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Samstag, 13. Dezember

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»Hände hoch!«, hörte ich eine tiefe, bedrohliche Stimme hinter mir brummen, daraufhin das Ratschen einer Schusswaffe und ein schweres, ungeduldiges Ein- und Ausatmen.

Hatte ich das jetzt richtig verstanden? Hände hoch? Vor Schreck riss ich meine Augen auf und erstarrte stehenden Fußes. Ich wagte nicht, mich umzudrehen und hoffte inständig, dass das nur ein geschmackloser (sehr geschmackloser) Scherz oder ein grauenhafter (sehr grauenhafter) Traum war.

»Hände hoch, hab ich gesagt!«, wiederholte der Mann schon wesentlich aggressiver, weil ich mich aus seiner Warte scheinbar weigerte.

Ich tat, was er sagte, sofern ich dazu noch in der Lage war. Denn mein ganzer Körper war inzwischen derart verkrampft, dass meine Motorik nicht mehr die beste war. Mein Atem stand still.

»Das Messer weg!«

Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich es noch in der Hand hielt. Ich ließ es einfach auf die Küchenablage fallen. Es klirrte und vibrierte noch eine kleine Weile auf der gefliesten Oberfläche, ehe es endlich Ruhe gab. Gleichzeitig spürte ich eine leichte Wut aufkommen, denn er hatte das auf eine Weise gesagt, als ob ich hier die Kriminelle wäre. Was konnte ich denn bitte schön dafür, dass er mich ausgerechnet bei der Zubereitung meines Salates zum Abendbrot erwischt hatte?

»Nicht umdrehen, verstanden?«

Ich nickte nur wild wie eine Henne. Es kam mir nämlich ganz recht, keine Zeugin seiner äußeren Erscheinung zu werden und somit als potenzielle Leiche zu fungieren, auch wenn sich seine Gestalt in interessanten Grundzügen auf der Glasfläche des Küchenfensters, das direkt vor mir lag, widerspiegelte. Aber ich tat so, als könnte ich diese nicht wahrnehmen.

»Geh zur Abstellkammer!«

Ich hörte ihn sich mir nähern. Dann presste er den harten Lauf der Waffe zwischen meine Schulterblätter und stupste mich dort hin. Ich hätte auch ganz von allein dort hingefunden, aber anscheinend hielt er sich für den einzig Schlauen in diesem Raum. Na schön, oder es ging ihm einfach nicht schnell genug.

Er befahl mir, die Tür zur Abstellkammer zu öffnen. Dann stieß er mich hinein, weshalb ich mit dem Fuß an der Türschwelle hängenblieb und gegen einen Vorratsschrank knallte. Es schepperte und wackelte einmal kräftig. Dann hörte ich den Eindringling die Tür hinter mir zuschlagen und wie er einen großen Gegenstand über den leicht verschlissenen Fliesenboden schob, um die Tür zu verbarrikadieren, da die Tür keine montierte Schließeinrichtung hatte, um sie zu verriegeln. Es musste die schwere, massive Uralt-Kommode meiner Oma gewesen sein.

Ich fasste mir an den Mund, um zu prüfen, wie viel Blut ich verlor, da ich mir bei meinem Sturz auf die Lippe gebissen hatte. Doch der Schmerz war wohl größer als der Schaden.

Für einen Gauner, der einem das Gut und Haben unter dem Hintern wegstehlen wollte, verhielt er sich verdächtig still. Ich lauschte nach Geräuschen, um zu ermitteln, in welchem Winkel des Hauses er sich gerade aufhielt und auf welche Gegenstände er es abgesehen hatte. Außerdem musste ich ja wissen, wann er endlich fortging, damit ich mich irgendwie aus der Kammer herauskämpfen konnte, um dann die Polizei zu rufen. Vorausgesetzt, ich würde das ganze Spektakel überleben. Was wusste ich denn schon, wozu er kurzerhand imstande war? In diesem Verbrecherhirn steckte ich ja nicht drin, wenngleich mir diese kriminelle Handlungsweise allgemein vertraut sein sollte. Und doch saß mir die Angst in den Knochen und schüttelte mich leicht, doch beständig durch.

Inzwischen war ich schätzungsweise eine Stunde in dieser Kammer gefangen, hatte mich auf dem Boden niedergelassen, die Beine angewinkelt und den Kopf in die Armbeugen gelegt. Es war ja nicht so, dass ich nicht versucht hätte, hier irgendwie herauszukommen, nachdem der Einbrecher die Haustür ins Schloss geschlagen und sich auf und davon gemacht hatte, aber ich hatte es nicht zustande gebracht. Nicht nur, weil ich zu kraftlos war, auch wagte ich mich einfach nicht vom Fleck. Irgendwie fühlte ich mich in dieser Kammer sicher und wäre sogar bereit gewesen, die gesamte Nacht hier zu verbringen, wenn es hätte sein müssen.

Aber das musste nicht sein!

»Schatz, ich bin wieder zu Hause«, hörte ich Matz, den Nichtsnutz, nämlich endlich rufen. Er knallte die Haustür auf eine Weise zu, dass es mich wütend machte.

Er war so unglaublich rücksichtslos. Und narzisstisch. Sobald er einen Raum betrat, musste er immer sichergehen, dass alle sich darin befindlichen Menschen nach ihm umdrehten und ihn zum Mittelpunkt der Welt machten. Nein, es war nicht nur die Aufmerksamkeit, die er genoss, er wollte förmlich bewundert werden. Wofür? Für alles, was er tat, wenn er denn mal etwas tat! Dafür, dass er den Einkauf erledigte, dafür, dass er den Müll herausbrachte, dafür, dass er beim Essen nicht schmatzte, dafür, dass er immerhin noch am Vormittag aus dem Bett fand oder einfach nur dafür, dass er eigenständig atmete.

»Schatz? Wo bist du denn?« Ich hörte ihn das Erdgeschoss ablaufen. »Leonie?«

Ich atmete tief durch. Ich weiß, in meiner Situation hätte jeder andere bereits um Hilfe gerufen, bevor jemand das Haus betrat, doch bei Matz war ich auch nicht gerade in besseren Händen.

»Hiiier«, rief ich mehr schlecht als recht.

»Leonie?« Ich konnte seiner Sprechweise entnehmen, dass er sich nicht sicher war, ob er richtig gehört hatte.

»Ich bin hiii-hiiier!« Jetzt klang ich nicht nur lustlos, sondern noch dazu genervt.

»Wo ist hier?«

Konnte er nicht einfach meiner Stimme folgen? »In der Vorratskammer, Mann!«

»Bitte wo?« Er traute seinen Ohren nicht.

»In der Scheißkammer!«

Dann kam er endlich in die Küche. Stille!

»Hallo?«, rief ich durch die Tür. »Bist du kollabiert, oder was?«

Eilende Schritte. »Nein ...« Er machte die Kammertür frei. Dabei stöhnte und keuchte er, als wäre der Schrank aus Beton. »Was machst du denn da drin?«

Sobald die Tür aufging, drängte ich mich an ihm vorbei und blieb inmitten der Küche stehen, um den Duft von Freiheit zu inhalieren. Mit der einen Hand stützte ich mich auf dem großen Küchenblock ab, der in der Mitte des Raumes stand, und die andere stemmte ich in die Taille.

»Testen, ob ich an Klaustrophobie leide«, antwortete ich ironisch, während ich ihn völlig verstört von oben bis unten begutachtete. »Was zum Teufel hast du gemacht? Warum bist du so ... bunt?«

»Ach«, winkte er ab, als wäre das nicht der Rede wert, »ich war mit den Jungs nur ein bisschen Paintball spielen.«

Was sonst? Der dreiunddreißigjährige Matz war also spielen gewesen, während ich, seine geliebte Freundin, mit einer Waffe bedroht und ausgeraubt worden war.

»Solltest du deinem Vater nicht beim Schmücken des Hauses helfen?« Rainer und Margret, Matz' Eltern, liebten es kitschig. Nicht nur im Innenbereich, auch im Garten und sogar auf dem Haus musste es zu Weihnachten wild blinken und leuchten. Davon, dass es sich beinahe nicht mehr lohnte, wollten sie nichts wissen, denn nichts und niemand sollte darunter leiden, dass die dreimonatige Weltreise, von denen sie ihr Leben lang geträumt hatten, erst vor drei Tagen geendet war.

»Na ja, Papi hat mich ...« Matz runzelte die Stirn. »Egal! Sag mir lieber, was zur Hölle hier los war!« Er zeigte auf den Schrank, den er eben noch mit stählernen Muskeln fortschieben musste, um seine Prinzessin zu retten.

Ich wandte mich von ihm ab. »Ich wurde überfallen.« Mit schnellen Schritten ging ich ins Wohnzimmer, um das Telefon zu nehmen und die 110 zu wählen. Mir fiel nämlich gerade wieder ein, dass ich den Überfall endlich melden sollte.

»Du wurdest was?«

»Hörst du heute schlecht?«

»Leonie, das ist nicht witzig!« Er eilte an meine Seite, um mich zu drücken, was er genauso gut hätte bleibenlassen können, so schlaff, wie er an mir hing. Man könnte meinen, er wollte sich auf mir abstützen, völlig geschafft vom Kriegspielen. »Sag mir, dass das nicht wahr ist.«

Ich wand mich aus seiner Umklammerung, als sich endlich ein Polizeibeamter am anderen Ende der Leitung meldete. »Hallo, Leonie Pfeiffer hier. Ich wurde vor ... vor ...«, ich blickte auf die Kaminuhr, die in unserem Fall auf einem Sideboard stand, um mir darüber klar zu werden, wie lang ich in dieser Kammer wirklich festgesessen hatte, »vor fünfzig Minuten in meinem Haus überfallen. – Ja, überfallen. – Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen, zu überprüfen, was fehlt. – Das wäre nett, ja!« Ich gab meine Adresse durch und legte auf.

Schnurstracks eilte ich ins Obergeschoss, um nach dem wertvollen Schmuck und dem Bargeld unter der Matratze (Ja, ja, ich weiß, sehr originell!) zu sehen.

Matz heftete sich an meine Fersen. »Leonie, was heißt hier überfallen? Rede mit mir, verdammt!«

»Was gibt es an ›Ich wurde überfallen‹ nicht zu verstehen?« Ich hielt abrupt an, wandte mich ihm zu und schaute ihn finster an.

Er fiel beinahe über mich drüber. »Die Worte kapiere ich sehr wohl, aber nicht dein Verhalten.«

Mein Blick ruhte auf seinen Lippen, weil ich mir seine Äußerung erst einmal durch den Kopf gehen lassen musste. »Ich weiß nicht, was du meinst«, schaltete ich auf stur und setzte meinen Gang ins Schlafzimmer fort.

Matz hätte es nicht verstanden, wenn ich heulend in seinen Armen zusammengebrochen wäre. Er war nicht der Typ, der in solchen Momenten Trost zu spenden wusste. Stattdessen hätte er nur zaghaft, nein, gar ablehnend meinen Kopf getätschelt, als wäre ich von einem Magen-Darm-Virus befallen. So musste ich viele Dinge mit mir selbst oder mit meiner besten Freundin Paulina ausmachen. Und das war der Grund, aus dem ich vor ihm die Coole markierte.

Stracks steuerte ich meine Schmuckschatulle an und kramte lautstark darin herum. Aber ich konnte beim besten Willen nicht erkennen, dass der Einbrecher irgendein Schmuckstück entwendet hatte. Als ich an dieser Stelle nicht weiterkam, sauste ich zur Matratze, hievte sie mit aller Kraft nach oben und schnappte mir den kleinen weißen Briefumschlag. Ich brauchte nicht nachrechnen, ob der Betrag noch komplett war, denn welcher Einbrecher würde sich nur ein oder zwei Scheine herausnehmen und den Rest des Geldes fein säuberlich an Ort und Stelle zurücklegen?

»Wo hast du das ganze Geld her?«

Da kam mir in den Sinn, dass ich Matz gar nichts von meinem Sparstrumpf erzählt hatte. Das war eine recht verzwickte Situation, in die ich nun geraten war.

»Sag schon.«

»Dein Timing ist wie immer beschissen«, machte ich ihn darauf aufmerksam, dass in wenigen Augenblicken die Polizei auf der Matte stehen würde und für Diskussionen wie diese nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt war.

Ich stopfte mir den Umschlag in den Hosenbund und lief wieder ins Untergeschoss. Jetzt, da er davon wusste, war Vorsicht geboten. Denn Matz war groß im Geldausgeben, doch nicht im Herbeischaffen. Und dieser Sparstrumpf sollte mich gewissermaßen absichern.

»Ich habe das Recht zu erfahren, wo du das Geld her hast, Leonie.« Er hielt mich am Arm fest.

Das mochte ich so gar nicht. »Nimm deine Hand weg!« Meine Stimme und mein Blick waren messerscharf. »Wie kommst du darauf, dass das Geld irgendetwas mit dir zu tun hat? Es ist meins.«

»Wir sind seit zwei Jahren ein Paar. Natürlich geht es mich etwas an, wenn du Geld vor mir versteckst.«

»Ich verstecke Geld vor dir?« Ich lachte gellend auf, konnte mich kaum halten. »Matz, das nennt man sparen.«

Er zischelte durch die Zähne. »Wofür?«

Einfallslos zuckte ich mit den Schultern. »Vielleicht für schlechte Zeiten?«

»Schlechte Zeiten? Was für schlechte Zeiten? Hast du vor, dich von mir zu trennen?«

Ich dachte: Ausgezeichnete Idee, sagte stattdessen: »Ich rede nicht von uns, sondern davon, falls die Waschmaschine kaputtgeht oder wir einen Wasserrohrbruch haben oder so.«

Matz' Blick war starr vor Entsetzen. »Was für ein Wasserrohrbruch?«

»Falls!«, schrie ich ihn an. Ich wusste, dass es nichts brachte, wenn ich laut wurde, schließlich lag es ja nicht an seinen Ohren, dass er mich nicht verstand.

»Das erklärt trotzdem nicht, wieso du mir das verschwiegen hast.« Bockig wie ein siebenjähriger Schuljunge verschränkte er die Arme vor der Brust und schürzte die Lippen. Er erweckte in mir den Instinkt, ihn mir übers Knie legen und ihm den Hintern versohlen zu wollen.

Seufzend ließ ich mich auf dem Sofa fallen. »Weil du nicht sparen kannst.« Erschlagen legte ich den Kopf zurück auf die Lehne und rieb mir die Wangen.

»Das stimmt doch gar nicht!«

Ich schwor mir, dieses unreife Teufelskreis-Spiel jetzt nicht mitzuspielen: 'türlich! Gar nicht! Doch! Nein! Doch! Neiiin! Dooohoooch! Du spinnst! Ich spinne nicht! Klar, spinnst du! Gar nicht! Doch! Nein! Doch! Neiiin! Dooohoooch! Dafür war ich einfach zu müde. Nicht müde wie müde. Müde wie: ich war zu alt dafür und hatte es satt.

»Vergiss es!«, resignierte ich also.

»Nein, du hast Geheimnisse vor mir.«

Wer hier wohl Geheimnisse hat! Aber auch das Spiel war ich leid. »Lass es gut sein, Matz«, klang ich erschöpft. »Lass es doch einmal gut sein, ja?«

»Und können Sie Angaben zu äußeren Merkmalen machen?«, fragte Klein, ein recht großer, wohlernährter, verschlafener Polizeibeamter um die sechzig, nachdem ich ihn und seinen Kollegen in der Küche herumgeführt und den genauen Tathergang beschrieben hatte. Nun rutschten irgendwelche Leute über den mediterranen Fliesenboden, um eventuelle Schuhabdrücke oder andere verwertbare Spuren zu sichern, und verteilten an verschiedenen Stellen dieses schwarze Pulver, um nach verdächtigen Fingerabdrücken zu suchen.

Der Polizeibeamte und ich saßen im Wohnzimmer an meinem runden Esstisch. »Na ja ... hm ... er war groß, hatte eine schlanke Figur, einen weißen Vollbart und rote Klamotten an.«

Klein räusperte sich. Sein Partner, der sich nur einige Schritte von uns entfernt aufhielt und meinen werten Lebensgefährten befragte, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Hören Sie, ich wurde gerade mit einer Waffe bedroht und ausgeraubt. Was ist daran witzig?«

»Frau Pfeiffer, darüber sind wir uns durchaus bewusst, aber Sie beschreiben uns praktisch einen Weihnachtsmann. Das hilft uns insbesondere zur Weihnachtszeit nicht gerade weiter.«

»Er war schlank!«, wies ich ausdrücklich darauf hin, dass das schon ein bisschen ungewöhnlich war.

»Das grenzt die Suche natürlich erheblich ein!«, erwiderte er mit gespielter Ernsthaftigkeit. Dann entschuldigte er sich. »Wissen Sie, dieses Merkmal ist eben nicht gerade sehr charakteristisch.«

Wo er recht hatte, hatte er recht. Doch ich hatte nun mal nicht mehr sehen können. »Na schön!«

»Na schön – was?«

»Dann kann ich wohl keine Angaben zu seinem Erscheinungsbild machen.«

»Okay, und was wurde Ihnen gestohlen?« Er kritzelte das Wort Diebesgut mit Doppelpunkt dahinter auf seinen Notizblock.

»Nun, na ja ...«, räusperte ich mich, denn es war mir etwas peinlich, »die Wertgegenstände sind alle noch da.«

Verwundert zog Klein die Augenbrauen hoch. »Wie? Bitte?« Er blinzelte unkontrolliert. »Sie haben doch gerade gesagt, dass Sie bedroht und ausgeraubt wurden, nicht wahr?«

»Hab ich das?« Ja, das hatte ich, noch vor fünf Sekunden.

»Sie wurden also nicht ausgeraubt?«

»Allem Anschein nach nicht.« Verlegen wich ich Kleins Blick aus. Dabei fiel mir das Wandregal mit den Familien- und Freundschaftsbildern in den bunten Rahmen ins Auge, das über dem Sofa hing, auf dem Matz gerade mit reibenden Händen (ein für ihn typisches Merkmal dafür, dass er überaus nervös war) saß. Ich kniff meine Augen zusammen, um diesen Bereich scharf zu stellen. Nicht nur, dass einige Bilder auffallend verschoben waren, eines fehlte sogar.

»Ist Ihnen doch etwas aufgefallen?«, war Klein durch mein Verhalten aufmerksam geworden und blickte nun in dieselbe Richtung, in die ich sah. Allerdings richtete er seinen Blick argwöhnisch auf Matz.

Als ich das wahrnahm, versetzte es mich in Alarmstimmung. »Oh nein – nein, nicht doch.«

»Hören Sie, das alles hier kommt mir ein bisschen suspekt vor. Wurden Sie nun überfallen oder nicht?« Klein klang plötzlich streng. Vielleicht war er aber auch nur müde und wollte um diese Zeit einfach nur zu Hause bei seiner Familie sein.

Darum beschloss ich, es nicht komplizierter zu machen, als es ohnehin schon war. »Also gut, ich war gerade in der Küche, um mir den Salat zuzubereiten ...«

Klein stöhnte: »So weit waren wir schon, Frau Pfeiffer.«

»Ich bitte Sie, ich versuche doch nur, die Sachlage so genau wie möglich zu rekonstruieren, wenn es schon so wenig Anhaltspunkte zum Täter gibt.«

»Aber es nützt alles nichts, wenn dabei keine Täterbeschreibung rumkommt, verstehen Sie das denn nicht?«

Allmählich bereute ich es schon, die Polizei gerufen zu haben, zumal nicht einmal etwas gestohlen worden war. Und dass ich fünfzig Minuten in der Kammer eingesperrt war, würde ich auch ganz ohne psychotherapeutische Hilfe verkraften.

Ich sprang vom Stuhl. »Ich bitte die Herrschaften, sofort mein Haus zu verlassen«, rief ich in die Runde und klatschte in die Hände, um die Meute auf Trab zu bringen.

»Leonie!«, rief Matz entsetzt.

Und Klein warf hinterher: »Frau Pfeiffer, nun beruhigen Sie sich doch.«

Ich wandte mich zu ihm um und rümpfte die Nase. »Ähm, Herr Klein, ich bin vollkommen ruhig. Ich möchte nur, dass Sie alle auf der Stelle mein Haus verlassen. Sie haben getan, was Sie tun mussten. Den Rest regele ich.« Ich wedelte mit dem Zeigefinger auf das schwarze Pulver, das, wie mir schien, inzwischen im ganzen Haus verteilt worden war. »Zum Beispiel hinter Ihnen aufräumen.«

»Frau Pfeiffer, wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um ...«

»Ja, ja, tun Sie das«, fuhr ich ihm zweifelnd ins Wort. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun ... Wie konnte man nur so lügen? Fakt war doch, dass keiner bei dem Einbruch umgekommen war. Es war ja nicht einmal etwas geklaut worden, was mich sogar gewaltig ärgerte. Ich meine, was fiel dem Einbrecher ein, mir mit seiner Pistole erst eine Heidenangst einzujagen und mich so viehisch in die Kammer zu stoßen, wenn er dann einfach ohne Beute abhaute? Wofür war das gut gewesen?

»Was war das bitte?«, raunzte Matz mich an, als wäre er plötzlich der Vernünftige von uns beiden, sobald er die Haustür hinter den Polizeibeamten geschlossen hatte.

Ich lief in die Küche, um mir einen Pfefferminztee aufzubrühen. »Lass das meine Sorge sein, in Ordnung?« Ich hatte keine Nerven dafür, mit ihm darüber zu debattieren.

»Fandest du das nicht etwas unhöflich? Ich meine, die Truppe ist extra nur wegen dir aufgeschlagen ...«

»Was kümmert dich das?« Ich ließ das Wasser in den Wasserkocher rauschen und rollte mit den Augen. »War doch schließlich mein Überfall!« Was redete ich denn da für einen Stuss?

Er lachte höhnisch auf. Mehr auch nicht.

Während sich das Wasser erwärmte und ich den Teebeutel in eine Tasse gab, erklärte ich: »Hör mal, ich bin einfach müde, okay? Ich gehe gleich zu Bett.« Ja, ich war überfordert. Aber das konnte Matz nicht wissen. Nicht, weil ich es ihm nicht sagte, sondern weil es ihn nicht interessierte. Also war mir nach Rückzug, um das Geschehene zu verarbeiten und drüber zu schlafen. Heute würde ich nicht mehr als Blödsinn von mir geben.

»Okay!« Schlecht gelaunt stapfte er in den Korridor, riss seinen Mantel von der Garderobe und verdrückte sich ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Es war auch nicht nötig, mir Auskunft darüber zu geben, wohin ihn die Reise führte. In Fällen wie diesen konnte ich mich darauf verlassen, dass er sich mit seinen Freunden traf, um den Frust in Alkohol zu ertränken. Doch ausnahmsweise war es mir herzlich egal. Ich ging zur Haustür und schob sogar die Kette und den Riegel vor, damit er in der Nacht nicht hineinkommen würde. Sollte er doch ruhig draußen in der Kälte versauern.

Als ich auf dem Weg zurück in die Küche war, um das heiße Wasser aufzugießen, blieb ich abrupt stehen, denn just fielen mir wieder die verschobenen Bilderrahmen ein, die den Einbrecher brennend interessiert haben mussten. Also ging ich nicht nach rechts in die Küche, sondern nach links ins Wohnzimmer, stellte mich dem Regal gegenüber und starrte auf die Rahmen, um zu verstehen, wieso dieser Kerl das getan hatte. Und warum hatte er eines der Bilder entwendet? Mir war sofort klar gewesen, welches Bild fehlte: es zeigte mich als dreizehnjährigen Teenager mit meiner Lieblingsbetreuerin Agnes vor dem Kinderheim, in dem ich bis zu meinem achtzehnten Geburtstag untergekommen war, während meine Adoptiveltern neben anderem ihre Haftstrafe abgesessen hatten. Da drängte sich mir die Frage auf, was der Einbrecher ausgerechnet mit diesem Bild wollte. Mir erschloss sich der Sinn nicht.

Allerdings würde sich mir heute sowieso nichts Sinnvolles mehr erschließen. Mein Kopf war prall gefüllt mit einer Unmasse an Informationen, die sich in einem einzigen Chaos verloren hatten und dringend sortiert werden mussten.

Dann fixierte ich den Adventskranz, der in der Mitte des Esstisches stand. Er war schlicht, mit vier weißen Kugelkerzen, mit Tannenzapfen und mit roten Schleifchen ausgestattet. Ich konnte kaum fassen, dass morgen schon der dritte Advent sein würde. Nicht, weil die Zeit wie im Fluge zu vergehen schien, sondern weil es sich überhaupt nicht wie Weihnachten anfühlte. Dabei hatte ich diese Zeit immer so genossen: die Ausflüge auf verschiedene Weihnachtsmärkte, die ausgiebigen Einkaufsbummel mit meiner Busenfreundin Paulina, das Herbeischaffen und Schmücken der Rotfichte, das Einpacken von Geschenken, die Planung des Weihnachtsessens und vieles mehr. Doch dieses Weihnachten wollte mich emotional einfach nicht packen, und ich hatte nicht die mindeste Ahnung, warum das so war.

Und ob ich das wusste! Doch ich hatte mir geschworen, mich nicht von negativen Energien beherrschen zu lassen. Am Ende war ich allerdings nicht dagegen angekommen. Spätestens mit dem heutigen Überfall war das Maß offensichtlich voll.

Und doch wollte ich mich immer noch nicht entmutigen lassen. Ich bildete mir ein, dass mich ein warmer Pfefferminztee im Bett vor dem Flimmerkasten kurieren könnte. Wenigstens ein bisschen.

Und das schwarze Pulver? Das könnte ich auch genauso gut morgen in aller Ruhe entfernen.

Durchgeknallte Weihnachten

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