Читать книгу Koalaträume - Katja Brandis - Страница 8

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AUSSEN VOR

Frühstück gab’s im Aufenthaltsraum des Haupthauses, der Tisch war für uns gedeckt und in einer Pfanne fanden sich Spiegeleier und Speck, die wir uns anscheinend aufwärmen sollten. Es war sieben Uhr und außer uns war niemand da. Waren wir die Ersten oder die Letzten?

Lars war blass und hatte einen leidenden Blick. Ein klarer Fall von zu viel Bier. »Hast du eine Ahnung, wofür wir heute eingeteilt sind?«, brummte er.

»Nö, am besten, wir schauen mal im Büro vorbei«, sagte ich. Doch an den beiden Schreibtischen saß niemand, auf einem der Computer flimmerte ein Bildschirmschoner, auf dem ein Wombat schlief, schnarchte und sich ab und zu in lustigen Posen herumwälzte. Während Lars die Aushänge am Schwarzen Brett las, nahm ich das mit dem Wombat als Zeichen und suchte das dazu passende Gehege, das ich schließlich den Emus gegenüber fand. Dort war Rusty schwitzend damit beschäftigt, das Gehege umzugraben. Er grinste freundlich, als er mich sah. Auf seinem Rücken hing wie immer der Rucksack mit Arnold. »Na, alles klar?«

»Jedenfalls fühle ich mich schon viel besser als gestern«, sagte ich, schnappte mir einen Spaten und begann, Rusty zu helfen.

Missbilligend beobachteten uns die beiden Wombats, die mir Rusty als Mr Jones und Mathilda vorstellte. Sie wirkten wie kräftige, wenn auch ziemlich klein geratene Bären, ihre Pfoten sahen aus wie Schaufeln. Es war kein Wunder, dass sie nicht von uns begeistert waren, wir machten schließlich die mühsame Arbeit einer gesamten Nacht zunichte. Die beiden Wombats hatten das Gehege völlig durchwühlt und untertunnelt, überall hatten sie ihre Höhlen gegraben. Wir schippten den Sand wieder in die Löcher und glätteten den Boden, damit sie in der nächsten Nacht etwas zu tun hatten. Eine Höhle für ihr Mittagsschläfchen ließen wir ihnen natürlich übrig.

»Mit den Tunneln machen sie sich auf den Farmen richtig unbeliebt, immer wieder treten Pferde und Rinder in ’nen Wombat-Bau und brechen sich das Bein«, erzählte Rusty. »In den Fünfzigerjahren gab es eine Kopfprämie für jedes Tier, das man erschossen hat. Heute stehen sie unter Schutz und trotzdem sind die Eltern der beiden abgeknallt worden.«

»Sind Mathilda und Jones die beiden, die Chaz aufgezogen hat?«

»Darauf kannst du wetten. Früher durften sie sogar ins Haus, aber Mr Jones hat sich angewöhnt, neben der Kloschüssel zu schlafen«, berichtete Rusty. »Ich kann dir sagen, das war kein so tolles Gefühl, mit heruntergelassenen Hosen halb über einem Wombat zu hocken. Weißt du, was die mit deinen Schienbeinen anstellen können?«

Plötzlich fiel mir auf, dass Rusty kniehohe Lederstiefel trug. Vielleicht sollte ich mir für morgen ein Paar davon organisieren.

Anschließend gingen wir ins Büro und Rusty zeigte mir, wo die Dienstpläne hingen. Wie sich herausstellte, war ich dazu eingeteilt, bei der Fütterung der verwaisten jungen Kängurus und Koalas zu helfen. Ich war begeistert. Nichts wie hin! Ich stürmte zur Aufzuchtstation und stellte fest, dass Lars bereits eifrig dabei war, unter Chaz’ Aufsicht einem Joey seine Portion Milch zu verabreichen.

»Du warst nicht da, also habe ich mir gedacht, okay, einer muss den Job wohl erledigen«, sagte er und tat, als kapierte er gar nicht, warum ich sauer war. Ich kniff die Lippen zusammen und blieb da, um wenigstens zuschauen zu können und mitzukriegen, wie das alles ablief. Chaz gab mir den Job, eine Ladung Pipetten, Milchflaschen, Sauger und sämtliches andere Equipment mit heißem Wasser zu spülen und anschließend das ganze Zeug zu sterilisieren. »Immer Hände waschen, bevor ihr ein Joey anfasst«, prägte er uns ein. Leider war er in nüchternem Zustand nicht mehr so gesprächig und wir mussten die Informationen förmlich aus ihm herausquetschen.

»Wie oft bekommt so ein Kleines denn zu trinken?«

»Stündlich. Wenn es noch kein Fell hat.«

»Und später?«, bohrte ich. »Wenn es ein Fell hat?«

»Dann alle drei Stunden.«

»Und anschließend?«

»Ja, halt nach Bedarf.«

Stündlich? Kein Wunder, dass Chaz mindestens ebenso übernächtigt aussah wie Lars!

»Was kriegen die Joeys für Milch?«, fragte ich und zur Antwort deutete Chaz mit dem Kinn auf eine ganze Reihe von Säcken. Staunend las ich, was sie enthielten: Aufzucht-Milchpulver. Es gab fünf verschiedene Sorten, jede Tierart hatte ihren eigenen Mix.

Ich schaute zu, wie Lars dem Koala vorsichtig die Flasche gab. Konzentriert und anscheinend hingerissen beugte er sich über das winzige Joey, das gierig saugte. Allein der Kopf des Minikoalas schaute heraus: pelzige silbergraue Ohren, eine schwarze Nase und runde dunkle Augen.

»Heißt Nimari«, brummte Chaz. Nimari hatte es sehr gemütlich in ihrem Beutelersatz. Ein elektrisches Heizkissen sorgte für die nötige Wärme und saugfähige Einlagen dafür, dass der Beutel nicht dreckig wurde. Die Kleine klammerte sich an einen Teddybären aus Stoff, der nicht halb so niedlich war wie sie selbst.

»Etwa zweihundert Tage alt ist sie«, erklärte Chaz. »Verbringt rund eine halbe Stunde pro Tag außerhalb des Beutels. Bald wird sie anfangen, Eukalyptus zu probieren.«

»Wie schaffen die Koalas es eigentlich, dieses faserige Zeug zu verdauen?«, fragte ich fasziniert.

»Mit Mamas Hilfe«, erklärte Chaz und nach und nach bekamen wir aus ihm heraus, dass das Muttertier in dieser Zeit anfing, einen besonderen grünlichen Kot zu produzieren, den Pap. Indem die Kleinen ihn fraßen, bekamen sie alle nötigen Bakterien, die sie zum Verdauen der zähen Blätter brauchten. Soso, die niedlichen kleinen Pelztierchen fraßen also Ausscheidungen.

Ich musste es einfach fragen. »Und wie machen sie das mit einem Kerl wie dir als Mama, der garantiert nicht anfängt, auf dem Klo irgendwas Grünes zu produzieren?«

Chaz lachte, dann seufzte er. »Schwierig. Wir holen uns was von echten Koalamamas. Leider hält sich das Zeug im Tiefkühler bloß zwei Wochen.«

Währenddessen war ein anderes, etwas älteres Joey damit beschäftigt, auf einem kleinen Spielbaum herumzuklettern, an dem ein Teddy befestigt war. Doch für mehr als einen kurzen Ausflug reichte es nicht, schon krabbelte der Kleine eilig in die dunkle Sicherheit seines Stoffbeutels zurück.

»Normalerweise würde er in dem Alter auf dem Rücken seiner Mutter reiten. Wir probieren morgen mal, ihn auf eins der Weibchen zu setzen, vielleicht adoptiert es ihn, weißt du?«, meinte Caroline und streckte wortlos die Hand aus. Ihre Tochter Brittany – die ich gestern bekleckert hatte – legte eine Beuteleinlage hinein und Caroline befestigte sie. Ganz klar ein eingespieltes Team.

Auch das kleine Wallaby Jula, das wir gestern von der Straße geholt hatten, war im Aufzuchtzentrum, doch es streckte nicht mal den Kopf aus dem Beutel, während wir da waren. Wahrscheinlich war es völlig traumatisiert.

Den Rest des Vormittags war ich damit beschäftigt, Futter zu hacken und bei den Buntwaranen, bei den Dingos und in den Vogelvolieren sauber zu machen. Alles wie gewohnt, das war mehr oder weniger das, was ich in Hellabrunn jeden Tag gemacht hatte, lediglich mit anderen Tieren. Lars war nirgendwo mehr in Sicht. Wieso hatte ich das Gefühl, dass ich was verpasste? Weil es so war, wie ich bei einem kleinen Rundgang übers Gelände feststellte. Im Gehege der Echidnas war Lars unter Rustys Anleitung dabei, einen Schnabeligel, der aussah wie ein Stachelkissen mit einer zigarrenförmigen schwarzen Nase, in einen Sack zu versenken.

»Die Dame muss zum Gesundheitscheck«, erklärte Rusty und sah ein bisschen verlegen aus. »Sorry, dass ich dich nicht gefragt hab, Juli – aber dein Freund sagte, er will Tierarzt werden, also dachte ich mir, er braucht die Übung.«

»Kein Problem«, sagte ich und versuchte ein Lächeln. Mein Freund! Soso, angeblich wollte Lars also Tierarzt werden, obwohl er gerade mitten in der Ausbildung zum Zootierpfleger steckte. Tolle Idee von ihm. Anscheinend bekam er dadurch die ganzen interessanten Jobs ab!

In der kleinen Klinik des Wildparks wartete Maryann auf uns, die Tierärztin, die ich in München kennengelernt hatte. Sie begrüßte mich mit einem herzlichen Lächeln, dann widmete sie sich dem Echidna, der über und über mit dunkel- und hellbraunen Stacheln bedeckt war. Endlich gab es eine Gelegenheit, mit anzupacken, allerdings eine ziemlich schmerzhafte. Vier Leute – Rusty, Kerrie, Lars und ich – mussten helfen, die Patientin auf den Behandlungstisch zu legen, jeder von uns hielt eins der Beine.

»Wie wär’s mit Handschuhen?«, fragte Lars und zog eine Grimasse.

Rusty schüttelte den Kopf. Auch er trug keine, seine Hände bluteten.

»Sorry, mate, aber du brauchst deinen ganzen Tastsinn.«

»Sieh an, sie hat Nachwuchs«, sagte Maryann und holte vorsichtig ein nacktes rosa Geschöpf aus einer kaum sichtbaren Höhle am Bauch des Echidnas, die ich auf den ersten Blick eher für einen Nabel gehalten hätte. Das strampelnde Kleine sah aus wie ein rosa Gummibärchen im XXL-Format. Rasch wurde es gewogen, untersucht und vorsichtig wieder in den warmen dunklen Beutel seiner Mama zurückbugsiert.

»Jetzt gönnt es sich wahrscheinlich gleich einen Schluck rosa Milch«, meinte Rusty. »Den Echidna-Babytrunk erkennt man sofort an der Farbe. Lecker, was?«

»Aber nicht so lecker wie dein Apfelkuchen«, sagte ich und hocherfreut versprach mir Rusty fürs nächste Mal einen Schoko-Mango-Kuchen, seine Spezialität.

»Ach, Rusty, du bist ein Schatz!«, gab ich zurück und er grinste, bis er sich fast die Mundwinkel ausrenkte.

Colin war bei der Aktion mit den Echidnas nicht dabei gewesen, ich hatte ihn den ganzen Tag nicht gesehen. Waren seine Semesterferien zu Ende? Ich war nicht sicher, ob ich mir das wünschte oder nicht.

Am Nachmittag brachte ein Einheimischer einen verletzten Koala vorbei, der von einem Auto angefahren worden war, und Maryann setzte das kleine Beuteltier sofort unter Narkose. Auf dem Rücken, alle viere von sich gestreckt, lag er da, und eine durchsichtige Maske bedeckte seinen grau bepelzten Kopf. Lars und ich machten lange Hälse, um bloß nichts zu verpassen. Kurz wandte sich Maryann uns zu und Lars nutzte die Chance sofort. »Könnte ich vielleicht helfen? Es wäre eine tolle Vorbereitung auf mein Tierarztstudium…«

Maryann nickte. »Wir reinigen erst mal die Wunden, damit wir sehen, wo er verletzt ist.«

Ich hatte genug. Wortlos drehte ich mich um und ging. Reichte es Lars nicht, dass ich ihm eine Einladung verschafft hatte, musste er sich auch noch überall vordrängen?

Es war eigentlich kein schlechter Tag gewesen und doch fühlte ich mich leer und matt. Im Wildlife Park hatte ich meinen Platz bis jetzt nicht gefunden und das mit dem Strand nach Feierabend wurde wohl nichts, denn schließlich hatten Lars und ich nicht genug Kohle, um uns ein Mietauto besorgen zu können. Vielleicht wohnte einer der Pfleger in Noosa, an der Küste, und konnte mich mal mitnehmen?

Am späten Nachmittag wurde es ruhiger in The Ark. Die Besucher waren alle verschwunden und kurz darauf verriegelte Noah das Eingangstor. Ein Helfer nach dem anderen verabschiedete sich und ging heim. Erschöpft und entmutigt machte ich mich an meine letzte Aufgabe für den Tag; ich hatte mich freiwillig dafür gemeldet, noch einmal den Sand in den Volieren durchzuharken. Vielleicht brachte das der ungeschickten Kaninchenlady aus Deutschland wenigstens ein paar Fleißpunkte ein. Ich schloss die erste Voliere auf, machte die Tür hinter mir zu und war sofort von scharlachrot-blauen Papageien umgeben, die ohne Scheu auf meinem Kopf und meinen Schultern hockten, während ich Ordnung machte. Es kitzelte und ich bewegte mich vorsichtig, damit sie nicht wieder davonflogen.

Nach mehreren verschiedenen Vogelarten war der große Käfig der Ringtail Possums – Ringschwanzbeutler – dran. Sie waren etwa katzengroß, hatten ein dichtes silbrig graues Fell, rosa Nasen und lange, an der Spitze weiße Greifschwänze. Eins von ihnen landete mit einem gewagten Sprung auf meiner Schulter. Ich schenkte dem Possum ein Stück Apfel und es knabberte drauflos. Ach, mit Tieren zusammen zu sein, war so einfach und schön … es waren die Menschen, die alles kompliziert machten…

»Ich glaube, Mayra mag dich«, sagte eine Stimme und ich fuhr zusammen. Ein junger Mann lehnte an einer der Volieren. Ich erkannte ihn auf Anhieb. Colin.

Sofort verkrampfte ich mich und mein Herzschlag dröhnte mir in den Ohren. Würde er die Sache mit George, dem Krokodil, ansprechen? Oder sollte ich es tun?

»Mach mal die Augen zu«, sagte Colin und ich war so verblüfft, dass ich es tat. »So, atme tief durch …und hör zu.«

Ich schloss die Augen und atmete tief. Die Possums stießen beim Herumturnen in den Ästen leise, zwitschernde Laute aus, sie klangen eher wie Vögel und weniger wie kleine Beuteltiere. Je länger ich lauschte, desto ruhiger wurde ich. Ich hörte auf zu denken, war im Hier und Jetzt. Mein Herz schlug wieder langsam und gleichmäßig.

Es dauerte einen Moment, bevor mir das leise Geräusch im Hintergrund auffiel. Ein kurzes, zischendes Niesen – was konnte das sein?

Ich öffnete die Augen wieder und sah mich um. Colin stand genauso da wie vorher, sein Gesicht war völlig ruhig. Er hatte die Augen ebenfalls geschlossen. »Hast du es gehört?«, fragte er.

»Ja. Was ist das?«

»Ein junges Possum, das nach seiner Mutter ruft. Schau mal, ob du es findest. Kann sein, dass es aus dem Beutel gekrochen und runtergefallen ist.«

Er hatte recht. Das Joey hockte zwischen den Blättern, ich hatte es völlig übersehen.

»Und was jetzt?«, fragte ich Colin.

»Wirkt es verletzt?«

Ich schaute nach. »Nein.«

»Es wird heute eine warme Nacht, auskühlen wird das Kleine nicht. Lass es, wo es ist. Wenn seine Mutter es morgen früh nicht zurückgeholt hat, bringen wir es in die Aufzuchtstation.«

Wir sahen uns an, plötzlich verlegen. Dann mussten wir beide lächeln. Auf einmal wusste ich, dass er niemandem davon erzählt hatte, wie dämlich ich mich mit George angestellt hatte.

Mir fiel auf, dass ein geschlossener Katzentransportkorb aus Plastik neben ihm stand. »Was hast du denn dadrin?«

Er lächelte. »Auch ein Possum. Sie geraten ständig in Schwierigkeiten, weil sie so neugierig sind und sich in den Vororten eigentlich ganz wohlfühlen. Dieses hier ist auf einem Haus herumgeklettert und in den Kamin gefallen. Wir behalten es über Nacht zur Beobachtung, es wirkt ein bisschen angeschlagen.«

Beiläufig hob er die Hand zum Abschied, dann nahm er den Transportkorb und machte sich auf den Weg.

Ich fühlte mich plötzlich ganz seltsam. Ein bisschen zittrig. Wahrscheinlich sollte ich mich dringend mal um etwas zum Abendessen kümmern, ein Sandwich zu Mittag war zu wenig, wenn man körperlich arbeitete.

Also verabschiedete ich mich von meiner neuen Freundin, Mayra dem Ringtail Possum, brachte mein Werkzeug weg und ging ins Hauptgebäude. Es roch nach Essen; in der kleinen Küche des Hauptgebäudes verriet ein rot verschmierter Teller mit einer einsamen Nudel darauf, dass Lars Spaghetti gekocht hatte. Anscheinend nur für sich selbst. Jetzt lag mein Kollege auf dem Sofa im Aufenthaltsraum; seine Füße hingen über die Lehne. Er war völlig vertieft in ein Buch mit dem Titel Bier selber brauen: Sie können das auch!.

Als Lars mich sah, ließ er das Buch sinken. »Es interessiert dich wahrscheinlich nicht, wie es diesem verletzten Koala geht, der vorhin abgegeben wurde«, meinte er. »Falls doch, dann frag mich, okay?«

Die Wut schoss wie ein glühender Strom durch meinen ganzen Körper. Und ich wusste, dass wir das alles klären mussten, sofort. Selbst wenn es sein konnte, dass ich oder er oder wir beide dann aus dem Wildlife Park hinausflogen.

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