was!

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