Читать книгу Vier Pfoten für Julia - Winterzauber - Katja Martens - Страница 8

3. Kapitel

Оглавление

Jonte Langstein fuhr erschrocken aus einem tiefen, traumlosen Schlaf hoch. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Vorhänge flatterten vor dem Fenster. Eisige Luft strömte von draußen herein. Der Wind hatte aufgefrischt und war zu einem Sturm angewachsen, der um das Haus fauchte und die Äste der Douglasie gegen die Mauern peitschte. Schneeflocken wirbelten am Fenster vorbei. Der Nachthimmel war in ein unheilvolles Orange getaucht, das noch mehr und anhaltende Schneefälle ankündigte.

Der Leiter des Tierheims blinzelte in die Dunkelheit und lauschte irritiert. Was hatte ihn geweckt?

Die Antwort auf diese Frage ließ nicht lange auf sich warten. Ein Licht flammte für den Bruchteil einer Sekunde auf. Mit dem nächsten Atemzug zerriss ein Donnerschlag die nächtliche Stille. Die Hunde bellten. Jonte stieß den Atem aus. Ein Wintergewitter! Weiter nichts. Kein Grund zur Beunruhigung. Er schob sein Kopfkissen im Nacken zurecht und schloss die Augen. Der Wetterbericht hatte das Gewitter am vergangenen Abend bereits angekündigt. Es war also keine Überraschung. Jonte hatte vor dem Schlafengehen extra alle Käfige und Türen überprüft. Seine Schützlinge waren gut untergebracht.

Der Golden Retriever mit der Schusswunde war am vergangenen Abend in der Tierklinik operiert worden. Jonte hatte gewartet, bis der Eingriff überstanden war. Es war gut gegangen, allerdings hatte ihn der Tierarzt gewarnt, dass sich eine Infektion einstellen konnte. In diesem Fall war es ungewiss, ob der Rüde durchkommen würde. Jonte hoffte das Beste für seinen Findling.

Seine Wohnung befand sich im Dachgeschoss des Tierheims. Das war praktisch, denn es bedeutete einen kurzen Arbeitsweg und ermöglichte ihm, auch nach Feierabend nach seinen Schützlingen zu sehen. Besonders auf Neuzugänge hatte er gern ein Auge, weil es erfahrungsgemäß seine Zeit dauerte, bis sie sich eingewöhnt hatten. Manchmal saß er bis tief in die Nacht bei ihnen, redete ihnen zu und fütterte sie.

Wieder donnerte es. Leiser diesmal. Offenbar zog das Unwetter bereits weiter. Der Zweiundvierzigjährige stieß einen erleichterten Atemzug aus und überließ sich seiner Müdigkeit. Sein Bewusstsein driftete davon wie ein Ruderboot auf dem Meer. Er war gerade am Wegdämmern, als ein gedämpftes Rumpeln aus der unteren Etage heraufklang. Jonte wurde wieder munterer. Was war denn das? Ein Hund, den das Unwetter beunruhigte? Ein Käfig, den er nicht ausreichend gesichert hatte? Und warum bellten die Hunde immer noch? So schlimm war der Donner nicht mehr. Ein mulmiges Gefühl meldete sich in seiner Magengrube. Er würde nicht eher Ruhe finden, ehe er nachgeschaut und sich Gewissheit verschafft hatte, das wusste er, deshalb schob er seufzend seine Zudecke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett. Dabei stieß er an den Krimi, der auf seinem Nachttisch lag. Er hatte am vergangenen Abend darin gelesen. Es war eine alte Geschichte um Jack the Ripper.

Jonte leitete das Tierheim seit vier Jahren und nahm seine Verantwortung für die gestrandeten Tiere ernst. Ursprünglich stammte er aus Nordfriesland, aber seine Arbeit hatte ihn auf den Darß geführt. Mittlerweile hätte er sich keinen Ort vorstellen können, an dem er lieber gelebt hätte. Er mochte das Rauschen des Meeres, die sturmzerzausten Kiefernwälder und auch die Menschen, die so rau und frei waren wie die See selbst. Allerdings fürchtete er die ersten Tage jedes neuen Jahres. Erfahrungsgemäß landeten dann die meisten Vierbeiner im Tierheim, die vor kurzem noch als Geschenk unter dem Weihnachtsbaum gesessen hatten. Sobald ihre neuen Besitzer erkannten, wie viel Arbeit ein Tier machte, wurden sie ausgesetzt, vor dem Tierheim abgeladen oder über den Zaun geworfen. Jonte bemühte sich, ein neues Zuhause für sie zu finden, aber die Zahl der Familien, die bereit waren, ein Haustier aus dem Heim aufzunehmen, war begrenzt.

Sein Beruf ließ ihm kaum Zeit, um sich zu verabreden. Dabei hätte er gern eine eigene Familie gehabt, aber bisher fehlte ihm die Gelegenheit dazu. Sein Vater hielt ihm bei jedem Familientreffen vor, dass er sein Leben mit herrenlosen Tieren vergeudete und sein Talent verschwendete. Sein Vater hatte Jonte gedrängt, sein Nachfolger im Familienbetrieb zu werden. Doch die Vorstellung, tagein, tagaus hinter dem Schreibtisch einer Porzellanfabrik zu sitzen und über nichts anderes als Gewinnoptimierung nachzudenken, war ihm unerträglich. Nein, das war nicht seine Welt. Er liebte Tiere und tat alles, was in seiner Macht stand, um ihnen zu helfen.

Wieder ein Donnerschlag.

Der Wecker auf seinem Nachttisch stand auf halb zwei. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Unvermittelt rumpelte es wieder. Das Geräusch kam aus der unteren Etage. Es hörte sich auch nicht an wie ein Hund, der nicht schlafen konnte ...

Die Sache ist nicht geheuer!

Jonte entschied sich, dem Geräusch auf den Grund zu gehen.

Er stand auf und erschauerte. Sein Pyjama bot keinen ausreichenden Schutz gegen die eisige Luft im Zimmer. Er zog seine Hausschuhe an. Als er das Schlafzimmer verließ, schaltete der Bewegungsmelder die Treppenbeleuchtung an. Jonte stieg ins Erdgeschoss hinunter und lauschte.

Im Haus blieb alles still.

Hatte er sich getäuscht? Womöglich war der Lärm doch von draußen gekommen. Gut möglich, dass eine Nachbarskatze auf der Suche nach einem Leckerbissen herübergekommen war und eine der Mülltonnen umgeworfen hatte. Vermutlich tappte er gerade völlig grundlos durch das kalte Haus, aber wenn er schon mal wach war, konnte er sich auch ein Glas Milch holen und noch ein paar Seiten lesen, ehe er wieder zu Bett ging.

Im Erdgeschoss befanden sich die Räume mit den Tierunterkünften. Während die Hunde in Zwingern draußen auf dem Hof lebten, teilten sich zurzeit Frettchen, Kaninchen, Katzen und eine Schildkröte das Erdgeschoss des Tierheims. Dazu kamen einige Vögel und ein grüner Leguan.

Jonte öffnete die erste Tür, die in eines der beiden Katzenzimmer führte, und stutzte. Der Raum war liebevoll eingerichtet. Es gab mehrere Kratzbäume, Verstecke und Spielzeuge. Noch am vergangenen Abend hatten sich hier ein Dutzend Katzen aufgehalten. Jetzt war das Zimmer leer! Kein einziges Tier hielt sich hier auf!

»Das ist doch nicht möglich!« Jonte tastete nach dem Lichtschalter, drückte ihn herunter und schüttelte entgeistert den Kopf, als die Deckenlampe einen verlassenen Raum erhellte. Die Katzen waren verschwunden – und zwar alle! Träumte er etwa? Anders war es nicht zu erklären, denn das Fenster war verschlossen und die Tür hatte er eben erst geöffnet. Er zwickte sich in die Hand und zuckte zusammen. Autsch! Nein, definitiv kein Traum. Wo also waren die Tiere? Sie konnten doch unmöglich aus einem verschlossenen Zimmer entkommen sein!

Bestürzt wandte er sich dem gegenüberliegenden Zimmer zu. Er stieß die Tür auf, schaltete das Licht an und bemerkte plötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Eine schwarzgekleidete Gestalt löste sich aus den Schatten. Jemand fluchte unterdrückt. Ein Eindringling, der hier nichts zu suchen hatte!

Jontes Nackenhärchen stellten sich auf. Er wollte sich umdrehen, aber er war nicht schnell genug. Etwas Hartes sauste auf seinen Schädel nieder und ließ Sterne vor seinen Augen explodieren. Seine Knie knickten unter ihm ein. Mit einem Mal schien der Fliesenboden auf ihn zuzurasen. Er hörte Schritte, die rasch leiser wurden. Dann verschwamm der Raum rings um ihn in Dunkelheit und Vergessen ...

Vier Pfoten für Julia - Winterzauber

Подняться наверх