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KAPITEL 1

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Abby schreckte aus einem Traum hoch. Worum es ging, wusste sie nicht mehr, nur, dass am Ende ein Schuss erklungen war, der sie geweckt hatte. Diese Träume häuften sich. Manchmal tauchte zusätzlich Teddys Gesicht auf. Noch immer fiel es ihr schwer, damit klarzukommen, wie rücksichtslos die Sinners über ein Menschenleben entschieden hatten – wie schnell Freunde zu Feinden erklärt wurden.

Achtzehn Tage war es jetzt her, seit sie Savior still und heimlich verlassen hatte. Achtzehn Tage in denen sie ihn schrecklich vermisste.

Sie seufzte, drehte sich auf die andere Seite und starrte durch das Fenster in den dunklen Himmel hinauf.

Habe ich einen Fehler gemacht?

Die Frage kreiste wie ein Mantra in ihrem Kopf. War sie zu überstürzt aufgebrochen? Hätte sie bei ihm bleiben und einfach noch einmal darüber schlafen sollen? Erneut das Gespräch suchen?

»Doch was dann?«, fragte sie in die Stille hinein.

Hätte er ihre Meinung irgendwann ernst genommen oder sie gar berücksichtigt und in seine Entscheidungen einbezogen?

Abby setzte sich auf, zog die Knie an und legte den Kopf darauf ab. Wie sie es auch drehte und wendete, sie erhielt einfach nicht die richtige Antwort auf ihre Fragen. Die konnte ihr nur Savior geben, doch von dem hatte sie nichts mehr gehört. Warum sollte er sich auch bei ihr melden? Sie hatte ihren Dad geschickt, damit er ihre restlichen Sachen aus dem Clubhaus abholte – was im Übrigen nicht sehr erwachsen war, das wusste sie selbst. Aber zu dem Zeitpunkt hatte sie sich nicht dafür bereit gefühlt, Savior gegenüber zu treten. Sich einzugestehen, dass sie überreagiert hatte. Wieder schwach zu werden und in seine Arme zurückzukehren.

Und jetzt fragte sie sich, ob er sie überhaupt zurücknehmen würde. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass er längst eine Neue hatte, mit der er in ihrer gemeinsamen Wohnung seine Zeit verbrachte.

Ihr Magen rumorte. Das wollte sie sich lieber nicht vorstellen.

Wie hatte Cassy es damals im Clubhaus noch ausgedrückt – sie solle aufhören, in einer Fantasiewelt zu leben? Saviors Schwester hatte recht behalten, denn nichts anderes waren ihre Gedanken. Das Thema »Savior« war abgeschlossen. Es gab kein Zurück mehr. Er würde sie und ihre Meinung niemals für vollnehmen und Abby würde dadurch jedes Mal einen Teil ihrer Selbst verlieren, wenn sie darüber hinwegsah. Daran würde sie zerbrechen!

Sie verließ ihr Bett und ging nach unten. An Schlaf war nicht mehr zu denken, die drückende Sommerschwüle tat ihr Übriges. Das waren keine Temperaturen für sie. Mehr als zwanzig Grad in der Nacht – wer konnte schon schlafen, wenn die Haare feucht im Nacken klebten? Außerdem fühlte sie sich rastlos. Obwohl sie ihr altes Leben wieder hatte, war es jetzt anders. Sie hatte noch immer Spaß am Tätowieren, eine Partygängerin war sie schon vorher nicht mehr gewesen, sie kannte es also, abends alleine in ihrem Zimmer zu hocken. Früher war es friedlich gewesen. Ein bisschen langweilig, aber niemals erdrückend. Heute zuckte sie bei jedem unbekannten Geräusch zusammen und bekam Schweißausbrüche. Sie fühlte sich in ihrem eigenen Haus nicht mehr sicher.

Doch es war nicht nur das. Sie wusste jetzt, was es hieß zu leben, und nicht nur am Leben zu sein. Mit Savior und den anderen Sinners hatte sie Spaß gehabt, gelacht, gefeiert. Sie vermisste die Gespräche mit ihren Freunden, die Filmabende, die anhaltende Geräuschkulisse, an die sie sich schnell gewöhnt hatte.

»Jetzt ist es wieder leise«, flüsterte sie und schaltete die kleine Lampe auf dem Tisch im Flur an.

»Selbstgespräche, Krümelchen? Bist du dafür nicht zu jung?«

Sie zuckte zusammen. Ihr Dad saß im Dunkeln im Vorraum des Geschäftsbereichs und starrte nach draußen, das Gewehr griffbereit neben sich.

»Hast du mich erschreckt. Was machst du hier?« Sie stellte sich neben ihn und sah ebenfalls raus, konnte aber nichts Verdächtiges erkennen.

»Konnte nicht schlafen. Zu viele Gedanken, die nie zur Ruhe kommen.« Er deutete mit dem Zeigefinger rotierend auf seinen Kopf.

Das kannte sie gut. »Was beschäftigt dich?«

»Nichts womit ich dich belasten möchte. Darüber hinaus frage ich mich, ob es nicht das Beste ist, das Haus zu vermieten und die Stadt zu verlassen.«


»Ich hoffe, es ist wichtig«, knurrte Savior angefressen, als Thug und Dom ins Büro kamen. Er zündete sich eine Zigarette an, obwohl er die letzte gerade erst im überfüllten Aschenbecher ausgedrückt hatte. Wer sollte sich daran stören? Es gab schließlich niemanden mehr, der ihn deswegen belehren würde.

Dom und Thug ließen sich auf die zwei Stühle vor Saviors Schreibtisch nieder und verschränkten fast synchron die Arme vor der Brust. Davon ausgehend, dass sie es in den letzten Tagen viel zu oft getan hatten, wenn sie in sein Büro gekommen waren, bedeutete das nichts Gutes. Sie hatten diese widerlich entschlossenen Gesichtsausdrücke.

»Wie fühlst du dich?«

»Gut.« Savior sah Dom misstrauisch an. Was hatte das jetzt zu bedeuten? Würden sie als Nächstes Backrezepte austauschen, nachdem sie einen Gefühlsstriptease hingelegt hatten?

»Wenn sie dir fehlt, warum gehst du nicht einfach zu ihr? Sag ihr, dass du sie liebst und vermisst. Anschließend fickt ihr ´ne Runde und alles ist wieder gut.«

Dom sah Thug kopfschüttelnd an. »Das verstehst du unter vorsichtig und einfühlsam?«

Savior lehnte sich zurück und betrachtete die beiden genervt. Er hatte jetzt schon die Schnauze voll von dem Gespräch.

»Wir können das abkürzen, ich vermisse sie nicht und ich liebe sie nicht. Thema beendet, ihr könnt gehen.«

»Deswegen verbreitest du auch schlechte Laune und fickst alles, was bei drei nicht auf dem Baum ist. Nein, Boss, da muss eine Lösung her.«

»Wer bist du – Sigmund Freud?« Saviors Geduld hing ohnehin schon am seidenen Faden, Dom verbesserte die Situation nicht gerade.

»Überlege doch nur mal, wie Abby sich fühlen würde, wenn sie dich jetzt sehen könnte.«

Er atmete tief durch. Ausrasten würde niemandem helfen. Aber zur Hölle, die beiden brachten seinen sehr dünnen, sehr kurzen Geduldsfaden gefährlich nahe ans Reißen. »Wenn sie mich jetzt sehen könnte, hätten wir dieses Gespräch nicht, oder? Das würde nämlich bedeuten, sie wäre noch hier und nicht abgehauen.«

Dom nickte zufrieden und beugte sich etwas vor. »Jetzt kommen wir dem Ganzen doch schon ein großes Stück näher. Wie fühlst du dich, seit sie weg ist? Was empfindest du, wenn du ihren Namen hörst?«

Thug prustete los. »Sag mal, was stimmt nicht mit dir? Hast du irgendwelche Psychoratgeber zum Frühstück gefressen?«

»Über seine Gefühle zu reden, ist eine anerkannte Methode«, behauptete Dom beleidigt. Durch die vielen Narben im Gesicht und am Hals würde niemand darauf kommen, dass er feinfühlig sein konnte und sich immer Gedanken um andere machte. Erst kamen die anderen und dann kümmerte er sich um sich selbst.

»Ich werde garantiert nicht meine Gefühle vor euch auf den Boden kotzen.« Entschieden schüttelte Savior den Kopf. »Als Nächstes bekomme ich noch meine Periode und fange an, Blumen zu pflanzen und Gedichte zu schreiben.«

»Schön, du willst nicht reden? Dann friss den Mist in dich hinein. Aber fang endlich an, dich wieder wie ein Anführer zu benehmen. Macs Frau ist immer noch wegen des Veilchens angefressen, das du ihm verpasst hast, nur weil er Abbys Namen in den Mund genommen hat.«

Thug brummte zustimmend. »Außerdem verbreitet Hailey schlechte Laune, weil du ständig irgendwelche Weiber fickst und sie Abbys Freundin ist.« Er hob eine Augenbraue. »Mir ist das ja prinzipiell egal, aber wenn sie schlechte Laune hat, darf ich nicht ran. Dadurch bekomme ich schlechte Laune. Das ist ein Teufelskreis.«

Savior würde jetzt nicht darüber nachdenken, warum die beiden ihre zum Scheitern verurteilte Affäre wieder aufgenommen hatten. Zumal seine Schwester Cassy immer noch hier wohnte und mit Sicherheit alles andere als begeistert darüber war. Das war doch ein super Beispiel dafür, dass Beziehungen und Liebe im Allgemeinen scheiße waren und zu nichts als Ärger führten.

»Davon mal abgesehen, dass Abby die Club-Matratzen garantiert einen Kopf kürzer machen würde, sollte sie das jemals erfahren.«

Savior blickte nachdenklich nach draußen. Der böse Teil in ihm wollte, dass Abby von den vielen Frauen erfuhr. Nur deshalb machte er diesen Scheiß überhaupt. Nicht, weil er in sein Leben vor Abby zurückwollte oder er Spaß daran hatte, jeden Tag andere Weiber zu ficken. Nein – er wollte, dass sie sich genauso beschissen fühlte wie er. Sie sollte leiden, ihre Entscheidung bereuen und auf Knien angekrochen kommen, darum bettelnd, dass er sie zurücknahm. In seinem Kopf klang das alles logisch und ergab einen Sinn. Er würde sie zunächst zappeln lassen und am Ende wäre sie wieder hier – bei ihm im Clubhaus und in seinem Bett.

Bis heute konnte er nicht verstehen, warum sie gegangen war. Er hatte Teddy beseitigt – na und? Eine Sorge weniger. Wo lag das verdammte Problem? Es war ja nicht so, als hätte er von Abby verlangt, den Abzug zu drücken und im Anschluss ein Loch zu graben, um die Leiche zu entsorgen.

So ungern er es auch zugab, aber Gina, BigTits, hatte recht. Abby passte nicht in ihre Szene, in den Club und dieses raue Leben. Sie war behütet aufgewachsen und nicht wie viele andere hier mit Schlägen und Misshandlungen. Wie sollte sie also verstehen, dass er handeln musste, wie er es getan hatte? Gina verstand ihn. Sogar sehr gut. Sie hatte ihm damals gedankt, als er ihren Mann aus dem Weg geräumt hatte. Und was war Abbys Dank gewesen? Sie war abgehauen und hatte dann ihren Daddy geschickt, damit der ihre Sachen abholte.


Shopping war gut für die Seele. Hatte Abby jedenfalls mal gehört. Noch konnte sie das nicht beurteilen, obwohl sie lauter Tüten mit sich herumschleppte, die sie mittlerweile in ungeahnte Höhen hätten befördern müssen. Ihre Kreditkarte war bereits heiß gelaufen. Höchstwahrscheinlich hatte sie sich schon in den finanziellen Ruin gestürzt. Und wofür? Für sexy Unterwäsche, die niemand sehen würde, und einen Haufen Klamotten, der sie mehr nach einem Sinners-Flittchen, als nach einem normalen Menschen aussehen ließ.

Vielleicht wirkten die Glückshormone des Shoppens auch nicht, weil sie frustriert war, dass ihr Dad die Stadt verlassen wollte. Sie verstand seine Beweggründe. Er wollte was anderes sehen und die Erinnerungen loslassen, die ihn hier immer wieder heimsuchten – seine Exfrau Francine, die mit ihrem Club, den Raiders, kurzzeitig Abby gefangen gehalten und nicht davor gescheut hatte, ihrer eigenen Tochter Schaden zuzufügen. Er wollte raus, neu beginnen und Abby sollte ihn begleiten.

Und sie? Abby fühlte sich wohl hier. Sie hatte ihr Tattoostudio und ihre Stammkunden. Wollte sie an einem anderen Ort von vorne anfangen?

Eine schwere Hand legte sich auf ihre Schulter.

Sie riss erschrocken den Kopf herum. »Damian?«

Er lächelte sie kurz an und suchte dann mit den Augen ihre nähere Umgebung ab. »Das ist ja ein riesiger Zufall. Erst gestern habe ich an dich gedacht und mich gefragt, was du machst und wie es dir geht.«

Sie stellte die Tüten auf dem Boden ab und lächelte unverbindlich zurück. »Dich hätte ich in einem Einkaufszentrum am wenigsten erwartet.«

Verlegen zuckte er die Schultern. »Momentan ist viel los im MC. Brauchte mal etwas Abstand zu den ständigen Anschuldigungen und Auseinandersetzungen. Niemand würde auf die Idee kommen, mich hier zu suchen.«

Damian war Mitglied im ansässigen Motorrad Club, dem Death Heart MC, der unter anderem mit den Raiders zusammengearbeitet hatte.

»Das klingt … schlimm. Geben sie dir für das, was bei den Raiders passiert ist, die Schuld?«, wollte sie wissen.

»Nicht immer«, lachte er, doch es klang gezwungen. »Egal wie man es macht, es ist falsch. Allen kannst du es nie recht machen.«

Das stimmte. Sie brauchte ja nur an ihre aktuelle Situation denken. Auf der einen Seite wollte sie ihren Dad nicht enttäuschen, gleichzeitig wusste sie, dass sie woanders nicht glücklich werden würde. Und trotzdem, wäre ihr Dad erst mal weg, was würde sie hier noch halten?

»Wir könnten uns mal treffen«, äußerte Damian scheu. »Was trinken gehen in einer Bar oder was essen. Ich kenne da ein nettes Restaurant. Natürlich nur, wenn du darfst.«

Sie verzog die Lippen und hoffte, dass es wie ein Lächeln aussah. Auf die Anspielung würde sie nicht eingehen. »Gerne. Ich könnte etwas Ablenkung gebrauchen.«

Er neigte den Kopf leicht zur Seite und musterte sie prüfend. »Alles in Ordnung bei dir?«

»Natürlich, ich habe nur ein wenig mit dem Erlebten zu kämpfen. Immerhin werde ich nicht alle Tage entführt und in finstere Keller gesperrt«, scherzte sie trocken. Die versuchte Vergewaltigung würde sie mal außen vor lassen, schließlich war sie auf dem besten Wege der totalen Verdrängung und hatte nicht mehr andauernd diese Bilder im Kopf. Nicht, seit Teddy durch Savior hingerichtet worden war. Sie schüttelte sich leicht.

Damians Miene verdüsterte sich und er blickte sich verstohlen nach allen Seiten um. »Habt ihr etwas von den Flüchtigen gehört?«

Ihr Körper spannte sich automatisch an. Er sprach in der Mehrzahl. Abby kannte lediglich Teddys Schicksal. Wen meinte er? Sie hatte angenommen, die gesamten Raiders wären tot.

Sie räusperte sich leise und strich sich eine Strähne hinter das Ohr. Ein nervöser Tick, wenn sie sich unwohl fühlte. »Nein. Ich meine, keine Ahnung ob Savior irgendwas weiß, aber ich nicht.«

»Reden er und die anderen nicht mit dir über diese Dinge? Das ist egoistisch, schließlich geht es dabei auch um dich.«

Unbehaglich trat sie von einem Fuß auf den anderen. Sie wollte nicht über das Thema reden. Nicht heute und niemals sonst, schon gar nicht in einem Shopping-Center, wo jeder Vorbeilaufende ihr Gespräch mithören könnte. »Ich bin nicht mehr bei den Sinners, sondern wieder zuhause.«

Damians Augen weiteten sich überrascht. Und doch hatte sie das Gefühl, als wäre es gespielt. »Tatsächlich? Wie kommt das?«

Abby stieß die Luft aus. »Ich bin gegangen.«

Er lächelte sie erleichtert an. »Das freut mich zu hören. Zum Glück hast du die Kurve noch bekommen. Savior ist ein Arschloch, das die Frauen in seiner Nähe kaputt spielt und sich munter die nächste sucht. Das hat er schon immer gemacht. Pam ist nur ein weiteres Beispiel seiner Gefühllosigkeit.«

Hatte Savior das mit Abby getan – sie kaputt gespielt? Entschuldigend sah sie Damian an. Darüber wollte sie keineswegs auch nur nachdenken. »Dazu kann ich nichts sagen. Eigentlich möchte ich weder über ihn noch über die Sinners reden.«

»Verständlich. Aber wer passt jetzt auf dich auf, wo doch das Raiders Führungsregime und Teddy spurlos verschwunden sind?«


Savior beobachtete die Bauarbeiter, die gestern die Mauer eingerissen hatten und nun dabei waren, eine neue ein Stück weiter nach hinten versetzt wiederaufzubauen. Der Vorarbeiter hatte zwei Wochen eingeplant. Savior war das nur recht, er hatte ungern fremde Menschen auf seinem Gelände, obwohl er gutes Geld dafür bezahlte, dass alles verschwiegen behandelt wurde, was das Team hier zu sehen bekam. Gleichzeitig fragte er sich, warum er diesem Unsinn nicht Einhalt gebot und alles abblies. Abby war schließlich nicht mehr hier, um etwas von den Veränderungen auf dem Gelände zu haben. So ein Scheiß. Er tat etwas für eine Frau, die es nicht mal mitbekommen würde. Kein Wunder, dass ihn alle für eine Pussy hielten, wenn er sich wie eine benahm.

Zurück in seinem Büro ging er die aktuelle Mitgliederliste durch. Er verglich sie mit den Zahlungen an den Club und welchen Nutzen die jeweiligen Personen hatten. Bei einigen war er sich nicht mal mehr gewiss, wann er sie das letzte Mal gesehen hatte. Er notierte sich ein paar Namen auf einem Blatt Papier, später würde er mit seinem Vize Thug darüber sprechen. Wenn er der gleichen Meinung war, wurde es allmählich Zeit, den Club wieder mit harter Hand zu führen. Erst würde er den Bestand der Mitglieder dezimieren, anschließend offiziell die Geschäfte der Raiders übernehmen und schließlich neue Mitglieder rekrutieren.

Bei der Durchsuchung des Raiders Geländes hatten sie einige interessante Unterlagen gefunden. Nach und nach hatte Cutter die Verbindungen herstellen können. Die Geschäfte seiner Feinde gingen tiefer, als er zunächst angenommen hatte. Francine war eine ausgezeichnete Geschäftsfrau gewesen. Sid, der alte Boss der Raiders, hätte etwas Derartiges nie auf die Reihe bekommen. Deshalb waren sie auch immer nur die Nummer Zwei gewesen. Anscheinend hatte sie schon an den Geschäften gearbeitet, bevor Sid offiziell abgedankt hatte. Weltweiter Menschenhandel und eine Firma in der Pornoindustrie baute niemand in nur sechs Monaten auf.

Savior grinste. Zu schade, dass Francine davon nichts mehr haben würde. Die Konten hatten sie geleert und die Läden der Raiders waren nun in den Besitz der Sinners übergegangen.

Finanziell gesehen ging, es seinem Club richtig gut. Sie konnten größere Investitionen einkalkulieren und Gelder in Immobilien anlegen. Er hatte schon einen genauen Plan vor Augen. Doch vorher musste er sich noch um die Bordelle der Raiders kümmern. Die Frauen dort waren verängstigt und misstrauisch. Er musste herausfinden, was dort alles vorgefallen war – obwohl er es sich bereits vorstellen konnte, wenn er an Crude, dem ewigen Vize der Raiders, dachte.

Hailey saß in Thugs Büro auf einem der Sessel und las eine Zeitschrift. Sie sah auf, als er eintrat.

»Was machst du hier?«, wollte er wissen und blickte sich suchend nach seinem Vize um.

»Ich warte auf Thug. Und du?« Sie legte die Zeitschrift auf den Tisch.

»Eigentlich wollte ich mit ihm zu den neuen Bordellen fahren. Wo ist er?«

Hailey verzog das Gesicht. »Cassy zum Arzt bringen. Er nimmt seine Rolle sehr ernst.« Ein vorwurfsvoller Blick traf Savior.

Stimmt – er hatte Thug angewiesen, auf Cassy acht zu geben und ihm erklärt, ihn für alles zur Verantwortung zu ziehen, was seine Schwester anstellte.

»Er hat es sich selbst ausgesucht. Willst du mitkommen? Ich glaube, es wird leichter, wenn ich eine Frau dabeihabe. So siehst du auch gleich deine zukünftigen Arbeitsbereiche.«

»Ich habe nachher ein Treffen mit Tony. Er will mir ein Angebot unterbreiten, wie er Betreiber vom Triple D bleiben kann.«

Savior runzelte die Stirn. »Das ist völlig ausgeschlossen.«

»Och, das weiß ich. Aber ich möchte trotzdem gerne wissen, was er zu sagen hat.« Hailey zwinkerte ihn an. Für ihr Alter war sie ein taffes Mädchen. Savior hatte nach dem Mord an ihren Dad angenommen, es würde zu Spannungen zwischen ihnen kommen, aber weit gefehlt. Sie schien eher lockerer und gelöster zu sein. Ihre Loyalität ihm gegenüber kannte wirklich keine Grenzen, wofür er mehr als dankbar war.

»Sei vorsichtig, Kleines, der Kerl ist nicht astrein. Wäre mir lieber, du würdest jemanden mitnehmen.«

»Mach dir keinen Kopf, er würde sich im Leben nicht trauen mich anzurühren.«

»Na schön, aber du kommst im Anschluss gleich zu mir. Ich will wissen, wie sein Angebot aussieht. Irgendetwas sagt mir, dass er noch ein Ass im Ärmel hat.« Und Saviors Gefühl täuschte sich nur selten.


Das Herz pochte schmerzhaft in ihrer Brust und Abby starrte Damian panisch an. »Was meinst du damit, die sind verschwunden?« Sie waren doch tot!

»Weißt du das etwa nicht? Nachdem Savior und seine Leute bei den Raiders einmarschiert sind, konnten vier fliehen. Angeblich war es sogar Savior selbst gewesen, der Slender hat laufen lassen.«

»Das glaube ich nicht«, hauchte sie entsetzt und schüttelte ungläubig den Kopf. Warum sollte Savior diesen Typen einfach gehen lassen? Er stellte eine Gefahr dar. Das würde Savior nicht in Kauf nehmen, oder doch? Und was bedeutete das für sie? War sie noch in Gefahr oder hatte Savior das Problem gelöst, genau wie er es mit Teddy getan hatte?

»Geht es dir gut? Du siehst blass aus.«

»Ich muss nach Hause«, stammelte sie, griff ihre Taschen und rannte los, um das Einkaufszentrum zu verlassen. Damians Rufe ignorierte sie dabei gekonnt.

Sie achtete nicht auf den Weg oder die Menschen auf den Straßen. Abby hatte sich gar keine Gedanken um Francine und die anderen gemacht und war automatisch davon ausgegangen, dass Savior sich darum gekümmert hatte.

Wie naiv sie doch war!

Wie hatte sie sich nur auf jemand anderen verlassen können? Das sah ihr doch gar nicht ähnlich.

»Dad?«, rief sie beim Eintreten in das Haus und stellte ihre Taschen auf dem Boden ab. »Wir müssen auf der Stelle reden!«

Sie musste wissen, was der wahre Grund für seinen Umzug war und wieso es niemand für nötig gehalten hatte, ihr von den verschwundenen Personen zu erzählen. Immer wurde sie wie ein kleines Kind behandelt, aber damit war Schluss. Es ging genauso um ihr Leben, wie um das der anderen. Abby war nicht weniger wert. Auch wenn sie sich bitter eingestehen musste, dass die Sinners bei Savior nun mal über jedem standen.

Sie stieß die Tür zur Küche auf und blieb wie erstarrt stehen. Ihr Dad saß mit Cutter und Dom ganz harmonisch zusammen, eine Kanne Kaffee und Kekse auf dem Tisch. Das war ein Anblick, mit dem sie im Leben nicht gerechnet hätte. Was sie natürlich sogleich misstrauisch machte.

»Hey Krümel, du hast Besuch.«

»Das sehe ich. Was macht ihr hier?«

Cutter grinste. Er sah noch leicht lädiert aus, sein Schneidezahn war jedoch ersetzt worden. Nur wer genau hinsah, konnte den Farbunterschied zwischen den Zähnen erkennen. Für Abby blieb er trotzdem eine Augenweide.

»Das mit der freundlichen Begrüßung üben wir aber noch mal, Süße.«

»Stimmt. Entschuldige.« Sie umarmte die beiden Männer und setzte sich zu ihnen an den Tisch.

Ihr Dad stand auf und verabschiedete sich.

Abby freute sich ehrlich, Dom und Cutter zu sehen, glaubte aber nicht daran, dass sie nur zufällig in der Gegend waren und nach ihr schauen wollten.

»Wir wollten sehen, wie es dir geht.« Dom knabberte an einem Schokokeks. »Immerhin haben wir schon seit Wochen nichts mehr von dir gehört.«

Der Vorwurf traf sie hart. Sie hatte angenommen, dass die Jungs nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten, nachdem sie einfach gegangen war. »Ich war beschäftigt und der Meinung, ihr würdet keinen Kontakt mehr wollen. Aber ich habe ein paar Mal mit Hailey telefoniert.«

»Bullshit! Du bist doch eine von uns. Hailey hat davon gar nichts erzählt. Oder wusstest du davon?« Dom sah Cutter fragend an.

»Wir hatten nicht viel Kontakt in letzter Zeit.«

»Redet ihr immer noch nicht miteinander?« Abby seufzte. »Das ist doch langsam albern. Ihr seid beste Freunde – wie Pech und Schwefel und so weiter.«

»Hailey war ständig unterwegs und ich auch. Ende vom Lied. Erzähl mir mal lieber, warum du einfach abgehauen bist!«

Abby kaute innen auf ihrer Wange herum. Das war ein Thema, über das sie nicht reden wollte. Also zuckte sie einfach nur mit den Schultern und musterte die Fliesen auf dem Küchenboden.

»Wie geht es denn Cassy?«, fragte sie stattdessen und sah unverwandt Dom an, von dem sie hoffte, er würde sie nicht mit bohrenden Fragen nerven.

»Ganz gut, ihr Bauch wächst und Thug fährt sie regelmäßig zu den Arztterminen. Sie zickt immer noch oft herum, die meisten gehen ihr aus dem Weg.«

Cutter schnaubte. »Für mich ist immer noch unbegreiflich, wie jemand überhaupt auf die Idee kommen konnte, sie zu ficken.«

»Sie ist schon heiß, dagegen kann nichts gesagt werden«, warf Abby ein.

»Ihr Charakter macht sie hässlich.«

»Was ist denn mit ihrem Verlobten, kann der sie nicht fahren?«

Dom und Cutter tauschten einen kurzen Blick. Dom antwortete: »Der ist wohl noch im Haus von Savior und darf das Gelände vom Club nicht betreten. Kontakt zu Cassy hat er anscheinend auch nicht.«

»Wieso denn das? Er ist immerhin der Vater des Kindes, da sollte er seine Verlobte schon zum Arzt fahren und besuchen dürfen.« Ihr fiel noch etwas anderes ein und sie äußerte süßlich: »Die Gefahr ist doch gebannt, warum kann sie nicht zurück ins Haus?«

Wieder wurden Blicke getauscht.

Cutter räusperte sich. »Das entspricht leider nicht ganz der Wahrheit, Süße.«

»Krümel?«, rief plötzlich ihr Dad. »Hier ist Besuch für dich.«

Auf einmal raste ihr Herz. War Savior gekommen? Warum sonst sollte ihr Dad jemanden ankündigen? Sie befeuchtete sich die Lippen und stand auf. Lagen ihre Haare oder sah sie wie eine Vogelscheuche aus? Weshalb hing hier kein Spiegel?

Abby zauberte ein kleines Lächeln in ihr Gesicht … das prompt in sich zusammenfiel, als sie sah, wer durch die Tür kam.

»Was will der denn hier?«, knurrte Dom.

»Ich bringe Abby nur ihre Unterwäsche. Die hat sie vorhin vergessen.« Damian hielt eine kleine Tüte hoch und schwenkte sie siegesgewiss am Zeigefinger.

Dom zog sein Smartphone aus der Hosentasche. »Was gibt’s, Boss?« Er gab ein paar zustimmende Geräusche von sich. »Ich bin mit Cutter unterwegs. Geht klar, ich setze ihn dort ab und komme im Anschluss zu dir.« Er beendete das Gespräch und sagte zu Cutter: »Auf geht’s, Prinzessin. Du sollst ins Triple D und ich muss in eins der neuen Laufhäuser.«

Abby kniff die Lippen fest zusammen. Warum war Savior in einem Bordell? Ihr wurde schlecht. Trotzdem lächelte sie tapfer, während die beiden Männer sich verabschiedeten.

»Savior ruft springen, und alle fragen wie hoch«, spottete Damian, setzte sich wie selbstverständlich an den Tisch und mampfte ihre Kekse auf.

Dabei wäre sie mit ihrem Selbstmitleid jetzt viel lieber alleine gewesen.

Sinner City

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