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Kapitel 3

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Vor Owen Sinclairs Wohnung warteten zwei Männer gelassen neben einer Bahre. Das Wort CORONER, in gelben Buchstaben auf den Rücken ihrer braunen Overalls genäht, wies sie als Mitarbeiter der Gerichtsmedizin aus. Als Kate und Taylor zum zweiten Mal an diesem Tag das Wohnzimmer von Owen Sinclair betraten, sah Kate aus den Augenwinkeln das Aufzucken von Blitzlichtern im Essalkoven – das visuelle Echo Shapiros, der von dort aus die Küche fotografierte. Baker, so vermutete sie, untersuchte wohl noch das Schlafzimmer am Ende des Flurs auf Fingerabdrücke.

Sie wandte sich an Taylor: »Schon irgendwelche Ideen bis jetzt?«

»Das wird der reinste Spaziergang«, meinte er.

Überrascht von dieser zuversichtlichen Einschätzung sah sie ihn an. »Wieso?«

»Paula hat uns doch eben alles auf dem Silbertablett präsentiert.« Taylors fröhliche Miene verfinsterte sich, während sein Blick durch das mit Hifi-Geräten vollgestopfte Zimmer wanderte. »Sinclairs gottverdammte Musik, dieser Wahnsinnskrach, den er Tag und Nacht veranstaltet hat –« Er zeigte in die Richtung des Tatorts im hinteren Schlafzimmer. »Das hätte der Mistkerl mal mit mir machen sollen – ich hätte die ganze verdammte Wohnung mit seiner Visage tapeziert! Er hat damit gerechnet, dass drei alte Damen ihm kein Härchen krümmen können. Nur dass er sich leider verrechnet hat – eine von ihnen hat rausgekriegt, wie sie ihn postwendend zur Hölle schicken konnte.«

Kate nickte zustimmend, nicht weil sie Taylors Hypothese für richtig hielt, sondern weil sie seine wütende Verachtung für den rücksichtslosen Quälgeist teilte, der Owen Sinclair zu Lebzeiten gewesen sein musste. »Ich möchte mal wissen, wer von unseren Leuten Mildreds Beschwerde entgegengenommen hat«, meinte sie.

Taylor zuckte nur die Achseln. »Beschwerden über Ruhestörung sind eine wahre Pest, Kate. Ich hab die Anrufe auch gehasst. Meistens Leute, die derart abgefüllt waren, dass sie dich ohne mit der Wimper zu zucken über den Haufen geschossen hätten. Ich kann mir gut vorstellen, dass unsere Leute die drei alten Damen für verschrobene alte Schachteln gehalten haben. Aber ich würde sagen, Paula wollte uns Sand in die Augen streuen, von wegen: Man bringt niemanden um, nur weil er laute Musik macht.« Um seiner Theorie den nötigen Nachdruck zu verleihen, klopfte Taylor mit dem Rücken seines Notizbuchs in arhythmischem Takt laut gegen einen großen staubbedeckten Lautsprecher. »Du kannst ein Hundefreund sein, aber lass den Köter nur lange genug bellen, dann wirst du ihn schließlich doch vergiften, um ihn zum Schweigen zu bringen.«

Kate nickte düster. Sie erinnerte sich an Fälle von Kindesmisshandlung, die sie im Jugenddezernat erlebt hatte – an die Täter, zumeist überlastete Mütter, die die Kontrolle über sich verloren hatten, weil ihre Babys unablässig geschrien hatten. Aber vorsätzlicher Mord war etwas anderes, und sich hinzusetzen, um genüsslich mit anzusehen, wie Owen Sinclair sich grausam zu Tode quälte, war vollends etwas anderes.

»Ed«, sagte sie, »die Handschellen, der Stuhl neben dem Bett –«

»Ja, ich weiß, Kate. Ich schätze, er hat eine der Frauen reingelassen, bevor ihm richtig schlecht wurde, und als er seine schlimmen Krämpfe bekam, war es das reinste Kinderspiel, ihm die Handschellen anzulegen und ihn langsam krepieren zu lassen. Ich schätze, wir können genauso gut richtig wie falsch liegen, was den Stuhl angeht, warum er da steht –«

»Vielleicht.« Aber ihr Instinkt sagte ihr, dass der Stuhl aus einem einzigen grausamen Grund neben dem Bett gestanden hatte. Mochte Taylor seine unwahrscheinliche Theorie hegen, sie würde nicht mit ihm streiten – jedenfalls jetzt noch nicht. Sie wusste nur zu gut, dass Taylor jedes Interesse an einem Fall verlor, sobald seine erste Begeisterung verpufft war und er nur noch im Schneckentempo die vorgeschriebenen bürokratischen Schritte absolvierte. Wenn sie ihn seine eigene Fährte aufnehmen ließ, würde sein Jagdeifer nicht so schnell nachlassen.

»Paula sagte, dass Sinclair mit den Schikanen anfing, als die Mietpreisbindung eingeführt wurde«, überlegte sie laut. »Das war, als – so um 1980 herum –« Sie brach entgeistert ab. »Ed, das ist acht Jahre her!«

Taylor stülpte seine fleischigen Lippen vor und zurück. »Acht Jahre chinesische Wasserfolter. Früher oder später werden wir eine der drei alten Damen einbuchten, das garantier ich dir, Kate.« Mit einem Ton, in dem eine gewisse Anerkennung mitschwang, räumte er ein: »Aber Paula, die Lady hat Stil.«

Zu viel Stil, um als heimtückische Mörderin in Frage zu kommen, wollte Kate gerade entgegnen, hielt sich aber zurück. Frauen töteten selten, aber sie töteten durchaus. Und die Leute, denen man es am wenigsten zutraute, waren manchmal die rabiatesten Mörder.

»Und diese Nichte von ihr«, fuhr Taylor fort. »Wirklich ein steiler Zahn.«

Kate sah ihn an.

»Eine echte zehn.«

Kate sortierte verwirrt ihre Eindrücke von Aimee Grant und versuchte sie mit diesen Klassifizierungen zu verbinden.

Taylor starrte sie mit unverhohlenem Erstaunen an. »Mein Gott«, stöhnte er schließlich erschöpft. »Ich meine, sie ist attraktiv.«

»Ach so, ich verstehe«, sagte Kate. Aber eigentlich hatte sie es nicht verstanden. Paula Grant hatte einen so starken Eindruck auf sie gemacht, dass sie nur noch eine verschwommene Vorstellung vom Aussehen der jüngeren Frau hatte.

Taylor zog seine blonden Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf. Kate sah ihn amüsiert an. Wie konnte sie – ausgerechnet sie – übersehen, welch atemberaubende Schönheit da ihren Weg gekreuzt hatte? Natürlich war das alles Teil von Taylors unausgesprochenem Wissen, dass sie eine Lesbe war. Und da er mit seinem Unbehagen bezüglich ihrer sexuellen Neigung nicht umgehen konnte, konnte er unmöglich verstehen, dass von diesen beiden Frauen Paula Grant diejenige war, die sie ungewöhnlich attraktiv fand.

Sie wandte sich von ihm ab und las noch mal in aller Ruhe ihre letzten Eintragungen über den Tatort durch. Vorhänge zugezogen und alle Fenster geschlossen, keine elektrischen Geräte in Betrieb außer dem Kühlschrank, das Licht war nur im Wohnzimmer angeschaltet und am Tatort selbst. Aschenbecher geleert, aber nicht ausgewischt. In der Küche deutete nichts auf eine kürzlich eingenommene oder vorbereitete Mahlzeit hin. Sinclair war mit Handschellen an sein Bett gefesselt worden, aber es gab keinerlei Anzeichen eines Kampfes.

Shapiro kroch inzwischen mit seiner blitzenden Kamera durchs Esszimmer, und Kate ging an ihm vorbei in die kleine Küche. Sie hatte bereits den kleinen Resopaltisch bemerkt, der dazugehörige rote Plastikstuhl passte zu dem Stuhl im Schlafzimmer. Kate inspizierte die Batterie von Schnapsflaschen, die auf einer Arbeitsplatte neben dem Kühlschrank stand. Ein Dreiviertelliter Cutty Sark-Scotch, noch ungeöffnet und ziemlich eingestaubt, zwei Flaschen Jim Beam, eine davon dreiviertel leer, außerdem eine ungeöffnete Flasche Harpers sowie eine halbleere 2-Liter-Flasche Ten High. Sinclair war also Bourbonfreund gewesen und der Ten High offenbar seine Lieblingsmarke. Aus der unverhohlenen Griffnähe von Gläsern und Eiswürfeln bei den Alkoholvorräten – und dem Sammelsurium benutzter Gläser am Tatort – schloss sie auf einen regelmäßigen, wenn nicht sogar starken Trinker. Aber ein Trinker, der anscheinend noch genug Verstand besessen hatte, um nicht im Bett zu rauchen: In seinem Schlafzimmer gab es weder Zigaretten noch Aschenbecher.

Als Taylor sich zu ihr gesellte, öffnete Kate mit Hilfe ihres Kugelschreibers den Schrank unter der angestoßenen und braunfleckigen Spüle. Neben Spülmitteln und Putzutensilien stand ein mit Plastikfolie ausgeschlagener Mülleimer. Er war leer. Offenbar hatte Sinclair – oder jemand anders – den Müll erst vor kurzem rausgebracht. An Taylor gewandt meinte Kate: »Wir müssen uns noch mal mit Hansen absprechen, sichergehen, dass er die Müllcontainer versiegelt hat.«

Sie öffnete weitere Schränke mit ihrem Stift. Neben Gläsern und Kaffeebechern stand ein Satz gelblicher Melmac-Teller, das Blumenmuster durch den langjährigen Gebrauch zerkratzt und verblichen. In einem weiteren Schrank befanden sich einige zerbeulte Töpfe und Pfannen, außerdem eine Reihe Dosengerichte, vornehmlich Suppen, Spaghetti, Bohnen und Dinty Moore Stew, einige Packungen Haferflocken, Ritz Cracker und Instantkaffee. Und drei weitere 2-Liter-Flaschen Ten High.

Taylor benutzte seinen eigenen Stift, um den angelaufenen Kühlschrank aufzuhebeln. Er enthielt eine halbvolle 2-Liter-Plastikflasche Wasser, ein Roggenbrot und drei Packungen Corned Beef, mehrere Ketchup-Flaschen, Senf, Mayonnaise, Gewürzgurken und vier Dosen Budweiser. Im Gefrierfach lagen vier Packungen Tiefkühlkost und ein durchsichtiger Plastikbeutel mit Eiswürfeln.

Kate fühlte sich deprimiert von diesem Raum – die typische Küche eines Menschen, der allein lebte und nicht auf seine Ernährung achtete. Die moderne, blitzende Küche in ihrer eigenen Wohnung war zwar weit besser ausgestattet als diese, aber die blanke Sterilität des Raums verbreitete dieselbe trostlose Atmosphäre.

»Raus hier«, knurrte Baker und stellte die riesige Gerätekiste mit seinen Fingerabdruck-Apparaturen auf dem Küchenfußboden ab.

»Wir haben nichts angerührt«, beteuerte Taylor.

»Raus hier«, wiederholte Baker nur und wandte den beiden seinen schmalen, schwarzbetuchten Rücken zu.

Taylor verließ den Raum, um mit Hansen über die Müllcontainer zu sprechen, und Kate ging in das hintere Schlafzimmer, wo Everson gerade seinen Arztkoffer zuklappte.

Die Leute von der Spurensicherung hatten ihre Arbeit abgeschlossen und alles für den Abtransport der Leiche vorbereitet. Auf dem Bett war die Stellung des gekrümmten Körpers mit den blutigen Augen mit Klebebändern nachgezogen worden, und die Handschellen, mit denen man Owen Sinclair an sein Totenbett gefesselt hatte, lagen in einem durchsichtigen Plastikbeutel neben ihm. Kate hob den Beutel an einem Zipfel hoch, um festzustellen, wie schwer er war. Die Handschellen waren leichter als ihre eigenen und schwarz. Sehr gut möglich, dass sich die Herkunft über die Artikelnummer zurückverfolgen ließ.

Sie ließ den Blick durchs Zimmer wandern. Alle Einrichtungsgegenstände waren mit grauem Fingerabdruckstaub bedeckt. Der rote Plastikstuhl und das Telefon waren verschwunden, wahrscheinlich eingepackt und in Bakers Transporter verstaut, um ins Labor gebracht zu werden. Man würde auf jeden Fall noch Fingerabdrücke von den Mietern und Mieterinnen nehmen müssen …

Everson hatte die Arme über der Brust verschränkt und beobachtete sie. Sie deutete auf das Bett. »Alles für Sie.«

»Frischfleisch für unseren freundlichen Wurstladen«, sagte er vergnügt. »Ich würde sagen, mit den Ergebnissen der Autopsie können Sie am Samstag rechnen.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer, um die Männer mit der Bahre hereinzurufen.

Die Benachrichtigung der nächsten Verwandten war jetzt das Wichtigste. Kate bat Baker, das vergilbte Lederadressbuch vom Fingerabdruckstaub zu befreien, damit sie es durchsehen konnte. Aber Sinclairs Eintragungen auf den mit Eselsohren versehenen Seiten waren mehr als rätselhaft – meist nur Vornamen und manchmal einfach Initialen mit einer Telefonnummer und nur gelegentlich einer Adresse. Die »S«-Seiten, von denen Kate sich eine Auflistung von Sinclairs Angehörigen erhofft hatte, waren herausgerissen, und zwar, nach der vergilbten, ausgefransten Abrisskante zu urteilen, schon vor längerer Zeit. Sie packte das Adressbuch in einen Plastikbeutel und markierte ihn als Beweismaterial.

Sie ging zurück ins Schlafzimmer mit der leeren Matratze, auf der das Klebeband die Umrisse der gekrümmten Leiche nachzeichnete, und beauftragte Taylor, Sinclairs Kleidung zu untersuchen. Sie selbst warf einen ersten prüfenden Blick in die drei Pappkartons, die hinter der Schiebetür des riesigen Kleiderschranks standen.

Die Kisten waren vollgestopft mit Andenken aus Sinclairs Leben, Hunderte von Fotografien, Briefen und Postkarten. Alben, vollgeklebt mit vergilbten Zeitungsausschnitten, die sich offenbar alle auf Filme bezogen, mit denen Sinclair zu tun gehabt hatte. Drei gebundene Kopien von Theaterstücken – der Autor Owen Charles Sinclair –, Vertragsurkunden über vor Jahrzehnten verkaufte Besitztümer, ein zerknitterter brauner Umschlag, der vier Sätze Scheidungspapiere von vier verschiedenen Frauen enthielt.

»Nichts«, verkündete Taylor, der die Polohemden und Shorts in der unteren Kommodenschublade durchwühlte.

»Es dauert Stunden, bis wir den Inhalt dieser Kisten gesichtet haben«, meinte Kate. »Sinclair ist so oft geschieden, dass man kaum sagen kann, wer seine nächsten Verwandten sind.«

»Ich würde sagen, wir finden mal heraus, was die Hausbesitzerin weiß«, schlug Taylor vor.

Hazel Turners steife, lila gefärbte Löckchen standen wie Korkenzieher von ihrem Kopf ab. Ihre blauen Augen musterten Kate mit pfeilscharfem Blick und hefteten sich dann auf ihren Ausweis. »Ein weiblicher Polizist«, polterte sie, als ob Taylors Körper keinen sichtbaren Raum einnehmen würde. In der einen leberfleckigen Hand eine Zigarette, die andere tief vergraben in der riesigen Tasche ihres marineblauen Morgenmantels, trat sie einen Schritt von der Türschwelle zurück. »Kommen Sie herein, meine Liebe. Sie auch«, fügte sie gnädig hinzu und bewies damit, dass ihr Taylors Existenz bewusst war.

Über die Gläser der stahlgefassten Brille hinweg, die tief auf ihrer langen dünnen Nase saß, musterte sie Kate noch immer mit prüfendem Blick. »Sie haben eine gute Größe für eine Polizistin. Sie sehen fähig aus.«

»Die Größe spielt keine so wichtige Rolle bei der Polizeiarbeit«, antwortete Kate höflich und dachte im Stillen, dass sie auf Hazel Turner einen besseren Eindruck gemacht hatte als auf Paula Grant.

Sie ließ ihren Blick durch das Wohnzimmer schweifen und fragte sich verwundert, ob es wohl mit den konfiszierten Besitztümern säumiger Mieter ausgestattet war. Es war vollgestopft mit Möbeln: Eine Couch und ein Zweiersofa, die schlecht zusammenpassten, waren mit vier verschiedenen Stühlen kombiniert. Auf fünf Tischen verteilt stand ein buntes Sortiment an Lampen, die schummeriges orangefarbenes Licht verbreiteten. Zu den weiteren Einrichtungsgegenständen zählten drei überquellende Zeitungsständer, eine vertrocknete Maispflanze und zwei laufende Fernseher mit abgedrehtem Ton, jeder auf einen anderen Kanal eingestellt. An den Wänden hing ein wildes Durcheinander düsterer Landschaftsbilder und englischer Jagdszenen. Vor dem Fenster bewachten zwei hüfthohe Porzellan-Labradore einen schwach erkennbaren Sekretär mit Rolllade, der unter einem weißen Papierberg begraben war – wahrscheinlich Unterlagen über das Beverly Malibu. Die Wohnung roch nach jahrzehntealtem Zigarettenrauch und Küchenmief, ein Dunstgemisch, das sich in die Wände eingegraben hatte wie Kohlenstaub in Hautporen.

Kate fragte: »Dürfen wir uns setzen, Ms. Turner?«

»Hazel, meine Liebe. Ich heiße Hazel.« Sie ließ sich in das goldfarbene Cordsofa sinken. »Was mich angeht«, fuhr sie fort, »hätte ich lieber eine schöne kräftige Polizistin wie Sie neben mir auf dem Sofa als irgendein dürres Zicklein. Oder«, fügte sie hinzu und schnippte etwas Asche in einen winzigen Porzellanaschenbecher, »als so einen Plumpatsch von Mann.«

Taylor steuerte einen blassgrauen Sessel an und zuckte erschreckt zurück, als plötzlich eine weiße Perserkatze aus den Polstertiefen hervorsprang und vor ihm auf dem Teppich landete. Die Katze warf Taylor einen entrüsteten Blick zu, richtete ihren gesträubten Schwanz kerzengerade in die Höhe und stolzierte hochmütig aus dem Zimmer.

»Sie dürfen Precious nicht böse sein«, erklärte Hazel. »Sie ist im Grunde ein herzensgutes Tier.«

Taylor wählte einen anderen Stuhl, dieser zur Abwechslung aus lackiertem Holz mit gepolsterter Sitzfläche, und ließ seine massige Gestalt behutsam darauf nieder. Kate setzte sich auf das apfelgrüne Zweiersofa und warf ihm einen teilnahmsvollen Blick zu. Bis jetzt war er von den Frauen in diesem Apartmenthaus nicht besonders nett behandelt worden.

»Seit Jerome nicht mehr ist, führt Precious hier das Zepter. Nun, sie hat sogar –«

»Ma’am«, unterbrach Taylor sie höflich, »wir müssen Ihnen –«

»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen«, sagte Hazel brüsk und ihre raue Stimme klang wie Sandpapier. Sie legte ihre Zigarette in den Aschenbecher und griff nach einer zugestöpselten kleinen Vase, die auf dem Couchtisch stand. Einen kurzen Moment lang umklammerte ihre Hand das leuchtend grüne und mit feinem Silberfiligran überzogene Gefäß und ließ es dann wieder los. »So ein fürchterlicher Schock …«

Kate sagte: »Wir haben gehört, dass Mr. Sinclair schon sehr lange hier wohnte. Kannten Sie ihn so gut, dass Sie uns vielleicht Auskunft über seine nächsten Verwandten geben können?«

»Tja, das ist eine wirklich gute Frage.« Sie schüttelte ihr lila gefärbtes Haupt. »Er hat einen Haufen Exfrauen und drei Töchter, eine oben im Norden – die haben sich hier bestimmt seit zehn Jahren nicht mehr blicken lassen. Sein jüngster Sohn war sein Augapfel, er hat Vietnam überlebt, kam zurück und starb kaum ein Jahr später an Darmkrebs. Mit vierundzwanzig Jahren, ist das nicht schrecklich?«

Das war also der junge Mann auf dem Foto in Owen Sinclairs Wohnung. »Wenn Sie uns vielleicht helfen könnten, wir müssen die Verwandten benach–«

»Nun, ich habe bereits einige Anrufe getätigt, gleich nachdem die Polizei eingetroffen war«, räumte Hazel ein. »Ich habe Vivian informiert, das war seine zweite Frau, die mit den Kindern, sie lebt in Hollywood. Und dann noch einige Freunde, die Owen und meinen Jerome aus früheren Zeiten kennen. Bei der Geschwindigkeit, mit der Neuigkeiten sich in dieser Stadt verbreiten, weiß es inzwischen ohnehin jeder.« Sie deutete auf die stummen, flimmernden Fernseher. »Sie sollten es lieber nicht daraus erfahren. Sie würden das Beverly Malibu erkennen, viele Leute in der Stadt wissen alles über das Beverly Malibu.«

Taylor warf Kate einen fragenden Blick zu. War Hazel Turner tatsächlich verrückt genug, um zu glauben, dass dieses gewöhnliche Gebäude sich in irgendeiner Weise von Hunderten ähnlichen Bauten in Los Angeles unterschied? Kate erinnerte sich an Hansens Bemerkung: »Sie hat ein ziemlich großes Mundwerk.« Diese Frau könnte sich als wahre Fundgrube an Informationen erweisen.

Kate nickte Hazel aufmunternd zu. »Wie hat Vivian die Nachricht aufgenommen?«, fragte sie, interessiert an dieser Exfrau, die Owen Sinclairs Tod gelassen genug aufnahm, um nicht schnurstracks zum weltberühmten Beverly Malibu zu eilen.

»Ich war wirklich schockiert.« Hazel rückte ihre Brille zurecht, passte ihren Gesichtsausdruck der Bedeutung ihrer Worte an und griff nach ihrer Zigarette. »Ich meine, man sollte den Toten doch zumindest ein bisschen Respekt entgegenbringen. Aber Vivian sagte, die Welt wäre ohne ihn ein besserer Ort. Es war ihr völlig egal, dass er tot ist. Und außerdem hatte sie ganz schön einen sitzen, das kann ich Ihnen sagen.«

»Könnten Sie uns Vivians Adresse und Telefonnummer geben?«, fragte Taylor, während er mehrere weiße Härchen von seiner Hose pflückte.

»Sie finden die Nummer problemlos dort, wo ich sie auch gefunden habe. Im Telefonbuch unter Vivian Sinclair, Mariposa, Hollywood. Aber sie hat seit Jahren nicht das Geringste mit ihm zu tun gehabt, falls Sie darauf hinauswollen. Und sie war heute unter Garantie nicht hier.« Hazels Stimme klang wie Kieselsteine, die von Wasser überspült werden. »Sagen Sie, ist es wahr, was Paula erzählt hat? Ich bin die Eigentümerin dieses Hauses, ich habe ein Recht, es zu erfahren. Sie sagte, man hätte Owen etwas Furchtbares angetan. Ist das wahr?«

Auf Kates Blick und stummes Kopfschütteln hin bewahrte Taylor sein Schweigen.

Kate warf Hazel Turner einen prüfenden Blick zu. Die Frau konnte nicht viel älter sein als Paula Grant. Wie unterschiedlich Menschen alterten … Paula wirkte jünger und um so vieles lebendiger … Doch was die möglichen Informationen anging, unterschied sich Hazel Turner in keiner Weise von Paula Grant, und ihre Kooperationsbereitschaft war von entscheidender Bedeutung.

»Wir werden Ihnen alles sagen, was wir können, Hazel.« Was sie jetzt erzählte, würde morgen sowieso in den Zeitungen stehen, wenn nicht schon in den Spätnachrichten kommen. Sie sah der Hausbesitzerin direkt in die Augen. »Mr. Sinclair ist allem Anschein nach einem Mord zum Opfer gefallen.« Die blauen Augen, die Kate ansahen, verloren an Schärfe, als wollte sie vor den Worten flüchten. »Es spricht alles dafür, dass er vergiftet wurde.«

Hazel fasste sich an die Kehle, als ob sie die Symptome an sich selbst spürte. Dann griff sie nach der zugestöpselten grünen Vase auf dem Couchtisch. »Jerome, hast du das gehört?« Sie hielt das Gefäß auf Armlänge von sich, starrte es durchdringend an und schüttelte es dann mit aller Kraft. »Hörst du, was in diesem unglückseligen Haus, in das du uns gebracht hast, geschehen ist? Siehst du nun, wohin es führt, wenn man sich nicht in Beverly Hills, sondern einen Steinwurf davon entfernt ansiedelt? In Beverly Hills wäre so etwas nicht passiert, und deine arme Witwe könnte anständige Mieten einnehmen und mit anständigen Leuten verkehren, und es gäbe anständige Straßen und eine anständige Polizei –« Sie brach ab und sah zu Kate. »Ich meine natürlich nicht Sie, meine Liebe.«

Taylor starrte Hazel an. In seinen Mundwinkeln begann es unkontrolliert zu zucken. Kate zwang sich, wieder Hazel und die silberverzierte Urne anzuschauen und ein ausdrucksloses Gesicht zu machen.

Verwirrt musterte sie die Urne. Nach ihrer Erfahrung war sie viel zu klein, um etwas anderes als die Asche eines Kindes zu enthalten. Sie räusperte sich und kehrte zum Thema der Exfrau zurück. »Sie sagen, Sie sind sicher, dass Vivian Sinclair heute nicht hier war. Wie können Sie so sicher sein?«

»Ich habe jeden gesehen, der das Haus betreten oder verlassen hat.« Hazel stellte die Urne auf den Couchtisch zurück und drückte ihre Zigarette aus. Sie wirkte plötzlich geschrumpft, ihr unförmiger Körper sank in dem marineblauen Morgenmantel zusammen, als wäre er durch die Wucht von Kates Enthüllungen eingefallen. »Von heute früh an bin ich die ganze Zeit zwischen meiner Wohnung und dem Gemeinschaftsraum hin- und hergelaufen, habe aufgeräumt und alles vorbereitet.« Ihre Stimme klang noch wässriger. »Ich sage Ihnen, ich habe jeden gesehen, der das Haus betreten oder verlassen hat.«

»Vielleicht ist jemand hereingekommen, ohne dass Sie es gehört haben«, wandte Taylor ein, »vielleicht, als Sie dahinten zu tun hatten?« Er deutete auf den dunklen, hinteren Teil der Wohnung.

Hazels Körper schnellte hoch. »Auch wenn ich jemanden nicht sehe, höre ich ihn. Ich lebe seit fünfunddreißig Jahren in dieser Wohnung, Mister Neunmalklug. Ich weiß, was in meinem Haus vorgeht. Da ist die kleine Kachel direkt unter der Eingangstür, die jedes Mal klappert, da ist die knarrende Diele, wenn jemand die Treppe hochgeht. Ich höre jeden, ob ich es will oder nicht.«

Und du willst es, dachte Kate. Und es ist ein Glück für uns, dass du es willst. Sie schlug eine neue Seite in ihrem Notizbuch auf. »Wir glauben Ihnen, Hazel. Würden Sie uns genau sagen, wen Sie gesehen haben und wann?«

»Nun, ich kann Ihnen sagen, wen ich gesehen habe. Aber das Wann ist nicht so einfach. Ich war beschäftigt, verstehen Sie? Lorraine ging früh aus dem Haus. Lorraine Rothberg. Cliffie Stone auch. Und Diane … wie heißt sie doch gleich? – sie ist neu hier – Diane Sweeney. Und dann Sue McFee. Dann kamen die beiden Söhne von Theo DeRosa mit ihrem Schmetterlingsnetz, um ihn abzuholen. Schließlich kreuzte dieses entzückende Mädchen auf, Paulas Nichte. Und dann –« Ihre winziger, lila geschminkter Mund spitzte sich missbilligend. »Dann dieser schwarze Klugscheißer, der Freund von Cyril.«

Kate machte sich hastig Notizen. »Wann hat Ihre Feier begonnen, Hazel?«

»Mittags, so gegen ein Uhr. Sue und Lorraine schauten kurz auf ein paar Minuten herein, bevor sie wegmussten. Dann kamen nach und nach die anderen.«

»Wann ist Mr. Sinclair gekommen?«

Hazel zog die Augenbrauen zusammen, schüttelte dann den Kopf. »Ich weiß es nicht mehr. Wissen Sie, ich war sehr beschäftigt, musste mich um alles kümmern.«

Kate verlagerte ihr Gewicht auf dem Zweiersofa und wappnete sich innerlich für ihre nächste Frage. »Was haben Sie auf Ihrer Feier serviert?«

»Ein schönes Stück Cheddarkäse und etwas ausgezeichnetes Corned Beef und Pastrami, frisch von Nate und Al, Kartoffelsalat, frisches Gemüse, dazu einen leckeren Dip, und natürlich meine besondere Spezialität, Weinpunsch nach altem Geheimrezept –«

Hazels Augen weiteten sich, und sie griff sich erneut an die Kehle, als ihr die volle Bedeutung von Kates Frage bewusst wurde. »Gift! Sie wollen doch nicht etwa sagen –«

Sie erhob sich von ihrem Sofa, marschierte durchs Wohnzimmer und entschwand in den hinteren Teil ihrer Wohnung.

»Um Himmels willen«, ließ Taylor sich vernehmen. »Was hat sie jetzt vor? Sich ein Gewehr beschaffen?« Er wechselte die Position, um besser an sein Pistolenhalfter an der Hüfte heranzukommen.

»Ich halte es für wahrscheinlicher, dass sie uns zwingen wird, etwas von dem übrig gebliebenen Essen zu probieren, um zu beweisen, dass es nicht vergiftet war«, meinte Kate grinsend. »Hör zu, Ed, wir müssen Vivian Sinclair anrufen und so schnell wie möglich die anderen Verwandten benachrichtigen.«

Hazel kam zurück und trug drei Urnen im Arm, die genauso aussahen wie die auf dem Couchtisch. Sie stellte sie mit einem energischen Ruck auf dem Tisch ab und gruppierte sie zu einem engen Viereck. »Also, Jerome, du hörst jetzt genau zu, was die beiden sagen und was du uns mit diesem unglückseligen Haus eingebrockt hast.«

»Hazel«, Kate wagte nicht, zu Taylor hinüberzusehen. Sie räusperte sich. »Enthalten alle diese Urnen die Asche Ihres verstorbenen Mannes?«

»Jede wertlose Flocke«, bestätigte sie grimmig.

Taylor starrte mit offenem Mund auf die Urnen. »Vier Stück?«

»Eine für hier. Eine fürs Schlafzimmer, eine fürs Esszimmer und eine fürs Bad. Ich war es leid, ihn immer von einem Zimmer ins andere zu tragen. Deshalb habe ich diese Vasen angeschafft und ihn auf vier Räume verteilt. Ich stelle ihn wieder zusammen, wenn wir Kriegsrat halten müssen.«

Taylor lehnte sich vor und sagte mit aller ihm zu Gebote stehenden Toleranz und Liebenswürdigkeit: »Hazel, wir wollen nichts weiter als herausfinden, was genau passiert ist und wie es passiert ist.«

Sie blitzte ihn an. »Sie denken, es war etwas mit meinem Essen!«

»Wenn das der Fall wäre«, fügte Kate nun ihrerseits beruhigend hinzu, »dann müssten auch andere als Mr. Sinclair davon betroffen sein. Aber wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Und ich möchte Sie eindringlich davor warnen, Hazel, irgendetwas von dem zu essen oder zu trinken, was von der Party übrig ist. Wir müssen vielleicht einiges davon im Labor untersuchen lassen.«

»Ich weiß, dass es nichts mit meinem Essen zu tun hat. Und ich weiß, wer heute hier war und wer nicht – und irgendwer von uns hat Owen diese schreckliche Sache angetan.« Sie zeigte mit ausgestrecktem Finger auf die grüne Urnenversammlung. »Jemand in diesem unglückseligen Haus, das du mir aufgezwungen hast, Jerome!« Der Finger richtete sich auf Kate. »Jemand in unserem Beverly Malibu hat es getan, und Sie finden besser ganz schnell heraus, wer es war. Ich führe ein anständiges –«

»Wissen Sie noch«, unterbrach Kate ihren Redestrom, »ob Mr. Sinclair auf der Party etwas gegessen hat?«

»Als hätte er seit einem Monat nichts mehr bekommen.« Über den Rand ihrer Brille hinweg warf sie Kate einen gekränkten Blick zu, lehnte sich zurück und zündete sich eine weitere Zigarette an. »Owen hatte einen überaus gesegneten Appetit – auf alles. Er brachte sogar seinen eigenen Bourbon mit runter, er sagte, mein Punsch hätte nicht genug Pep.« Spitz fügte sie hinzu: »Aber genug Pep, dass ich ihn immer für seine grässlichen Vierter-Juli-Partys zubereiten sollte.«

Ohne Taylor anzusehen, wusste Kate, dass er dasselbe dachte wie sie: Sie mussten unbedingt die offenen Schnapsflaschen in Owen Sinclairs Apartment einsammeln. Sie fragte: »Wann hat Mr. Sinclair die Feier wieder verlassen?«

Hazel runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht. Kann mich nicht erinnern.«

»Erinnern Sie sich noch, mit wem er sich längere Zeit unterhalten hat?«

»Nun … mit Dudley Kincaid. Die beiden fingen wie gewöhnlich einen Streit mit Parker an. Parker Thomas. Und mit Cyril Crane. Und ich glaube, Dorothy Brennan war auch darin verwickelt, aber wahrscheinlich hat sie nur zugehört, sie ist die Gutmütigkeit in Person.«

»Er hat nicht –« Kate schaute in ihre Notizen. »Nicht mit Mildred, Paula oder Maxine gestritten?«

Hazel warf einen forschenden Blick auf Kate und schüttelte den Kopf.

Angesichts dieser ungewohnten Zurückhaltung formulierte Kate vorsichtig: »Wir haben gehört, dass das Verhältnis zwischen Mr. Sinclair und diesen drei Frauen nicht besonders freundschaftlich war?«

Seufzend entgegnete Hazel: »Dann wissen Sie wohl Bescheid. Nicht besonders freundschaftlich ist eine sehr milde Umschreibung. Owen hatte etwas an sich, das einigen Leuten hier ziemlich auf die Nerven ging. Sie haben versucht, mich in ihre Streitigkeiten hineinzuziehen, aber ich wollte nichts damit zu tun haben. Owen lebt seit vielen Jahren hier … und schließlich sind wir alle erwachsene Menschen.« Sie wandte sich an die Urnen: »Jerome, hast du nicht immer gesagt, erwachsene Menschen sollten in der Lage sein, ihre Probleme selbst zu lösen?« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Kate zu. »Allen, denen es im Beverly Malibu nicht gefällt, steht es frei, hier auszuziehen. Das ist ihr gutes Recht. Und ich würde dann vielleicht nettere Mieter finden und außerdem eine etwas angemessenere Miete bekommen. Seit dieser Geißel, die sie Mietpreisbindung nennen –« Die blauen Augen funkelten vor Empörung. »Ich führe ein anständiges Haus. Ich verdiene es, anständige –«

Taylor war an der Reihe, sie zu unterbrechen. »Wer ist sonst noch mit ihm aneinandergeraten, außer Maxine, Mildred und Paula?«

Hazel ließ nur zögernd und mit offensichtlichem Bedauern von ihrer Entrüstung ab. »Nun … Cyril. Und Lorraine, aber sie war heute nicht da. Und Parker Thomas, er konnte überhaupt nicht mit ihm.«

»Veranstalten Sie häufiger Feiern für Ihre Mieter?«, fragte Kate.

Hazel legte ihre Zigarette im Aschenbecher ab und wedelte eine Rauchschwade fort, die auf die grünen Urnen zutrieb. »An Feiertagen. Viele Leute hier sind ziemlich einsam. Ich habe ja in gewisser Weise meinen Jerome noch immer bei mir –« Sie strich mit einer zärtlichen, fast segnenden Gebärde über die Urnen. »Aber an Feiertagen ist es manchmal doch ziemlich schwer.«

Was sie selbst am schwierigsten an Feiertagen fand, dachte Kate, war, mit den großzügigen Anwandlungen von Leuten fertigzuwerden, die sie für einsam und unglücklich hielten und glaubten, dass der geteilte Glanz ihrer eigenen Beziehungen sie über ihren Schmerz hinwegtrösten könnte. Selbst Taylor war nicht immun dagegen. An der Art und Weise, wie er jetzt ihren Blick mied, merkte sie, dass er sich schuldig fühlte, weil er ihr nicht angeboten hatte, dieses Thanksgiving mit ihm und seiner Familie zu verbringen. Sie wusste jetzt schon, dass sie zu Weihnachten mit einer hartnäckigen Einladung von ihm rechnen musste.

An Hazel gewandt fragte sie: »Warum geben Sie Partys für Mieter, die Sie loswerden möchten?«

»Ich habe nie gesagt, dass ich sie loswerden will«, entrüstete sich Hazel. »Einige Mieter leben hier schon genauso lange wie ich selbst. Das Beverly Malibu ist ihr Zuhause, so wie es mein Zuhause ist. Ich würde ihre Mieten niemals in den Himmel wachsen lassen oder ihnen sonst irgendetwas Garstiges antun. Aber man sollte einem Menschen nicht vorschreiben, was er für seinen eigenen privaten Besitz verlangen darf. Wenn Sie ein Haus besitzen, sollte man Ihnen nicht erst sagen müssen, wie Sie es zu führen haben.«

Kate dachte, dass es leider genug Hausbesitzer gab, die dieses Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Mietern nicht teilten. »Haben Sie Ihren älteren Mietern und Mieterinnen gegenüber jemals erwähnt, wie Sie diesbezüglich denken?«, fragte sie.

»Ich bin doch nicht verrückt«, fauchte Hazel. »Und Sie lassen lieber kein Wort von dem verlauten, was ich Ihnen hier erzähle. Ich sage Ihnen das alles nur, weil Sie von der Polizei sind.« Ihre funkelnden Augen blitzten warnend zwischen Kate und Taylor hin und her. »Die Mieter würden das nur ausnutzen. Sie würden mir von früh bis spät in den Ohren liegen und herumquengeln, weil sie neue Teppiche, andere Tapeten, neue Heizungen und weiß der Kuckuck was sonst noch alles haben wollen.«

»Sie haben Mr. Sinclairs Feier am vierten Juli erwähnt.« Kate versuchte, ihre amüsierte Sympathie für Hazel Turner zu unterdrücken. »Ich schließe daraus, dass er doch einen gewissen Umgang mit den anderen Mietern pflegte?«

»In Grenzen. Aber diese Vierter-Juli-Sache war eigentlich keine Feier im herkömmlichen Sinn, nicht so wie meine heute. Ich habe ihm angeboten, den Gemeinschaftsraum zu benutzen, aber oh nein, das waren ihm zu viele Umstände. Die Leute sollten einfach kurz auf einen Drink in sein düsteres Loch kommen. Ein Chaos! Alles, was er anzubieten hatte, war mein Weinpunsch, dazu ein paar armselige Kartoffelchips und Salzbrezeln und sein stinkender Bourbon. Die anderen Mieter haben immer so schnell wie möglich die Flucht ergriffen. Paula zum Beispiel konnte ihre Nase gar nicht verächtlich genug rümpfen.« Hazel schniefte. »Sie ist überhaupt ziemlich hochnäsig.«

»Wer war alles auf der Feier?«, fragte Kate.

Hazel zuckte die Achseln. »Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Fast alle, die heute auch da waren, schätze ich. Alle, die nicht ausgegangen sind, haben kurz vorbeigeschaut.«

Paula Grant mit ihrem Elefantengedächtnis, dachte Kate, wird sich bestimmt genauer erinnern können. »Hazel«, meinte sie, »lassen Sie uns noch mal zu der Zeit vor und nach der heutigen Feier zurückkehren. Sie sagten, Sie wüssten genau, wer das Gebäude betreten oder verlassen hätte, richtig?«

Hazel nickte. »Ich stutze jeden Mieter, der einen Unbekannten ins Haus lässt, ordentlich zurecht, das sage ich Ihnen ganz offen. Heutzutage kann man schließlich nicht wissen, ob es nicht jemand von diesen Jugendbanden ist, der Graffiti an die Wände sprüht oder sogar Kugeln in die Wände schießt, oder vielleicht irgendein Bibelvertreter, der versucht –«

Kate unterbrach sie: »Könnte nicht jemand ins Gebäude gekommen sein, ohne die Vordertür zu benutzen? Das Haus hat Seitenpforten.«

»Mit Vorhängeschlössern«, konterte die Hausbesitzerin grimmig.

»Jemand könnte drüberklettern«, warf Taylor ein.

»Trotzdem könnte er nicht rein. Ich bin mit der Hintertür genauso vorsichtig wie mit der Eingangstür. Als Owen seine Schlüssel verloren hatte, habe ich die Schlösser an beiden Türen austauschen lassen, obwohl er Zeter und Mordio geschrien hat.«

Kate betrachtete sie mit neuem Interesse. »Wann war das?«

»Bei der besagten Feier am vierten Juli. Owen schwor Stein und Bein, dass seine Schlüssel versehentlich in den Partymüll geraten seien, aber das Risiko konnte ich nicht eingehen. Ich ließ die Schlösser an der Vorder- und Hintertür gleich am nächsten Tag auswechseln und stellte es ihm in Rechnung, wie auch die Anfertigung der neuen Schlüssel für alle anderen Mieter. Schließlich war es sein Fehler.«

»Da Mr. Sinclairs Wohnungsschlüssel auch verschwunden war«, sagte Kate, »haben Sie sein Schloss doch sicher auch auswechseln lassen, oder?«

Hazel schüttelte den Kopf. »Er war fuchsteufelswild und meinte, das wäre völlig überflüssig.« Sie zuckte mit den Achseln. »Wenn er das Risiko eingehen wollte, dass jemand in seine Wohnung einbrach – bitte sehr.«

Kate machte sich einige längere Notizen. Als sie wieder hochsah, saß Hazel zusammengesackt auf dem Sofa und beendete gerade ein ausgiebiges Gähnen. Kate schaute auf ihre Armbanduhr: halb zwölf. Sie fing Taylors Blick auf und legte einen imaginären Telefonhörer ans Ohr.

Er erhob sich eilfertig, um den erforderlichen Anruf bei Vivian Sinclair zu tätigen. »Entschuldigen Sie mich, Hazel«, sagte er, während er weitere weiße Härchen von seiner Hose pflückte. »Kate, ich seh dich dann oben.«

Hazel ignorierte ihn, schnippte vorsichtig die lange Asche von der Zigarette, die sie sich angezündet hatte, und drückte sie dann aus. Kate hatte nicht gesehen, dass sie auch nur einen einzigen Zug von dieser oder der vorigen Zigarette geraucht hätte.

Als die Tür sich hinter Taylor geschlossen hatte, schien die vollgestopfte Wohnung irgendwie weniger voll zu sein. Kate fragte geradeheraus: »Gibt es einen speziellen Grund, warum Sie meinen Partner nicht mögen, Hazel?«

»Er hat zu große Füße«, sagte sie und zündete sich eine neue Zigarette an. »Ich kann Männer mit großen Füßen nicht ausstehen. Sie können mir glauben, es stimmt immer: Je größer die Füße, desto kleiner der Verstand. Lyndon Johnson hatte große Füße. Und ein Erdnusshirn.« Sie legte die Zigarette in den Aschenbecher.

Kate lächelte und dachte an die Theorie, die sie selbst oft über Männer mit großen Händen und Füßen gehört hatte. »Ich glaube, ich habe schon merkwürdigere Theorien gehört. Aber ich kann Ihnen versichern, auf Detective Taylor trifft sie nicht zu.« Außer manchmal, fügte sie innerlich amüsiert hinzu.

»Detective, Sie sind eine wirklich gutaussehende Frau, wenn Sie lächeln. Aber bei Ihrer Arbeit haben Sie wohl nicht oft Anlass dazu.«

Die weiße Perserkatze kam ins Zimmer geschlendert, schnupperte vorsichtig an dem Sessel, aus dem man sie vertrieben hatte, und sprang neben Hazel aufs Sofa. Hazel streichelte sie. Ihre leberfleckige Hand strich fest durch das lange weiße Fell. »Was Jerome angeht – er hatte wunderschöne Füße, ich habe ihm immer walnussbraune Samtslipper gekauft …« Die wässrige Stimme versiegte.

Kate, der es leidtat, Hazel in ihren Träumereien stören zu müssen, sagte weich: »Wir haben gehört, dass es Mr. Sinclair gesundheitlich nicht sehr gut ging. Wissen Sie etwas darüber?«

»Er kam gelegentlich runter und klagte über Bauchweh.«

»Verdauungsbeschwerden?«

»Schlimmer, nach dem, was er erzählte.«

»Erinnern Sie sich noch an seine Worte?«

Hazel hörte auf, die Katze zu streicheln, und machte eine vage Geste mit der Hand. »Sein Magen war in Aufruhr, das war alles. Übelkeit, sagte er. Manchmal erbrach er sich, manchmal hatte er das Gefühl, dass mit seiner Nase und seiner Haut etwas nicht stimmte. Für mich hörte es sich nach einer Allergie an, wahrscheinlich gegen den stinkenden Bourbon, den er trank – und das habe ich ihm auch gesagt.«

»Wissen Sie, ob er einen Arzt konsultiert hat?«

»Er verlor etwas Gewicht, und da habe ich ihm gesagt, er soll mit dem Gejammere aufhören und etwas dagegen unternehmen. Ich weiß nicht, ob er den Rat befolgt hat oder nicht.«

»Hazel, Sie haben erwähnt, dass Mr. Sinclair nicht gut mit Mr. Parker und mit Mr. Crane auskam. Können Sie mir sagen, warum sie sich nicht verstanden haben?«

»Politik«, antwortete Hazel knapp.

Kate hüllte sich in taktisches Schweigen und machte sich weiter Notizen.

Schließlich bot Hazel an: »Ziemlich viele Leute in diesem Haus hatten Schwierigkeiten mit Owens politischen Ansichten.«

»Warum? Was hatte er für Ansichten?«

Hazel zuckte mit den Achseln. »Ich interessiere mich nicht für Politik. Jerome hatte eine Menge mit alldem zu tun, aber ich habe mich nie damit beschäftigt. Ich mag Politik nicht und ich mag auch keine Politiker. Die Demokraten wollen den nützlichen Leuten alles wegnehmen und es den nutzlosen geben. Die Republikaner wollen den armen Leuten das wenige, was sie zusammenkratzen, wegnehmen und es den Leuten geben, die sowieso schon reich sind. Es ist alles ganz schrecklich. Was Reagan angeht – er hat keine großen Füße, er hat sich sein Erdnusshirn ganz allein erarbeitet. Dieser Reagan –«

»Politische Meinungsverschiedenheiten sind nichts Ungewöhnliches«, unterbrach Kate, die Hazels Ausführungen durchaus unterhaltsam fand, aber ihre Befragung zu Ende bringen musste. »Warum haben Owen Sinclairs politische Ansichten zu Feindseligkeiten unter den Mietern geführt?«

»Das sollten Sie die Leute selbst fragen, oder?«, erklärte Hazel, und Kate wusste, dass weitere Fragen in dieser Richtung im Moment zwecklos waren.

Sie betrachtete die unangerührte Zigarette, die im Aschenbecher glimmte, und meinte: »Ich habe noch eine Frage, Hazel. Reine Neugier. Warum stecken Sie sich Zigaretten an, die Sie nicht rauchen?«

»Ich kann Zigaretten nicht ausstehen – schon einen dieser grässlichen Glimmstengel nur anzuzünden gibt mir das Gefühl, den Mund voll verbrannter Federn zu haben. Jerome war Kettenraucher, das hat ihn umgebracht. Trotzdem habe ich den Geruch vermisst, als er nicht mehr da war. Wenn jemand auf Besuch kam und sich eine Zigarette anzündete, war es, als ob Jerome wieder zurück wäre. Also bin ich losgegangen und habe mir selbst welche gekauft.«

Kate nickte. »Das kann ich gut verstehen«, sagte sie und zwang sich gewaltsam, nicht noch mehr zu sagen, weil sie Hazel nicht erzählen wollte – konnte –, dass sie nach Annes Tod den fast unbändigen Wunsch verspürt hatte, wieder mit dem Rauchen anzufangen, und nur standhaft geblieben war, weil Anne Zigaretten verabscheut hatte – sie wollte Anne um jeden Preis gefallen, selbst als sie tot war.

Hazel schien in ihrem Sofa zusammenzuschrumpfen. »Ich schätze, diese … diese schreckliche Sache mit Owen ist zum Teil meine Schuld, oder?«

»Wie kommen Sie darauf, Hazel?«, fragte Kate sanft.

»Ich habe nichts unternommen wegen Owen und den Leuten hier, die ihn gehasst haben. Ich habe einfach alles laufen lassen. Und ich wusste es … ich wusste es, verstehen Sie? Das erste Mal, als ich ihm begegnete – er hatte etwas an sich, das ich vom ersten Moment an nicht mochte.« Sie setzte sich auf und wies mit anklagendem Finger auf die Urnen. »Du wusstest es auch, Jerome. Du wusstest genau, was ich gedacht und gefühlt habe. Es ist auch deine Schuld, Jerome –«

Kate erhob sich von dem Zweiersofa. »Es ist die Schuld desjenigen, der Mr. Sinclair getötet hat. Sie können nicht das Geringste dafür, Hazel. Und Jerome auch nicht.«

Hazel begleitete Kate zur Tür. Sie nahm Kates Arm, zog sie zu sich herunter und küsste sie auf die Wange. »Sie sind eine sehr liebe Frau«, sagte sie.

Beverly Malibu

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