Читать книгу Vier Pfoten für Julia - Zoo-Alarm! - Katja Martens - Страница 6

1. Kapitel

Оглавление

Was wird heute wohl noch alles schiefgehen? Britta Stettner zog ihre Kapuze tiefer in die Stirn und stemmte sich gegen den Sturm, der ihr mit aller Macht entgegenblies und das Atmen schwermachte.

In der Schule angekommen, hatte sie zu spät festgestellt, dass der Hefter mit ihren Physik-Hausaufgaben noch zu Hause lag. Das hatte ihr nicht nur einen Minuspunkt bei Herrn Eckstein, sondern obendrein eine Zusatzaufgabe eingebracht. Dabei musste sie an diesem Nachmittag schon das Porträt für Kunst malen. Das schob sie seit Tagen vor sich her. Egal, wie viel Mühe sie sich gab: Ihr Bild würde am Ende aussehen, als wäre ein Huhn kreuz und quer über das Blatt gehuscht. Im Umgang mit Pinsel und Farben hatte sie zehn linke Daumen. Da konnte sie sich noch so sehr anstrengen. Außerdem wartete daheim noch die Gedichtinterpretation für Deutsch auf sie. Vor den Winterferien wollten die Lehrer es noch mal so richtig wissen.

Bei dem Gedanken an die Ferien sank Brittas Laune noch weiter. Sie hatte sich für ein Praktikum im Leipziger Zoo beworben, aber eine Absage bekommen. Dabei träumte sie schon lange von einer Ausbildung zur Tierpflegerin. Daraus schien jedoch nichts zu werden. Ohne Praktikum würde man sie nicht einmal zum Bewerbungsverfahren zulassen.

Niedergeschlagen stapfte Britta den Waldweg entlang und wechselte die Leinen ihrer drei Schützlinge von der einen in die andere Hand. Sie jobbte neben der Schule als Hundesitter und sparte jeden Cent für die Fahrschule. Wenn sie im Herbst den Führerschein machen wollte, musste sie sich ranhalten.

An diesem Tag betreute sie einen Zwergspitz, einen Labrador und einen Mix, der halb Terrier und halb Wollknäuel war. Die Hunde zerrten an den Leinen und wollten losgelassen werden, aber das war im Naturschutzgebiet streng verboten. Es hieß, dass der Förster auf freilaufende Hunde schoss. Das wollte Britta auf keinen Fall riskieren.

Ein bitterkalter Wind fauchte durch die kahlen Bäume des Leipziger Auwaldes. Das Waldgebiet erstreckte sich im Südwesten der Stadt und wurde von der Pleiße und zahlreichen Wasseradern durchzogen. Im Sommer waren eine Menge Paddler auf dem Fluss unterwegs, aber jetzt im Winter traf man im Wald nur ein paar Jogger.

Mehrere Wege führten zum Cospudener See hinunter. So weit wollte Britta an diesem Tag nicht gehen, sonst würde sie bis in die Nacht über ihren Hausaufgaben sitzen. Außerdem war das neblige Winterwetter alles andere als einladend. Es war so grau, dass es überhaupt nicht richtig hell wurde. Der Schnee weichte allmählich den Stoff ihrer Chucks durch, und die Kälte kroch unter ihren Dufflecoat. Britta sehnte sich nach ihrem mollig warm geheizten Zimmer, einem Becher Kakao und dem Skypen mit ihrer besten Freundin. Sanne verbrachte ein Austauschjahr in Neuseeland und erzählte jeden Tag von neuen Abenteuern. Davon träumte Britta auch, aber damit stieß sie bei ihrem Vater auf taube Ohren. Seitdem ihre Mutter vor einem Jahr gestorben war, ließ er sie nur noch ungern weggehen. Abends nicht – und schon gar nicht für ein paar Monate ins Ausland. Sie wusste, dass er Angst um sie hatte. Manchmal blickte er ganz verloren ins Leere – als könnten seine Augen nie wieder einen frohen Ausdruck annehmen.

Cassy stürmte bellend voraus, sodass der Schnee unter ihren Pfoten aufstob. Britta schreckte aus ihren Gedanken und stutzte. Sie hielt nur noch zwei Leinen in der Hand! Wo war Pepper geblieben? Der Mischling hatte graumeliertes Fell und kluge dunkle Knopfaugen. Er musste ihr entwischt sein!

»Pepper?« Britta blieb stehen und sah sich um. »Wo bist du, Kleiner? Komm her!«

Cassy und Mister T drehten sich nach ihr um, als wollten sie fragen: Was soll der Lärm? Wir sind doch hier!

Britta kniff die Augen zusammen, als der Wind den Schnee von den Ästen über ihr fegte und ihn ihr in die Augen trieb. »Pepper? Komm schon, wir müssen zurück.«

Nur das Heulen des Sturms antwortete ihr.

Die Sechzehnjährige grub die Zähne in die Unterlippe. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie ganz allein im Wald unterwegs war, weit und breit kein Mensch zu sehen. Sie hatte seit zwanzig Minuten niemanden mehr getroffen. Auf einmal fühlte sie sich unbehaglich. Ein ungutes Gefühl ließ ihre Hände kribbeln und ihren Magen verkrampfen. »Pepper? Wo bist du?«

Wieder keine Antwort. Dabei wich ihr der aufgeweckte Mischling sonst nie von der Seite. Was hielt ihn nur fern?

Irgendwo rechts von ihr knackte es im Unterholz.

»Pepper?« Unwillkürlich tastete Britta in der Tasche nach ihrem Handy, fühlte jedoch nichts als Leere. Sie hatte das Mobiltelefon nicht eingesteckt. Es musste noch daheim neben ihrem Laptop liegen. An diesem Tag ging aber auch wirklich alles schief!

Was sollte sie nun tun? Warum hatte sie nicht besser auf Pepper aufgepasst? Sie wusste nicht einmal, wie lange der Kleine schon verschwunden war!

Am besten kehre ich um und laufe auf demselben Weg zurück, den wir gekommen sind, entschied sie. Dann muss ich ihn früher oder später finden. Britta wandte sich um und stapfte zurück. Dabei rief sie wieder und wieder nach dem Hund.

Allmählich sank ihr der Mut. Der Mischling gehörte einer Rentnerin, die auf dem vereisten Gehweg gestürzt war und sich den Fuß gebrochen hatte. Pepper war ihr Ein und Alles, seitdem ihr Mann nicht mehr lebte. Wenn Britta ihren Hund verloren hatte, würde sie untröstlich sein. Das war nicht auszudenken!

»Pepper, komm schon«, flehte sie.

Da hörte sie unvermittelt rechts von sich einen Hund bellen – so weit entfernt, dass es nur gedämpft zu ihr durchdrang. Das konnte Pepper sein, aber sicher war sie sich nicht. Da sie jedoch keine andere Spur hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als den Lauten zu folgen und auf das Beste zu hoffen.

Britta verließ den Weg und stapfte mit den beiden Hunden an der Leine quer durch den Wald. »Pepper?« Das Bellen wurde lauter und aufgeregter. Hoffnung durchflutete sie wie heller Sonnenschein ein dunkles Zimmer. Das musste Pepper sein. Er musste es einfach sein!

Sie lief schneller. Tiefhängende Zweige zerkratzten ihre Wangen und rissen ihr die Hände auf, aber dem schenkte sie keine Beachtung. Schnee rieselte von den Bäumen herab. Vermutlich würde sie nachher aussehen, als hätte man sie an einen Bus gebunden und kilometerweit durch Dreck und Schneematsch geschleift, aber das war ihr egal, solange sie nur Pepper wiederfand!

Das Bellen kam nun immer näher. Britta duckte sich unter den Zweigen einer Kiefer weg, deren Nadeln in ihre Hände stachen. Da tauchte endlich ein dunkles Fellbündel vor ihr auf und stürmte auf sie zu. Pepper! Die beiden anderen Hunde beschnupperten ihren Freund schwanzwedelnd wie einen lange vermissten Kameraden. »Da bist du ja!« Aufatmend bückte sich Britta und streichelte den Mischling. »Wo warst du nur? Du hast mir Angst gemacht, weißt du das?«

Pepper wedelte mit der Rute, ehe er sich umwandte und ein paar Schritte davonlief. Dann blieb er stehen und blickte sich nach ihr um.

Britta stutzte. »Was ist denn los? Willst du mir etwas zeigen?«

Pepper stürmte weiter. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm mit den anderen beiden Hunden zu folgen. Er durfte sich nicht schon wieder aus dem Staub machen! »Warte! Pepper! Wo willst du denn hi… Oh nein!« Vor ihr tauchte etwas Dunkles im Schnee auf. Ihr Gehirn weigerte sich, das Bild zu erfassen. Erst allmählich sickerte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, dass etwas Furchtbares geschehen war. Etwas, das sich nicht wiedergutmachen ließ.

Unter den tiefhängenden Zweigen einer Fichte lag ein Mensch. Ein Mann, der kräftigen Statur nach zu urteilen. Er lag mit dem Gesicht nach unten und regte sich nicht. Sein rechter Fuß war nur mit einer Ringelsocke bekleidet. Schnee bedeckte seinen dunklen Mantel, dabei hatte es schon vor Stunden aufgehört zu schneien. Das ließ nur einen Schluss zu: Der Unbekannte musste schon länger hier liegen!

Britta war vor Entsetzen wie gelähmt. Die Gedanken jagten wie Blitze durch ihren Kopf. Was sollte sie nun tun? Ihm helfen? Konnte sie das überhaupt? Oder sollte sie besser fliehen? Was, wenn er umgebracht worden war? Hielt sich der Täter noch in der Nähe auf? Oder war er längst über alle Berge?

Schaudernd drehte sie den Kopf nach links und rechts. Niemand zu sehen, doch das musste nichts heißen.

Weg hier, trieb ihr erster Impuls sie an, aber sie zögerte. Falls der Fremde noch lebte, musste sie ihn umdrehen, sonst würde er mit dem Gesicht im Schnee unweigerlich ersticken!

»Hallo?«, wisperte sie und trat zaghaft einen Schritt näher an ihn heran. »Kann ich … Ihnen helfen?«

Der Fremde reagierte nicht. Mit wild pochendem Herzen bückte sich die Schülerin und streckte eine Hand nach ihm aus. Sie zitterte am ganzen Körper. Die Hunde bellten. Beherzt packte Britta den Fremden bei der Schulter und versuchte ihn so gut es ging auf den Rücken zu drehen, doch er war einfach zu schwer. Immerhin konnte sie für einen kurzen Moment sein Gesicht sehen. In der nächsten Sekunde machte sie jedoch einen Satz nach hinten, sodass sie in den Schnee stürzte. Nein, diesem Mann war nicht mehr zu helfen.

Britta hatte in die trüben Augen eines Toten geblickt.

Vier Pfoten für Julia - Zoo-Alarm!

Подняться наверх