Читать книгу ... oder einfach so! - Kathy Sdao - Страница 9
Оглавление„Mögest du in interessanten Zeiten leben“ – ein Sprichwort, das unter dem Namen chinesischer Fluch Bekanntheit erlangte. Ich schätze mich glücklich, in den letzten dreißig Jahren von interessanten Aufgaben gelebt zu haben. Im Auftrag des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten trainierte ich Große Tümmler, tief im offenen Ozean befindliche Minen aufzuspüren und zu entschärfen. Als Forschungsassistentin am Meeressäugerlabor im Kewalo Basin half ich mit, Delfine Zeichensprache zu lehren, und im Zoo meiner jetzigen Heimatstadt Tacoma, Washington, kümmerte ich mich um seltene Schweinswale, sanfte Belugas und ein gewaltiges zwei Tonnen schweres Walross namens E.T. Ich schloss mich eine Woche lang der Besatzung eines großen Motorseglers an, um vor der Küste Hawaiis Delfine für unser Training zu finden. Ich reiste sogar kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September für einen Hundesitterauftrag nach Paris. In meinem allerersten Job arbeitete ich jedoch als Hooker. Sozusagen. Mehr dazu im nächsten Kapitel.
Mittlerweile bin ich fast fünfzig Jahre alt. Wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich schon den Meilenstein eines halben Jahrhunderts am Horizont erkennen, der mich für immer aus der Altersgruppe „junger Erwachsener“ ausschließt. Neben zahlreichen Lachfältchen um die Augen und Gedächtnislücken, die mit alarmierender Häufigkeit die Namen von Bekannten und gängige Worte verschlucken, wird mein Haupt zusehends grauer. Vorläufig darf das Salz in meinen pfefferfarbenen Locken bleiben – in erster Linie, weil ich es mir verdient habe (und, weniger dramatisch, weil das Resultat meines letzten Färbeversuchs grauenhaft aussah).
Grautöne
Mir fällt auf, dass ich mich auch mit Grautönen in anderen Bereichen meines Lebens wohlzufühlen beginne. Anstatt an festen Überzeugungen zu allem und jedem festzuhalten, habe ich begonnen, meine philosophischen Zelte auch auf dünnem Eis aufzuschlagen. Dies hat mir ganz neue Sichtweisen eröffnet. So bringe ich – die ich in der Regel stolz auf meine liberale Einstellung bin – der amerikanischen Schusswaffenvereinigung (NRA) zumindest in einer Hinsicht Verständnis entgegen: Vor einigen Jahren ärgerte ich mich darüber, dass meine Heimatstadt Freilaufflächen für Hunde verboten hatte, und erkannte, dass Waffen für die NRA denselben Stellenwert haben wie Hunde für mich: Für meinen eigenen Seelenfrieden brauche ich sie in meinem Leben – obwohl ich weiß, dass manche von ihnen gefährlich sind und, vor allem in den Händen ungebildeter Besitzer, unschuldige Menschen verletzen können. (Ganz gehe ich nicht mit der NRA d’accord; meiner Meinung nach darf am Bann von Sturmfeuergewehren nicht gerüttelt werden.) Mein Schwarz-Weiß-Denken im Sinne von „Waffen sind böse!“ hat sich zu einem Standpunkt in Grautönen entwickelt. Sich auf dem dünnen Eis zu bewegen, vorsichtig aufzutreten, um nicht auszurutschen, und mich weit, aber nicht zu weit vorzuwagen, ist weit weniger komfortabel, als am sicheren Ufer zu sitzen.
Auch in vielerlei anderer Hinsicht halte ich heute weniger an unumstößlichen Überzeugungen fest als früher. Die Veränderung war durchaus nervenaufreibend. Mir geht es wie der Schriftstellerin Anne Lamott, die zugibt: „Alles, was ich loslasse, trägt die Kratzspuren meiner Krallen.“ Und doch ist die draufgängerische und gelegentlich arrogante Kathy, die mit fünfundzwanzig Jahren so gut wie alles wusste, heute bereit, zuzugeben, was sie alles nicht weiß. Doppelt so alt und halb so klug – mit fünfzig Jahren Lebenserfahrung im Rückspiegel vielleicht aber auch ein wenig weiser als damals.
Das Älterwerden hat sich auch auf mein Hundetraining und meine Beziehung zu meinen Tieren ausgewirkt. Schon immer hat man mich mit einer Philosophie assoziiert, die Zwang und physischen Druck vermeidet. (Zwang ist keine Option, wenn Ihr Trainingspartner zehnmal schwerer ist als Sie und tausendmal besser schwimmen kann!) Es gibt jedoch auch innerhalb der positiven Trainingsphilosophie eine Strömung, mit der ich mich nie so recht wohl fühlte: die Überzeugung, dass man im Leben nichts umsonst bekomme. Daraus folgt, dass auch Hunde sich all ihre Privilegien und Belohnungen verdienen müssten, indem sie erst ein bestimmtes Kommando oder Signal (zum Beispiel „Sitz!“) ausführen. Bei genauerer Betrachtung stellte ich fest, dass meine Zweifel am „Ohne Fleiß kein Preis“-Prinzip nicht nur von dessen trainingstechnischen Vor- und Nachteilen, sondern auch von meiner eigenen Spiritualität und Beziehungsphilosophie herrührten.
Mir ist voll und ganz bewusst, wie ungewöhnlich es ist, in einem Hundetrainingsbuch über Spiritualität zu schreiben. Obwohl ich vermute, dass sich auch andere Tiertrainer und Tierärzte mit meinen Themen auseinandersetzen, ist … oder einfach so! kein Buch über den Schnittpunkt von Glauben und Training. Vielmehr handelt es sich um eine Kritik des „Ohne Fleiß kein Preis“-Prinzips im Hundetraining und um die Vorstellung eines alternativen Ansatzes. Aber lassen Sie mich erst einmal erklären, warum mir dies so wichtig ist.