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Asmara, 12. Februar 2020

Eine wohlmeinende Seele hat mir zur Vorbereitung dieser Reise einen Artikel aus einer deutschen Tageszeitung und dem vergangenen Jahr, also 2019, zugeschickt. Der Autor berichtet darin von seinem kürzlich absolvierten Besuch in Asmara und den vorgeblich wenigen vorhandenen Fahrzeugen, die außerdem überwiegend und bestenfalls aus den frühen Siebzigerjahren stammen sollen. Er beschreibt alle Geschäfte als staatlich gelenkt, beklagt bitterlich gefühlte einhundert Prozent nicht funktionierende Telefonzellen und damit die Unmöglichkeit Auslandstelefonate zu führen und außerdem ein vollständiges Fehlen von Geldautomaten. Insgesamt entwirft er in seiner Reportage über Eritrea das Bild eines afrikanischen Kubas, in welchem ein Land durch mutwillige sozialistische Regierungsprinzipien sein Humankapital und seine wirtschaftlichen Möglichkeiten auf Verschleiß fährt, damit das tägliche Leben zum Stillstand verurteilt und so eine fortschreitende Verelendung seiner Bevölkerung verschuldet.

Ich kann diese Beschreibungen der äußeren Lebensumstände bisher so nicht bestätigen. In dem Asmara, das ich gerade erlebe, fahren viele Autos westlicher, überwiegend japanischer oder europäischer Herkunft und mehrheitlich aus den letzten zwanzig, dreißig Jahren beziehungsweise deutlich jüngeren Alters durch die Straßen. Die bisher besuchten Geschäfte sind ausnahmslos in privater Hand und werden häufig als Familienbetriebe geführt und die überall zu findenden Telefonzellen sind tatsächlich öfter nicht mehr intakt, was aber im Wesentlichen daran liegt, dass die meisten Menschen hier moderne internetfähige Mobiltelefone besitzen und Telefonzellen, wie bei uns auch, kaum noch benötigt werden.


Plakat auf einer Hauswand in Asmara

Wenn man tatsächlich ein Auslandsgespräch führen möchte, kauft man sich einfach eine Telefonkarte und benutzt eine Fernsprechzelle in einer der zahlreichen und überall zu findenden Eritel-Dependancen. Weiß ich genau, worüber ich da spreche? Aber ja. Aus akuten familiären Gründen rufe ich einmal am Tag in Deutschland an. Und das funktioniert ganz wunderbar. Es ist also keinesfalls so, als wäre man in Eritrea vom Rest der Welt abgeschnitten, wie es der Journalist in seinem Artikel insinuiert.

Auch Einkaufen in Asmara ist relativ leicht. Es gibt zum einen viele kleine Lebensmittelgeschäfte, die überwiegend Importartikel aus Italien zu bemerkenswerten Preisen führen. In der Nähe des ‚Mercatos‘, einer Markthalle aus italienischer Zeit mit europäischen Obst- und Gemüsesorten findet man zudem Fachgeschäfte mit original italienischen Käsesorten, Spirituosenläden mit gut sortierten Angeboten italienischer Rotund Weißweine und sogar eine Kaffeerösterei, die mit beeindruckenden und hervorragend instand gehaltenen Maschinen aus der Kolonialzeit ihr Angebot produziert. Die Preise für all diese Delikatessen sind für hiesige Verhältnisse abenteuerlich hoch, aber offenbar gibt es eine Klientel, die damit ihre kulinarischen Bedürfnisse befriedigt.

Neben diesem Spezialangebot für Exilitaliener und betuchte Eritreer findet man überall in der Stadt kleine Läden mit Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Hygieneartikeln sowie Getränken und zuweilen auch Spirituosen. Auf dem riesigen Zentralmarkt in der Nähe eines der Busbahnhöfe wird Getreide, Obst und Gemüse verkauft, das für die durchschnittliche Bevölkerung erschwinglich scheint. Zurzeit wirkt das Angebot auf diesem Markt mehr als ausreichend, inwieweit es aus heimischer Produktion stammt oder es sich hierbei um

Importe handelt, ist für den Außenstehenden jedoch nicht erkennbar.

Für die Grundversorgung gibt es darüber hinaus Läden, die von der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PFDJ) betrieben werden. Hier können gegen Coupons, die staatlicherseits an Bedürftige ausgegeben werden, verbilligt und mengenmäßig limitiert Nahrungsmittel für den täglichen Bedarf eingekauft werden. Das System ist nicht als eine Methode der Rationierung zu verstehen. Jenseits der Coupons können alle hier ausgegebenen Waren woanders problemlos zum regulären Marktpreis gekauft werden. Das verbilligte Angebot der PFDJ-Geschäfte dient vielmehr als Unterstützungsmaßnahme, um bedürftigen Menschen den Zugang zu Nahrung und Artikeln des täglichen Verbrauchs, wie zum Beispiel Seife zu gewährleisten.

Abgefülltes Trinkwasser ist im Gegensatz dazu ein kostspieliges Verbrauchsgut. Die Literflasche kostet zwischen umgerechnet 1,20 und 1,50 Euro und ist somit für Teile der einheimischen Bevölkerung wahrscheinlich unerschwinglich. Die Etikettierung der Flaschen weist das Wasser als heimisches Produkt aus. Im Internet finden sich jedoch auch Hinweise, dass Trinkwasser zumeist aus verschiedenen Nachbarländern importiert wird. _

Überall in der Innenstadt findet man öffentliche Büchereien. Sie sind gut besucht, oft sitzen Schüler und Studenten an den Arbeitstischen und schreiben Hausarbeiten(?) auf ihren mitgebrachten Laptops. Daneben stehen Leseecken mit Tageszeitungen zur Verfügung, die für europäische Verhältnisse allerdings dünn ausgestattet sind, denn sie bieten fast ausschließlich die tigrynische Ausgabe von ‚Eritrea Profile‘ an, einer zweimal wöchentlich erscheinenden, sieben Seiten starken und mit überwiegend harmlosen Themen, wie der Eröffnung einer neuen Schule oder eines Krankenhauses auf dem Land, bestückten Zeitung.

Die Bibliotheken offerieren insgesamt weniger Belletristik, denn vielmehr Fach- und Sachbücher zu diversen wissenschaftlichen Themen, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Naturwissenschaften oder technischen Fachbereichen. In den geisteswissenschaftlichen Abteilungen dominieren Werke zur Geschichte ohne ausmachbaren Schwerpunkt. Und je nachdem in welcher Filiale dieser dezentralen Stadtbücherei man sich gerade aufhält, findet man vielleicht auch ein paar Regalbretter mit einem kleinen Angebot englisch- oder französischsprachiger Literatur. Der komplette Bestand aller Stadtteilbibliotheken setzt sich nach Auskunft des Personals fast vollständig aus Geschenken von Unternehmen und Privatpersonen zusammen. Die wahllos und unsortiert gespendeten Bücher werden von der zentralen Büchereileitung begutachtet und nach entsprechender Bewertung gegebenenfalls in den Bestand aufgenommen. Ob es darüber hinaus einen Ankaufetat gibt, ist nicht zu erfahren. _

Auf meinen bisherigen Wanderungen durch die Stadt sind mir neben den Stadtteilbüchereien zwei weitere Leseoasen begegnet, die aus unterschiedlichen Gründen nicht unerwähnt bleiben sollen. Zum einen ist dies die kleine Bibliothek der Deutsch-Eritreischen-Gesellschaft, eines Vereins, der sich die Verständigung zwischen beiden Ländern auf sprachlicher, kultureller und wirtschaftlicher Ebene zur Aufgabe gemacht hat. Hierfür werden unter anderem deutsche Sprachkurse angeboten, bisher in einem geringeren Umfang, aber für die Zukunft mit dem festen Vorsatz, den Lehrplan zu erweitern.


Zeitungslektüre in der Albergo Italia


Stadtbücherei, Asmara

Um Barrieren und Berührungsängste abzubauen ist die Bibliothek der Gesellschaft für jedermann frei zugänglich, ihr Bestand wurde allerdings bis dato ausschließlich mit Buchspenden aufgebaut und präsentiert entsprechend ein ziemliches Sammelsurium. Und auch der Umstand, dass die einzige Bibliothekarin kein Deutsch spricht, macht die Angelegenheit nicht übersichtlicher.

Die Mitglieder der Gesellschaft sind Menschen mit unterschiedlichen Ansprüchen, Ansätzen und Herkünften. Manche haben Familie in Deutschland, manche pflegen intensive Geschäftskontakte dorthin. Besonders interessant ist ein kleiner Anteil eritreischer Rückkehrer, die nach Jahren in Deutschland mit einem komfortablen Leben und einer gesicherten Existenz, in ihr Heimatland zurückkehrt sind und sich hier nun im Rahmen ihrer persönlichen und der politischen Möglichkeiten engagieren. _

Ein besonderes perlentaucherisches Lektürekleinod zur eritreischen Zeitgeschichte ist zudem ein Zeitungsarchiv in der ‚Albergo Italia‘, einem kleinen Luxushotel in der Innenstadt von Asmara. Bisher konnte mir niemand erklären, wie es zu dieser vollständig erhaltenen Sammlung Dutzender Jahrgänge, englisch- und italienischsprachiger, zwischen 1930 und 1965 in Eritrea erschienenen, Tageszeitungen gekommen ist. Aber es gibt sie und man kann samstags und montags ohne Einschränkungen nach kurzer Anmeldung an der Rezeption das Archiv im Hotel besuchen und dort stundenlang schmökern. _

In dem Büro der Tourismusverwaltung gegenüber der Kathedrale auf der Harnet Avenue gehe ich inzwischen regelmäßig ein und aus und kenne die meisten MitarbeiterInnen. Dort habe ich vor zwei Tagen auch die Bekanntschaft mit zwei

Deutschen gemacht, die überlegten ein Auto zu mieten und sich zu einer ca. hundertfünfzig Kilometer von Asmara gelegenen Ausgrabungsstätte fahren zu lassen. Wir besprachen, dass ich mich dieser Exkursion eventuell anschließe und unbeschadet ob die Verabredung nächste Woche zustande kommt oder nicht, habe ich schon einmal damit begonnen, diese Ausfahrt administrativ vorzubereiten.

Für Besuche der gar nicht so wenigen Ausgrabungsstätten auf dem Staatsgebiet von Eritrea, benötigt man neben der bereits bekannten Reisepermission zusätzlich eine Bescheinigung des ‚National Museums‘, wobei man letztere nur bekommt, wenn man erstere schon in Händen hält. Ich verpasse vormittags die Öffnungszeit des Tourismusbüros um drei Minuten, reiche meinen Antrag also nach der Mittagspause ein und bekomme die Auskunft, ich könne die Permission um vier Uhr nachmittags abholen. Um vier empfängt man mich mit großem Bedauern und erklärt, leider sei die Bescheinigung erst am kommenden Montag fertig, ich hätte dann aber immer noch genug Zeit, beim Museum vorbeizugehen, um mir den zweiten Zettel ausstellen zu lassen, bevor der geplante Ausflug dienstags beginne. Ich widerspreche diesem Vorschlag mit dem Hinweis, dass montags auf der ganzen Welt die Museen geschlossen seien und obzwar der Büroleiter der Tourismusbehörde behauptet, hier in Eritrea sei das anders, telefoniert er in der Angelegenheit doch noch einmal und fünf Minuten später halte ich die ausgefüllte und gestempelte Reiseerlaubnis seiner Behörde in der Hand. Nein. Man muss das alles nicht verstehen. Aber man darf sich gerne darüber freuen, dass am Ende zumindest auf dieser Ebene bisher doch immer alles zu klappen scheint, was man im Gegensatz dazu über den Ausflug mit den beiden Deutschen nicht sagen kann. —

ERITREA

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