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Prolog

Wenn wir die menschliche Geschichte betrachten, beobachten wir vordergründig, wie große Reiche und Staatsideologien entstehen, wachsen, blühen und untergehen. Hinter all diesen Kreisläufen des Rades der Fortuna sahen die Griechen ein Naturgesetz am Wirken, das sie anánke (Gesetz) oder díke (Gerechtigkeit) nannten. Die Babylonier hatten es me, die Ägypter ma’at genannt. Platon definiert dieses Gesetz so: Gott hält, wie ja auch ein alter Spruch sagt, Anfang und Ende wie auch die Mitte aller seienden Dinge, und er kommt geradewegs zum Ziel auf einer Kreisbahn, wie es seiner Natur entspricht. Ihn begleitet aber stets Dike als rächende Strafe für die, die vom göttlichen Gesetz abweichen. An sie hält sich demütig und in die Ordnung eingefügt, wer glücklich sein will. Wer aber in Starrsinn sein Haupt hebt,… der bleibt von Gott verlassen und allein.

In dieser Verlassenheit aber zieht er noch andere, die seinesgleichen sind, auf seine Seite. Er tanzt aus der Reihe und bringt damit zugleich die gesamte Gesellschaftsordnung ins Wanken. Und auf viele macht er großen Eindruck. Es dauert aber gar nicht lange, und er zahlt an Dike eine empfindliche Strafe: Er hat sich persönlich, sein Haus und den Staat von Grund auf ruiniert (Nomoi/Gesetze 716).

Auf der Metaebene ist die göttliche Kybernetik der Philosophia Perennis zu erkennen, die die geistige Evolution steuert. Das ganze Geschehen lässt sich mit dem Jahreszyklus eines Apfelbaumes vergleichen: Im Frühling entfalten sich die Knospen, im Sommer wachsen die Früchte, sie reifen im Herbst, und im Winter fallen Früchte und Blätter ab und er steht wieder kahl da – ein sich immer wiederholender Kreislauf. Und doch, beim näheren Hinsehen sind Stamm und Äste gewachsen.

Dike ist auch der Name für eine Göttin. Göttin deshalb, weil das kybernetische Gesetz als ein universales, unentrinnbares Naturgesetz erkannt wurde.

(Euer Vater im Himmel) lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und spendet Regen für Gerechte wie Ungerechte, heißt es in der Christlichen Bibel. Weiter bei Paulus: All das wird vom Licht aufgedeckt und offenkundig gemacht; denn alles, was zu Tage kommt, ist Licht.

Dieses Gesetz des Wachstums gilt also für Gerechtes und Ungerechtes, für Gutes und Böses. Das eine wird zu weiterer Entfaltung angespornt, das andere wie eine Seifenblase in die Selbstzerstörung getrieben.

Alle Menschen streben von Natur aus nach Erkenntnis (Aristoteles, Metaphysik). Ihnen kommt der göttliche Logos zu Hilfe. Dieser Logos war schon zu Anfang da. Er bringt für den menschlichen Verstand das Licht der Einsicht, und das mentale Dunkel kann ihm keinen Widerstand entgegensetzen (nach Johannes 1, 1 ff).

Zu jeder Zeit und in jeder Tradition gab und gibt es für die WAHRHEIT empfängliche Denker und Seher. Der Hindu Ram Adhar Mall sagt es so: Die göttlichen Seher sind gleichsam sehr feine Empfangsstationen für die ewige Offenbarung, die unaufhörlich ausströmt (Mall, Hinduismus 24). Die zentrale Behauptung der Philosophia Perennis lautet, dass der Mensch wachsen und sich über die ganze Hierarchie bis hin zu GEIST entwickeln kann, wo er die »höchste Identität« mit der Gottheit verwirklicht, dem ens perfectissimum, dem alles Wachstum und alle Evolution zustrebt (Wilber, Das Wahre 77).

Die großen Seher, von Platon Propheten genannt, haben sich aus der Grauzone menschlichen Wissens hinauf zu mehr Licht bewegt. Sie haben gewisse Einsichten in die WAHRHEIT gewonnen und veraltete Vorstellungen abgeworfen. Um sich ihren Zeitgenossen verständlich zu machen, mussten sie dabei zur Bilder- und Vorstellungswelt ihrer Gegenwart greifen, wollten damit aber keineswegs ein Weltbild festschreiben.

Da ihre Aussagen inzwischen oft Jahrtausende zurückliegen und das zugrunde liegende Weltbild von der modernen Physik in vielem berichtigt worden ist, weisen ihre Darlegungen inzwischen zwangsläufig eine veraltete, zum Teil unverständlich gewordene Bildhaftigkeit auf – sie begegnen uns gewissermaßen in sehr altertümlicher Kleidung, die schon lange aus der Mode gekommen ist. Wird die Jahrtausende alte Bilderwelt jedoch in die moderne Semantik übersetzt, vielleicht in die philosophischen Begriffe, so ergeben die alten Erkenntnisse zusammen mit unserem heutigen Wissen ein zusammenhängendes, stimmiges Gesamtbild. So gleicht die Philosophia Perennis einem Fackellauf, bei dem große Seher das Licht ihrer Erkenntnis an den nächsten, der dafür empfänglich ist, weiterreichen.

Auf diesem langen Stufenweg hin zu Geist ist auch die christliche Lehre des Evangeliums ein bedeutendes, fortschrittliches Glied und eine der schönsten Perlen in der langen Kette der philosophischen Tradition, weil sie bereits vom griechisch-hellenistischen Geist beeinflusst ist und von seinem wissenschaftlich-philosophischen Instrumentarium Gebrauch machen konnte.

Überall da, wo eine Wahrheit als zündende Idee bei einem empfänglichen Geist einschlägt, schafft sie Licht. Und dieses Licht bleibt jetzt in seinem Wirken irreversibel wie der Stern von Bethlehem, der ein völlig neues Paradigma von Gott und Mensch aufleuchten ließ.

Befreites Christentum

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