Читать книгу Vier Pfoten für Julia - Fehlentscheidung - Katja Martens - Страница 7

2. Kapitel

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»Sag mal, was hast du denn da drin, Julia?« Schnaufend wuchtete Marc Reuther die Umzugskiste von dem Lieferwagen, stellte sie auf seinem Hof ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Sind das Ziegelsteine?«

»So ähnlich.« Ein Lächeln flog über Julia Sperlings Gesicht. »Bücher! Ich mochte sie nicht daheimlassen.«

»Und in den anderen Kisten?«

»Da sind meine Sachen drin: Klamotten, Schuhe, Unterlagen und CDs. Was man halt so braucht.«

»Ich hätte nicht erwartet, dass du so viel Zeug besitzt. Bist du sicher, dass nicht auch noch ein paar Freunde von dir bei mir einziehen?« Zahllose Lachfältchen gruben sich um die Augen des Polizisten ein, als er ihr nun zuzwinkerte.

»Keine Sorge«, lachte sie. »Außer mir wird nur noch Raudi mit hier wohnen.«

»Dann ist es ja gut. Apropos: Wo ist der Kleine eigentlich?«

»Vermutlich auf der Suche nach einem Paar Schuhe, das er noch nicht angenagt hat. Seine Vorliebe für Fußbekleidung konnte ich ihm leider noch nicht abgewöhnen.« Julia hatte kaum zu Ende gesprochen, als die Französische Bulldogge aus dem Bauernhaus gesprintet kam. Zwischen den Zähnen trug Raudi etwas, das unverkennbar die Überreste eines Herrenpantoffels waren. Die dunklen Knopfaugen des Hundes blitzten. Offenbar war er durchaus zufrieden mit seinem Fund.

»Ist das etwa mein Pantoffel?« Marc kniff die Augen zusammen.

»Jetzt nicht mehr, fürchte ich.«

»Das geht ja gut los. Sag mal, was ist eigentlich in der Riesenkiste dort hinten auf der Ladefläche?«

»Mein Laufband.«

»Herrje! Warum hast du das denn mitgebracht? Das brauchst du hier nicht. Wir haben so etwas bereits. Es nennt sich Waldwege!« Marc wich grinsend zur Seite aus, als sie nach ihm griff. »Hilfe, nicht kitzeln … Ich lade es ja gleich ab. Versprochen.« Er zog Julia in seine Arme und küsste sie. Prompt wurden ihr die Knie weich. Sie verschränkte die Hände in seinem Nacken und spürte die Kraft und die Wärme, die von ihm ausgingen. Marc war Polizist und hielt sich mit täglichem Lauftraining und Sport fit, und das merkte man seinem durchtrainierten Körper auch an. Sie strich durch seine dichten, dunklen Haare und über die Narbe, die seine rechte Augenbraue kerbte. Es war eine Erinnerung an einen Einsatz vor einigen Jahren. Seine braunen Augen blickten freundlich, aber auch forschend in die Welt. Ihm schien kein Detail zu entgehen.

»Mein Liebling«, raunte er. »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie sehr ich mich freue, dass du bei uns einziehst?«

»Ich freue mich auch«, gestand Julia. Ihr Großvater lebte auf dem Darß und stand ihrem Umzug in den weit entfernten bayerischen Wald mit gemischten Gefühlen gegenüber. Julia hatte ihm versprochen, ihn so oft wie möglich zu besuchen, aber das hatte seine Zweifel nicht gemildert.

Ihr kennt euch erst seit wenigen Monaten, hatte er argumentiert. Durch deine Arbeit bist du oft wochenlang unterwegs. Wollt ihr wirklich schon zusammenziehen?

Natürlich wollten sie das. Seit Wochen sprachen Marc und sie von nichts anderem. An diesem Tag war es nun endlich so weit: Der Lieferwagen mit Julias Habseligkeiten parkte im Hof vor Marcs Haus und wartete nur darauf, ausgeladen zu werden.

Mit klopfendem Herzen blickte Julia an dem Bauernhaus hoch, das von nun an ihr Zuhause sein würde. Es bestand aus einem Haupthaus und einem Anbau. Die untere Etage war weiß gestrichen, während das obere Stockwerk eine Holzverkleidung besaß. Üppige Geranien blühten vor dem Balkon. Ein Bach plätscherte an dem Anwesen vorbei und mündete in einem Teich, an dem eine Bank stand. Julia freute sich schon darauf, abends dort zu sitzen und zu lesen. Wie entspannend das sein musste! Sie würde die Frösche quaken hören und vielleicht kam hin und wieder ein Reh aus dem nahen Wald zu Besuch.

Das Haus stand am Rand von Philippsreut, einem Dorf an der bayerisch-tschechischen Grenze. Ganz in der Nähe erhob sich der Almberg. An diesem Tag wölbte sich der Himmel so unfassbar blau über dem Bayerischen Wald, dass Julia das Herz weit wurde. Der Sommer zeigte sich von seiner schönsten Seite.

Aus dem Haus trat ein Mädchen von fünf Jahren. Es hatte einen dicken blonden Zopf und strahlte über das ganze Gesicht.

»Kann ich helfen, Vati?«

»Freilich, Krümel. Bring das hier ins Haus, ja?« Marc lud einen Rucksack ab und drückte ihn seiner Tochter in die Hand. Sie wirbelte damit herum und sauste davon.

Lächelnd blickte Julia ihr nach. Die kleine Lotta war ein Wirbelwind, wie er im Buche stand. Auch wenn sie noch nicht zur Schule ging, wusste sie genau, was sie wollte, und das war eine neue Mami! Sie hatte vom ersten Tag an Julia gehangen, und das beruhte auf Gegenseitigkeit, denn die junge Tierärztin liebte das kleine Mädchen bereits von ganzem Herzen.

Julia schnappte sich eine Umzugskiste mit der Aufschrift Bekleidung und trug sie ins Haus. Das Schlafzimmer würden Marc und sie sich teilen. Er hatte eine Hälfte des Kleiderschranks sowie zwei Schubladen für sie freigemacht. Sie stellte den Karton ab und begann ihn auszupacken. Marc kam ihr nach und stellte ebenfalls eine Kiste ab.

Julia deutete auf die CDs, die in einem Regal über dem Bett vor sich hin staubten. »Was hältst du davon, wenn wir die auf den Dachboden räumen? Wir können sie in einer Kiste lagern.«

»Die CDs?« Eine Falte grub sich zwischen seinen Augenbrauen ein. »Warum sollten wir sie denn forträumen?«

»Weil du sie dir nie anhörst und mich kannst du mit Musik von Julio Iglesias jagen. Ich wundere mich ein wenig über deinen Musikgeschmack. Hast du etwa irgendwo auch noch Räucherstäbchen und rosa Zierkissen versteckt?«, neckte sie ihn.

Marc blieb ernst. »Die CDs sind noch von meiner Frau. Sie mochte den Sänger, weißt du. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, die Sachen herzugeben.«

»Oh, Marc.« Bestürzt sah sie ihn an. »Davon hatte ich keine Ahnung. Es tut mir leid. Ich wollte nicht …« Sie stockte.

»Ist schon gut. Wir können die CDs ruhig wegräumen. Du hast recht, ich höre sie mir wirklich nie an. Sie stehen nur herum und setzen Staub an.«

»Nein, ist schon gut. Lassen wir sie stehen. Sie nehmen ja nicht viel Platz weg.« Julia fühlte sich mit einem Mal unsicher.

»Was ist?« Marc trat neben sie und legte ihr eine Hand an die Wange. »Du siehst mit einem Mal so traurig aus.«

»Ich habe mich nur gefragt, ob ich hierher passe. Lotta und du seid ein eingespieltes Team.«

»Aber sicher passt du zu uns.« Ein Lächeln erhellte sein gebräuntes Gesicht. »Wir beide gehören zusammen. Alles andere findet sich schon. Das Einzige, was zählt, ist doch, dass wir zusammen sind.«

»Bist du sicher?«

»Ganz sicher.« Marc griff nach ihrer Hand. »Komm mit nach oben. Es gibt da etwas, das ich dir gern zeigen würde.«

»In Ordnung. Du willst jetzt aber nicht, dass ich mein Lager unter dem Dach aufschlage, weil ich deinen Musikgeschmack angezweifelt habe, oder?«

»Nein, keine Sorge. Daran habe ich nun wirklich nicht gedacht.« Er lachte leise und sie gingen gemeinsam die Treppe hinauf. Im Dachgeschoss stieß er langsam eine Tür auf und sah Julia erwartungsvoll an. »Gefällt es dir?«

Sie spähte an ihm vorbei und konnte einen Freudenschrei nicht zurückhalten. »Marc!« Die Kammer war frisch gestrichen und mit Parkett ausgelegt worden. Ein Schreibtisch und zwei Regale schienen auf Julia zu warten. Auf dem Fensterbrett stand ein bunter Strauß Sommerblumen als Willkommensgruß. »Ein Arbeitszimmer für mich?«

»Ja, ich dachte mir, du brauchst ein eigenes Reich. Ich habe die Kammer renoviert. Drei Wände habe ich weiß gelassen, damit der Raum größer wirkt, und die vierte Wand habe ich in hellem Grün gestrichen, weil das deine Lieblingsfarbe ist. Was du an Möbeln und Vorhängen brauchst, können wir dir gern besorgen. Wie findest du es?« Prüfend sah er sie an.

Julia fiel ihm um den Hals. »Es ist wunderbar. Ich danke dir sehr.« Sie drückte ihm einen Kuss auf den Mund und spürte, wie er sie näher an sich zog. Es fühlte sich so richtig an, bei ihm zu sein, dass sie manchmal glaubte, nur zu träumen. Nach einer großen Enttäuschung hatte sie sich geschworen, allein zu bleiben, aber dann trat Marc in ihr Leben, und ihre Einstellung dazu hatte sich schlagartig geändert. Einige turbulente Monate lagen hinter ihnen. Monate, die sie einander immer nähergebracht hatten.

Julia war zwar Tierärztin, aber noch keine fest angestellte. Irgendwann wollte sie sich mit einer eigenen Praxis niederlassen, aber so weit war sie noch nicht. Vor neun Monaten war sie in der Praxis von Marcs Schwiegervater eingesprungen. Damals hatten verschwundene Haustiere ihnen beiden ein Rätsel aufgegeben. Es war ihnen gelungen, einer Bande von Schmugglern das Handwerk zu legen.

»Ich bin froh, dass es dir gefällt.« Marc atmete hörbar aus. »Dein Laufband sollte hier reinpassen.«

»Das glaube ich auch.« Julia trat an das Fenster und stieß einen entzückten Laut aus. »Der Ausblick auf den Wald ist wunderbar. Oh, Marc, ich freue mich sehr über das Zimmer.«

»Das ist gut. Ich möchte, dass du hier glücklich bist. Was ich dafür tun kann, werde ich tun.«

»Das bin ich schon«, verriet sie ihm lächelnd und schmiegte sich an ihn. Seine Hände strichen zärtlich über ihren Rücken und entlockten ihr ein wohliges Seufzen. Ihr wurde warm, aber ehe er das Feuer noch weiter schüren konnte, erklang vor dem Haus ein dunkler Ruf.

»Hilfe! Ist jemand daheim? Ich brauche dringend Hilfe!«

Julia und Marc wechselten einen Blick und eilten wie auf ein stummes Kommando hin zusammen nach unten. Vor dem Haus stand ein weißhaariger Mann mit einem Dackel auf dem Arm. Der Hund fiepte. An seinem Bauch und in seinem Nacken zeichneten sich blutende Wunden ab. Außerdem hatte er eine offene Wunde am rechten Vorderlauf, aus der Knochensplitter ragten. »Mein Loisl ist von oanem Kläffer angegriffen worden«, berichtete der Besucher. »Regelrecht verbissen hat sich der Bazi in ihm. Ist der Doktor Tetzner da?«

»Mein Kollege ist noch unterwegs zu Hausbesuchen«, bedauerte Julia. »Er wird noch ein paar Stunden weg sein.«

»Oh nein! Können Sie meinem Loisl huifn, bitte?«

Julia nickte, ohne zu zögern. Das Winseln des Dackels wurde schwächer. Mit jedem Herzschlag wich das Leben ein wenig mehr aus ihm. Sie musste sich beeilen, wenn sie ihn retten wollte.

Hoffentlich war es noch nicht zu spät!

Vier Pfoten für Julia - Fehlentscheidung

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