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Kapitel 4

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Magdalena knetete ihre Hände, bevor sie die weiße Tür zu ihrer Etage öffnete. Das Spießrutenlaufen durch die Eingangshalle der Firma hatte ihr gereicht. Blicke, die sie von oben bis unten musterten. Männer, die sie anlächelten, obwohl sie noch nie mit ihnen gearbeitet hatte, geschweige denn ihre Namen kannte.

Mit gesenktem Haupt überstand sie den Weg bis zum zweiten Stockwerk, in dem ihre Abteilung untergebracht war. Magdalena war zuständig für die Lohnabrechnungen der Angestellten und arbeitete aushilfsweise in der Buchhaltung mit.

Ihre Finger ruhten auf der Klinke der Tür. Sie traute sich nicht sie herunterzudrücken. Was, wenn sie mit Lukas oder Tom geschlafen hatte? Oder schlimmer: Mit dem Schmierlappen Andreas? Der Gedanke daran schüttelte sie. Letzterer machte sich an alles heran, was einen Rock trug. Das Alter interessierte ihn nicht. Ob blutjunger Azubi oder kurz vor der Rente stehend. Selbst ihre schwangere Kollegin Nina hatte er schon angemacht.

Hinter sich hörte sie Schritte. Erschrocken presste sie sich an die Tür und öffnete diese, um vor dem vermeintlichen Zusammentreffen mit ihrem Liebhaber zu fliehen.

Kaum betrat sie den breiten, neonbeleuchteten Gang, begegneten ihr die ersten Kollegen. Ihre gesamte Abteilung bestand aus knapp 40 Personen. Hauptsächlich Frauen.

„Guten Morgen.“ Täuschte sie sich oder steckte eine versteckte Botschaft in den zwei Worten?

Magdalena nickte dem Kollegen zu und huschte an ihm vorbei. Sie wagte nicht, sich umzusehen, aus Angst, dass er ihr die Tasse zum stummen Gruß auf ein gemeinsames Schäferstündchen hob.

„Hey, ich dachte schon, du kommst gar nicht.“ Nina kam ihr mit einem Stapel Rechnungen entgegen. Nicht mehr lange und sie könnte die Papiere auf ihrem stetig wachsenden Bauch balancieren.

Magdalena nahm ihr fix einen Teil ab. „Hab mich nicht her getraut, ehrlich gesagt.“

Nina lachte laut und fröhlich auf. „Ach, so schlimm wie der Müller warst du Freitag nicht. Du hast wenigstens nicht einem der Obersten vor die Füße gekotzt.“

„Nein!“, entfuhr es Magdalena, als sie in ihr Büro abbogen.

„Doch. Kurz vor halb vier. Steffi hat es beobachtet, als sie auf ihr Taxi wartete. Heute beim Frühstück hat sie es mir gleich brühwarm erzählt.“

„Na, der kann seine Beförderung ebenso begraben wie ich!“, murmelte Magdalena und warf ihre Handtasche in die Schublade ihres Rollcontainers.

Nina stellte sich neben sie. „Mach dir nichts draus. Bald kommt ein neues Jahr, und dann startest du durch.“

Magdalena zuckte mit der Schulter. Erst einmal war sie froh, dass sie unter sich waren. In ihrem Arbeitsraum saßen keine Männer, was sie am heutigen Morgen durchaus glücklich stimmte.

Sie richtete sich gerade ein, als es an der Tür klopfte. Ihr Chef Herr Robin stand in der Tür und sah sie auffordernd an.

„Frau Fischer, in mein Büro bitte!“ Bevor sie etwas erwidern konnte, war er wieder verschwunden.

Magdalena durchfuhr es heiß und kalt. Sie hatte doch nicht…

Nein!, dachte sie entsetzt. Der Kerl besaß ebenso viele Altersringe wie ein Mammutbaum. Unmöglich! Dennoch zitterten ihr die Hände, als sie durch die Glastür des Büros trat. „Sie wollten mich sprechen?“ Auch aus ihrer Stimme konnte sie die Vibration nicht vollständig heraushalten. Verdammt, wenn sie nur wüsste, mit wem sie geschlafen hatte!

„Ja, setzen Sie sich.“

Sollte er vorhaben mich zu feuern, wäre er vermutlich nicht so höflich. Zumindest hatten sie es nicht in seinem Büro getrieben, schoss es ihr erleichtert durch den Kopf.

„Kennen Sie das neue Projekt der Buchhaltung? Das zur Analyse der Leistungsfähigkeit?“

„Ja?“, antwortete sie schüchtern. Bisher keine Anspielung auf das, was Freitag passiert war.

„Sie sind mit den Mechanismen eines Projektmanagements vertraut?“ Ihr Chef schaute sie über seine Lesebrille hinweg an, während er sich die grauen Schläfen kratzte.

„Meine Fortbildung dazu fand erst im letzten Sommer statt. Also ja.“

„Gut, dann teile ich Sie hiermit dem Projektteam von Herrn Kuhn zu.“

Magdalena stutzte. Mathias Kuhn war ein hoch gehandelter Anwärter auf den Job des Abteilungsleiters, der frei werden würde, sobald Herr Robin in anderthalb Jahren in Rente ging. Wenn sie sich gut mit ihm stellen könnte… „Vielen Dank. Das freut mich sehr. Ab wann geht es los? Wer übernimmt so lange meine Aufgaben?“, erkundigte sie sich.

„Ihren Job machen Sie vorerst weiter. Herr Kuhn wünscht Sie morgen Vormittag zu sehen. Aber zunächst erledigen Sie Ihre Arbeit hier bei mir. Ich möchte erst einmal feststellen, wie sie sich in dem Projekt zurecht finden, ehe ich sie endgültig zum Aushelfen in den anderen Bereich sende.“

„Hat Herr Kuhn mich persönlich angefordert?“, fragte Magdalena. Ihr hing immer noch der Gedanke nach, dass sie es mit irgendeinem Mann aus dieser Firma wild getrieben hatte und sich partout nicht erinnern konnte, mit wem.

„Nein. Er sagte nur, ich solle jemanden schicken, der sich mit Projektmanagement auskennt. Soweit ich weiß, sind sie da die Einzige in meiner Abteilung.“

Magdalena nickte und erhob sich. Kaum drehte sie ihm den Rücken zu, blies sie ihre Backen voll auf. Jetzt wusste sie wieder, warum sie grundsätzlich Angst bekam, sobald sie in das Büro von ihrem Chef zitiert wurde. Man ahnte nie, mit welchem aufreibenden Konzept am Hals man wieder heraus marschierte.

*

Sophia winkte ihr bereits von weitem. Es musste etwas Aufregendes passiert sein, wenn ihre beste Freundin früher zu ihrem allmontaglichen Cocktaildate kam als sie. Diese Tradition hatten sie vor vier Jahren eingeführt und bisher keine Gelegenheit verpasst. Jeden Montag trafen sie sich im Portugiesenviertel und tranken einen Feierabendcocktail darauf, dass sie den ersten Tag der Woche überstanden hatten.

„Na, hast du herausgefunden, wer der Glückliche war?“, fragte Sophia und knuffte sie in die Seite.

„Nein. Ich hatte den ganzen Tag das Gefühl, dass ich von allen Kerlen beobachtet werde. Du glaubst nicht, wie unangenehm mir das ist.“ Magdalena warf ihren dünnen Mantel über den Stuhl zu ihrer Rechten und schwang sich auf ihren Hocker.

„Nimm es nicht so krumm. Wenn derjenige sich heute nicht zu erkennen gegeben hat, tut er das vielleicht morgen. Stell dir vor, er kniet vor dir nieder und murmelt leise: ‚Willst du mit mir vögeln?‘!“ Sophias hellklingendes Lachen schallte durch die Bar. Augenblicklich schauten einige Männer zu ihnen hinüber und musterten die Urheberin. Magdalena kannte das Spiel zur Genüge. Bis vor einiger Zeit hatte sie es ebenfalls mit immensem Vergnügen gespielt, aber inzwischen hing es ihr zum Halse raus.

„Vielen Dank auch. Ich hoffe nicht, dass ich ihm begegne. Ausgerechnet jetzt darf ich an dem großen Projekt mitarbeiten, das mein Betrieb durchzieht. Wenn ich da punkte, müssen sie mich befördern.“

„Ach, Süße. Beförderungen sind nicht alles. Du weißt, dass du gut bist und ich habe dir hundertmal gesagt, dass du jederzeit was Besseres finden kannst.“

„Nein, nein. Die Firma ist in Ordnung. Sie zahlt gut, und ich mag meine Kollegen.“ Magdalena bestellte sich einen Cosmopolitan bei der vorbeihuschenden Kellnerin.

„Manchmal magst du sie vielleicht ein wenig zu sehr.“ Sophia zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

„Lass diese Andeutungen, bitte. Ich mache mir sowieso zu viele Gedanken deswegen. Lenk mich ab. Wie lief dein Wochenende?“

Ein Grinsen breitete sich auf dem Gesicht ihrer Freundin aus. „Ich dachte schon, du fragst nie. Stell dir vor: Ich habe jemanden kennengelernt!“

Magdalena schaute sie mit aufgerissenen Augen an. „Jemanden kennengelernt? So richtig, Freundmaterial, das sich als deinen Ansprüchen genügend erweist?“ Sie musste Sophia einfach piesacken. So oft, wie sie sich über Magdalena lustig gemacht hatte, als sie damals in einer festen Beziehung lebte!

„Das weiß ich nicht. Aber auf alle Fälle ist er ein Typ, der mich eindeutig mehr reizt als die Männer der letzten Monate. Du errätst nie, was er mit mir gemacht hat.“

„Ihr wart nicht im Club, sondern seid an der Alster entlang spaziert und habt ein Mitternachtseis gegessen.“

Sophia winkte ab und nahm ihren Cocktail entgegen. „Ach Quatsch. So was Spießiges mach ich nicht.“

Auch Magdalena erhielt ihr Getränk und schaute neugierig über den Rand des Glases hinweg. „Nun erzähl schon. Deine Sexgeschichten retten mir sämtliche Montagabende.“

Interessiert lauschte sie der Erzählung von Sophia, wobei sich ihre Stirn immer weiter runzelte. „Gleich am Tresen? Ernsthaft?“

„Ich konnte danach kaum stehen, so geil war es. Der Kerl, Frederik, brachte mich nur mit einem Eiswürfel und seinen Fingern soweit. Stell dir vor, was er mit seinem Schwanz zu vollbringen vermag…“

Sophia prostete ihr zu und schmunzelte wissend zu ihr hinüber.

„Das heißt, du gehst mit ihm in den Swingerclub?“, fragte Magdalena abschätzig. Sie kannte Sophia. Bisher hatte es sie nicht gereizt, in ein solches Etablissement zu gehen.

„Ich habe eine Wette verloren, also muss ich wohl.“

Neugierig betrachtete Lena ihre beste Freundin, deren Füße nervös auf und ab wippten, während die Finger ein wenig zu hektisch nach dem Cocktailglas griffen. „Du überlegst ernsthaft da hinzugehen“, stellte sie entsetzt fest.

Sophia lehnte sich nach vorne und packte ihren Arm. „Ja, doch ich will nicht alleine hin. Bitte, bitte, komm mit.“

Rasch entzog sie Sophia ihre Hand. „Bist du wahnsinnig? Was soll ich da? Mir alte Leute, ihre hängenden Bäuche und andere schrumpelige Anhängsel anschauen?“

„Ich habe mich schon erkundigt. Du kannst im vorderen Bereich bleiben und machst nichts. Einfach nur in der Nähe bleiben. Es kostet dich keinen Cent, nur die Zeit, einen Abend mit deiner besten Freundin zu verbringen.“ Der flehende Blick aus ihren rehbraunen Augen brachte Magdalenas Herz sonst jedes Mal zum Schmelzen, diesmal jedoch wollte sie nicht so fix nachgeben. Das Ziel gefiel ihr ganz und gar nicht.

„Weißt du, was du da tust? Du bist doch verrückt.“

„Frederik hat mir erklärt, dass es dort nicht so zugeht, wie man sich gemeinhin vorstellt. Von mir aus, nimm dir ein Buch mit, setz dich vorne hin. Nur lass mich bitte nicht allein.“

Magdalena biss sich auf die Lippe. Neugierde stieg in ihr auf, vertrieb den Verstand aus seinem Revier und übernahm die Herrschaft. Warum ließ sie sich nur immer von ihrer Freundin überreden? „Na, meinetwegen. Aber sobald mich der erste Kerl anspricht, den ich nicht mal mit der Kneifzange anfassen würde, bin ich da raus. Einverstanden?“ Magdalena hielt ihr die Hand hin, und Sophia schlug freudestrahlend ein.

„Du bist die Beste, Lena.“

„Ich weiß, ich weiß“, seufzte sie und griff nach ihrem Cocktail.

*

Der nächste Vormittag kam für Magdalena viel zu früh. Selbst unauffälliges Make-Up konnte nicht verhindern, dass man ihr die Müdigkeit schon von weitem ansah. Der morgendliche Gang durch die Firma erschien ihr erneut wie ein Spießrutenlauf. Aber wieder stellte sich nicht heraus, wer für den Ausrutscher auf der Feier in Frage kam. Hatte sie etwa mit einem Kunden geschlafen? Einzelne kamen zur Weihnachtsfeier. Die Erinnerung an den Kerl tauchte immer wieder auf, als ob sie sich in ihrem Kopf heimisch fühlte, sich ein Nest bauen wollte. Magdalena schüttelte sich, um die Gedanken zu vertreiben. Sie brauchte einen klaren Kopf.

Sanft klopfte sie an die Tür von Mathias Kuhns Büro und wartete auf ein Zeichen einzutreten. Statt einer Antwort öffnete sich die Tür kaum eine Sekunde später. „Oh“, entfuhr es ihr, und sie trat erschrocken einen Schritt zurück.

„Ihnen auch einen guten Morgen, Frau Fischer.“ Der hochgewachsene Mann mit den kurzen Haaren knöpfte sein Jackett zu, ehe er ihr die Hand reichte, die Magdalena rasch ergriff.

„Ähm, guten Morgen, Herr Kuhn. Ich sollte mich heute bei ihnen melden?“

Die Stirn des Gegenübers legte sich in Falten und zog dabei gleich die schmale Nase kraus. Jetzt sah er ein wenig irritiert aus, als ob er einen schlechten Geruch wahrnähme. Doch Magdalena konnte es nicht sein. Sie hatte sich kurz vorher frisch gemacht.

„Ja, kommen Sie bitte in mein Büro. Ich möchte Ihnen ein paar Instruktionen geben, sodass Sie wissen, was Sie bei der Zusammenarbeit im Projekt erwartet.“

Die nächste Stunde verbrachten sie mit der Besprechung. Magdalena vergaß die Zeit vollkommen. Als Mathias Kuhn auf die Uhr sah und mit der Hand auf den Schreibtisch schlug, merkte sie erst, wie spät es bereits war.

„Entschuldigen Sie, Frau Fischer. Ich halte sie von Ihrer Mittagspause ab.“

„Schon in Ordnung. Ich hatte sowieso keine Verabredung für heute.“

„Das passt ja. Kommen Sie, wir essen flugs gemeinsam etwas, danach können wir die Rahmenbedingungen erörtern.“

Zunächst zögerte Magdalena. Mit ihrem eventuell zukünftigen Chef zum Mittag treffen? Worüber sollte sie nur mit ihm sprechen?

Er schien ihr Zögern zu bemerken und bedeutete ihr vorwärts zu gehen. „Keine Sorge. Ich beiße sie nicht, und ich verspreche, nicht über die Arbeit zu reden.“ Sein freundliches, warmes Lächeln überzeugte sie schließlich.

„Warum nicht?“ Magdalena schmunzelte und lief neben ihm her. Allerdings nur bis zur nächsten Tür, die er ihr wieder aufhielt. Sie verbrachten eine spaßige Mittagszeit, da sie feststellten, dass sie dieselbe Comedyshow liebten, was Gesprächsthema genug für eine ganze Stunde bot.

Magdalena verlor mehr und mehr die Angst vor ihrem Chef. Am Ende bot er ihr bereits das Du an. Ebenso unkompliziert verabredeten sie sich an den folgenden Tagen zur Mittagspause. Im Verlauf der restlichen Woche schlich sich Mathias in ihre Träume und verdrängte damit den pochenden Nachhall, den sie jedes Mal in ihrem Schoß empfand, wenn sie aufwachte und an den sexuellen Ausrutscher auf der Weihnachtsfeier dachte. Da sich in der Firma niemand fand, der sie auf ihren Fauxpas ansprach, verdrängte sie ihn langsam. Auch wenn das Misstrauen gegenüber einigen Männern, die sie scheinbar heimlich beobachteten, blieb.

Club der Sinne

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