Читать книгу Meine Freiheit - Kathrin Höhne - Страница 9

Prinz Georg zur Lippe

Оглавление

Meine Freiheit endet an der Freiheit des Nächsten.

Seine Freunde erklären ihn für verrückt

Gleich nach der Wende lädt Christian Prinz zur Lippe Sohn Georg zu einem Gespräch bei einem Glas Wein ein. Er solle sich für 14 Tage freinehmen und „mal nach Sachsen fahren“, sich die Orte anschauen, wo die Familie früher beheimatet war. Der Vater stellt sich vor, dort vielleicht wirtschaftlich wieder etwas auf die Beine zu stellen, nach Sachsen heimzukehren. In der Region um Dresden besitzt die Familie bis 1945 zahlreiche Industriebetriebe. Auch Immobilien sind darunter und ein Weingut bei Meißen: Schloss Proschwitz.

Schloss Proschwitz ist mittlerweile das größte private Weingut in Sach- sen. Das einst ziemlich heruntergekommene Barockschloss ist wieder restauriert. Auf fast 90 Hektar Fläche entlang der Elbe werden 13 verschiedene Rebsorten angebaut, knapp eine halbe Million Flaschen Wein im Jahr produziert. Prinz Georg ist zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Neben dem Weingut betreibt der Prinz im Elbdörfchen Zadel eine gemütliche Pension und ein Weinlokal. An einem lauen Sommerabend sitzen wir im Schatten alter Bäume auf der Terrasse des restaurierten Gärtnerhauses. Direkt am Schloss. Hier wohnt Prinz Georg mit seiner Familie, mit Sohn Georg-Moritz und Frau Alexandra. Sie hat jahrelang als Rundfunkjournalistin beim Deutschlandradio in Dresden gearbeitet und macht inzwischen die PR-Arbeit für das Weingut. Die Prinzessin serviert eine dampfende Quiche, frisch aus dem Ofen. Dazu gibt es einen gekühlten Grauburgunder, einen echten Proschwitzer. „Ein guter Tropfen“, meint Prinz zur Lippe genießerisch. Das dichte Haar des stattlichen Endfünfzigers ist schon fast weiß. Kurz nach der Wende war es noch blond gewesen. Die Zeit und die Sorgen um das Weingut sind auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen. Gerade von einer Tour durch Thüringen zu- rück, sitzt er uns leger gegenüber, in Cordhose und offenem Hemd, ohne Krawatte. Labradorhündin Liese spielt um uns herum. Sohn Moritz verabschiedet sich ins Bett. Mit verschmitztem Lächeln und leuchtenden Augen erzählt der Unternehmerprinz von seinen Anfängen in Sachsen.

Zur Wendezeit lebt er in München, hat dort einen hochdotierten Job als Berater bei Roland Berger. Im teuren Schwabing besitzt er zwei schöne Penthauswohnungen. „In unserer Familie war ich der Jüngste von sieben Kindern, noch unverheiratet und konnte mir damals eigentlich gar nicht vorstellen, in den Osten zu gehen.“ Schließlich fährt er doch hin, „düst diese 14 Tage durch Sachsen“ und schaut sich vieles an. Seine erste Erkenntnis: „Ich bin zu spät dran. Die alten LPG-‚Fürsten‘ hatten sich im Regelfall schon selbständig gemacht. Westliche Berater empfahlen ihnen, ‚Mensch, Flächen müsst ihr in der Hand behalten.‘ Und Beteiligungen, die wir früher an Unternehmen hatten, waren verstreut, da kam man nicht mehr ran. Im Endeffekt war ich ziemlich gefrustet und kam hier oben auf dem Weinberg an und dachte mir: ‚Jetzt bin ich zehn Tage rumgefahren und da tut sich gar nichts, das können wir abhaken.‘ Dann sah ich aber, wie schön das alles war. Die liebliche Landschaft an der Elbe, Meißen und die imposante Albrechtsburg gegenüber. In dem glanzlosen Schlosspark standen noch Pyramideneichen, Rotbuchen und Gingkobäume, die meine Vorfahren gepflanzt hatten. Nur war alles so grau. Als ich plötzlich et- was laut knattern hörte, dachte ich erst, da kommt ein Rasenmäher. Aber es war ein Trabi. Ein Mann stieg aus, von dem ich mir nicht vorstellen konnte, wie er in das Auto hineingepasst hatte. Ein langer Lulatsch. Der kam auf mich zu und sagte: ‚Guden Tach, Sie sind der Prinz nich wahr.‘ Ich blickte ihn erstaunt an. ‚Nu, wir haben schon lange damit gerechnet, dass einer von der Familie hier aufschlägt.‘ Ich fragte: ‚Woher wissen Sie das eigentlich?‘ ‚Nu ja, ganz einfach‘, antwortete er: ,Sie waren unten bei der Minol und haben da getankt. Dann waren Sie bei der Post, da haben Sie zwei Briefe aufgegeben und vor gar nicht langer Zeit waren Sie bei uns im Konsum und haben zwei Würstchen gekauft. Richtig?‘ Ich brachte nur ein ‚Jaa‘ heraus. ‚Hier funktionieren noch die Buschtrommeln‘, ließ er verlauten. Dieser Hüne, er hieß Werner Dürichen, war unglaublich. Er kam selber aus einer Bauernfamilie, die einst dreißig Hektar Land zu bewirtschaften hatten. Er musste gleich nach dem Krieg erleben, wie seine Familie zwangskollektiviert wurde.“ Mit Herrn Dürichen kommt Prinz Georg später super klar, auch mit dem Vorsitzenden der LPG. Die erklären ihm aber, dass die großen Ackerflächen schon vergeben sind. Über den Weinbau allerdings könne man reden.

Doch der Weinbaubetrieb ist in keinem guten Zustand. Die Weinberge sind nur noch zum Teil bepflanzt, die Weinstöcke sind nach zwei frostreichen Wintern in einem angegriffenen Zustand. Der Maschinenpark ist überaltert, das Schloss sanierungsbedürftig. In dem Gebäude von 1703 befindet sich eine modellhafte Tagesschule für behinderte Kinder. Die Nazis hatten es schon 1943 beschlagnahmt. Nach dem Krieg wird es enteignet. Es ist zunächst Lazarett, dann Lungenheilanstalt. 1978 zieht dann dort die Förderschule ein. Und die Sache hat noch einen weiteren Haken. Im Einigungsvertrag steht, dass Besitztümer, die in der Bodenreform 1945 und 1949 enteignet wurden, nicht restituiert werden. Dieser Beschluss wird 1991 sogar höchstrichterlich durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bestätigt. Das bedeutet für Prinz Lippe, dass er den enteigneten Grundbesitz nur Stück für Stück zurückkaufen kann. Doch all das hält ihn nicht davon ab, das „Abenteuer“ zu wagen. Für die Idee, Proschwitz wieder aufzubauen, hat er Feuer gefangen.

Schon sein Patenonkel Graf Radulf zu Castell-Rüdenhausen hatte in Franken einen kleinen Weinbaubetrieb. Das hat den Prinzen früh auf den Geschmack gebracht. Auch während seiner Ausbildung zum Agraringenieur wählt Prinz Georg Weinbau als Prüfungsfach. Er findet „dieses Metier einfach sehr, sehr schön.“ So setzt er sich hin und entwickelt für Proschwitz ein Geschäftsmodell, das er dem Vater vorstellt. Der zeigt sich entsetzt: „Um Gottes willen. Warum ausgerechnet das Weingut? Du wirst zehn Jahre rote Zahlen schreiben. Überleg Dir, was das für Dein Leben bedeutet. Zehn Jahre wirst Du jeden Cent reinstecken müssen, Du wirst gar nicht wissen, wie Du da aus der Klemme wieder rauskommst.“

Die Lippische Familie geht auf germanischen Adel zurück, wird als landes- herrliche Familie erstmals zu Beginn des 12. Jahrhunderts erwähnt. Sie ist bis 1918 eines der regierenden Fürstenhäuser Deutschlands und mit vielen Familien des europäischen Hochadels verwandt. Der Zweig, dem Georg Prinz zur Lippe angehört, ist seit Beginn des 18. Jahrhunderts in Sachsen ansässig und zählte dort zu den bedeutendsten Unternehmerfamilien. „Wir waren eher großbürgerlich und keine Fürstenfamilie.“ 1945 erfolgt die entschädigungslose Enteignung. Aus ideologischen Gründen wird die Familie in verschiedenen Lagern und Gefängnissen inhaftiert. Später erfolgt die Ausweisung nach Westdeutschland. Dort muss sie von Null anfangen. Das Familienvermögen bleibt im Osten. „Bei uns hatte die D-Mark weder eine Eins noch einen Adler gehabt. Wir haben sie so oft umgedreht, bevor wir sie ausgeben konnten. Ich habe mir alles selber verdienen müssen. Mein erstes Moped oder den Führerschein. Dafür stapelte ich auch Paletten in der Fabrik.“

Zur DDR hat er schon lange vor der Wende einen Bezug. Mit den Eltern ist er ab 1982 immer wieder „drüben“. Vater Christian sucht dort Freunde auf, die er seit dem Krieg nicht gesehen hat. An der Grenze bekommt die Familie viel mit, was die DDR ausmacht. „Das ist schon erniedrigend, wenn man zwei Stunden lang in den Flutscheinwerfern steht und mit Ignoranz gestraft wird. Wenn dann ein Vopo kommt und sächselnd sagt: ‚Machen se mal die Haube auf, los Koffer raus, Sitze raus, ich will alles sehen.‘ Und die dann mit ihren Spiegelchen unter dem Auto unterwegs sind, dann fühlte man sich irgendwie nicht mehr sicher. Das, was man als persönliche Freiheit oder Schutz empfunden hat, das war in der DDR nicht vorhanden.“ Durch die DDR-Besuche wird ihm auch deutlich, dass er nicht in einer Diktatur leben will. Für ihn ist klar: „Ich wollte frei sein, das war für mich ein ganz elementar wichtiges Thema.“

Die Zeit rund um den Mauerfall erlebt er in München. „Das war in einer Phase, in der ich unheimlich viel zu tun hatte, gerade ein Unternehmen neu strukturieren musste.“ Aber jede freie Minute verbringt er vor dem Fernseher, um die Ereignisse im anderen Teil Deutschlands zu verfolgen. Als die Grenzen sich öffnen, ist er 32. Die Entwicklung bewegt ihn emotional sehr. Auch in München ist es spannend. „Die Stadt war rappelvoll mit Trabis und Wartburgs. Die kamen ja alle, um sich das Begrüßungsgeld abzuholen. Auch vor meinem Büro stand eines Abends ein Wartburg Kombi mit beschlagenen, schon angefrorenen Scheiben. Es war lausig kalt. Ich klopfte ans Autofenster und sah, dass der Wagen voller Menschen war, auch mit Kindern. Die wollten dort übernachten, weil sie sonst nichts fanden. Da bot ich ihnen meine Wohnung an. Ich habe sie dort alle untergebracht, mit Schlafsäcken und auf Matratzen: die Eltern, die Freunde von den Eltern und die Kinder. Die Eltern arbeiteten bei dem DDR-Computerriesen Robotron und hatten erst ein Riesenproblem, mit einem Wessi zu reden. Sie hatten auch ein schlechtes Gewissen, extra nach München gefahren zu sein, um sich das Begrüßungsgeld abzuholen. Doch dann haben wir uns bis tief in die Nacht unterhalten, haben am nächsten Morgen noch gefrühstückt, bis sie weitergefahren sind. Das sind so Momente, die mir ein Leben lang im Kopf bleiben. Für mich hat die Wende viel mit einem Kaleidoskop zu tun. Das kann man immer wieder schütteln und es kommt immer noch etwas Neues raus, weil je- der mit seinen Erfahrungswerten, mit seiner Geschichte und seinen Einstellungen lebt.“

Als sich Prinz Georg entschließt, in Proschwitz einzusteigen, werden ihm die Bedingungen diktiert: Nur, wenn er die Weinbau-Brigade 56 der LPG „Wilhelm Pieck“ mit ihren 16 Mitarbeitern und dazu die fast schrottreifen Maschinen und Anlagen übernimmt, erhält er den Zuschlag. Sein Anwalt versucht, ihm den Deal auszureden. Doch der promovierte Wirtschaftswissenschaftler und Diplom-Agraringenieur ist fest entschlossen. Am Anfang will er Proschwitz noch von München aus steuern und vor Ort nur alle 14 Tage sein. „Das war eine völlige Fehleinschätzung.“ Fast täglich klingelt bei ihm nun das Telefon in aller Herrgottsfrühe, noch lange bevor er ins Büro in München geht. Seine Brigade meldet sich aus dem fernen Sachsen mit immer neuen Problemen: Mal ist es ein kaputter Traktor, mal fehlt der Treibstoff. „Die wollten halt einen Chef zum Anfassen, vor Ort. Das waren sie so gewohnt. Irgendwann nahm bei mir der Schlafmangel überhand. Meine Nerven wurden überstrapaziert. Meine Freunde erklärten mich für völlig verrückt.“

Schließlich trifft er die Entscheidung, München aufzugeben und nach Meißen umzusiedeln. Aber eine Wohnung dort zu finden, entpuppt sich als äußerst schwierig. Aus der Not heraus zieht er erst mal in eine alte Weinberghütte, mit Schlafsack, Feldbett und Schrotflinte. „Das war meine Erstausstattung. Mein Leben begann sich völlig umzudrehen. Meine Mannschaft fing ja schon um sieben Uhr morgens an. Die Weinberghütte war meine Schlafstatt, aber auch deren ‚Brigadezentrum‘. In meiner ersten Nacht klopfte es an der Tür. Ich erschrak fürchterlich. Es war so gegen elf, halbzwölf. Ich habe dann ganz langsam die Tür aufgemacht und da stand ein Riesenrusse vor mir: ‚Brauchst Du Diesel? 30, 40 Kanister, sag, was Du brauchst. Aber vergiss den Wodka nicht.‘ Nach dem ersten Schreck wurden wir uns einig. Ich hab das am nächsten Morgen auf den Weg gebracht. Die Kumpels von der Brigade haben sich über mich halb tot gelacht. Die meinten, ich hätte ordentlich Angst bekommen. Aber so kam der Russe regelmäßig und verkaufte mir seinen Sprit. Die Russenkaserne war ja nur anderthalb Kilometer entfernt. Direkt um die Ecke war eine Raketenstation.“

Die ersten Monate auf dem Weinberg sind hart. In München war er viel beschäftigt, hatte seinen hoch dotierten Job, seine Freunde, seine schicken Penthauswohnungen, ging gerne auf Partys. In Proschwitz sitzt er nun auf seinem Weinberg und ist mit sich selbst konfrontiert. Ihm wird allmählich klar, auf was für ein Risiko er sich eingelassen hat. Ihm ist bewusst, dass es kein Zurück gibt, wenn er hier erst einmal anfängt. Dann muss er weitermachen. Ihm wird auch bewusst, dass er ganz neue Weinsorten anbauen muss. Auf den Weinbergen stehen noch russische, rumänische und bulgarische Rebstöcke. Wenn er sich im Wettbewerb behaupten will, muss er nun auf ganz andere Sorten setzen. Auf die, die dem westlichen Geschmack entsprechen. Also auch die für Sachsen ursprünglich typischen Sorten wie Grauburgunder, Elbling, Traminer, Müller-Thurgau und Goldriesling.

Die Apartments in München dienen ihm nun als Sicherheit für seine Investitionen. Weil er aber weiß, dass er keinen Cent aus dem Betrieb nehmen kann, arbeitet er jetzt als Berater für landwirtschaftliche Betriebe bei der Treuhandanstalt. Für den Weinbau in Proschwitz kauft er neue Traktoren und Bodenbearbeitungsmaschinen und lässt neue Rebstöcke pflanzen. „Der Lößboden war total verdichtet und teils hart wie Beton. Den mussten wir erst mal auflockern und belüften. Dann war auch ein Wechsel der Anbauphilosophie nötig. So pflanzten wir beispielsweise Rosen als Frühindikator für Mehltau. Herbizide wurden nur noch punktuell gespritzt.“ Mit seinem Brigadeteam vollzieht er einen wechselseitigen Lernprozess. Während der Prinz neue Anbau- und Kellermethoden einführt, profitiert er vom Wissen seiner ostdeutschen Mitarbeiter. „Die wussten um den Weinanbau in Sachsen genau Bescheid, kannten sich aus mit den klimatischen Gegebenheiten in dem östlichsten deutschen Weinbaugebiet.“ Vor allem harte Fröste im Winter oder späte im Frühjahr können ganze Jahrgänge zunichtemachen. Prinz zur Lippe erfährt das schmerzhaft im Winter 1995/96, als nach drei ersten erfolgreichen Jahren eine komplette Ernte verloren geht. „Wenn da die Frostversicherung nicht gezahlt hätte, wäre es das Ende unseres Unternehmens gewesen.“

Dann vollzieht er einen wichtigen Schritt: Er verzichtet offiziell auf seine Vermögensansprüche, hört auf den Rat seines Vaters: „‚Versetz Dich einfach in diese Menschen hinein, die haben eine totale Angst. Wenn Du Deinen Nachbarn die Grundstücke wegnimmst, dann machst Du alles kaputt und nimmst ihnen irgendwie ihre Seele weg,‘ sagte er. Und das haben wir befolgt. Das hat uns ermöglicht, dass wir hier auch kaufen konnten. Die Leute haben dann relativ schnell gesehen, da kommt der Prinz, der Klassenfeind, aber der ist anders, als wir uns das vorgestellt haben. Der versteht uns irgendwie ein bisschen.“

So pachtet Prinz zur Lippe zunächst das Land und kauft dann schließlich Stück für Stück das Weingut wieder zurück. „In den vergangenen 23 Jahren habe ich bestimmt mit mehr als 800 Leuten verhandelt.“ 1997 geht auch das Schloss nach langen Verhandlungen in seinen Besitz über. Der Schlosskauf wird im gesamten Landkreis zum Politikum. „Vor dem Kauf hing es im Kreistag an einer Stimme, ob wir den Zuschlag bekommen. In meinem Stahlschrank stehen zwei Meter Notar-Urkunden und Verhandlungsakten. Der Kauf wurde eigentlich nur deshalb möglich, weil dem Sozialministerium Berechnungen für den Umbau der Tagesschule in eine behindertengerechte Einrichtung vorlagen. Das war zu teuer. Für das Schloss wurde nun aber ein Preis aufgerufen, der weit über dem in der Region üblichen lag. Uns wurde diktiert, dass wir es kaufen konnten, wie von außen besehen und wir hatten nur eine Woche Zeit, uns zu entscheiden. Das war die Woche, in der wir kaum geschlafen haben. Denn die 1,3 Millionen D-Mark hatten wir nicht, die mussten wir uns irgendwie beschaffen.“

Die Behindertenschule bleibt nach dem Schlosskauf noch drei Jahre Mieter im Schloss bis Ende 2000. Doch der Prinz beginnt schon vorher mit den ersten dringenden Renovierungen: baut eine neue Heizung ein, bringt die Sanitäranlagen in Ordnung, räumt den Schlosspark auf und lässt den Hof neu pflastern. „Problem war, dass wir den eigentlichen Zustand des Gebäudes nicht kannten. Denn noch bis 1995 war uns der Zutritt verboten, durften wir das Schlossgelände nicht betreten. Über all dem lag ja so ein für die DDR typischer Grauschleier.“ Gut zehn Millionen Euro investiert Prinz Georg insgesamt in Schloss und Weingut. Heute ist der Betrieb hochmodern. Seine Weine genießen internationalen Ruf, wer- den immer wieder ausgezeichnet. Bereits 1996 wird Schloss Proschwitz in den Verband der Deutschen Prädikatsweingüter aufgenommen. Von den etwa 30.000 Weinbetrieben in Deutschland sind dort nur gut 220 versammelt. „Das war für uns wie ein Ritterschlag, ein Durchbruch. Das ist die höchste Qualifizierung im Weinbau. Das hat den Betrieb deutlich beflügelt.“

Das Schloss mit seinem wieder hergerichteten Park ist inzwischen über das ganze Jahr Ort zahlreicher Veranstaltungen: Seminare, Hochzeiten, Konzerte, Weinverkostungen, Adventsmärkte und Schlossführungen. Der Terminkalender ist gut gefüllt. Das Schloss ist zum „emotionalen Herzstück“ des Weinguts geworden und ganz wichtig für die Vermarktung der Weine. Prinz Georg sieht sich weder als Wessi noch als Ossi, sondern mehr als Süddeutscher. „Für mich ist Sachsen ein Teil von Südostdeutschland. Da ist für mich die Nähe zu Tschechien, zu Polen, aber auch zum Süden. Hier anzukommen, war ein langer Prozess. Es war am Anfang sehr schwierig, mit den Menschen warm zu werden, mit denen überhaupt in Kontakt zu kommen, das Vertrauen zu gewinnen. Sehr geholfen haben mir dabei die Mitarbeiter meiner Brigade. Mit denen kam ich schnell super klar, die haben für mich viele Lanzen gebrochen.“ 1993 kommt seine Mitgliedschaft bei Rotary in Meißen hinzu. „Das hat auch viel dazu beigetragen. Das war wie ein Eisbrecher. Da konnte ich erstmals das Bewusstsein für mein Anliegen schaffen. Da hatte ich einmal pro Woche die Möglichkeit, mich auszutauschen.“ In Sachsen fühlt sich der Winzerprinz angekommen und angenommen, hier ist er mit seiner Familie zu Hause. Mittlerweile bekleidet er auch mehrere Ehrenämter: Seit 1999 ist er Ehrenkonsul für das Königreich der Niederlande. In der Bergakademie Freiberg lehrt er als Professor für Weinbau und Kellerwirtschaft und seit Oktober 2013 ist er Domherr zu Meißen.

Und seine Freunde? „Da staunen einige, was in den 25 Jahren entstanden ist. Ich bin total dankbar, hier zu sein. Mit jedem Jahr ist mehr Bindung entstanden und der Wunsch noch kreativer zu sein, noch interessantere Sachen zu basteln.“ In dem Land spürt er immer noch eine große Dynamik. Die Sachsen erlebt er als sehr neugierig, sehr kommunikativ und innovativ. „Die wollen hier was bewegen. Was auch spannend ist, wenn ich mich hier auf die Autobahn begebe, bin ich in zweieinhalb Stunden in Breslau. In einer eindreiviertel Stunde sitze ich mitten in Prag vorm Hradschin. Diese Region hat in dieser Hinsicht unheimlich tolle Potenziale, das Umfeld ist spannend.“ Und die Freiheit? Die ist ihm ganz wichtig, ganz wesentlich. „Ich fühle mich frei, weil ich glaube, dass das wieder was mit dem Kopf zu tun hat. Also ich bin frei, ich könnte auch loslassen. Ich habe nicht unbedingt diesen Besitzzwang. Für mich bedeutet Freiheit, dass ich sowohl mein Denken als auch mein Handeln soweit ausdehnen kann, ohne einen anderen damit zu verletzen. Meine Freiheit endet also an der Freiheit des Nächsten. Das Wichtigste für mich ist, dass man gegen Ungerechtigkeiten auch vorgeht.“

Meine Freiheit

Подняться наверх