Читать книгу Reden wir über das Sterben - Kathryn Schneider-Gurewitsch - Страница 5
Einleitung
ОглавлениеDie meisten von uns sind nicht Ärztinnen, Pflegende oder Juristen und stolpern am eigenen Schicksal erstmals in die Situation eines sich abzeichnenden Todes – unserer Eltern, unserer Freunde oder des eigenen. Die meisten sind nicht vorbereitet. Erstmals konfrontiert mit existenziellen Fragen, unter Umständen plötzlich und überraschend, sind wir auch als Angehörige hoffnungslos überfordert und entscheiden emotional. Oft aus Unwissen und oft zum Nachteil der betroffenen Sterbenden. Hier hilft einzig die vorzeitige Beschäftigung mit diesen schwierigen Themen, und sie lohnt sich in jedem Fall. Mir liegt am Herzen, dass sich die Menschen rechtzeitig auf den Weg machen, dass sie – soweit überhaupt möglich – Weichen stellen. Denn nur so können wir helfen, unwürdige Situationen und Kämpfe zu vermeiden.
Als krebskranke Ärztin, die in den letzten zwei Jahren dreimal knapp dem Tode entkommen ist und sehr von den Segnungen der modernen Medizin profitiert hat, glaube ich, dass ich etwas zu sagen habe. Ich habe auch die Freiheit zu sagen, was ich denke, Themen zur Diskussion zu stellen, bei denen sonst meine Hände vor lauter Rücksichtnahme gebunden wären. Ich möchte unbekanntere Informationen und besondere Erzählungen mitteilen, die das Interesse für die Fragen am Lebensende belohnen. Das Feld ist groß. Das Feld ist sehr komplex. Das Feld ist umstritten. Die Kost ist zum Teil schwer verdaulich. Aber ich mute sie Ihnen zu. Denn nur wer informiert ist und eine Ahnung hat, was ihn erwarten könnte, wer sich seiner individuellen Wertvorstellungen und Bedürfnisse bewusst ist, kann qualifiziert Stellung beziehen und Einfluss nehmen. Wenn ich in dieser Schrift ein Plädoyer halte gegen unsinnige Therapien am Lebensende, so will ich nicht missverstanden werden. Es geht mir um Therapien, die unter Umständen das Leben und gleichzeitig das Leiden verlängern und dem Patienten schaden. Therapien, die den Menschen um einen guten Tod betrügen.
Die Auseinandersetzungen über die Fragen am Lebensende haben in den letzten Jahren zugenommen. Wo man hinblickt, toben Glaubenskriege. In vielen Ländern gelangen aufgrund von unklaren Gesetzen oder unüberbrückbaren Differenzen zwischen Ärzten, Patienten und Angehörigen diese Themen in Form von Klagen vor Gericht. Kaum das, was wir uns im Zusammenhang mit dem Sterben wünschen. Es ist bemerkenswert, dass ein erwachsener Mensch bis vor Gericht gehen muss, um Behandlungen abzuwehren, die er nicht will.
Wir sind alle aufgerufen, uns Meinungen zu bilden. Das Thema geht uns alle an. Die Bandbreite reicht von denjenigen, die befürchten, vorzeitig in den Tod geschickt zu werden, zu denen, die Angst haben, gegen ihren Willen dazu verdammt zu sein, durch lebensverlängernde Maßnahmen am Leben erhalten zu werden. Heute sehe ich nicht mehr so sehr die Gefahr, dass man die Menschen zu früh ins Jenseits befördert. Vielmehr sehe ich das viel größere Missbrauchspotenzial darin, die Menschen unnötig lang am Leben zu erhalten, ihnen unsägliches Leid zuzumuten und sie um einen friedlichen Tod zu betrügen.
Was Sie in Händen halten, meine Gedanken zu Entscheidungen am Lebensende, ist auf eine Art mein Vermächtnis. Im Wissen um die schlimmen Erfahrungen, die viele Menschen beim Sterben machen müssen, die auch die Angehörigen nicht weniger betreffen, will ich mithelfen, das Schweigen zu beenden, damit es irgendwann in der Zukunft normal sein wird, über das Unausweichliche zu sprechen, über das Sterben und den Tod.