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Kapitel 4

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Kates Wohnung war leer. Einige Staubflocken wirbelten in den einfallenden Strahlen grünlich-gelben Lichts, das durch die Zweige der schottischen Fichte vor dem Wohnzimmerfenster drang. Kate stieg der schwache Geruch feuchter Erde in die Nase: Aimee hatte die Blumen gegossen. Sie lächelte. Dass Aimee nicht offiziell hier wohnte, wurde mehr und mehr zu einer Formsache.

Kate prüfte den Anrufbeantworter. Das Lämpchen blinkte nicht. Also musste Aimee die Nachricht über die Mordermittlung abgehört haben, die der Leiter der Bereitschaftspolizei heute Morgen auf Band gesprochen hatte.

Kate ging ins Schlafzimmer und streifte im Gehen das Pistolenhalfter und ihre Kleidung ab. Beim Anblick des ungemachten Bettes und der zerwühlten Kissen musste sie daran denken, wie Aimees dunkles Haar am Morgen auf dem Kissen gelegen hatte, wie die Kurven ihres Körpers sich sanft unter dem Laken abzeichneten. In schläfrigem Protest hatte sie es bis an die Ohren hochgezogen, als Kate aufgestanden war und ihr die wärmende Nähe ihres Körpers entzogen hatte.

Sie und Aimee hatten sich letzte Nacht geliebt, so wie jede Nacht, seit sie vor vier Wochen ein Liebespaar geworden waren. Kate war davon überzeugt, dass viel von Aimees Leidenschaft einfach jugendliche Vitalität war, so wie ihre eigene Lust viel mit dem Reiz des Neuen, mit Aimees überwältigender Schönheit und erotischer Ausstrahlung zu tun hatte. Sie schwelgte in der Erinnerung an die vergangene Nacht und dachte glücklich an die intimen Liebkosungen, mit denen Aimee sie geweckt hatte, an die neu erwachte Leidenschaft, mit der sie sich geliebt hatten …

Kate wandte sich entschlossen vom Bett ab.

Konzentrier dich gefälligst, rief sie sich zur Ordnung. Du denkst jetzt an Teddie Crawford und an sonst gar nichts. Wenn Kyle Jensen der Mörder von Teddie Crawford ist, bietet sich möglicherweise nur heute Abend die Gelegenheit, ihn zu überführen. Du musst genau rekonstruieren, was im Tradition passiert ist, und du musst dich so gut wie möglich vorbereiten. Keine Ablenkungen, klar?

Sie stopfte ihre ramponierte Kleidung in einen Plastikbeutel und schleuderte ihn in die hinterste Ecke des Kleiderschranks. Sie konnte plötzlich den Widerwillen nachempfinden, mit dem Burt Dayton auf jenen anderen Plastikbeutel reagiert hatte. Sie selbst bekam allmählich das Gefühl, dass von diesem Mord etwas Schleichendes, Schmutziges ausging – etwas, was sie noch nie zuvor empfunden hatte. Wenigstens befand sich diese andere Plastiktüte jetzt in der Obhut von Charlotte Mead. Die Untersuchungsergebnisse würden schon handfeste, unumstößliche Fakten liefern.

Sie drehte das Wasser so heiß auf, dass sie es gerade noch aushalten konnte, und ging unter die Dusche. Der Fliederduft von Aimees Duschgel weckte ihre Sinne stärker, als ihr lieb war. Während sie sich das Haar shampoonierte, ging sie im Kopf die Fakten dieses Mordfalls durch und suchte nach losen Enden. Sie hatte einige Beamte mit dem Auftrag losgeschickt, die Wohnungsnachbarn von Teddie Crawford zu befragen. Außerdem sollten sie mit Carl Jacoby, Teddie Crawfords Exfreund, sowie Margaret und Joe Crawford sprechen. Sie und Taylor würden als Nächstes das Malone’s aufsuchen. Das war im Moment alles, was sie tun konnte. Ihre nächste Aufgabe würde das Gespräch mit Kyle Jensen sein …

Sie trocknete sich eilig ab und warf dabei einen kurzen Blick in den beschlagenen Spiegel. Sie sollte sich die Pfunde, die sie seit ihrer intensiven Beziehung zu Aimee abgenommen hatte, lieber wieder anfuttern. In ihrem vierten Lebensjahrzehnt schien eine gewisse Fülligkeit besser zu ihrem Gardemaß von eins vierundsiebzig zu passen als die Magerkeit ihrer Jugend. Wie immer in der ersten Phase einer Mordermittlung hatte sie keinen Appetit und heute noch keinen Bissen zu sich genommen. Irgendeine Kleinigkeit musste sie sich jetzt aber reinzwingen – mit leerem Magen konnte kein Mensch vernünftig arbeiten.

Sie kaute auf einem Stück Käse herum, während sie sich etwas Frisches zum Anziehen heraussuchte. Etwas Seriöses, Respekteinflößendes wäre gut, vor allem für ihr Gespräch mit Kyle Jensen. Schwarze Hose, einfache weiße Bluse, schlichtes schwarzes Wolljackett. Sie hatte eben die Jacke über ihrem Pistolenhalfter zugeknöpft, als sie einen Schlüssel im Schloss hörte.

»Ich bin hier«, rief Kate. Sie ging ins Wohnzimmer, wo Aimee gerade ihre Lederjacke über eine Sessellehne warf. Kate bewunderte ihren Körper, der in Jeans und kastanienbraunem Pullover einfach atemberaubend aussah. Ob sie sich je an diese Schönheit gewöhnen würde?

»Ich muss mich beeilen«, sagte sie und ging zur Tür. Sie widerstand dem Wunsch, Aimee in die Arme zu schließen und sich für einen kurzen Moment ihrer Realität zu versichern. Aber das wäre eine allzu starke Ablenkung gewesen.

»Ich hab’s im Radio gehört.« Aimee verschränkte die Arme und rührte sich nicht von der Stelle, so als würde sie Kates Bedürfnis nach Distanz intuitiv spüren. »Du hast dich umgezogen«, bemerkte sie zutreffenderweise und ließ ihre blauvioletten Augen über Kates Körper wandern. »Dieser Mord ist ziemlich schlimm, nicht wahr?«

Aimee wusste inzwischen, dass Kate manchmal den zwanghaften Wunsch verspürte, ihre Kleidung während einer Mordermittlung zu wechseln. Kate war sich darüber im Klaren, dass Aimee sie bewunderte und ihre berufliche Tätigkeit mit fast so etwas wie Ehrfurcht betrachtete. Aber sie wusste auch, dass diese Ehrfurcht zum Teil auf derselben gruseligen Faszination beruhte, die einem Leichenbestatter entgegengebracht wurde. Was Kate ihr über die Mordfälle, vergangene und gegenwärtige, erzählte, war sozusagen antiseptisch. »Das Opfer wurde erstochen«, erklärte sie knapp, um Aimee – und sich selbst – zu schonen.

»Ja, ich weiß«, sagte Aimee und stopfte die Hände in ihre Jeanstaschen. »Der Tote war schwul, Jennifer hat ihn persönlich gekannt. Sie war mal in dem Restaurant, wie hieß es noch – Tradition

»Genau«, antwortete Kate. Jennifer und Cheryl, die Kate noch nicht kennengelernt hatte, waren Aimees Mitbewohnerinnen in der gemeinsamen Eigentumswohnung in Brentwood.

»Hast du schon jemanden verhaftet?«

»Wir haben einen Verdächtigen.«

»Kate, du musst diesen Schwulenticker kriegen.«

Schwulenticker. Irgendwie hatte sie den Mord an Teddie Crawford bisher nicht als einen Fall von Schwulenticken betrachtet.

Aimee fragte: »Kommst du heute Abend nach Hause?«

»Ich glaube schon. Wenn nicht, ruf ich dich an. Bleibst du hier?«

Aimees Blick wanderte über Kates Körper. Sie lächelte. »Worauf du Gift nehmen kannst.«

Kate verließ die Wohnung. Schwulenticker. Das Wort machte sie ganz krank. Sie unterdrückte das Gefühlschaos in ihrem Inneren. Später, wenn sie sich der Sache gewachsen fühlte, würde sie es exhumieren und einer gründlichen Untersuchung unterziehen.

Ihre Gedanken kehrten kurz zu Aimee zurück. Wenn sie nach Hause kam, würden sie sich lieben. Sie würde es brauchen.

Das Malone’s lag in der Nähe der Formosa Avenue und der früheren Samuel Goldwyn Filmstudios – jetzt Warner Hollywood Studios – an der östlichen Grenze von Hollywood und hob sich scharf von den daneben liegenden nichtssagenden Ladenfronten ab. Kate dachte im Stillen, dass die frischgestrichene weiße Hauswand eine wahre Herausforderung für das Heer von Graffitisprühern sein musste, die die Stadt mit ihren Bildern überzogen.

Im Innern der Bar, die mindestens dreimal so lang wie breit war, stieg ihr der übliche scharfe Biergeruch in die Nase. Aber das Lokal gefiel ihr. Es war gemütlich und ruhig, mit viel Atmosphäre, auch wenn an diesem Samstagnachmittag nur wenige Gäste da waren – drei Latinos, die stumm über einer Flasche Dos Equis zusammensaßen, ein dicker grauhaariger Mann, der an der Theke kauerte und fernsah, und ein junger Mann mit einem dichten Vorhang schwarzen Haars vor den Augen, der allein an einem Tisch saß und Zeitung las.

Der Barkeeper, ein schmächtiger Mann um die fünfzig, trug eine braune Lederschürze über einem Sporthemd und Freizeithosen. Aus dem kritischen Blick, mit dem er ihre Ausweise musterte, und dem vorsichtig neutralen Gesichtsausdruck schloss Kate, dass er in seinem Leben schon mehr als eine Dienstmarke gesehen hatte. Sie fragte: »Haben Sie letzte Nacht hier gearbeitet?«

»Sicher«, antwortete der Mann in reinstem Tenor. »Ich bin Jimmy Malone, dies ist meine Bar, wo sonst sollte ich also gewesen sein?«

So irisch wie Paddys Ferkel, dachte Kate und unterdrückte ein Lächeln. »Kennen Sie einen Mann namens Teddie Crawford?«

Die Reaktion war unverhüllte Überraschung: offener Mund und aufgerissene blaue Augen. Aber er hatte sich schnell wieder in der Gewalt. »Nicht dass ich wüsste.«

»Natürlich kennen Sie ihn«, sagte Kate ruhig. »Und Sie sollten mit uns darüber reden. Teddie Crawford ist letzte Nacht ermordet worden.«

Jimmy Malones Kiefer arbeitete einen Moment lautlos. »Teddie? Teddie?« Die Tenorstimme kletterte noch eine Oktave höher. Er schlug mit beiden Fäusten auf die Theke. Auf seinem Gesicht malte sich blankes Entsetzen ab. »Teddie ist tot? Gerade gestern war er noch hier.« Mit erstickter Stimme fragte er noch einmal: »Teddie ist tot?«

Kate registrierte, dass die Gäste sie zwar mit gespannter Neugier beobachteten, sonst aber keine verdächtigen Reaktionen zeigten. »Gehörte Teddie zu Ihren Stammkunden?«, fragte Kate.

Malone ging ans andere Ende der Theke, außer Hörweite der Gäste, Kate und Taylor folgten ihm.

»Halb und halb. Ein feiner Kerl. Ein ganz feiner Kerl.« Er schüttelte den Kopf, der Schock trieb ihm die Tränen in die Augen.

»Sie meinten, dass er gestern Abend hier war«, sagte Kate. »Erzählen Sie uns davon.«

Malone schüttelte den Kopf, als wollte er ihn klarbekommen. »Was soll ich Ihnen sagen? Er kam zusammen mit Gloria, sie saßen an einem Tisch mit einem Mann, den ich für Glorias neue Flamme hielt.«

»Warum?«, fragte Taylor.

»Teddie steht auf Godzilla-Typen. Seit er und Carl sich getrennt haben. Weiß Carl von der Sache?«

»Kommen viele Schwule in Ihre Kneipe?«, fragte Taylor.

Malone sah ihn an. »Ich frage nicht. Es interessiert mich auch nicht. Mir ist jeder willkommen. Sogar Sie.«

Kate, die am liebsten Beifall geklatscht hätte, grinste Malone an. »Und hat er hier gestern Abend einen Godzilla gefunden?«

»Ja, hat er. Das Übliche. Muskeln, Jeans, Haare, Lederjacke – Sie kennen den Typ.«

»Wie hieß dieser Godzilla?«

»Das weiß ich nicht.«

»Haben Sie ihn vorher schon mal gesehen?«

»Ja, ein paar Mal.«

»Wie lange verkehrt er schon in Ihrem Lokal?«

Der Barkeeper überlegte eine Weile. »Vielleicht seit einem Monat, sechs Wochen.«

»Dieser Godzilla, reißt er sich hier seine Typen auf?«, fragte Taylor.

»Ist mir nicht aufgefallen. Hier sind viele ältere Männer, sehr stille Typen. Deshalb geht das Aufreißen hier ziemlich unauffällig vor sich, wissen Sie.«

Manche ältere Schwule, das wusste Kate von Joe D’Amico, gingen in Lokale wie das Gold Coast oder das Gauntlet. Sie mochten keinen Trubel, mieden Diskos und Anmachkneipen wie das Rage oder Bars, wo man dauernd auf dem Präsentierteller stand, wie Micky’s oder Motherlode. Und die älteren, stillen Typen, die Jimmy Malone erwähnt hatte, verheimlichten zweifellos ihre Homosexualität und zogen daher gemischte Bars wie das Malone’s vor.

»Mr. Malone«, sagte Kate, »hat es hier in letzter Zeit Fälle von Schwulenticken gegeben?«

»Nennen Sie mich Jimmy. Nichts Aktenkundiges.« Er sah sie ernst an. »Die Männer reden davon.«

Sie nickte grimmig. Sie verstand, was er meinte. Männer, die ihre Homosexualität geheim hielten, gingen häufig nicht zur Polizei, wenn sie Opfer eines Schwulentickers wurden. Sie konnten es sich nicht leisten. Bars wie das Malone’s wären ein erstklassiges Jagdrevier für Schwulenticker. Sie sagte sanft: »Beschreiben Sie uns bitte den Godzilla.«

Kate machte sich Notizen, während Jimmy Malone eine Beschreibung lieferte, die in vielen Punkten mit der Schilderung übereinstimmte, die Gloria Gomez von dem Mann gegeben hatte, der gemeinsam mit Teddie Crawford das Lokal verlassen hatte. Sie musste an das Glas denken, das auf der Küchenzeile im Tradition gelegen hatte, und wagte einen Schuss ins Blaue. »Wir haben Informationen, dass hier mit Drogen gehandelt wird.«

»Ganz sicher nicht«, schnaubte er. »Was hat das nun wieder zu bedeuten?«

»Jimmy«, sagte sie und verlieh ihrem Ton mehr Festigkeit. »Mein Kollege und ich haben nicht das geringste Interesse daran, hier eine Drogenrazzia durchzuführen. Wirklich nicht. Wir ermitteln in einem Mordfall. Punktum. Aber wenn ich herausfinde, dass Sie Informationen zurückhalten, die für diesen Fall von Bedeutung sind, nagele ich Sie wegen Verdunkelung fest.«

Malone hob abwehrend die Hände. »Hören Sie, soweit ich weiß, hat hier noch niemand mit Drogen gehandelt. Niemand. Aber ich kann meine Augen nicht überall haben. Natürlich sitzen hier ab und zu Leute, die mit ihrem Bier ein paar Pillen runterspülen. Was soll ich dagegen tun? Wenn ich den Laden zumache und aufs Klo gehe, liegen überall leere Päckchen rum. Was soll ich dagegen tun?«

»Haben Sie gesehen, dass Teddie Crawford oder seine Begleiter irgendwas genommen haben?«

»Teddie und Gloria? Nie im Leben. Über die anderen kann ich nichts sagen.«

Taylor fragte: »Was das Klo angeht – sind Teddie oder Godzilla aufs Klo gegangen?«

»Ja«, antwortete Malone sofort. »Sie sind zusammen hingegangen.«

Kate nickte. Sie wusste von Maggie Schaeffer, der Besitzerin der Nightwood Bar, mit der sie inzwischen eng befreundet war, dass guten Barkeepern nichts entging. »Jimmy, bitte erzählen Sie uns, was Sie über Teddie Crawford wissen«, sagte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Ein Charmeur. Immer schrill gekleidet. Zu gutaussehend, aber man musste ihn einfach gern haben.« Jimmy Malones Augen wurden wieder feucht, als er weitersprach. »Er kam hier immer reingesprungen wie ein kleiner Kobold, unterhielt sich mit jedem, kannte jeden. Er hat einfach alle bezaubert. Ich kann nur sagen … also, ich hatte ihn einfach gern.«

»Danke, Jimmy.« Kate gab ihm ihre Karte. »Wenn Ihnen noch was einfällt, was uns vielleicht helfen könnte, rufen Sie mich bitte an.«

»Das mach ich«, sagte er traurig und steckte die Karte in seine Schürzentasche.

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