Читать книгу Deutscher Novellenschatz 5 - Karl Immermann - Страница 5

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Auf der glückseligen Insel Ischia, die mit allem Segen Gottes reichlich überschüttet ist, lebte zu einer Zeit ein vornehmer Mann, von den Leuten schlechthin Don Antonio genannt, welcher in seiner Lebensweise von den meisten seinesgleichen das Widerspiel war. Er verprahlte sein Geld nicht in der Residenz, weder mit schönen Tänzerinnen noch Sängerinnen, auch ward es weder verbankettiert, noch vertändelt, noch verspielt, noch auf schönen Pferden vergaloppiert. Er überließ die Verwaltung seiner Güter auch nicht, wie viele Herren, den Händen habgieriger oder fahrlässiger Schaffner, hielt es auch nicht für wohlgetan, alles in Bausch und Bogen zu verpachten, um in Gemächlichkeit gleichsam den Rahm von der Milch zu essen, während andre sich mühten und plagten. Nein, er hielt es für sehr anständig und vornehm, wirklich Herr der Scholle zu sein, womit Gott ihm ein Geschenk gemacht, und zwar ein ziemlich ansehnliches: denn er besaß manches Obst und Ackerland in den Niederungen am Meere, manche schöne Lehne mit guten Reben, dazu wohlgebaute Landhäuser mit mancherlei zierlichen Kunstwerken ausgeschmückt, alles sehr fröhlich und wohlgelegen. Seine gewaltigen Tunfischnetze ließ er weit ins Meer hinbreiten, seine Wachtelnetze hing er wie Spinnweben über alle Klippen.

Aber fröhlicher als alles dieses war der Herr selber, ein rascher, rühriger Witwer. Sein Wahlspruch war: des Herrn Auge macht die Kühe fett, aber nicht, wenn es blind ist. Daher kam ihm die Gewohnheit, mit allen, die seine Güter ihm bewirtschaften halfen, sehr häufig und genau zu rechnen, damit er beständig wüsste, wie er mit jedem daran wäre; denn was man auf die lange Bank schiebt, verfault, sprach er, und war überall hurtig hinterdrein. Er bezahlte keinen Tagelohn, sondern sprach zu den Leuten: Wie viel wollt ihr, wenn ihr mir dies und das arbeitet? und handelte sehr scharf; doch, wenn er zuletzt die Arbeit wohlbestellt fand, gab er manchen Groschen zu, so dass die braven Arbeiter fröhlich von ihm nach Hause gingen und nicht darben durften. Wer aber faul war, kam des geringen Lohnes wegen lange nicht wieder. und kam er endlich, so arbeitete derselbe Mann viel mehr als vorher – wegen der Groschen, welche der Herr zulegte. Daher kam es, dass alles Volk, welches da herum lebte, die Arbeit liebgewann und den weisen Don Antonio: denn er war keineswegs geizig. Er war den Faulen nur genau, damit sie emsig würden, und teilte sonst gern mit, wo es nottat. Almosen jedoch gab er auch nur sparsam. Er sah lieber zu, wie er die Leute gründlich wieder aufbrächte, und pflegte darum nicht erst dann zu helfen, wenn einer schon ganz darniederlag; sondern wo er einen Ehrlichen sah, der sich plagte mit seiner Wirtschaft und doch mehr zurück als vorwärts kam, – zu dem ging er hin und fragte: Freund, wie steht es? Und wenn er alles erforscht hatte, sprach er weiter: Ich will dir einen Rat geben: so und so musst du es machen; aber ich sehe, deine Mittel sind zu schwach; darum komm zu mir und hole dir Werkzeug, silbernes und eisernes, damit magst du wirtschaften. Ich will dir Zweig und Samen geben und doch sehen, ob ich recht habe mit meinem Rate.

So und noch viel besser wusste Don Antonio mit den Leuten zu sprechen und stand allen bei mit Rat und Tat und schlichtete manchen schlimmen Handel. Daher kamen alle Sorgenvollen auf der Insel zu ihm, und wem er half, der achtete sich damit gelobt und nahm sich zusammen, dass er seinem Helfer keine Schande machte. Durch solche Dinge ward Don Antonio bei Vornehm und Gering groß angesehen. Sein aufrichtiges Tun und Treiben war so herrlich, dass er sich gar nichts damit vergab, wenn er schlichthin mit jedermann sprach und scherzte; dazu waren seine Reden in allen Stücken anmutig zu hören für jeden, er mochte sein, wer er wollte, und wo ehrliche Leute fröhlich waren, sparte Don Antonio nichts, er gab mit Freuden her und lachte mit.

Da ihm nun jung und alt so zugetan war, so war, wie sich leicht denken lässt, auch großer Segen auf allem, was der weise Don Antonio bestellen hieß; besonders aber waren seine Fruchtfelder unter dem schönen Himmel ein beständiges Grünen, Blühen und Ernten. So viel geschah bei Don Antonio, dass man von Jahr zu Jahr die Gegend nicht mehr wiedererkannte. Die Regenbäche, welche sich im Winter von allen Bergen stürzten, ließ er nicht so wild ins Meer hineintaumeln. Nein, er verschloss sie bald oben in großen Klüften, aus denen er sie erst im Sommer wieder herausließ, die dürren Hänge zu wässern; denn er sagte: So ist die Erde; lassen wir sie dürsten, so lässt sie uns dürsten. Und wo er einen kahlen Felsen sah, sprach der fröhliche Mann vor seinen Leuten: Warte, du fauler Stein, du brätst dahier an der Sonne! Von dir wollen wir bald Wein trinken! Und hieß Terrassen umherbauen und aufschütten, die er mit Reben umzog, immer bis zum obersten Gipfel hinan, so dass man wenige Zeit darnach die allerbesten Trauben lesen konnte, wo vorher der klirrende Felsen war.

Aber, aber, je schattiger es um Don Antonio rings auf allen Klippen wurde – je lichter ward es auf seinem eigenen Haupte, und als er eines Tages seiner Gewohnheit nach auf freiem Felde gebetet hatte, hielt ihm sein alter Diener Pietro die Hand, womit er das Käppchen wieder aufsetzen wollte, und sprach, indem er des Herrn Schädel recht eigens betrachtete: Aber mein lieber Don Antonio, wie werdet Ihr kahl!

Jawohl, du alte Haut, sprach Don Antonio lächelnd, alles ist eitel! die Blätter fallen von den Bäumen. Doch – was tut's? – Wenn man nur munter ist und frisch arbeiten kann.

Da sprach Pietro wiederum: Aber mit Verlaub, gnädiger Herr, für wen plagt Ihr Euch so Tag und Nacht? Was hilft Euch all das Zeug, die vielen Felder und Schlösser, wenn Ihr so allein seid und keinen Sohn habt, dem Ihr alles nachlassen könnt? Es ist endlich Zeit, dass Ihr das Witwerkissen wegtut und wieder an das Heiraten gedenkt, eh Euch die paar Haare vollends ausgehen!

Da sprach Don Antonio: Lieber Pietro, ich denke Tag und Nacht daran; denn ich will auch nicht von der Welt wegbrennen wie ein Talglicht, von dem nichts nachbleibt wie die letzte Schnuppe. Ich will gern heiraten, dazu sind aber zweie nötig.

Ih, die Zweie sind da, sprach Pietro wiederum. Geht nicht solange Zeit um das schöne Weib, die junge Witwe herum, die Euch so gern sieht. Herr, wartet so lang Ihr wollt, schöner wird sie doch nicht! Also flink zugelangt, so ist beiden wieder geholfen.

Flink zugelangt ist bald gesagt, lieber Pietro; doch Donna Teresa . . .

Eh! Donna Teresa, gnädiger Herr, fiel Pietro ein, nehmt es mir nicht übel – aber Ihr seid ein wunderlicher Mann. Ihr seid herzhaft und entschlossen wie ein altes Pferd in allen vier Elementen, fürchtet Euch auch vor keinem Christen noch Heiden; nur vor den paar schwarzen Augen, da werdet Ihr wie ein Kürbis. Wie oft soll ich meine Mütze noch mit Füßen treten, wenn ich Euch so mit ihr stehen sehe? Immer sag' ich da bei mir selber: sprich, sprich, Don Antonio! Jetzt ist es Zeit! Drück ab, drück ab! Feuer!– Aber prosit die Mahlzeit, Ihr tut die Lippen nicht voneinander!

Du redest, wie du es verstehst, sprach der Herr wiederum. Es schwärmen jetzt Freier um sie her, die ihr besser gefallen, Leute mit vollen Locken.

Da sprach Pietro wieder: Eh! Locken oder nicht! Wenn man aus allen Freiern in der Welt nur einen Mann macht – Ihr seid mehr wert wie alle zusammen! – Mein lieber Herr Don Antonio, wenn das Weib Fenster im Kopfe hat, muss sie doch sehen, dass Ihr viel frischer ausseht unter Eurer Glatze wie die zwei jungen Maulaffen unter den Haarschnecken, welche sie alle Tage braten und ringeln; und muss denn auch ein Freier just überall rau sein wie ein Bär? Glaubt mir, gerade die Glatze, wie sie jetzt ist, kleidet Euch viel besser wie das Gemengsel von Haaren, das Ihr sonst hattet!

Mach keine Possen, sprach der Herr lächelnd, die Weiber sehen uns mit andern Augen und haben den Kopf der Männer lieber unten glatt als oben! – Hiermit brach Don Antonio das Gespräch ab und hieß Pietro weiterarbeiten.

Nicht lange darnach, zur Zeit des Karnevals, geschah es, dass zwei Grafen aus Neapel bei ihm einsprachen, um eine bedeutende Summe Geldes von ihm geliehen zu erhalten. Er empfing die Herren freundlich und bewirtete sie in seinem städtischen Palast zu Ischia, dass sich die Tafeln bogen, weigerte sich jedoch, ihnen die Summe vorzustrecken, weil sie dieselbe, wie er wohl bemerkte, nicht zur Verbesserung ihrer sehr vernachlässigten Güter, sondern nur zum Verprassen auf dem neapolitanischen Karneval haben wollten. Seine Weigerung traf die stolzen Herren sehr empfindlich, dennoch wussten sie, solange sie noch in seiner Gesellschaft waren, den Ton der feinsten Höflichkeit zu halten. Der Ärger über den misslungenen Plan brach erst aus, als Don Antonio sie an der Tür seines Palastes entlassen hatte. Da blieb der eine der Herren, Don Ottavio, stolz und verachtend stehen und rief ihm über die Schulter nach: Geh zu, Kahlkopf!

Dieses Wort hörte Don Antonio zwar nicht mehr, denn er war schon in das Haus gegangen; aber mehrere Leute, die auf der Straße standen, vernahmen es wohl, und ein alter Sackträger sprach entrüstet zu dem Grafen Ottavio: Herr, Ihr möget sein, wer Ihr wollt, aber einem Ehrenmanne, wie Don Antonio, dürft Ihr hierzulande dergleichen nicht nachrufen!

Geht es dich an, was ich rede, du Lasttier? fragte Don Ottavio und ging stolz dahin.

Aber der Mann trat ihm munter in den Weg und sagte: Ja, Herr, uns Ischiesen geht alles an, was einer von Don Antonio spricht. Hier bin ich, tretet auf mich; aber von Don Antonio redet künftig, wie es sich gebührt!

Ja, ja, seid artig, Herr Kavalier! rief ein Zweiter, der alles mit angehört.

Zieht den Hut ab, wenn Ihr Don Antonios Schafe seht! sprach ein Dritter.

Gurgelt Euch mit Rosenwasser, wenn Ihr seinen Namen in den Mund nehmt! rief ein Vierter und sprang ihm keck in den Weg.

Da stand Don Ottavio still und sprach stolz zu seinen Bedienten: Schafft mir das Gesindel vom Halse! Da stellte sich der erste Mann wieder vor ihn hin und fragte: Wo ist denn hier ein Gesindel? Ich sehe keines. Aber Ihr, Herr, seht Euch vor, Ihr seid hier nicht zu Hause! Wir sind freie Ischiesen, die für Don Antonio durch alle vier Elemente gehen!

Was hat er denn mit Don Antonio? fragten neugierige Schiffer, die hinzutraten.

Ih! Erst wirft er Don Antonio einen Kahlkopf nach, nun nennt er uns ein Gesindel!

Er schimpft Don Antonio einen Kahlkopf und uns ein Gesindel! rief alles empört.

Macht mir Platz! rief Don Ottavio wieder seinen Bedienten zu, und als diese nicht vortraten, wollte er selbst einige Leute, die vor ihm standen, seitwärts drücken; aber – diese standen wie die Mauern. Da wurde Don Ottavio noch heftiger und schalt immer mehr; denn er war, wie mancher Zornige, der Meinung, damit durchzudringen; – aber die Ischiesen verstanden das Schelten noch besser, und es ward ein so großer Lärm in der Straße, dass Don Antonio wieder aus seinem Hause kam. Als er nun sah, wie seine Gäste von den Leuten aufgehalten wurden, rief er: Liebe Kinder, was macht ihr? Lasst sie frei gehen, es sind meine Gäste! – Da ließen alle Hände von den Fremden ab, und der Schwarm öffnete sich vor Don Antonio. – Der Herr da nennt uns ein Gesindel, riefen einige. Da sprach Don Antonio beschwichtigend: Herr Ottavio, Ihr habt sehr Unrecht, diese Männer nicht nach Würden zu ehren. Ihr würdet dies auch gewiss tun, wenn Ihr sie kenntet. Es sind brave Leute, die mit ihren Armen manches Nützliche schaffen: Weingärtner, Fischer und Ackerleute. Doch ihr, liebe Kinder, müsst nicht gleich so heftig zufahren, wenn jemand, der euch nicht kennt, ein Wort fallen lässt, das niemandem gefällt.

Wisset, Herr Antonio, wir mussten wohl heftig werden, da er Euch beschimpft.

Warum aber sollte er mich denn beschimpft haben?

Warum, wissen wir nicht, sagten einige, aber er rief Euch einen Kahlkopf nach.

Nun, wenn es weiter nichts ist! Ein Kahlkopf bin ich wirklich, sprach Don Antonio und nahm das Käppchen ab: das weiß die Sonne, die mir die Haare weg sengt. Geht in Frieden, meine Herren. Ein Kahlkopf ist ja kein Schimpf, solange die Ehrlichkeit nicht aus Zöpfen geflochten wird. Die Kahlköpfe sind mitunter die bravsten Leute. Da seht einmal hier den alten Delfin, den Fischer Jakob an. Er ist ein Kahlkopf, wie man ihn nur wünschen kann, und doch – wer mag mit ihm um die Wette schwimmen, rudern und Netz werfen? Ist er nicht allemal der erste, wo es gilt, und hält er nicht das Steuer, wenn alles verzweifelt?

Mit Gottes Hilfe, das ist Euer schöner Mund, der das sagt, sprach Jakob, Don Antonio den Ärmel küssend; aber in Wahrheit, laut sag' ich es vor allem Volk, mein Kahlkopf ist mir zur Ehre geworden, seit Don Antonio einen trägt!

Dergleichen Ehren gibt es mehr! sprach ein andrer fröhlicher Mann und klopfte sich auf den Schädel.

Hier auch! sprach ein Dritter und zeigte seine Glatze.

Hier ist wieder ein Kahlkopf! rief ein Vierter und neigte sich, damit alle das sehen könnten.

Hier mein Mann ist auch einer! rief ein munteres Weib und schob ihren Gatten vor.

Mein Vater ist auch ein Kahlkopf! rief ein kleiner Knabe.

Heran, ihr braven Kahlköpfe! rief der alte Jakob jubilierend. Kommt daher und genießt die Ehre, die euch Gott beschieden, denn Don Antonio ist ein Kahlkopf!

Beschämt, ohne nur eine Entschuldigung zu wagen, entfernten sich die Fremden; aber sie sahen noch von weitem, wie sich um Don Antonio immer mehr Kahlköpfe versammelten, Leute von allen Ständen, die es sich zur Ehre rechneten, zu sein, wie er. Ja, der jubelnde Schwarm brach zuletzt in ein lautes Geschrei aus: Es lebe Don Antonio, der brave Kahlkopf! Don Antonio aber schüttelte allen freundlich die Hand und rief verwundert aus: Der Tausend! welche Menge von blanken Schädeln!

Oh, in Casamicciola sind mehr wie hier! riefen einige.

In Lacco sind noch viel mehr! riefen andre.

Nun, da möcht' ich erst alle beisammen sehen, die auf der ganzen Insel sind, sprach Don Antonio lachend, da müssen ihrer ja sein, wie Sand am Meere!

Ja, ja, die Ischiesen sputen sich, dass sie flink kahl werden, sprach ein leichtfertiger Vogel, aber keinem lässt es so hübsch wie Don Antonio! – Und alle riefen von neuem: Es lebe Don Antonio, der brave Kahlkopf! – Hiermit hoben ihn die nächsten besten auf ihre Schultern und trugen ihn, er mochte sich wehren wie er wollte, schwebend in sein Haus zurück. Dieser wunderliche Triumphzug ging dicht unter einem Balkone vorüber, auf welchem Donna Teresa mit Antonios lockigen Nebenbuhlern stand. Sie lachte von Herzen über den Spaß, den sie von Anfang mit angesehen, und nickte freundlich. Don Antonio konnte kaum den Gruß erwidern, so schnell trug man ihn dahin, und das Volk jubelte noch lange vor dem Hause, als er schon auf seinem Zimmer war.

Der brave Mann freute sich herzlich über die harmlosen Äußerungen des Volkes und die wunderlichen Ehrenbezeugungen; doch gestand er sich zugleich, die Feier seines Kahlkopfes wäre ihm überall lieber gewesen, als gerade unter dem Balkone seiner Dame. Nun, des Himmels Wille geschehe! sprach der fromme Philosoph und ging wieder an seine Geschäfte.

Aber da es nun einmal Karnevalszeit war, ging das fröhliche Volk auf dem Markte nicht so bald auseinander. Im Gegenteil, es sammelte sich von neuem, als ein Freund des Gefeierten erschien, ebenfalls ein Kahlkopf, Don Carlo genannt, der ihm ziemlich glich an Reichtum und Sitten, aber weit ausgelassener und phantastischer zu scherzen pflegte. Er hatte soeben eine fröhliche Tafel verlassen und des lieblichen Weines nicht zu viel und nicht zu wenig genippt, sondern gerade genug, um in der allerbesten Laune gleichsam zu schweben. Als er nun, über den wilden Schwarm von Kahlköpfen erstaunt, nach der Ursache des gewaltigen Gelächters und der sonderbaren Versammlung fragte, drängten sich, ihm den Vorfall zu erzählen, alle heran, wie Beeren sich, wenn sie voll wird, um den Stiel der Traube drängen. Alle Kehlen schrien, und jedermann erzählte, die nahe standen, mit Worten, die ferne waren, mit Gebärden, bis Don Carlo sich die Ohren zuhielt und die Augen fest verschloss und selber schrie: Schweigt! Ich weiß nun alles! Still und hört, was ich euch sage! – Nach diesen Worten ward es nicht so bald still, nein, alles schrie nun immer wieder von neuem: Still und hört, was Don Carlo sagt! Still und hört, was der brave Don Carlo sagt! bis auch dieses Geschrei leiser und leiser endlich in eine Totenstille verscholl.

Nicht so feierlich! sprach Don Carlo, denn was ich sagen will, ist nicht zum Weinen! Die Geschichte da ist nicht mit Golde zu bezahlen, wiewohl euer Vortrag nicht viel besser war als tausend Ohrfeigen! Besonders war dahier ein Mann mit einer Trompetenstimme, der gleich einer Traufe beständig dasselbe Wort sprach, so dass ich zuletzt nichts mehr hörte wie das; aber das war gut; denn es war ein Wort von Don Antonio! Sprich es noch einmal aus, Checco!

Da trompetete Checco wiederum: Don Antonio hat gesagt, er möchte wohl einmal alle Kahlköpfe beisammen sehen, die auf der ganzen Insel sind.

Ja, ja, das hat er gesagt! riefen alle.

Bravo! rief Don Carlo, er hat es gesagt, und es soll geschehen! Ich habe schon manche Woche vergeblich über ein Karnevalsfest für meinen braven Don Antonio nachgedacht; nun aber will ich ihm eins geben, wie Meer und Erde und der Himmel da oben noch nicht gesehen hat. Also vernehmt: Auf übermorgen Nachmittag sind hiermit alle guten ehrlichen Kahlköpfe, womit unser nach allen Seiten hin fruchtbares Eiland Ischia so reichlich gesegnet ist, Don Antonios Geburtstage zu Ehren, von mir zu einem großen Freudenfeste geladen, und zwar in meinen Palast am Meere, zur Stunde, wenn Don Antonio sein Mittagschläfchen hält, welche Stunde jedermann bekannt ist, weil wir alle zur selben Zeit ebenfalls zu nicken pflegen.

Aber, Don Carlo, womit wollt Ihr so großes Volk bewirten? fielen einige Stimmen ein.

Sonderbare Frage! Mit Essen und Trinken! sprach Don Carlo; hier gilt das Wort, welches der gewaltige Redner Stomachus schon oftmals ausgerufen: Tu dich auf, Keller und Speicher, und zeige dein Inwendiges! He! Antoniello, Pangrazio, Ricciardo, Pepo, Checco, Lunardo, Raffaele, Paolo, Giacomo, Pandolfo, Carluccio, Ciccio, kommt daher! Ihr seid in solchen Dingen die Flinksten! Auf, besorgt euch Trommeln, und sind nicht genug Trommeln da, so nehmt Kessel, damit geht auf der ganzen Insel umher, trommelt und macht Spektakel, singt und ladet ein!

Prächtig! riefen alle.

In was für Versen? fragten einige.

Ich will sie keinem vorschreiben, sprach Don Carlo, denn ihr seid insgesamt große Poeten! Reimt frisch darauf los, lockt sie wie die Wachteln in meinen Weizen.

Etwa so? fragte Pepo und sang:

Pittperwitt!

Pittperwitt!

Volle Spieße, volle Töpfe!

Pittperwitt, ihr kahlen Köpfe!

Von Don Carlo seid geladen,

Pittperwitt, zu Wein und Fladen!

Pittperwitt!

Pittperwitt!

Makkaroni wird es graupeln,

Pittperwitt, und viel zu knaupeln!

Don Antonio zu Ehren,

Pittperwitt, gibt's viel zu zehren.

Pittperwitt!

Pittperwitt!

Schön maskiert zu Saus' und Brause,

Pittperwitt, kommt her zum Schmause!

Keiner bleib' in seiner Klause!

Pittperwitt, 's gilt keine Flause!

Pittperwitt!

Pittperwitt!

Pittperwitt, Pittperwitt! sangen alle mit Pepo, schnappten wie er mit den Fingern dazu und tanzten und sprangen wie die Ziegenböcke.

Bravo! rief Don Carlo, singe jeder, was ihm einfällt!

Hoch lebe Don Carlo! schrie nun der ganze Schwarm, und die er aufgerufen, liefen nach Trommeln und Kesseln, während er weitersprach: Wir, liebe Kinder, wollen indes nicht müßig sein. Ich will euch meine großen Netze herausgeben, damit wollen wir alles, was Fisch heißt, aus dem Meere ziehen, auf dass kein Mangel sei. Etliche müssen nach dem Walde von Cumä hinüberrudern und Austern von Fusaro holen, der Jagdmeister des Königs wird mir schon ein fünf bis sechs wilde Schweinchen ablassen, vielleicht auch ein paar Hirschchen und Rehchen. Rebhühner haben wir hier auf der Insel, die Schnepfen und die Kiebitze, die Kaninchen und die Hasen werden uns auch nicht alle fortflattern und entlaufen, und ist das Wilde nicht zu haben, so spickt man das Zahme; nur Hund' und Katzen lassen wir den Mailändern; sonst halten wir uns an alles, was da ist. Von Hühnern, Enten und Truthähnen wimmelt es überall auf meinen Höfen, um Kälber und Ochsen wird auch keine Not werden, solange wir noch da sind. Makkaroni und Fedelini und Brokkoli und Sizilianer Artischocken und Sellerie wird sich alles finden, wenn man nur darnach sucht. Die Stadtbäcker sollen Brot und Kuchen backen. Die Weinfässer dürfen nur angebohrt werden. Glaubt mir, es wird sich alles machen.

Hört, Don Carlo, da kommen sie schon mit Trommeln und Kesseln, unterbrachen ihn einige, berrumpumpum, berrumpumpum, papiongpingpang!

Still da! rief Don Carlo. Don Antonio soll noch nichts davon merken; es wäre wohl hübsch, wenn man ihn damit überraschen könnte!

Trommelt und lärmt immerzu, sprach der alte Pietro, der mit einem Päckchen auf dem Rücken dabei stand, mein Herr ist bereits auf sein äußerstes Vorwerk hinausgegangen. Ich zottle jetzt ganz sachte nach mit diesem Päckchen. Vor übermorgen Mittag kommen wir nicht wieder herunter.

Das trifft sich ja ganz vortrefflich, sprach Don Carlo.

I freilich, gnädiger Herr, sprach Pietro, ich geh' ihm bis übermorgen Mittag nicht von der Seite. Glaubt mir, so wahr ich Pietro bin, er soll Euren Braten nicht riechen, bevor er gar ist. Lasst mich nur sorgen! Ich weiß, wie man etwas geheim hält. Jede Fliege, die daran geleckt hat, wird abgewischt, so bleibt ihm alles verborgen!

Nun, so verteilt euch! geht in alle Welt, trommelt und schreit, dass die Gassen übereinander allen! rief Don Carlo, und es hätte dieser starken Aufforderung zum Lärmen wahrlich nicht bedurft; denn kaum hatte sich jeder seinen Weg gewählt, so ward der Lärm auf einmal ganz übermäßig. Sechs Trommeln und sieben Kessel wurden fast zerschlagen. Alles, was Odem hatte, jung und alt schrie und tobte mit, Katzen miauten darein, und Hunde bellten. Es war auch zwischen diesem und dem Jüngsten Tage kein Unterschied mehr, nur dass hier nicht die Toten aus den Gräbern, nur die Lebendigen aus allen Häusern kamen. Es zeigte sich auch noch außerdem großer Übermut, der am Jüngsten Tage wohl wegbleiben wird: die Trommler nämlich sahen über ihre Trommeln verächtlich auf die Kesselschläger und schnitten ihnen gar schnöde Gesichter; die Kesselschläger aber meinten: bei solchen Einladungen zum Essen seien Kessel schicklicher wie Trommeln, und schrien beständig während des Schlagens: heute sind sie toll, übermorgen voll! und: singt mit, wenn ihr könnt, ihr Lederpauker! Da konnten die Trommler freilich nicht mitsingen; trommelten aber aus Zorn desto stärker. Zweie zerschlugen sogar die Trommeln und mussten sie umwenden. Diese wurden von den Kesselschlägern so verhöhnt und verlacht, dass sie froh waren, als sie durch ein Nebengässchen ins Freie kamen.

Nun lassen wir die Lärmer ziehen; denn es wäre selbst dem großen Poeten Homerus unmöglich zu erzählen, was die sechs Trommler und sieben Kesselschläger auf ihrer Wanderung durch die anmutigen Gefilde und die zierlichen Ortschaften der Insel für Aufsehen erregten mit der wunderlichen Einladung, und was sie an jedem Orte für tolles Zeug anzugeben wussten. Man fing überall damit an, dass man die lustigen Vögel mit ihren Reimen für betrunken hielt. Sie setzten ihre Köpfe wohl tausendmal zu Pfande, bevor ihnen irgendjemand nur ein Wort von allem glaubte. Dann zogen ihnen auch überall einzeln besonders pfiffige Leute nach, superkluge Spione, welche durchaus das Geständnis von ihnen heraushaben wollten, der ganze Spaß sei nur auf eine Fopperei abgesehen. Auch kamen von überall her Boten an Don Carlo zurück, welche sich im Namen ganzer Ortschaften feierlich nach dem wahren Verlauf des Dinges erkundigten. Diesen gab er nun die Einladung zu besserem Zeugnisse schriftlich mit. Dennoch währte das Hin- und Herfragen bis zum Abend des andern Tages, bevor man auf der ganzen Insel überzeugt wurde, die Sache sei wirklich außer dem Spaße.

Die sonderbaren Einladungen selbst, so große Fröhlichkeit sie im allgemeinen auf der ganzen Insel verbreiteten, wurden dennoch von manchem der Geladenen nicht ganz so harmlos aufgenommen, wie sie gemeint waren. Einige wurden zuerst bitterböse; doch ergaben sich zuletzt die meisten, da es einmal nicht anders war, in den allgemeinen Humor und lachten von Herzen mit.

Am übelsten wurde jedoch der Spaß von den heimlichen Kahlköpfen aufgenommen, welche sich unter künstlichen Locken verbargen; denn überall schwärmten freiwillige Spione herum, welche dergleichen Konterbande ans Licht brachten, und mit der Keckheit, welche die Leute dortzulande zur Karnevalszeit allgemeinen zu befallen pflegt, riss man hie und da jenen Dohlen die fremden Federn aus, und ein wahres Treibjagen von tausend Neckereien zwang dieselben wider Willen zur Teilnahme. Bei alledem gab es immer noch viele, welche die raffinierte Kunst der Haarkräusler vor aller Entdeckung zu schirmen schien: aber als Don Carlo gar anfing, seidene rosafarbene Käppchen machen zu lassen, die er, wie es hieß, als falsche Platten Leuten mit vollen Locken schicken wollte, die an dem Feste teilzunehmen Lust hätten, da wurde den meisten in ihrer Verborgenheit bange, weil sie glaubten, die Käppchen würden für sie genäht. Viele derselben hatten nun auf einmal höchst wichtige Sachen in Neapel abzumachen. So viel Plätze wurden auf den Barken, welche gewöhnlich dahin fuhren, belegt, dass es allgemein auffiel, besonders da der Wind nicht eben günstig zu werden schien.

Wer sich aber recht von Herzen über das unerhörte sonderbare Fest freute, war Donna Teresa. Von Natur zu Scherz und Lachen geneigt, konnte sie gar nicht begreifen, warum ihre beiden jungen Anbeter so wenig Vergnügen darüber empfanden. Diese wollten wieder nicht begreifen, wie eine so feine, liebenswürdige Dame Geschmack an solchen Dingen finden könne, nannten den harmlosen Scherz einen plumpen Bauernspaß und fanden es für einen Mann von Stande, wie Don Carlo, sehr unziemend, dergleichen abgeschmacktes Zeug zu veranstalten. Vergeblich warfen die schönen Lippen der fröhlichen Dame beständig ein, sie möchten nur bedenken, es sei Karneval, und ein Karneval sei je toller, je besser; beide blieben bei ihrer Ansicht und verließen die schöne Dame fast ein wenig missgestimmt. Ja, sie kamen sogar am Morgen des Festtages zu ihr, um sich auf einige Tage zu beurlauben, weil sie nicht Zeugen eines so sinnlosen Volkstumultes abgeben wollten, welcher, wie sie behaupteten, jeden Nerv in ihnen empören würde. Donna Teresa jedoch lachte sie beständig aus und stellte ihnen vor, welchen widrigen Wind sie haben würden, wenn sie heute segelten. Vergeblich. Das Meer wird sehr stürmisch werden, nicht wahr, mein Herr? sprach sie zu Don Carlo, der eben eintrat. Jawohl, sagte dieser, es wird weiß werden wie Schnee, ich bin froh, dass meine Fische gefangen sind! Wir bekommen Nordoststurm; darum, meine Herren, wollt noch ein Weilchen unsre Stadt mit eurem Aufenthalte beglücken und diesen Abend mein lustiges Fest mit eurer Gegenwart. Hierbei zog Don Carlo zwei sauber in Papier eingeschlagene Käppchen hervor und wollte sie den Herren überreichen. Diese jedoch bedankten sich diese Ehre ziemlich stolz und empfahlen sich mit vornehmer Kälte. Donna Teresa wollte sogar einen Anflug von Verlegenheit bei ihnen bemerkt haben, als die Käppchen zum Vorschein gekommen, doch flog sie leicht darüber hin und sprach zu Don Carlo: Jetzt, wenn jene wunderlichen Käuze die Käppchen nicht annehmen wollen, gebt sie mir, ich will mit meinem Mühmchen vermummt auf Euer Fest kommen. – Viel Ehre für mein Fest, sagte Don Carlo und legte die Käppchen in ihre schöne Hand, kommt vermummt wie Ihr wollt, ich will Euch schon herauskennen.

Woran denn? fragte Donna Teresa.

An Eurem Foppen, sprach Don Carlo, denn Ihr könnt es nicht lassen!

Warum denn nicht?

Weil es Euch so gut lässt! sagte Don Carlo neckend und huschte zur Tür hinaus und heim, wo er noch gewaltig viel zu tun fand. Denn, obwohl sein Haushofmeister ein tüchtiger Mann war und bei allen Festen sonst die ganze Wirtschaft in großartiger Ordnung zu erhalten wusste, so war ihm diesmal doch die Aufgabe zu mächtig, und Don Carlo musste selbst in allen Winkeln hinterdrein sein. Die Herde der Küche, so übergroß sie der Erbauer seines Palastes angelegt hatte, gaben diesmal nicht Raum für die Hälfte der nötigen Spieße, Kessel und Töpfe; daher ward es nötig, in dem geräumigen Hofe Notherde zu bauen, die sich Altären gleich ausnahmen, um welche die lustigen Köche wie die Baalspfaffen sangen und sprangen. Die Eimer der Zisterne, welche die Mitte des Hofes einnahm, gingen beständig auf und nieder wie Sonne und Mond, weil die gewaltigen Meerfische zu kochen, ein unermesslicher Wall von Wasser nötig war. Don Carlo hatte nämlich befohlen, heute kein Tier zu zerschneiden, sondern alles ganz auf die Tafel zu bringen, – die Ragouts und Frikassees ausgenommen. Daher fand er, als er heim kam, große Not um einen Schwertfisch von ungeheurer Länge. Dieser hatte den Fischern bereits viel Plage gemacht, bevor sie ihn aus dem mächtigen Netze, welches von ihm ganz zerrissen war, in das große Boot brachten, aus welchem er noch, allen Schlägen und Stichen zum Trotz, entwischt wäre, wenn sich nicht der alte Jakob beherzt auf das Schwert des Ungeheuers gestellt hätte. Nun aber war die Not bei den Köchen, und die Fischer lachten; denn wo man auch hin sandte, war kein Kessel zu finden, der ihn hätte fassen können. Da hieß Don Carlo den Schmied ein blechernes Dach von einem albernen japanischen Gartenhäuschen abnehmen, reinigen und in aller Eil an den Seiten umbiegen. In diese Schwarte ward nun der Fisch gelegt, solang er war, und zwischen den vier japanischen Drachen, die an den Ecken in die Höhe standen, unter großem Jubel der umhertanzenden Köche ganz vortrefflich gesotten, samt seinem übermannslangen Schwerte. Die wilden Schweine, die sonst im Cumäer Walde gegrunzt hatten, wurden ebenfalls unzerstückt im Hofe gebraten, auf Spießen von Lorbeerbäumen, welchen man die grünen Wipfel gelassen und mit Bändern geschmückt. Überhaupt ward alles nicht etwa nur so schlichthin betrieben, nein, Don Carlo ließ, nach dortiger Landesart, Haus, Hof, Küche und Keller mit Lorbeerbäumen und Myrtenkränzen ausputzen. Alles, was gebraten wurde, hatte Zitronen oder Blumen in Schnauz' und Schnabel, auch waren im Hofe Dudelsackpfeifer angestellt, welche zum Drehen der Spieße lustige Stückchen aufspielen mussten, damit den Drehleuten bei den dicken Braten die Zeit nicht zu lang würde. Sie hatten zwar ohnedem insgesamt Weinkrüge zur Unterhaltung neben sich, die ihnen an der dörrenden Glut so liebe Gesellschafter waren, dass beständig mehr davon an den Lippen als an der Erde stehen blieben, wie Don Carlo mit großer Lust bemerkte. Rings im ganzen Palaste stand alles offen. In allen Sälen, Zimmern und Hallen waren Tische und Bänke gestellt, doch so, dass überall Raum zur Belustigung blieb. In einem der Säle war – doch davon nachher, denken wir jetzt wieder an Don Antonio. Dieser war, wie wir bereits von Pietro wissen, nach seinem äußersten Landhause hinaufgeritten, welches er sich an der Lehne, die sich von dem zackigen Gipfel der Insel herabsenkt, erbaut hatte. Die Höhe war früher nackter Fels und mit vielen Steinen übersäet; aber weil man von da herab alle seine Güter übersehen konnte, hatte Don Antonio das Unland in einen lachenden Weingarten umgeschaffen und von den umherliegenden Steinen ein ausnehmend zierliches Landhaus erbaut, in welchem er alljährlich den Morgen seines Geburtstages ganz einsam zu feiern pflegte. So war er auch diesen Morgen auf den Altan des Hauses herausgetreten und hatte Gott für alles, was er ihm verliehen, inbrünstig gedankt, auch jemanden, den wir bereits kennen, in sein lautes Gebet eingeschlossen, als er hinter sich mit seinem eignen ein ebenfalls recht lautes Amen vernahm. Er wandte sich und sah Pietro hinter sich knien, welcher etwas verlegen aufstand und zu ihm sprach: Verzeiht, Herr Don Antonio, ich gedachte dahier heimlich mit für Euch zu beten und Euch im stillen die Worte nachzusprechen, die Ihr so schön zu setzen wisset. Es ging auch alles gut und still ab, und ich wollte mich eben wieder fortschleichen, da muss ich just noch mit dem Amen so herausplatzen, weil ich Esel gewohnt bin, es immer so laut zu sagen! – Bleibe immer dabei, das schadet nicht, und zwei Amen sind besser wie eines, sprach Don Antonio und küsste dem Alten, der sich zum Handkuss neigte, die Stirn; lässt Gott mein Gebet in Erfüllung gehen, so soll es dir auch niemals fehlen! Komm, mein alter Pietro, hast du mit mir gebetet, so lass uns auch zusammen frühstücken! Stellen wir uns den Tisch hierher auf den Altan, da können wir die Gottesgaben im Angesicht von Himmel, Meer und Erde zu uns nehmen. Nun mochte sich Pietro sträuben, wie er wollte, Don Antonio trug alles mit ihm heraus, Tisch und Essen, stellte Pietros Stuhl hart neben seinen und sprach: Hier setze dich, mein alter Pietro, lass uns fröhlich sein, Gott wird uns ferner Gnade schenken. Da setzte sich Pietro und trank das erste Glas, welches ihm der Herr eingeschenkt, fröhlich auf sein Wohlsein aus; bei dem zweiten Einschenken aber bat er ihn, aus der Flasche trinken zu dürfen. – Immer trink, wie du es gewohnt bist, sprach Antonio lachend. – Darf ich auch mein Messer herausholen? – Mache, was du willst, Pietro! – Da tat Pietro Messer und Gabel, die auf dem Tische lagen, hinweg, und zog ein Ungeheuer von Taschenmesser hervor, womit er dem großen Ziegenkäse und dem gewaltigen Brote, wie auch der Honigwabe, womit der Tisch besetzt war, tüchtig zusetzte, wozu er seiner Gewohnheit nach hörbar glückend aus der Flasche trank. Das einfache Frühstück mundete beiden ganz vortrefflich. Als sie damit zu Ende waren, lustwandelten sie noch ein wenig im Garten und bestiegen bald darauf ein paar muntere Tierchen, Esel genannt, die ein Knabe vor dem Tore des Gartens bereit hielt, welcher für diesen leichten Dienst an diesem Tage von seinem Paten Don Antonio jedes Mal einen spanischen Piaster zum Geschenk erhielt; doch heute gab er ihm zwei. Geht mit Gott, mein Herr Don Antonio! rief der Kleine jubelnd, während der Herr und der alte Diener auf den zierlichen Tierchen um die Hänge des Berges hinabschwebten. Der Morgen war, obwohl fern in Nordost Sturm drohte, wunderschön hell und klar. Fast windstill ruhte die Luft, und Don Antonio sah, obwohl es Winter war, unter dem milden Himmel seine Felder himmelblau von blühendem Leine. Bohnen und Erbsen wucherten üppig überall, auch die andern Fruchtfelder waren mit lieblichem Grün bekleidet. An den Wegen blühten Narzissen und bunter Krokus, und Hagerosen streuten die fallenden Blätter umher. Immergrüne Gebüsche von Myrten und Lorbeeren und andern duftenden Bäumen mischten sich in Hecken von indischen Feigen und mächtigen Aloen und machten den Winter vergessen. Überall war fröhliches Gedeihen, und Herr und Knecht unterhielten sich über alles, was ihr Fleiß gemeinsam angebaut, sehr angenehm und vertraulich, bis sie in der Stadt Ischia im Hofe Don Antonios abstiegen, in welchen sie diesmal auf Pietros Zureden nicht durch die Stadt, sondern durch den Orangengarten einritten: denn Pietro suchte den Herrn klug von allem abzuhalten, was ihm den Spaß Don Carlos hätte verraten können; hier war seine Sorgfalt überflüssig, denn Don Carlo hatte bereits überall gewandte Knaben als Wächter ausgestellt, die ihn von fern kommen gesehen und in der Stadt vorgemeldet. So blieb Don Antonio noch alles verborgen. Er speiste zu Mittag, wie er an diesem Tage zu tun pflegte, ganz ruhig mit den Waisenkindern, über die er Vormund war, und nachdem er viel mit ihnen gescherzt und gelacht und alle beschenkt entlassen, begab er sich, ohne das mindeste von dem Feste zu ahnen, in sein Gemach, um – ein wenig zu nicken.

Hier mochte derselbe wohl ein gutes Stündchen geruht haben, als ihn mitten aus dem süßesten Schlummer ein von der Straße kommendes, niemals erhörtes Schreien erweckte. Der brave Mann, der Meinung, wenigstens ein Erdbeben rüttele die Stadt zusammen, sprang erschreckt empor, an das Fenster, und streckte, noch vom Schlafe taumelnd, den Kopf hinaus. Da scholl ihm von allen Seiten ein unermessliches Gelächter entgegen, während er sich beständig die Augen rieb, zu sehen, was es gebe; denn was er wirklich sah, schien ihm ein Traum, und in der Tat, jedermann hätte sich an seiner Stelle die Augen gerieben wie Don Antonio; denn Markt und Straße, Fenster und Balkone, selbst die platten Dächer hoch und niedrig wimmelten überall, überall von Kahlköpfen, die alle nach ihm gewendet, Gläser oder Flaschen in den Händen und Mützen und Hüte schwenkend und in die Luft werfend, aus vollen Hälsen schrien: Hoch lebe Don Antonio, Don Antonio, der brave Kahlkopf! Er lebe, lebe, lebe, lebe ho–ch! und abermals ho– –ch! und zum dritten Mal ho– – –ch! Währenddem wurden ihm von einzelnen immer Handküsse zugeworfen. Viele schlugen sich ans Herz, indem sie beständig heftig und schnell wiederholten: Mein Don Antonio! Mein Don Antonio! Mein Don Antonio! Mein Don Antonio! Hierauf wurden Flaschen und Gläser bis auf den Boden geleert, und alle hielten ihm die Nagelprobe hin. Da gedachte Don Antonio des Vorfalles von neulich; die Augen wurden ihm vor Freuden fast ein wenig nass; doch er fasste sich, sprang vom Fenster, fuhr eilig in seinen besten geblümten Schlafrock, nahm eine Flasche Wein und ein großes Glas, trat auf den Balkon, schenkte sich ein und rief: Hoch leben alle braven Kahlköpfe, da unten, da oben, und rechts und links, und im Himmel St. Peter mit uns allen! Hierauf schwang er sein Glas, trank es ebenfalls bis auf den Boden leer und wies die Nagelprobe nach allen drei Seiten und nach unten und nach oben herum, dass jedermann sie sehen konnte; sodann warf er das Glas wider einen Pfeiler seines Palastes, dass es zu Staub auseinandersprang. Ein allgemeines Jubelgeschrei stieg nun rings um ihn empor, worein sich von dem höchsten Dache daher ein so misstöniger Lärm von sonderbaren Blasinstrumenten ergoss, dass der Jubel sich dort umher bald in ein lautes Gezische und gellendes Pfeifen verwandelte. Ja, man warf sogar mit allem, was man erlangen konnte, nach jenem Dache, bis die Lärmtrompeter lachend auseinanderliefen, deren Harmonie ganz allein in der Meinung bestanden hatte: je toller der Lärm, je besser der Tusch. Sie hatten sich dazu nicht allein aller Arten verbogener und verdorbener Blechinstrumente bedient, sondern zum Teil auf Gießkannen, Dachrinnen und mächtigen gewundenen Seemuscheln ein Geheul hervorgebracht, wie man es sonst wohl nur in den afrikanischen Wildnissen zu hören bekommt. Der Nordoststurm, welcher bereits mit großer Heftigkeit über jenes Dach her wehte, hatte das Charivari durch seine Schwingungen noch viel misslautender gemacht, so dass jedermann zufrieden war, es beseitigt zu wissen. Nun erst gewann Don Antonio Misse, die versammelten Schwärme der immerwährend jubelnden Kahlköpfe genauer zu betrachten. Er bemerkte nun erst, dass fast niemand in gewöhnlicher Tracht zu sehen war. Alle hatten sich mehr oder minder phantastisch vermummt. Einige stellten uralte Waldgötter vor, besonders häufig aber sah er Männer in Toga, oder vielmehr in reinliche Tisch- und Betttücher eingehüllte Leute, die gewaltig wichtige Mienen annahmen oder anzunehmen bemüht waren. An alten Priestern und Philosophen war ebenfalls kein Mangel; denn zu seinen Füßen zankten sich allein zwanzig Sokratesse, von denen jeder behauptete, ganz allein der echte Sokrates zu sein, weil er zuerst diesen Einfall gehabt. Don Antonio ward von allem dem sehr ergötzt und nickte jedem zu, den er erkannte. Da trat ein Mann in altgriechischer Tracht mit einem langen Stabe, der oben mit einem Blumenstrauß geziert war, zu den Streitenden und sprach: Er hat gesagt: der rechte Sokrates zankt sich nicht! Da waren alle still, nur einer fragte: wer ist der Er? Pythagoras! war die Antwort. Hiermit ging der Mann durch die Sokratesse feierlich unter Don Antonios Balkon in den Palast ein. Nicht lange, so trat er, gefolgt von vier kahl geschorenen Knaben, auf Don Antonios Zimmer, stieß mit dem Stabe auf den Boden und sprach zu ihm: Er lässt dich bitten, dieses Gewand umzunehmen und uns zu folgen. Wer lässt mich bitten? fragte Don Antonio. Pythagoras! war die Antwort. Hierbei trat der Herold seitwärts, und die vier kahl geschorenen Knaben warfen Don Antonio ein griechisches Gewand über und wollten ihm eben auch den Mantel umgeben, als er sagte: Geschorene Diener des Pythagoras, gern will ich euch folgen, nur lasst mich erst meinen Schlafrock hinwegtun! Er kleidete sich nun um, wie es sich gehört, und stand bald als ein wahrhaft schöner griechischer Philosoph da. Der Herold schritt hinaus, Don Antonio folgte seinem gemessenen Tritte. Lautlos folgten hinter ihm die vier Knaben, die er zu verschiedenen Malen fragte, warum man sie so kahl geschoren. Vergeblich; sie legten den Finger auf den Mund und schwiegen. Als er so vor das Tor seines Hauses kam, war der bunte Lärm verstoben, nicht eine kahlköpfige Seele war zu sehen als die geheimnisvollen Fünf, die ihn immer weiter geleiteten, die Straßen entlag, endlich vor Don Carlos Palaste zuerst im Kreise herum, dann im Viereck, dann im Dreieck, endlich durch das bekränzte Tor in den Palast selbst hinein, durch weite Hallen, welche von Kahlköpfen angefüllt waren, die sich alle zugleich vor ihm verneigten in langen stummen Reihen – als zwei Flügeltüren sich vor ihm auftaten und einen Saal eröffneten, welcher, so groß er war, dennoch von griechischen und arabischen Philosophen und Magiern und ägyptischen Priestern erfüllt war. Schweigend und sich neigend tat die Menge sich voneinander, und Don Antonio ward genau in den Mittelpunkt eines Halbkreises geführt, welchen auf hohen Thronen sitzend die sieben alten Weisen bildeten, jeder nach seiner Art phantastisch dekoriert. Auf den Lehnen der Throne stand, zu besserem Verständnis, jedwedes Name. Jeder hielt einen gewaltigen Papierstreif mit großer bunter Schrift in den Händen. Don Antonio las zuerst auf dem Zettel Perianders, welcher sehr ernsthaft dreinsah, die wichtige Frage: Welches Gericht ziehet ein jeder unter euch allen andern vor? Bias hielt, ebenfalls auf einem großen Zettel, die Antwort: Ein Gericht Trüffeln, wo nicht zu viel Pfeffer obenauf ist. Bei Thales aber war zu lesen: Ein Gericht Wachteln, von denen keine weder zu fett noch zu mager ist. Anacharsis' Zettel hatte: Dicke Makkaroni mit feinem Käse, des Kleobulos: Einen Salat, bei dessen Bereitung der Essig mehr als das Öl gefürchtet wird; des Chilon: Einen guten Meerfisch, bei dem man weniger auf die Gräten achtet als auf das Fleisch. Endlich hatte des Solon Zettel: Ein Ragout, worin die Zunge das eine Stück nicht geringer schätzt, wie das andre. Ein achter Thron, ziemlich in der Mitte des Bogens, war noch unbesetzt und ohne Wahlspruch. Ein großer Vorhang daneben schien einen neunten Thron zu verbergen. Schon eine Weile stand Don Antonio so da und harrete der Dinge, die da kommen sollten. Der Herold und die vier Geschorenen hatten ihn bereits verlassen. Niemand sprach zu ihm. Alles war totenstill. Der Sturm, welcher draußen tobte, verhüllte die untergehende Sonne mit schwarzem Gewölk, und Dunkelheit erhob sich. Da fuhr es plötzlich um alle Wände des alten Saales wie ein feuriger Drache wild daher, und vierzig große Wachsfackeln brannten auf einmal entzündet. Zuerst erschrak die ganze Versammlung und Don Antonio mit; aber als ein Pulvergeruch und Dampf sich verbreitete, brach die vorher stumme Menge in ein schlecht verhaltenes Gelächter und teilweises Husten aus, welches jedoch bald ein dumpf donnernder Paukenwirbel verschlang, bei dem niemand merken konnte, wo er herkam. Da ging plötzlich unter lautem Trompetenschall der Vorhang des neunten Thrones auf und Don Carlo stand vor demselben phantastisch als Pythagoras gekleidet, in einem Purpurgewand mit goldenem Diadem auf dem Haupte, wohinter ein Feuerrad zischend seine bunten Wirbel von Funken warf. Bravo! schrie alles. Aber der Herold des Pythagoras hob seinen Blumenstab und rief: Still, er spricht! Da ward es still, das Feuerrad platzte, die Menge lachte von neuem. Pythagoras aber sprach: Männer des Lichts, Inhaber weniger Locken und vieler Weisheit, die Stellung der Gestirne, die neue Harmonie von neun Welten begehrt – warum, ist den Göttern bekannt und mir – auch unter den Weisen anstatt der alten Zahl Sieben die Zahl Neun als neue Zahl! Noch aber ward sie nicht erfüllt, denn ich, Pythagoras, trat zu euch als Achte. Darum würdiget eure Blicke diesem Throne zuzuwenden, der zu meiner Rechten prangt. Saget selbst, verlangt er nicht seinen Weisen so gut wie die andern? Antwortet, jedoch nicht mit menschlicher Rede, sondern mit stummer Verbeugung; denn Pythagoras will niemanden reden hören als sich selbst. – Da verneigten sich alle, nur zwei der sieben Weisen bohrten ihm Esel in aller Stille, welches Pythagoras ebenso still erwiderte, sodann aber feierlich weitersprach: Die Neune zu der Achte steht dahier! Es ist der allbeliebte Kahlkopf Don Antonio, welcher das Eiland Ischia durch sein Dasein verherrlichet. Betrachtet diesen glänzenden Scheitel, welcher gleich dem Helme der Minerva blitzt und die Bewohner der Erde mit seinem Leuchten in Erstaunen setzt, während das Herz, welches in der Brust dieses Philosophen pocht, ein reiner Karfunkel von gütigem Wohlwollen ist. Sei es euch genehm, glückselige Fässer der himmlischen Weisheit, dass ich ihn auf den ihm allein gebührenden Thron geleite! – Da neigten sich alle sieben Weisen, die Esel wurden wieder gebohrt und erwidert; Pythagoras aber ging die Stufen seines Thrones hinab und führte Don Antonio unter Trompetengeschmetter und Paukengewirbel an den Thron zu seiner Rechten, trat sodann wieder zu dem seinigen und sprach, während Thales auf einem Kamme blies, feierlich weiter: Wie glückselig sind doch wir, welche von den neun Thronen der Weisheit emporgetragen ruhen und der himmlischen Sphären Musik und Harmonie vernehmen! Wohl uns! Gleich edlen Früchten ließen wir unsres Haupthaars schattige Blüte fallen, um besser am Sonnenstrahl zu reisen; nun, unmittelbar vom Strome des Lichts getroffen, blicken wir beruhigter in das harmonische Durcheinander des unbegreiflichen Weltalls. Schweige die Stimme der Verleumdung, welche von einigen unter uns besagt: nicht Minerva hat sie kahlgerupft, sondern Bacchus und die Göttin, die, von kahlen Delphinen gezogen, mit ihrem Muschelwagen auf Paphos landet. Schweige diese Stimme vor dem ehrwürdigen Haupte Don Antonios, an welchem sich klar erzeigt, dass die unermüdlichen Gedanken solches schaffen, wenn sie Maulwürfen gleich im Gehirn des Menschen arbeiten und mit tiefsinnigem Grübeln die Wurzeln der Haare hinwegzupfen oder ausstoßen; – und doch, doch entging der vortreffliche Don Antonio nicht dem Spotte zweier Sterblicher, welche noch blind in der Finsternis ihrer Locken umhertappen, bis Saturn oder die andern Götter sie kahl machen. O ihr Spötter, tut auf die Fenster eures Hauptes und blickt hinaus, betrachtet, was die Natur uns selbst als weise vorbildet! Welche Geschöpfe sind weise? Doch nicht die Schafe, deren Denkkraft sich, anstatt das Gehirn zu durchdringen, überall in lockiger Wolle kräuselt? Doch nicht die Bären, welche sich plump und unbeholfen in ihren dickhaarigen Pelzen herumtummeln? Nein! die kahle Schlange wird für weise geachtet, der Elefant, welchem der Sonnenstrahl ungehemmt durch das nackte Fell brennt. Aber bei den Tieren mit Fittichen ist der hochfliegende, weise, weitschauende Lämmergeier kahl, wenigstens an seinem Halse. Was? Und sind die erhabenen Gipfel der höchsten Gebirge, die Warten des Erdballs, nicht kahl, während die niederen Hügel und gemeinen Ebenen haarig erscheinen von Gras und Wald und verworrenem Dickicht? Doch lassen wir, gleich Empedokles, unsere Pantoffeln auf dem Erdball stehen, schweben wir höher, den Himmel zu betrachten. Die heiligen Gestirne selbst mit ihren Monden, alle Sonnen, welche geregelte Bahnen der Weisheit wandeln, sind, gleich dem Haupte des Weisen, rund, glatt und kahl; die jedoch, welche gleich den Häuptern der Unverständigen langes Haar nachfliegen lassen, sind recht eigentlich Irrsterne, verirrt, unstet, flüchtig im Weltall. Aber steigen wir nun, belehrt vom Himmel, wieder herab auf den Erdball, bemitleiden wir die lockigen Spötter und die Wilden, welche besonders von langen Haaren verfinstert umherirren und nicht wissen, was sie sollen und wollen. Aber lasset uns – und welcher Weise wollte das nicht gern tun – lasset uns besonders jene Wesen liebreich in Betracht ziehen, welche das längste Haar zu tragen pflegen, nämlich die Frauen und Mädchen. Lassen wir gegen dieselben von unsrem Stolze, nehmen wir sie freundlich auf in die Arme unserer Weisheit, und schämen wir uns nicht, mit dem anmutigen Geringel ihrer Locken zu spielen und zu tändeln; denn die Weisheit verlangt vor allen Dingen Gütigkeit und Herablassung.

Nach diesen Worten fiel der Vorhang wieder herab um Pythagoras, und Bias, dem er einen Esel gebohrt, erhob sich und wollte reden; was er aber sagen wollte, bekam niemand zu hören; denn zu derselben Zeit vernahm man aus den andern Sälen einen Lärm, der immer näher und näher kam und am Ende die sieben Weisen aus ihren Rollen brachte. Selbst Pythagoras kam hinter seinem Vorhang hervor und fragte, was es gebe. Da riefen einige Stimmen von außen: ganz in der Nähe des Ufers sehe man ein Fahrzeug in großer Not des Sturmes; bei der dicken Finsternis vermöge man nicht einmal zu erkennen, ob es nicht schon an den vorliegenden Klippen gestrandet.

Da warf Don Antonio seinen Mantel hin und sprang hinaus, Freund Pythagoras tat ein Gleiches, und bald standen sie an dem schwarzen Lavaufer, zu welchem die See mit furchtbarer Gewalt herauftobte. Hinter ihnen sammelten sich fast alle Genossen des Festes in ihren bunten Masken. Das Meer leuchtete weiß von Schäumen und alle bemerkten nun im Scheine der vielen Fackeln, welche der Wind nicht verlöschte, weil man mehrere zusammenband, dass nicht allzu fern vom Ufer an einem Riff eine große Barke gestrandet.

Zündet ein mächtiges Feuer an, dass man besser sehen könne, rief Don Antonio; ich will in dieses Boot steigen, wer folgt mir?

Da sprang der alte Fischer Jakob hervor und sprach: Herr, lasst mir das Ruder!

Auch Pythagoras trat heran und rief: Wo mein Antonio ist, bin ich auch!

Lasst mich zu meinem Herrn! schrie Pietro und drängte sich mit einem Pack von Seilen durch das gaffende Volk, welches die Kühnen vergeblich aufzuhalten strebte. Sie rissen sich von den haltenden Armen los und stießen ein kleines Boot vom Ufer, in welches sie geschickt hineinsprangen. Antonio und Carlo hatten Fackeln in den Händen, Jakob und Pietro ruderten. Ein Feuer am Ufer, von Bränden aus der Küche zusammengetragen, loderte schnell hoch empor und erleuchtete das Meer, so dass man die Barke, welche nicht fünfzig Schritt vom Ufer lag, sogleich für eine von Ischia erkannte. Mit Erstaunen sah man nun, wie ruhig der alte Jakob sein Ruder in den entsetzlichen Brandungen handhabte. Pietro richtete das seine genau nach dessen Bewegungen, die er scharf beobachtete; denn wie jener war niemand geschickt im Beurteilen der daher rollenden Wogen: er wusste von den wildesten, welchen Lauf und Schwung sie an diesem Ufer nehmen würden, arbeitete kräftig gegen das obere Wasser und ließ sich, wo dieses flach wurde, von dem zurückrollenden Unterwasser in See treiben. Der verworrene Schaum, welcher den Unkundigen am meisten schreckt, ward von ihm ganz gering geachtet, wenn er auch zuweilen die Rudernden fast zu begraben schien. Antonio und Carlo mussten die Fackeln oft hoch emporheben. So tanzten sie mutig über die Wellen und gelangten bald zu der gestrandeten Barke.

Hier war große Not, denn das Fahrzeug lag umgeworfen zwischen Klippen, die Mannschaft aber fanden sie rings in den Wellen zerstreut, teils schwimmend, teils an einzelnen Klippen festgeklammert. Da warfen Don Antonio und Carlo Seile aus, woran sich die Schwimmenden halten konnten. Etliche der hineingefallenen Seeleute schwangen sich trotz des Schwankens bald geschickt zu ihnen in das Boot und halfen andere mitherausziehen. Als nun das kleine Boot voll Menschen war, hieß sie Don Antonio an der Klippe, woran die Barke gestrandet, aussteigen, wo eine kleine sandige Bucht dies erlaubte. Sie sprangen hinaus, die viere jedoch fuhren nach den andern, die um die Felszacken geklammert mehr schrien als nötig war. Auffallend war es jedoch den beiden Rettern, dass sie nur wenige, wie es doch sonst gebräuchlich ist, bei den Haaren aus dem Wasser ziehen konnten; denn fassten sie irgendeinen Haarschopf, so blieb er ihnen in der Hand und der schreiende Mann als Kahlkopf um den Felsen geklammert, bis sie ihn am Kragen oder an den Händen ergriffen und heraufzogen. Endlich schienen alle glücklich nach der höheren Klippe gebracht zu sein; der Herr der Barke zählte sie und fand auch, dass niemand mehr fehle. Da zogen die vier Helden ihr kleines Boot auf den Sand der Klippe; denn sie mussten wahrlich ein wenig ruhen. Aber ein lautes Jubelgeschrei erhob sich am Lande, als man durch Zeichen gemeldet hatte, die Mannschaft sei gerettet. Indem sah Don Antonio die gestrandete Barke von einer Welle bewegt und rief: Das Meer wendet sie, werft sie vollends herum! Da fassten alle daran, und sieh', es gelang. Die Barke ward wieder flott. Der alte Jakob sprang zuerst mit seinem Ruder hinein; ihm folgten die andern Seeleute, zuletzt Pietro mit dem andern Ruder, und, was niemand gedacht hätte, diese Leute brachten die Barke, wiewohl halb voll Wasser, glücklich nach dem jubelnden Strande. Die Passagiere waren noch auf der Klippe bei Don Antonio und Carlo, welche nun glücklich zwei der vielen umhertreibenden Ruderstangen auffischten und damit aufs Neue das Boot bestiegen. Es währte lange, bis sie die furchtsamen Passagiere beredeten oder vielmehr beschrien, wieder miteinzusteigen; doch gelang es ihnen zuletzt, und nun zeigten die beiden Herren, dass sie von den Insulanern nicht die letzten im Rudern waren; denn was Jakob und Pietro getan, vollbrachten sie mit gleicher Geschicklichkeit und landeten glücklich in einer Sandbucht mit dem furchtsamen Häuflein der Passagiere.

Ein allgemeines Lebehoch und Bravoklatschen erhob sich, als die beiden Helden das Ufer betraten, und übertäubte den Donner der Brandungen; aber während sie den Geretteten nach und nach aussteigen halfen, huschten die fröhlichsten und gewandtesten der Zuschauer hurtig in den Palast und kamen bald mit Blumengewinden daher gerannt, welche sogleich ein ausnehmend zierlicher Plato in Empfang nahm, die Besieger der Wogen feierlich und anmutig zu kränzen. Die Helden weigerten sich zuerst der Ehre; doch als die Menge mit Schreien und Bestürmungen nicht nachließ, mussten sie sich wohl in den allgemeinen Willen ergeben. Sie neigten die lockenarmen Scheitel, um sie stattlich geschmückt wieder zu erheben. Der zierliche Plato sprach mit einer sonderbaren Bassstimme ziemlich feierlich, welches ihn jedoch nicht hinderte, die beiden Herren während der Bekränzung schalkhaft am Ohre zu zupfen, worauf Don Carlo augenblicklich sagte: Mein lieber Plato, du bist – Donna Teresa, wollte er sagen; da hielt ihm die Maske den Mund zu. – Seht, ich hab' Euch erkannt an Eurem Necken, flüsterte Don Carlo, Ihr könnt es nicht lassen!

Verratet mich nicht! flüsterte die Maske; denn es war wirklich Donna Teresa, welche die Bekränzung der Helden zu der griechischen Tracht so zierlich zu ordnen wusste, dass, wer irgend nahestand, immer von neuem Beifall rief und klatschte. Durch das allgemeine Zujauchzen schritten sie dahin, wie Sieger in Olympia. Don Antonios hohe Gestalt erschien von dem blühenden Kranze ganz verjüngt, und viele sprachen laut: Es ist wahrlich ein stattlicher, schöner Mann! Don Carlo glich mehr einem gutmütigen, behaglichen Anakreon. Die beiden andern, Jakob und Pietro, wussten ihre Bekränzung ebenfalls recht liebenswürdig zu tragen, sie nahmen unwillkürlich feinere Manieren an und setzten die Füße bedeutend zierlicher als gewöhnlich.

Mit dieser fast heroischen Szene der Bekränzung wechselte nun augenblicklich eine, welche gerade das Gegenteil von heroisch war. Als nämlich die Geretteten, noch von Schreck zitternd und ernsthaft klappernd vor Kälte, sich um das hochlodernde Feuer sammelten und in den nassen Kleidern hellbeleuchtet dastanden, erhob sich um sie her ein ganz unermessliches Gelächter; denn es waren, zum Erstaunen aller, sämtlich Kahlköpfe, die, so durchnässt, gleich gebadeten Mäusen, recht erbärmliche Figuren abgaben. Als sich dieselben nun so verlacht sahen, wollten sie alle davon; aber man ließ sie nicht so bald hinweg. Man hielt sie und sah ihnen mit Gewalt genauer unter die Augen. Da ward einer nach dem andern erkannt und sein Name laut ausgeschrien ohne alle Barmherzigkeit. Es waren jene heimlichen Kahlköpfe, welche so plötzlich Geschäfte halber nach Neapel abgereist. Wie aber erstaunte jetzt Donna Teresa in ihrer Maske, da sie unter den verlachten Jammergestalten von ehemals heimlichen, nun öffentlichen Kahlköpfen auch ihre beiden lockigen Anbeter entdeckte. Sie zitterten und klapperten wie die Störche, und wenn Vater Homerus jemals recht hatte zu sagen: nichts vermöge den Mann mehr zu verwüsten als das Meer, so hatte dieser große Poet hier dreimal recht. Die Ärmsten waren kaum mehr wieder zu erkennen. Ihre netten Kleiderchen waren überall zerrissen und hingen schlapp und triefend herab um die allzu schlanken Leiber. Ihre Locken hatte die Wut des Elementes fast rein hinweggespült. Immer versuchten sie durch die Menge zu dringen, welche sie, grausam genug, am Feuer zurückhielt, mit der neckenden Weisung: sie möchten sich erst noch ein bisschen wärmen!

Da trat Don Antonio hinzu. Wie vor einem Könige ward Platz vor ihm, und er sprach zu den grausamen Lachern: Liebe Freunde, wie drollig es sich gefügt hat, dass auch diese Kahlköpfe zu uns geraten müssen, lasset sie nun hinweg, sie bedürfen trockener Kleider; die aber lasset uns ihnen verschaffen! Das wird ihnen wohler tun als euer Lachen. Hiermit nahm Don Antonio den nächsten besten der Frierenden an den Händen, und die Menge wollte sie eben hindurchlassen und begleiten, da rief Don Carlo: Halt! noch wollet sie nicht entlassen, ihr liebwerten Freunde; dahier bin ich Herr und werde mein Strandrecht zu gebrauchen wissen. Hört mich an, ihr unglückseligen Seefahrer, wes Standes und Amtes ihr sein möget. Der Himmel hat euch, mittelst der gewaltigen Seewogen, auf meinen Grund und Boden kommen lassen, um euch zu zeigen, wie großes Unrecht ihr beginget, als ihr Einladungen verachtetet, welche diese Männer da überall mit großer Anstrengung ausgetrommelt und abgesungen. Darum wollet nun meine zweite Bitte, die zwar nicht so festlich getrommelt und gelärmt wird, aber ebenso freundlich an euch ergeht, besser in Ehren halten; gebt mir euren Handschlag, dass ihr heute noch auf mein Fest zurückkommen wollet, sobald ihr euch umgekleidet, wozu ihr auch bei mir Gemächlichkeit findet. Sehr angenehm ist mein Bankett unterbrochen worden, wenn ihr es bald mit eurer Gegenwart vermehrt und verschönert. Fürchtet euch nicht vor Spott, der Spott wird eher müde werden als die Freude. Lass das Lachen über dich ergehen, sobald du gefehlt, sagt der fromme Sirach. Diese Lehre wollet nicht verachten, sie steht auf gutem Grunde. Kommt und lachet mit uns, die wir allzumal Kahlköpfe sind und mehrenteils weniger Locken haben als ihr, die ihr nochmals freundlich geladen seid.

Diese Rede, gesprochen von dem Manne, der sie eben aus den wilden Wogen und den Zähnen der Haifische gerettet, verfehlte die Wirkung nicht: die Verspotteten überwanden sich und gaben Handschlag und Versprechen, an seinem Feste teilzunehmen. Der Spott der Umstehenden verlor sich nun in harmlosen Jubel. Einige Rechenmeister, welche die Gäste vorhin gezählt hatten, freuten sich, dass ihrer nun noch anderthalb Dutzend mehr geworden; die Klapperstörche selbst aber wurden in ein hübsches Zimmer an ein breites, prasselndes Kaminfeuer gebracht, und alles beeiferte sich und tummelte sich mit Don Carlo und Antonio, den Leib der neuen Gäste mit trockenen Kleidern zu erfreuen und mit erwärmenden Getränken, welche dieselben bald wieder so auf die Beine brachten, dass einer nach dem andern anfing zu lachen, zuerst weil die fremden Kleider, die sie erhielten, einigen ganz possierlich standen, sodann über das sonderbare Durcheinander, welches sie im Hause selbst wahrnahmen. Dieses war entstanden, weil die Sturmszene mit den Gästen auch viele Diener Don Carlos an das Ufer gelockt, wo sie die Zeit mit Gaffen, Zurufen, Angst um den Herrn, Bravoklatschen, Vivatschreien und Auslachen hingebracht hatten. Deshalb ging nun der Sturm im Hause los. Der Haushofmeister, außer sich vor Zorn, lief scheltend hin und her, und jeder wollte nun das Versäumte mit übermäßiger Eile wieder nachholen. Daher kam es, dass hie und da welche mit Schüsseln zusammenrannten, so dass die Katzen und die Hunde manches zu lecken bekamen, das eigentlich für die Herrschaften bestimmt war. Die beiden Herren Antonio und Carlo mussten sich auch etwas am Feuer trocknen. Die Abwesenheit des Hausherrn vermehrte daher die Unordnung, und unter dem mutwilligen Volke der Gäste gab es, wie wir wissen, Leute von aller Art, die gern lachten und sich an der Verlegenheit anderer ergötzten. Diese bemühten sich, hie und da entstandene Irrtümer zu vermehren, riefen die eilfertigen Diener mit fremden Stimmen, schickten sie rechts, wo sie links gehen sollten; dazwischen tobte der Haushofmeister hin und her: so wurden die tollen Verwirrungen immer drolliger; bis endlich Don Carlo wieder zum Vorschein kam. Er musste selber über die wilde Wirtschaft und das entsetzliche Hin- und Hergespringe lachen, hatte jedoch seine Plage, bis er alles wieder ins rechte Gleis brachte. Die Sitzung der neun Weisen fortzusetzen und Bias' Rede von dem Throne zu hören, war nun nicht mehr Zeit; denn die Throne mussten gerückt werden, weil die erhöhte Bühne, worauf man sie errichtet, die eigentliche Haupttafel aufnehmen sollte, woran Don Carlo mit seinem Antonio und dessen nächsten Freunden Platz zu nehmen gedachte. Man konnte von dort aus alles am gemächlichsten übersehen. Die Gäste wurden deshalb einstweilen in andern Zimmern mit allerhand Erfrischungen bewirtet und wussten sich mit allerlei kleinen Späßen sehr angenehm die Zeit zu vertreiben, wozu die vielerlei Masken reichlich Veranlassung gaben. Bias begann, trotz aller Verhinderungen, immer wieder von neuem seine Rede zu halten, wurde jedoch jedes Mal wieder von einem neuen Tumulte unterbrochen, der aus irgendeiner drolligen Szene bestand, welche bald diese, bald jene Masken mit großem Lärm dazwischenschoben. Aber als er nun zum sechsten Mal begann und wieder unterbrochen wurde, verschwor er alles und jedes Redenhalten, schlug sich auf den Mund und blieb den ganzen Abend stumm wie ein Fisch. Von dieser letzten Unterbrechung darf der Erzähler nicht schweigen, weil sie einen Hauptteil der Unterhaltung bis zum Essen ausmachte. Mehrere Spaßvögel hatten nämlich eine große dicke Puppe von allerhand Kleidern zusammengestopft und derselben eine Perücke, die sehr drollig war, aufgesetzt. Diesen Balg brachten sie nun auf einem Sessel herbeigeschleppt und setzten ihn an die Tür des Zimmers, wo Bias aufhörte zu reden, weil ein Arlekin, welcher den Balg geleitete, furchtbar anfing zu trommeln, sodann aber marktschreierhaft die Stimme erhob und rief: Ihr ehrlichen Kahlköpfe samt und sonders! Dieses Bild stellet für die heimlichen Kahlköpfe, die sich etwa noch irgendwo auf der Insel oder anderswo verborgen halten. Bei großer Strafe darf hier niemand aus- und eingehen, er hebe denn diese zierliche Perücke hinweg und schlage dem Bild auf den Scheitel! – Das Bild war auch so drollig zusammengestopft und der Scheitel unter der Perücke so einladend elastisch, dass jedermann dem lustigen Gebote Folge leistete. Jeden Augenblick erhielt der Balg einen andern Namen, nach irgendeinem, den man für einen heimlichen Kahlkopf hielt, zuletzt aber, als zum Essen geblasen wurde und alles da hindurchging, bekam er unter dem Namen Don Ciccio solche Schläge, dass Arlekin ihn beständig wieder aufrichten musste. Bias schlug ihn vor Zorn gar auf die Perücke selbst, wobei er sich empfindlich in die Finger stach: er merkte zu spät, dass einige Locken nur mit Nadeln angesteckt waren, und Solon sprach zu ihm, die Perücke hebend: Alles mit Maß, lieber Freund! Alles mit Maß! und schlug so derb auf den Balg, dass Arlekin anmerkte: O Solon, Solon, Solon! Wenn das dein Maß ist, so ist es nicht von den kleinen; da siehe, Don Ciccio ist außer sich! – Wirklich, der Balg ist geplatzt, sprach Solon und half hineinstopfen, was herausgefallen war. Arlekin band alles mit einem Strick zusammen, und das Klopfen ging wieder los. Als die Menge sich gänzlich in die Speisesäle verteilt hatte, nahm Arlekin den Balg und setzte denselben auf eine Erhöhung hinter ein kleines Tischchen, aber vor ihn eine Schüssel Papierschnitzel, und schrie laut: Sehet, wie hier Don Ciccio Makkaroni speist. Damit schnitt er dem Balg einen Mund und stopfte demselben nach und nach die Papierschnitzel hinein: aber nach jedem Bissen musste Don Ciccio sich mit Kopfnicken bedanken, worüber, die es sahen, viel zu lachen hatten. Alle Gäste nahmen nun Platz an den Tafeln, welche sie mit Wein und Speise ganz vortrefflich besetzt fanden. Mit Erstaunen sahen sie nun nicht allein ganze Vögel und Fische darauf, sondern sogar ganze Rehe, ganze Schweine, ganze Kälber waren auf Gerüsten so künstlich gestellt, als wollten sie gebraten noch davonlaufen. Alles war mit Blumen und Fruchtkränzen geschmückt und mit vergoldeten Zitronen umsteckt. Bei jedem großen Braten war Platz gelassen für die Zerleger, welche von allem reichlich austeilten; die Diener ermahnten überall mit lustigen Sprüchen zum Essen. Aber den ungeheuren Schwertfisch brachten acht weißgekleidete, kahlgeschorene Köche tanzend und singend hereingetragen: voran kamen die Dudelsackpfeifer und bliesen. Man trug ihn erst bei allen Tafeln umher, damit ihn jeder sehen möchte, zuletzt aber setzten sie ihn keuchend auf einen Tisch nieder, welcher in der Mitte des großen Saales war. Viele Gäste standen nun auf, um das Ungeheuer in der Nähe zu betrachten, die Schüssel dazu war ein mächtiges Brett, welches man mit einem reinen Tischtuch zierlich umwunden. Hier lag der gewaltige Fisch, der sonst die Tiefen des Meeres durchtobt, auf einem weichen Bett von Lorbeerblättern und grünem Salat und war mit Schuppen von bunten Scheibchen überdeckt, die man aus Zitronen, Sellerie und gelben und roten Rüben zierlich ausgeschnitten. Sein langes, grausames Schwert war nun mit blühenden Rosen umwunden, die Flossen aber so viel wie möglich ausgebreitet und mit kleinen Blümchen besteckt. Als der Zerleger Hand an ihn legte, schenkte Don Carlo seinen schönen Pokal von böhmischem Glase voll, stand auf und brachte folgenden Toast aus:

Ehrenfeste, teure Gäste!

Wie das Fischchen

Aus dem Tischchen

Seiner Art das größte, beste

Ward erfunden

In den Sunden,

Also ist von allen Männern

Aller Orten,

Wie in Worten,

So in Taten, rechten Kennern

Wohl der wahrste,

Beste, klarste,

Wunderbarste,

Größte, rarste

Mann Antonio. Wer eben,

Wie ich denke,

Denkt, der schenke

Voll und ruf': Hoch soll Er leben!

Hoch lebe Don Antonio! scholl es in allen Sälen wie aus einem Munde, keine Stimme blieb nach, und ein Tusch von Pauken und Trompeten mischte sich dreimal wiederholt in das dreimalige Klingen der unzähligen Gläser. Da nahm Don Antonio seinen vollen Pokal, stand empor und sprach, sich ehrerbietig verneigend:

Edler Wirt, achtbare Gäste!

Die Gedanken,

Euch zu danken,

Drängen sich bei diesem Feste:

Wer von Herzen

Weiß zu scherzen,

Dem gebührt die schönste Krone!

Wer in Leiden,

Wie in Freuden,

Gleiche Huld zeigt, den belohne

Liebesneigung,

Gunstbezeigung,

Ruhmersteigung,

Kranzverzweigung!

Der uns diese Lust gegeben,

Mein geliebter,

Nie getrübter

Carlo soll in Freuden leben!

Bei diesen letzten Worten umarmte Don Antonio seinen Carlo, und während das Lebehoch von allen Seiten wiedertönte, drängte sich die Erinnerung an manche Not und manche Freude, welche die Freunde gemeinsam übertragen und genossen, vor ihre Seele, so dass in beider Pokale Tränen inniger Rührung fielen, indem sie den duftenden Purpur des Weines schlürften.

Als sich nun alles wieder gesetzt hatte, wurde die Unterhaltung bei dem so festlich besungenen Schwertfische, von dem jeder zu essen bekam, und durch den feurigen Wein immer lebhafter, und lachende Scherze flogen her und hin.

Don Carlo hatte schon eher vergeblich den schönen Plato gesucht, welchem er einen Platz an Don Antonios Seite bestimmt. Er stand nun auf und ging überall umher, ihn von neuem zu suchen. Vergeblich: er war verschwunden.

Aber als der freundliche Wirt so durch die langen Säle ging, ward ihm von allen Seiten freundlich zugenickt und zugetrunken. Da saß mancher arme, alte, ehrliche Mann an dem Tische, dem es sein ganzes Leben lang noch nicht so gut geworden war, und letzte den alten Gaumen an den trefflichen Speisen, und der Duft des köstlichen Weines wob süße Träume um seine Sorgen, dass er wie mit fremden Backen in die Welt hineinlachte. Darüber freute sich der brave Don Carlo von Herzen. Auch war es wirklich schön zu sehen, welche reine, heitere Fröhlichkeit überall verbreitet war. Selbst als die Lust etwas ausgelassener wurde, ward kein Scherz übelgedeutet. Die Tugend des Wirts hatte sich über die Gäste ergossen. Auf und ab in allen Sälen tanzten verschiedene Reimer, welche sich in neckenden Versen auf die Anwesenden zu übertreffen suchten. Besonders zeichnete sich ein rechter Kahlkopf, namens Bennardo, aus, ein Schiffer, den man gern auf allen Barken wie einen Ruderer bezahlte; obwohl er sein Ruder nur obenhin einzutauchen pflegte, so verstand er doch so lustige Lieder zu singen, dass die übrigen ihrer Plage ganz vergaßen und umso schneller ruderten. Dieser war an jenem Abende so übermütig mit Neckereien, dass ihn zuletzt etliche lustige Vögel, die er zu sehr geneckt, mit Gewalt ergriffen, und ihm die zwanzig, dreißig Haare, die er noch haben mochte, völlig auszupften. Sodann trugen sie ihn mit großem Gepränge herum, setzten ihn auf einen Thron und nannten ihn Kahlkopfkönig. Trotz alledem verlor er die gute Laune nicht, und hatte er vorher die Leute mit seinem Witze geneckt, so tat er es jetzt als König noch weit verwegener und stolzer und war im Reimen ganz unerschöpflich.

Immer lustiger und allgemeiner ward das Treiben. Endlich kamen auch die Frauen vieler Anwesenden, in Masken, zu sehen, was ihre Männer eigentlich vorhätten, und um sie tüchtig zu necken. Da gab es denn manche sehr drollige Szene, besonders wenn der Kahlkopfkönig sich mit seinem Spotte darein mischte, über welchen sich die Frauen totlachen wollten. Don Antonio, dessen Nachbarn ebenfalls mit ihren Frauen scherzten, ward davon zuerst herzlich erfreut; er verlor sich aber darüber nach und nach in Gedanken an sich selbst und war fast ein wenig traurig, – als eine sehr natürlich nachgebildete Maske mit langem Stabe zu ihm herangewankt kam. Es war ein betagter Eremit mit langem, weißem Bart, welchem die greisen Glieder so heftig erzitterten, dass Don Antonio ihm, als er sich auf den Stuhl ihm zur Seite niederließ, fast unwillkürlich beistehen musste. Sobald der Alte sich, wie es schien, ein wenig erholt hatte, begann er mit tremulierender Stimme zu Don Antonio: Mein teurer Don Antonio, mich will es fast wundern, dass Ihr so ernsthaft dreinseht bei diesem fröhlichen Feste, da es doch selbst mich Abgelebten, welcher bereits geraume Zeit aller Welteitelkeit entsaget, mannigfaltig und reichlich ergötzt hat. Sollte dieser bunte Wirrwarr Euch die Weltlust vollends verleidet haben, o, so wär' ich nun zu guter Stunde von meiner Einöde herabgekommen, da ich vielleicht Gelegenheit finde, den für die wahre Einsamkeit zu gewinnen, welcher sich inmitten dieses fröhlichen Getümmels bereits einsam zu fühlen scheinet, denn einsam ist beständig die Seele, wenn sie betrübt ist. Und Ihr seid betrübt, Don Antonio. Saget mir, was betrübet Euch? Schüttet mir altem Greisen das Herz aus, kommt in meine Waldeinöde, da könnt Ihr allen Kummer den Lüften des Himmels geben, ich will Eurer Seele warten und pflegen wie eines neugeborenen Kindleins; aber sagt mir, Don Antonio, was betrübt Euch? Was betrübet Euch? –

Diese letzte Frage ward mit so natürlicher Innigkeit gesprochen, dass der Befragte bald versucht worden wäre, den Eremiten für einen wirklichen zu halten, wenn der Greis ihm nicht bei diesen Worten eine Hand gereicht hätte, welche sich zarter anfühlte wie Sammet. Verwundert streichelte Don Antonio die sanfte Hand, welche seinen Druck innig wiedergab, und sprach: Ehrwürdiger Vater, gern wollte ich Euch als einem welterfahrenen, betagten Manne mein ganzes Herz ausschütten; aber das zarte Frauenhändchen, welches Ihr mir soeben reichet, macht mich in meiner Aufrichtigkeit irre.

Nun so will ich meine Hand zurückziehen! sprach der Eremit.

Nein, lasst mir das Händchen, es gefällt mir! sprach Don Antonio streichelnd.

Ach, mein lieber Don Antonio, fuhr der Eremit da, wie erschrocken und sehr ernsthaft tremulierend, fort, wenn Euch, selbst bei dieser welken Hand eines greisen Mannes, Frauenhändchen in den Sinn kommen, so seid Ihr wahrlich sehr entfernt vom einsamen Leben, und ich glaube fast, dass in Eurem Herzen weltliche Liebe wohne mit ungestilltem Verlangen, welches Euch selbst bei diesem fröhlichen Gelage so traurig machet. O lasset fahren die falsche Sehnsucht, denn ein Weib, das eine Person wie die Eure verschmähen kann, muss eine sehr eitle, weltliche Törin sein, welche Locken an Euch suchet, wo sie Euch fehlen, welche die Annehmlichkeit Eurer Gespräche weder zu würdigen weiß, noch Euer wohlwollendes Herz zu ehren, welche blind ist für die Schönheit Eurer Gestalt und die Anmut Eurer Gebärden und das Ansehen, in welchem Ihr bei den Bewohnern dieses Eilandes stehet. Darum lasset sie vergehen in ihrem eitlen Dünkel und folget mir in meine Waldeinsamkeit, wo der unschuldige Gesang der Vögelein erschallet; dort will ich Euer Herz von weltlichen Gedanken reinigen und Euch die Seele stärken mit dem Troste der Eremiten, bis Ihr den Himmel offen über Euch sehet, der Euch nunmehr von düstern Wolken des Grams verborgen ist.

Während der Eremit solches mit großer Salbung sprach, bemerkte Don Antonio den Ring Donna Teresas an dem Finger des zarten Händchens, welches er noch beständig festhielt, wusste jedoch die Freude, welche bei dieser Entdeckung ihn überwallte, schlau zu mäßigen und sprach: Ehrwürdiger Eremit, dein weises Gespräch überwältigt mein Herz, und das Leben, welches ich bisher geführt, wird mir davon mehr und mehr zuwider. Ich will es ändern und dir folgen in deine Waldeinöde; dort will ich bei dem Gesange der Nachtigallen an den Lehren deines Munden hangen, gleich einem Bienchen, welches Honig aus dem Kelche der Blumen sauget. Aber beweise mir nun auch, dass auch dich nichts mehr an die Welt bindet. – Und womit soll ich dir solches beweisen, mein teurer Sohn? fragte der Eremit.

Damit, sprach der neugeworbene Schüler, damit, dass Ihr mir das weltliche Geschmeide lasset, welches Ihr eben traget. Hierbei blicke Don Antonio ihm nach dem Halse. Der Eremit aber, seines Ringes vergessend und nur dem Blick Don Antonios folgend, sprach: Nehmt das Geschmeide hin, ich habe keines!

Doch, doch, sprach Don Antonio, und unverwandt nach dem Halse blickend, zog er den goldenen Ring von dem zarten Fingerchen. Seht da her! Mein ehrwürdiger Vater, dieser Ring ist viel zu weltlich für Einsiedler!

Gebt ihn mir zurück, sprach der Eremit etwas betroffen, es ist der Trauring meiner Mutter.

Das weiß ich, sprach Don Antonio neckhaft gestimmt, ich kenne ihn gar wohl und hatte schon lange Verlangen darnach. Es ist etwas Wunderbares um den Ring eines frommen Eremiten; denn nun ich ihn an meinen Finger stecke, fällt jede weltliche Betrübnis wie Schuppen von meinen Augen, und ich sehe den Himmel über mir offen und heiter.

O, treibt den Scherz nicht zu weit, gebt mir den Ring wieder! sprach der Eremit – plötzlich mit Donna Theresas Stimme.

Glaubt Ihr denn, ich scherze? sprach Don Antonio sehr ernsthaft; nein, mein ehrwürdiger Vater, es ist mein völliger Ernst, wenn ich sage: der Himmel ist über mir offen, seit ich Euren Ring besitze.

Ihr besitzt ihn nicht, Ihr habt ihn mir genommen, Don Antonio!

Ihr habt ihn mir gelassen, er ist mein, ehrwürdiger Vater; bedenkt, als ich um Euer Geschmeide bat, sagtet Ihr: Nehmt es hin! – Wohl, aber ich sagte dazu: Ich habe keines; woraus Ihr sehen könnt, dass ich nur unachtsam war.

Unachtsam? Ei, ei, sprach Don Antonio, wenn so fromme, betagte Lehrer noch unachtsam sind, wie sollen wir arme Schüler sein?

Gebt mir den Ring wieder, sprach Donna Teresa, und wollte ihn mit Gewalt von seinem Finger ziehen; aber Don Antonio hielt ihn fest und ihre Hand dazu und sprach: Ei, ei, mein ehrwürdiger Eremit, Ihr seid schlimmer als ich, den weltlichen Dingen ergeben, wenn Ihr so heftig nach diesem Ringe verlanget, welcher doch nun mein ist; andrer Eigentum begehren, ist große Sünde!

Gebt mir den Ring wieder! sprach Donna Teresa und rang noch heftiger darnach: als von dieser Bewegung die Maske, welche nicht allzu wohl befestigt war, plötzlich herabfiel, so dass der entzückte Don Antonio ihr schönes Gesicht von hellen Tränen der Rührung überströmt sah, welchen sie bisher unter der Maske nicht Einhalt getan. Nun aber suchte sie, weil Don Antonio sie nicht fortließ, ihr verlegenes Erröten in den Falten des Eremitengewandes zu bergen, als Don Carlo, welcher schon ein gut Teil der Szene mitangehört, ihr in die Augen sah und sprach: Wie? Ringe werden gewechselt? Masken fallen ab und Tränen fließen? Darüber muss ich meinen Mantel breiten, bis ich den Notar geholt! – Hiermit warf er seinen weiten Pythagorasmantel um die Liebenden und verschlang ihn so, dass ihn beide nicht so bald entwirren konnten: ja das Entwirren ging so langsam, dass einige meinten, beide blieben gern so verborgen, der Philosoph sowohl als der Eremit.

Als sie endlich den purpurnen Vorhang, der sie umschloss, erhoben hatten, stand ein kleines Tischchen vor ihnen, woran Cicero saß und eine Feder schnitt. Es war der Notar des Ortes, welcher den beiden Willigen einen Ehekontrakt in zwei Worten zusammensetzte, den beide mit zitternder Hand unterschrieben, während kristallene Tränen des Entzückens darauf hinabfielen. Pietro und der alte Jakob, welche den Tisch herbeigebracht, klopften vor Freuden in die Hände, ergriffen beide den Pythagorasmantel und hielten ihn, auf zwei Stühlen stehend, als einen Baldachin hoch über die Glücklichen, während lautes Geschmetter von Trompeten und Pauken sich in ein allgemeines Jubelgeschrei und Händeklatschen mischte. Die Jubelnden riefen einstimmig: Das ist die Krone des ganzen Festes!

Deutscher Novellenschatz 5

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