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Kapitel 3

Die eine Bibel? – Zwei gegensätzliche Gottesbilder

Mose nahte sich dem Dunkel, darinnen der HERR war.

2 Mos 20, 21

Der Herr aller Herren … wohnt in einem Licht,

zu dem niemand kommen kann.

1 Tim 6, 16

Das Gottesbild der Jüdischen und das der Christlichen Bibel könnten verschiedener nicht sein. Zwei so gegensätzliche Bilder können aber nicht denselben Gott abbilden.

Die beiden religiösen Strömungen unter den Juden zur Zeit von Jesus waren die Pharisäer und die Sadduzäer. Matthäus, der selbst aus dem Judentum kam, erkannte die Gefahr, die von hier aus auf die neue Lehre ausging, und überliefert die Warnung Jesu: Augen auf und habt Acht auf den Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer (Mt 16, 6). Ein wenig Sauerteig durchsäuert und verändert den ganzen Teig (1 Kor 5, 6). Doch wie Matthäus gleich im Anschluss berichtet, kapierten seine Schüler die Warnung nicht und meinten, sie hätten Brot vergessen. Sie waren nicht die letzten, die diese Warnung nicht verstehen sollten. So nahm auch die werdende Kirche in ihrer Überzeugung, die ganze Entwicklung Israels laufe auf sie hinaus, die alten Schriften für sich in Anspruch und fügte aus den zwei unverträglichen Teilen ein unstimmiges Ganzes zusammen. In den Gottesdiensten der Kirchen werden bis heute Lesungen aus beiden Testamenten verwendet.

Indem die christliche Kirche das unheilvolle Erbe dieses Aspektes von Religion samt seinem Gottesbegriff aus dem Judentum übernahm, waren praktisch Gewaltanwendungen in der Kirche vorprogrammiert, wobei die Kriegstheologie des Alten Testaments als Vorbild diente. Und bis heute scheint das Gottesbild der christlichen Kirchen noch stark von dem Gewalt anwendenden Gott des Alten Testaments vorgeprägt zu sein, dem ohne Widerrede zu gehorchen sei. Aber wie soll ein solcher Gott in unseren demokratischen Traditionen und dem hier stark verankerten Toleranzbegriff ein Zuhause finden? (Lüdemann, Unheilig 117)

In seiner vielbändigen Kriminalgeschichte des Christentums sagt Karlheinz Deschner vom Gottesbild des Alten Testaments: Dieser Gott aber, von Absolutheit besessen wie keine Ausgeburt der Religionsgeschichte zuvor und von einer Grausamkeit, die auch keine danach übertrifft, steht hinter der ganzen Geschichte des Christentums. … Dieser Gott genießt nichts so wie Rache und Ruin. Er geht auf im Blutrausch. Seit der „Landnahme“ sind die geschichtlichen Bücher des Alten Testaments „auf lange die Chronik eines immer erneuten Gemetzels ohne Grund und Schonung“ (Brock) „Sehet nun, dass ich’s allein bin und kein Gott neben mir! …So wahr ich ewig lebe: wenn ich mein blitzendes Schwert schärfe und meine Hand zur Strafe greift, so will ich

mich rächen an meinen Feinden … will meine Pfeile mit Blut trunken machen, und mein Schwert soll Fleisch fressen, mit dem Blut von Erschlagenen und Gefangenen, von den Köpfen streitbarer Feinde.“5 Mos 32,39 ff (I 75).

Die Jüdische Bibel enthält Bücher, die mit Recht zu den großen Weisheitsbüchern der Menschheit zählen. Doch das Gottesbild, besonders ab dem zweiten Mosebuch, ist mit dem christlichen Gottesbild keineswegs kompatibel.

Der HERR des Alten Testaments wohnt im Dunkeln (2 Mos 20, 21), er bereut seine Schöpfung, weshalb er sie von der Erde vertilgen will, was indes misslingt (1 Mos 6, 7). Er führt Abraham in Versuchung, indem er von ihm verlangt, seinen lang ersehnten Sohn und Erben auf einem Opferaltar zu töten.

Er ruft auf zum heiligen Krieg: Ich will alle Heiden zusammenbringen und will sie ins Tal Joschafat (= Gott richtet) hinabführen. … Bereitet euch zum heiligen Krieg! … Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße. … Die Heiden sollen sich aufmachen und heraufkommen zum Tal Joschafat; denn dort will ich sitzen und richten alle Heiden ringsum. Greift zur Sichel, denn die Ernte ist reif! Kommt und tretet, denn die Kelter ist voll, die Kufen laufen über, denn ihre Bosheit ist groß. … Und der Herr wird aus Zion brüllen und aus Jerusalem seine Stimme hören lassen, dass Himmel und Erde erbeben werden (Joel 4)2.

Der HERR ist zornig über alle Heiden … er wird an ihnen den Bann vollstrecken und sie zur Schlachtung hingeben. Und ihre Erschlagenen werden hingeworfen werden, dass der Gestank von ihren Leichnamen aufsteigen wird und die Berge von ihrem Blut fließen…. Des HERRN Schwert ist voll Blut (Jes 34, 2 ff).

Der HERR ist der rechte Kriegsmann, HERR ist sein Name (2 Mos 15, 3). Der HERR dein Gott ist in deiner Mitte, der große und schreckliche Gott (5 Mos 7, 21). Er ist auch ein großer und furchtbarer Gott (Neh 1, 5).

Er fordert die Ausrottung vieler Völker und verlangt, dass der Bann an ihnen vollstreckt wird: So spricht der HERR Zebaoth … So zieh nun hin und schlag Amalek und vollstrecke den Bann an ihm und allem, was er hat; verschone sie nicht, sondern töte Mann und Frau, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel (1 Sam 15).

Als der HERR Mose zum Pharao schickt mit der Aufforderung, die Israeliten auswandern zu lassen, sagt er: Du sollst alles reden, was ich dir gebieten werde … ich aber will das Herz des Pharao verhärten … und der Pharao wird nicht auf euch hören. Dann werde ich meine Hand auf Ägypten legen … (2 Mos 7, 2 ff). Es folgen 10 schreckliche Plagen für die Ägypter. Demnach hätte also Gott den ägyptischen König absichtlich verstockt, so dass er nicht auf Mose hörte, um ihn und dessen Volk dann für diesen Ungehorsam grausam bestrafen zu können.

Ist das mit dem christlichen Gottesbild kompatibel?

Auch seinem eigenen auserwählten Volk gegenüber ist er ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen (2 Mos 20, 5). Er kennt keine Vergebung, sondern nur blutige Rache nach dem Talionsgesetz: Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde (2 Mos 21).

Jeden Ungehorsam seines Volkes bestraft er grausam. Es hat die Wahl zwischen Gehorsam und Ungehorsam, zwischen Segen und Fluch: Wenn du nun der Stimme des HERRN, deines Gottes, gehorchen wirst, dass du hältst und tust alle seine Gebote, die ich dir heute gebiete, so wird dich der Herr, dein Gott, zum höchsten aller Völker der Erde machen, und weil du der Stimme des Herrn, deines Gottes, gehorsam gewesen bist, werden über dich kommen und dir zuteil werden alle diese Segnungen: Gesegnet wirst du sein … Gesegnet wird sein die Frucht deines Leibes … Und der Herr wird deine Feinde, die sich gegen dich erheben, vor dir schlagen … Der Herr wird dich zum heiligen Volk für sich erheben … und alle Völker auf Erden werden sehen, dass über dir der Name des Herrn genannt ist, und werden sich vor dir fürchten. Und der Herr wird machen, dass du Überfluss an Gutem haben wirst … und du wirst immer aufwärts steigen und nicht herunter sinken, weil du gehorsam bist den Geboten des Herrn, deines Gottes … und nicht abweichst von all den Worten, die ich euch heute gebiete, weder zur Rechten noch zur Linken, und nicht anderen Göttern nachwandelst, um ihnen zu dienen.

Wenn du aber nicht gehorchen wirst der Stimme des Herrn, deines Gottes, … so werden all diese Flüche über dich kommen und dich treffen: Verflucht wirst du sein in der Stadt, verflucht auf dem Acker … Verflucht wird sein die Frucht deines Leibes … Der Herr wird unter dich senden Unfrieden, Unruhe und Unglück in allem, was du unternimmst, bis du vertilgt bist und bald untergegangen bist… Der Herr wird dir die Pest anhängen … Der Herr wird dich schlagen mit Aussatz, Entzündung und hitzigem Fieber, Getreidebrand und Dürre … Der Herr wird dich vor deinen Feinden schlagen … Der Herr wird dich schlagen mit ägyptischem Geschwür, mit Pocken, mit Grind und Grätze, dass du nicht geheilt werden kannst. Der HERR wird dich schlagen mit Wahnsinn, Blindheit und Verwirrung des Geistes … Den Ertrag deines Ackers und alle deine Arbeit wird ein Volk verzehren, das du nicht kennst, und du wirst geplagt und geschunden werden ein Leben lang und wirst wahnsinnig werden bei dem, was deine Augen sehen müssen. … Der Fremdling, der bei dir ist, wird immer höher und über dich emporsteigen; du aber wirst immer tiefer herunter sinken … er wird der Kopf sein, und du wirst der Schwanz sein. Alle diese Flüche werden über dich kommen und dich verfolgen und treffen, bis du vertilgt bist, weil du der Stimme des Herrn, deines Gottes, nicht gehorcht und seine Gebote und Rechte nicht gehalten hast, die er dir geboten hat (5 Mos 28, 145, Luther 84).

Die vom römischen Papst ausgerufenen Kreuzzüge gegen die südfranzösischen Ketzer und die Hexenverbrennungen finden keinerlei

Legitimation in den Schriften der Christlichen Bibel, wohl aber im Gottesbild des Alten Testamentes. Sich einer anderen Religion, d.h. einem anderen Gottesbild zuzuwenden hat Steinigung zur Folge. Der Freund muss den Freund, der Gatte die Gattin denunzieren: Wenn dich dein Bruder, deiner Mutter Sohn, oder dein Sohn oder deine Tochter oder deine Frau in deinen Armen oder dein Freund, der dir so lieb ist wie dein Leben, heimlich überreden würde und sagen: Lass uns hingehen und andern Göttern dienen, die du nicht kennst noch deine Väter, von den Göttern der Völker, die um euch her sind, sie seien dir nah oder fern, von einem Ende der Erde bis ans andere, so willige nicht ein und gehorche ihm nicht. Auch soll dein Auge ihn nicht schonen, und du sollst dich seiner nicht erbarmen und seine Schuld nicht verheimlichen, sondern sollst ihn zu Tode bringen. Deine Hand soll die erste wider ihn sein, ihn zu töten, und danach die Hand des ganzen Volks. Man soll ihn zu Tode steinigen, denn er hat dich abbringen wollen von dem Herrn, deinem Gott, der dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt hat, auf dass ganz Israel aufhorche und sich fürchte und man nicht mehr solch Böses tue unter euch (5 Mos 13, 7-12; Luther 84).

Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen. Wer einem Vieh beiwohnt, der soll des Todes sterben. Wer den Göttern opfert und nicht dem Herrn allein, der soll dem Bann verfallen (2 Mos 20. 17 ff Luther 84). Wer seinem Vater oder seiner Mutter flucht, der soll des Todes sterben.Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben (3 Mos 20, 8 f Luther 84). Wenn jemand bei einem Mann liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben (3 Mos 20, 13 Luther 84). Wenn ein Mann oder eine Frau Geister beschwören oder Zeichen deuten kann, so sollen sie des Todes sterben; man soll sie steinigen, ihre Blutschuld komme über sie (3 Mos 20, 27 Luther 84).

Auch die Psalmen, unter denen sich viele herrliche Stücke wie z.B. Ps 23, 27, 91 und viele andere finden, sind nicht alle erhebend. So heißt es in Psalm 149: Der Herr hat Wohlgefallen an seinem Volk… Die Heiligen sollen fröhlich sein… Ihr Mund soll Gott erheben; sie sollen scharfe Schwerter in ihren Händen halten, dass sie Vergeltung üben unter den Heiden, Strafe unter den Völkern, ihre Könige zu binden mit Ketten und ihre Edlen mit eisernen Fesseln, dass sie an ihnen vollziehen das Gericht, wie geschrieben ist. Solche Ehren werden alle seine Heiligen haben. Halleluja!

In den Fluchpsalmen Ps 69, Ps 109 und Ps 137 werden schreckliche Wünsche ausgesprochen wie: An den Wassern Babylons saßen wir und weinten. … Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns angetan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert! (Ps 137 Luther 84)

Die Bibel des Alten Testaments und des Neuen Testaments hat ihren Mittelpunkt in Jesus Christus als der Mitte der Zeiten. … Dabei darf nicht übersehen werden, dass das Alte Testament eine eigenständige Gottesoffenbarung enthält, die durch Christus anerkannt und aufgenommen und

bestätigt worden ist (Calwer 160). Letztere Behauptung stimmt absolut nicht. Das Gottesbild der Jüdischen Bibel ist mit dem der Christlichen Bibel in keiner Weise vereinbar. Jesus sprach selbst davon, dass seine Lehre als skandalös empfunden werden könnte (Mt 11, 6). Als gotteslästerlich wurde sie sowieso ausgelegt, was denn auch zu seiner Hinrichtung führte.

Besonders das Matthäus-Evangelium, das sich bekanntlich an die Juden richtet, stellt gleich zu Anfang viele Unterschiede deutlich heraus. Schon in der Bergpredigt (Mt 5) sagt Jesus sechs Mal: Ihr habt gehört … Ich aber sage euch. Auch widerspricht er der im Alten Testament oftmals geforderten Steinigung (Joh 8, 3 ff).

Sicher überliefert ist auch, dass Jesus oftmals am Sabbat heilte, was nach dem Gebot in der Thora mit dem Tode bestraft werden sollte (2 Mos 31, 14 f). Allgemein als echt anerkannt wird die Bemerkung Jesu dazu: Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat (Mk 2, 27). An die Kolosser schreibt Paulus: Keiner soll euch kritisieren beim Essen oder Trinken oder wegen eines Feiertags, eines Neumondes oder Sabbats. All das ist ein Schatten der zukünftigen Dinge, das Substantielle gehört zum Christus (Kol 2, 16 f).

Auch die Tieropfer finden sich nicht mehr: Denn es ist unmöglich, dass das Blut von Stieren und Böcken die Sünden wegnimmt (Hebr 10, 4).

Jesus der Christus bezeichnet alle, die vor ihm gekommen waren, als Diebe und Raubmörder. … Ich bin die Tür, wenn jemand durch mich hineingeht, wird er errettet werden (Joh 10, 8 f). Der Weg zu Gott führt nur über seinen Christus, keineswegs über die Werkgerechtigkeit nach jüdischer Lehre: Weh euch Pharisäern! Denn ihr gebt den Zehnten von Minze und Raute und von jedem einzelnen Kohlkopf. Aber am entscheidenden Punkt, nämlich der Liebe Gottes, daran geht ihr vorbei. Aber nein: das hier hätte man tun und jenes dort nicht unterlassen sollen. … Weh euch Schriftgelehrten! Denn ihr ladet den Menschen Lasten auf, die kaum zu tragen sind. Und ihr selbst rührt sie mit keinem Finger an. … Weh euch Theologen! Denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis fortgenommen. Selbst seid ihr nicht eingetreten, und die eintreten wollten, habt ihr daran gehindert (Lk 11, 42-52).

Der jüdische Gelehrte Ben Chorin bemerkt dazu: Die Pharisäer bildeten die Partei der Schriftgelehrten. … Ihr Streben war die Einheiligung des ganzen Lebens, das in Gesetz und Brauch dem geoffenbarten Willen Gottes unterstellt werden sollte. Nichts lag außerhalb dieser einzuheiligenden Sphäre: Essen und Trinken, Arbeit und Ruhe, Geschlechtsleben und Hygiene, Kleidung und Haartracht, und nichts war zu gering, um nicht mit letztem Ernst in den Dienst Gottes mit hineingenommen zu werden. Damit wurden die Pharisäer … zu den geistigen Vätern der späteren jüdischen Orthodoxie.

Wir können an der Realität und Problematik der heutigen jüdischen Orthodoxie die Pharisäer des Neuen Testamentes wie in einem Spiegel erkennen. Tiefer Ernst, bedingungslose Hingabe an das Gesetz Gottes, minutiöse Pflichttreue gegenüber diesem Gesetz zeichnen die Enkel der Pharisäer noch heute aus.

Andererseits sehen wir bei ihnen die Gefahren einer Entartung, von der das Neue Testament fast ausschließlich spricht. Diese Entartung besteht darin, dass der Gläubige in einen Panzer von 613 Geboten und Verboten eingeschnürt wird, so dass der Regung des lebendigen Glaubens nicht mehr der nötige Raum gegeben ist (Ben Chorin, Jesus 17 f).

Der christliche »neue Weg zu GOTT« geht von einem völlig neuen Gottesbild aus. Aus dem alttestamentlichen »HERRN« ist der liebende »Vater« geworden, im philosophischen Sinne also das schöpferische Prinzip, das zugleich Leben und Liebe ist. Als Geist ist dieser Vater und Schöpfer unendlich, allgegenwärtig. Er ist uns immer nah, untrennbar mit uns verbunden wie die Lichtquelle mit dem Licht. Unsere einzige Aufgabe ist es, sich dies bewusst zu machen. Falsche Gottesbilder führen in die Irre. Sie sollen Gott suchen, ob sie ihn fassen und ihn finden können, ihn, der ja nicht weit entfernt von jedem einzelnen von uns ist. Denn in ihm leben wir, in ihm bewegen wir uns, und in ihm sind wir, wie es auch einige von den Dichtern bei euch ausgesprochen haben: “Denn wir stammen von ihm“ (Apg 17, 27 f).

Gott ist nicht mehr der Verborgene, der im Dunkeln wohnt. Matthäus berichtet vom Tode Jesu und schreibt: Und siehe, der Vorhang des Tempels riss entzwei von oben bis unten (Mt 27, 51). Wohl kein historischer Vorgang, wohl eher sinnbildlich gemeint: Die neue Lehre verkündet, dass jeder Mensch freien Zutritt zu Gott hat (Eph 3, 11 f). Gott wohnt im Licht: Und die Botschaft, die wir von ihm gehört haben, besteht in folgendem: Gott ist Licht und in ihm ist keinerlei Finsternis (1 Joh 1, 5).

Der Jahwe des alten Gottesbildes fordert von seinem Volk geliebt und gefürchtet zu werden: Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein! Und du sollst den HERRN deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft (5 Mos 6, 4). So hüte dich, dass du nicht den Herrn vergisst, … , sondern du sollst den Herrn, deinen Gott, fürchten und ihm dienen … Denn der Herr, dein Gott, ist ein eifernder Gott in deiner Mitte, dass nicht der Zorn des Herrn, deines Gottes, über dich entbrenne und dich vertilge von der Erde (5 Mos 6, 12 ff).

In starkem Gegensatz dazu will der christliche Gott nicht gefürchtet werden. Er ist sogar die primäre, vorbehaltlose und unverlierbare Liebe (1 Joh 4, 19), die nur absolute Zuwendung kennt: Furcht gibt es nicht in der LIEBE, sondern die vollkommene LIEBE treibt die Furcht aus, weil Furcht mit Strafe rechnet. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollendet in der Liebe. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt (1 Joh 4, 17 ff). Dieser Gott kennt auch keine Strafe. Jakobus bekräftigt: Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk stammt von oben; es kommt herab vom Vater der Lichter, bei dem es keine Veränderung gibt noch Verschattung im Wechsel (Jak 1, 17). Jakobus bringt hier noch eine Präzisierung, wenn von Gott als dem Vater der Lichter spricht. Vater bedeutet Schöpfer und Ursache, hier also Lichtquelle: GOTT ist die Lichtquelle, die das Licht schafft. Und deswegen lässt Johannes den Christus sagen: Ich bin für die Welt das Licht.

Wer sich mir anschließt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern er wird das Licht des LEBENS haben (Joh 8, 12). Licht ist auch das Symbol für den Logos der griechischen Kirchenlehrer.

Gott führt auch niemanden in Versuchung: Keiner soll in der Versuchung sagen: Von Gott werde ich versucht, denn Gott ist nicht versuchbar zum Bösen, und er selbst versucht niemanden. Jeder, der versucht wird, wird es, weil er sich von seiner eigenen Begierde fortreißen und ködern lässt (Jak 1, 13 f).

Die reine Liebe kennt nur Vergebung, sie ist nicht eifersüchtig und rechnet das Böse nicht zu. Sie kennt es ja gar nicht. Als Petrus Jesus fragt, ob es genügt, siebenmal zu vergeben, antwortet ihm der Meister: Ich sage dir: Nicht bis zu 7 mal, sondern bis zu 77 mal (Mt 18, 22).

Als verbindend wird auch gerne ein Wort aus Levitikus zitiert: Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der HERR (3 Mos 19, 18). Doch wird hier meist übersehen, dass hier nur die Kinder deines Volks gemeint sind. Shlomo Sand, Professor für Geschichte in Tell Aviv, sagt dazu: Bekanntlich studierten die Juden über Jahrhunderte viel intensiver den Talmud als die hebräische Bibel. … Die Zurücksetzug des nichtjüdischen Anderen kommt kaum irgendwo so deutlich zum Ausdruck wie in dem talmudischen Satz „Ihr werdet Mensch genannt und nicht die Völker der Welt werden Mensch genannt“ (Babylonischer Talmud, Jevamot 61a). Nicht von ungefähr schreibt Abraham Isaak Kook, Architekt der Nationalisierung der jüdischen Religion im 20. Jahrhundert und erster Oberrabbiner der sich in Palästina ansiedelnden Gemeinde, in seinem berühmten Werk »Lichter«: „Der Unterschied zwischen der israelischen Seele, ihrem Wesen, ihren inneren Wünschen, ihrem Streben, ihrer Beschaffenheit und ihrer Haltung, und der Seele der Gojim, ungeachtet ihrer Entwicklungsstufe, ist größer und tiefer als der Unterschied zwischen der Seele des Menschen und der Seele des Viehs. Zwischen Letzteren nämlich besteht ein quantitativer, zwischen Ersteren aber ein qualitativer Unterschied.“ Hierbei ist zu bedenken, dass die Schriften Kooks den nationalreligiösen Siedlern in den besetzten Gebieten bis heute als geistiger Leitfaden dienen (Sand, Jude 113 f). Weil diese Auffassung von Gott und Mensch bis heute ihre negative Auswirkung zeigt, erklärt Shloma Sand am Ende seines Buches: Jetzt, da ich klar erkenne, dass man mich in Israel per Gesetz einem fiktiven Ethnos von Verfolgern und deren Unterstützern zuschlägt und überall auf der Welt einem geschlossenen Club von Auserwählten und deren Bewunderern, möchte ich nun aus diesem austreten und aufhören, mich selbst als Juden zu betrachten (Sand, Jude 148).

Jacob Neusner arbeitet in seinem Buch Ein Rabbi spricht mit Jesus – ein jüdisch-christlicher Dialog, von Josef Kardinal Ratzinger beurteilt als das bei weitem wichtigste Buch für den jüdisch-christlichen Dialog, das in den letzten zehn Jahren veröffentlicht worden ist, noch viele andere Unterschiede heraus, die seine Aussage untermauern, dass Judentum und Christentum gänzlich unabhängig voneinander zu sehen sind. Das Christentum ist nicht die

„Tochterreligion“, und es gibt keine gemeinsame fortlaufende „jüdischchristliche Tradition“.

Ihm stimmt der Theologe Nikolaus Walter zu, indem er betont, dass zwischen Altem und Neuen Testament ein Paradigmenwechsel liegt. … Dieser Paradigmenwechsel macht eine glatte, ungebrochene Übernahme oder Weiterführung alttestamentlicher Glaubensaussagen in die christliche Theologie unmöglich. Auch der Versuch, hier mit einer durchgehend allegorischen Auslegung alttestamentlicher Texte weiterzukommen (wie Paulus an einem Beispiel in 1 Kor 10, 1-11 vorführt), scheint mir nicht angemessen zu sein, da auf diese Weise das hermeneutische Problem nicht gelöst, sondern nur verschleiert wird (Dohmen/Söding, Zwei Testamente 312).

1961 formulierte der Deutsche Evangelische Kirchentag folgende Feststellung: Da die Juden Gottes Volk sind, bedürfen sie der Botschaft von Jesus Christus nicht (Judentum 181). Jesus Christus muss also in argem Irrtum befangen gewesen sein, als er gerade den Juden seine neue Botschaft verkündete. Oder hat sich die Evangelische Kirche so weit von der genuinen christlichen Lehre verabschiedet, als sie doch den jüdischen Sauerteig verwendete?

Jedenfalls missachtet sie die Mahnung des Meisters, ein altes Kleid nicht mit neuem Stoff zu flicken und keinen frischen Most in alte Schläuche zu füllen, weil sonst die Gärung die alten Schläuche zerreißt und der Wein verschüttet wird. Vielmehr müsse neuer Wein in neue Schläuche gefüllt werden, damit beide heil bleiben (Mt 9, 16 f).

Die christliche Lehre wächst zweifellos auf jüdischer Wurzel und ist ohne diese wissenschaftlich nicht zu verstehen. Die neue Lehre wendet sich ja an Juden und muss an deren Vorstellungswelt ansetzen. Doch, vergleichbar mit den heutigen europäischen Kulturreben, die nicht „wurzelecht“ sind, ist am von Paulus und Johannes gezogenen Weinstock ein vollkommen neuer griechisch-christlicher Wein gereift, wie das Johannes-Evangelium (Kap. 2, 6-10) gleichnishaft lehrt.

Ein Christ, der beide Gottesbilder miteinander vermengt und vom »Herrgott«, dem Jahwe-Elohim der Paradiesparabel, spricht statt vom »Vater«, hat den Aufruf Jesu zum Umdenken nicht verinnerlicht und vollzogen. Er wandelt in einem religiösen Irrgarten.

2 Dieses und die folgenden Zitate aus dem Alten Testament aus Luther 84

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