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5. Nora

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Sie war sich nicht sicher, was sie getrunken hatte und vor allem wie viel, bevor sie für diesen Irrsinn unterschrieben hatte. Wie kamen eigentlich die Verantwortlichen beim Fernsehsender auf die Idee, ihre Show auf Europatour zu schicken?

Soweit sie wusste, wurde ihre Sendung ohnehin weltweit ausgestrahlt und bisher waren die Kandidaten aus dem Ausland immer angereist. Menschen aus den USA, aus Spanien, aus Israel und Deutschland. Sogar aus Japan kamen sie zu ihr. Nicht umgekehrt.

Wieso änderte der Sender also auf einmal ein Konzept, das bisher immer aufgegangen war? Sie verstand es nicht.

»Nora, das wird großartig«, hatten sie gesagt. »Du wirst neue Orte und neue Menschen kennenlernen«, hatten sie gesagt. »Es wird dir viel Spaß machen, du wirst schon sehen!«

Was sie sah, waren dieselben Fernsehstudios mit demselben aus Moskau mitgebrachten Personal, das sie auch in Ostankino umsorgte und an das sie schon gewöhnt war. Mit Kulissen, die so naturgetreu versuchten, ihr Originalset nachzubauen, dass sie bis auf Kleinigkeiten gar keinen Unterschied feststellte. Oder man hatte einen Teil der Originalkulissen eingeflogen – so genau wusste sie es auch nicht.

Und Arbeit im Akkord. Das Einzige, woran Nora erkannte, dass sie nun in Frankfurt drehten und nicht mehr in Moskau oder wie vor einigen Tagen während dieser vermaledeiten Tour in Berlin, war der unvermeidliche Flug zwischen den einzelnen Städten.

Das würde sich auch auf den folgenden Stationen ihrer Europatour nicht ändern. Paris, London, Lissabon. Und Tel-Aviv, das streng genommen gar nicht zu Europa gehörte, aber wer fragte sie schon?

Sie würde von all den Städten nur die Flughäfen und Hotels sehen. Und eben die unvermeidlichen Fernsehstudios.

Gelangweilt las sie sich die vier ausgefüllten Interviewbögen durch, um sich vorzubereiten. Drei Bräute, ein Bräutigam.

Überraschend, dass in einer Stadt voller Banker und reicher Russen nur diese vier sich angemeldet hatten: Die Frauen allesamt Studentinnen aus der unaussprechlichen deutschen Großstadt. Er ein großer Geschäftsmann, deutlich älter als die Mädchen und ohne irgendwelche Sonderwünsche in Bezug auf das Alter und das Aussehen seiner Wunschkandidatin.

Ungewöhnlich. Normalerweise wollten so reiche Schnösel immer eine gebildete Blondine mit großem Busen und zwei Köpfe größer als sie selbst. Und am besten gerade frisch aus der Schule, alles über 25 galt bereits als zu alt.

Der hier wollte die große Liebe finden.

Ob Nora ihm das glauben sollte?

Sie las sich seine Lebensgeschichte durch und setzte den Vermerk »extra gemeine Fragen stellen« unter ihre Notizen. Erfahrungsgemäß hatten alle Kandidaten, die sowas behaupteten, in Wahrheit etwas zu verbergen und den Rechtschreibfehlern – und der krakeligen Schrift – zufolge war dieser hier beim Ausfüllen des Bogens nicht mehr ganz nüchtern gewesen. Das konnte eine lustige Sendung werden – zumindest für sie.

Noras Magen knurrte und sie stellte fest, dass die große Pralinenschachtel neben ihr auch schon leer war. Dabei hatte sie die heute erst vom Kameramann geschenkt bekommen. Hoffentlich bekamen weder ihr Ehemann noch ihr Diätberater mit, dass sie sich nicht ganz so strikt an den Ernährungsplan hielt, wie es von einer Fernsehmoderatorin ihres Ranges und ihrer Bedeutung erwartet wurde.

Wenn sie die Schachtel unauffällig verschwinden ließ, konnte sie außerdem auf gute Führung plädieren und sich so von ihrem Mann einen Kuchen erschleichen.

Allein beim Gedanken an das süße Gebäck knurrte ihr Magen noch heftiger, – aber sie konnte die Arbeit erst als beendet betrachten, wenn sie alle vier Anmeldebögen durchgearbeitet hatte.

Und anders als beim männliche Kandidaten waren die Bögen der drei Mädchen detailliert ausgefüllt. Für ihren Geschmack fast schon zu detailliert.

Nora seufzte. Immerhin war der Job gut bezahlt und brachte ihr Sendezeit ein. Auch wenn sie ihre zweite Fernsehshow vermisste. Dort hatte es wenigstens Kuchen gegeben.

Zarin Saltan

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