Читать книгу Vier Pfoten für Julia - Zoo-Alarm! - Katja Martens - Страница 8
3. Kapitel
ОглавлениеZoolog. Garten. Mit klopfendem Herzen schaute Julia zu der Schrift am historischen Eingang des Parks auf. Ein steinerner Löwe begrüßte jeden Besucher. Als man ihr die Vertretung des Zootierarztes angeboten hatte, war sie sofort Feuer und Flamme gewesen. Die Herausforderung, für so viele unterschiedliche Tiere verantwortlich zu sein, erschien ihr verlockend. Nun, so kurz vor Arbeitsantritt, überfielen sie jedoch Zweifel. Sie befand sich hier auf neuem und ungewohntem Terrain. Im Zoo lebten Wildtiere, mit denen sie es noch nie zu tun gehabt hatte: Okapis, Erdmännchen und Schimpansen – dazu hunderte andere Tiere! War sie der Arbeit mit ihnen wirklich schon gewachsen?
Julia hatte alles über die Anlage gelesen, was sie finden konnte. Der Leipziger Zoo existierte seit über einhundertdreißig Jahren. Gegründet wurde er vom Gastwirt Ernst Pinkert im Jahre 1878, und zusammen mit dem Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck hatte er exotische Tiere ausgestellt. In den folgenden Jahrzehnten war der Zoo ständig erweitert worden – zum Beispiel um Raubtieranlagen, ein Affenhaus und ein Terrarium. Der Erste Weltkrieg hätte beinahe das Aus bedeutet. Mitarbeiter und Besucher mussten in den Krieg ziehen. Lebensmittel wurden rationiert. Viele Tiere verhungerten – oder wurden für die hungernde Stadtbevölkerung geschlachtet. Nach dem Krieg erholte sich das Unternehmen nur langsam. Der Verleih von Tieren an Filmproduktionen erwies sich als Rettung aus der Not. Inzwischen hatte sich der Zoo zu einer modernen Anlage mit zukunftsweisenden Zuchtprogrammen entwickelt.
Der Zootierarzt war vor drei Tagen mit Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es war ungewiss, wie lange er ausfallen würde. Es konnten Wochen, aber auch Monate vergehen, bis er wieder einsatzfähig war. In dieser Zeit würde Julia für ihn einspringen.
Sie gab sich einen Ruck und machte sich auf die Suche nach dem Personaleingang. Am Telefon hatte man ihn ihr genau beschrieben. Sie fand das Seitentor und trat ein.
Im nächsten Augenblick prallte sie gegen einen Mann. Er konnte nicht älter als zwanzig sein und war so hager, als könnte ihn die nächste Windböe umblasen. Sein Gesicht war auffallend blass und wurde von zahlreichen silbrigen Ringen in Ohren und Augenbrauen geschmückt. Seine dunklen Haare waren auf der rechten Seite abrasiert und links lang genug, um sein Ohr zu bedecken.
Hastig ließ er eine Zigarette fallen und trat sie mit dem Fuß aus. »Hey«, nuschelte er verlegen und schien nicht recht zu wissen, wo er hinschauen sollte. »Der Besuchereingang ist dort vorne.« Sein Dialekt verriet seine sächsische Herkunft.
»Ich bin keine Besucherin, sondern die neue Tierärztin. Julia Sperling. Hallo.« Sie reckte ihm lächelnd die Hand hin.
»Ach du Sch…« Er wurde noch eine Spur blasser und trat von einem Fuß auf den anderen. »Sie haben mich nicht beim Rauchen gesehen, oder? Der Chef flippt aus, wenn ich mir eine anzünde. Er glaubt, von dem Geruch werden die Tiere aggressiv. Dabei ist er der Einzige, der … Na, Schwamm drüber. Streng genommen darf er mir keine Raucherpausen verbieten, aber er darf mich feuern, und ich brauche den Job. Verraten Sie mich bitte nicht, okay?«
»Schon gut. Ich weiß ja noch nicht mal, wer Sie sind.«
»Olaf«, nuschelte der Lulatsch. »Olaf Färber.«
»Sind Sie Tierpfleger?«
»Noch ist er das«, polterte eine Stimme hinter Julia. »Wenn er allerdings nicht endlich wieder an seine Arbeit geht, kann sich das im Handumdrehen ändern.«
Die Tierärztin wandte sich um und sah einen Mann mit graumelierten Haaren auf sich zukommen. In seinem dunklen Anzug wirkte er in dem Tiergarten einigermaßen fehl am Platze. Er schien eher in ein Büro, ein Kreditinstitut oder das Finanzamt zu passen. Er musterte Julia flüchtig und legte die Stirn in Falten. »Wir haben noch nicht geöffnet. Sie müssen später wiederkommen, junge Frau, und dann bitte durch den Besuchereingang.« Es hörte sich nicht wie eine Bitte an.
»Mein Name ist Julia Sperling. Ich soll den Zootierarzt vertreten.«
»Sie sind das?« Nun musterte er sie offen von Kopf bis Fuß, und was er sah, schien ihm nicht zu gefallen, denn er verzog das Gesicht, als hätte er sich gerade auf die Zunge gebissen. »Sie sehen jünger als auf Ihrem Foto aus.«
»Finden Sie? Nun, wie heißt es so schön? Jugend ist ein Fehler, der mit jedem Tag besser wird.« Julia begegnete seinem strengen Blick mit einem Lächeln.
»Sie sind früh dran, Frau Doktor Sperling. Wir hatten Sie erst in einer Stunde erwartet.«
»Ich wollte mich an meinem ersten Arbeitstag mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut machen.«
»Das werden Sie kaum innerhalb einer Stunde schaffen. Unser Tierpark ist weitaus größer, als Sie offenbar annehmen. Mein Name ist Johannes Hirschhäuser. Ich vertrete den Zoodirektor und leite im Augenblick alle Geschäfte. Eines möchte ich von Anfang an klarstellen: Wir erwarten von Ihnen ausgezeichnete Arbeit, Frau Doktor. Der Ruf unseres Zoos ist tadellos und soll es auch bleiben.« Er sah sie über den Rand seiner schmalen Brille hinweg mahnend an.
Julia hatte plötzlich das Gefühl, vor ihrem alten Schuldirektor zu stehen. »Selbstverständlich«, erwiderte sie.
»Gut. Wir haben eine zooeigene Tierarztpraxis. In demselben Gebäude finden Sie auch die Umkleide, eine Kaffeeküche und den Besprechungsraum. Dort werden Sie sich täglich mit den Tierpflegern treffen und erfahren, welche Tiere Auffälligkeiten zeigen. Ein täglicher Rundgang durch den Zoo gehört ebenfalls zu Ihren Aufgaben. Vergessen Sie nicht: Im Gegensatz zu den meisten Haustieren zeigen Wildtiere die Symptome einer Erkrankung erst sehr spät. In der Natur ist das gut so, es schützt die Tiere vor Fressfeinden. Ihnen jedoch wird dieser Umstand die Arbeit erschweren. Seien Sie gewarnt.«
Julia nickte und wollte etwas erwidern, aber ihr Gegenüber ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Ihre Hauptaufgabe wird die Verhütung von Krankheiten sein«, belehrte er sie. »Dazu gehören Impfungen, die Kontrolle des Tierbestands auf Krankheitserreger und Parasiten, die Optimierung der Gehege und die Überwachung der Fütterung. Ebenso die Sektion verstorbener Tiere, um Krankheiten eines Tierbestands zu erkennen und zu bekämpfen.«
Was hätte sie jetzt nicht für einen Stift gegeben! Julia wünschte sich, sie könnte sich Notizen machen.
»Außerdem werden Sie sich um die Formalitäten kümmern«, fuhr ihr Gegenüber fort, ohne auch nur einmal Luft zu holen, »wenn ein neues Tier bei uns aufgenommen oder in einen anderen Zoo überstellt wird. Sie überprüfen die Arten- und Tierschutzbestimmungen und die Einhaltung der Zoll- und Quarantänebestimmungen. Sie werden Zuchtbuchanfragen beantworten und mit unserer Pressestelle zusammenarbeiten.«
Julia schluckte trocken. Das hörte sich nach mehr Arbeit an, als an einem einzigen Tag unterzubringen war. Wie hatte ihr Kollege das nur alles bewältigt?
»Noch Fragen?«, erkundigte sich der Zooleiter und zog eine Braue hoch. Er schien genau zu wissen, wie erschlagen sie nach seinem Vortrag war. Sie konnte nur hoffen, in den Unterlagen des Zootierarztes nähere Informationen zu ihren täglichen Pflichten zu finden.
»Könnte ich bitte einen Lageplan bekommen? Das würde mir die Orientierung erheblich erleichtern.«
»Natürlich.« Er zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Jacke und reichte es ihr. »Machen Sie sich so schnell wie möglich mit den Örtlichkeiten vertraut. Im Notfall darf es keine Verzögerung geben, nur weil Sie ein bestimmtes Gehege nicht auf Anhieb finden.«
Julia faltete den Plan auseinander und überflog die verschiedenen Bereiche des Zoos. Der Park war in sechs Themenwelten unterteilt: Afrika, Südamerika, Pongoland, Asien, Gondwanaland und der Gründergarten. Während sie noch überlegte, wo sie mit ihrem Rundgang beginnen sollte, stürmte eine junge Frau in blauen Hosen und Gummistiefeln heran. Unter ihrem blauen Kopftuch blitzten hellblonde Locken hervor. Sie hatte ein aufgeschlossenes Gesicht und leuchtend braune Augen. Eine weite Jacke schützte sie vor der morgendlichen Kälte. Sie wedelte energisch mit der Hand. »Da sind Sie ja, Herr Hirschhäuser! Tamika hat seit über zwei Stunden Presswehen, aber es tut sich nichts. Wann kommt denn endlich die neue Tierärztin?«
»Sie ist schon da«, erwiderte der Zooleiter und deutete auf Julia. »Darf ich vorstellen? Frau Doktor Sperling!«
»Sie sind das? Gott sei Dank!« Die Fremde wandte sich an Julia und klang überaus erleichtert. »Keine Minute zu spät. Kommen Sie bitte mit. Schnell!«
»Ja, aber …« Verwirrt ließ sich Julia von der Unbekannten den Hauptweg entlanglotsen. Der Geschäftsführer blieb zurück. Er schien sich für den Notfall nicht zuständig zu fühlen.
»Tamikas Jungen kommen einfach nicht. Der Chef dreht durch, wenn ihnen etwas zustößt. Ich bin so froh, dass Sie da sind.« Die Fremde stieß den Atem aus. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie gleich so überfalle, aber wir haben wirklich keine Zeit zu verlieren.«
»Ist schon gut. Dafür bin ich ja da. Sind Sie Tierpflegerin?«
»Ja. Mein Name ist Kristina Stockmann. Sie können gern Kristina oder Kris sagen. Das tun alle.« Die Tierpflegerin führte Julia zu einer Anlage im westlichen Teil des Zoos. Außen war das Gehege der afrikanischen Savanne nachgebildet. Innen lief man über Fliesen. Durch zwei gut gesicherte Türen gelangten sie in einen Raum. Hier herrschte der typisch strenge Raubtiergeruch. Hinter Glas und Gittern lag eine Löwin und atmete schwer. Ihre goldenen Augen funkelten, und ihr gewölbter Leib verriet, dass sie Junge erwartete. Ein Zittern lief durch ihren mächtigen Körper. Wieder und wieder. Das war es jedoch nicht, was Julia überrascht nach Luft schnappen ließ. Das Fell der Löwin war dicht und … »Weiß?!« Julia sah ihre Begleiterin fragend an. »Tamika ist eine weiße Löwin?«
»Ja. Ist sie nicht wunderschön? Weiße Löwen sind total selten. Tamika ist ein Neuzugang. Ihr Name bedeutet so viel wie ‚kleine Schöne‘. Sie kommt aus einem Zirkus. Hat dort den Dompteur angefallen. Seitdem galt sie als nicht mehr tragbar. Ich glaube, sie war nur aggressiv, weil sie trächtig ist, aber die Zirkusleute wollten kein Risiko eingehen. Wenn wir sie nicht aufgenommen hätten, wäre sie vermutlich eingeschläfert worden.«
»Wie lange ist sie schon hier?«
»Seit zwei Wochen. Vor ein paar Stunden haben die Wehen eingesetzt, aber irgendetwas stimmt nicht mit ihr.«
»Ich sehe schon. Tamika hat seit zwei Stunden Presswehen?«
»Richtig, und ich kann ihr leider nicht helfen.« Die Pflegerin trat einen Schritt näher an das Gitter, was die Löwin mit einem gereizten Fauchen quittierte. Ihre Pranke fuhr unheilvoll in Richtung Käfigtür.
Julia verstand. Offenbar würde ihre erste Patientin kein sanftes Kätzchen und auch kein harmloses Lama sein. Sie würde als Erstes eine Löwin behandeln. Noch dazu ein trächtiges Exemplar, das sich eher eine Pfote abbeißen würde, als eine Fremde an sich heranzulassen. Aber es nutzte nichts. Sie würde die Löwin untersuchen und vermutlich einen Kaiserschnitt vornehmen müssen, wenn sie die Raubkatze und ihre Jungen nicht verlieren wollte. Julia überlegte nur kurz.
»Ich brauche ein Blasrohr und ein Betäubungsmittel.«
»Haben wir alles in der Zoopraxis. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.« Die Pflegerin führte die Tierärztin aus dem Raubtiergehege zu einem roten Backsteingebäude aus der Gründerzeit. In der Zoopraxis fand sich alles Nötige: Medikamente, ein tragbarer Ultraschall, Skalpelle, Kittel und Handschuhe.
Julia packte, was ihr nötig erschien, auf einen Rollwagen.
Kristina ging ihr zur Hand. »Hat Herr Hirschhäuser Sie schon ein wenig herumgeführt, Frau Doktor?«
»Nicht direkt. Er hat mir nur einen Lageplan überlassen.«
»Das sieht ihm ähnlich. Er spricht nur das Nötigste. Unser richtiger Chef ist ganz anders, er ist wie ein Vater für uns alle. Leider fällt er zurzeit aus familiären Gründen aus, deshalb vertritt der olle Hirsch ihn. Machen Sie sich nichts daraus, wenn er schroff zu Ihnen ist. Das ist seine Art und nichts Persönliches.«
»Vielleicht taut er im Laufe der Zeit noch etwas auf.«
»Darauf würde ich lieber nicht wetten.« Die Pflegerin verdrehte die Augen.
Wenig später kehrten sie gemeinsam zu der Löwin zurück.
Tamika hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Sie lag matt, beinahe apathisch da und brauchte dringend Hilfe, das war offensichtlich. Julia berechnete das Betäubungsmittel nach dem ungefähren Gewicht der Löwin. Sie dosierte es so niedrig wie möglich, um den Jungen nicht zu schaden. Lieber spritzte sie im Verlauf des Eingriffs noch einmal nach. Die Narkose konnte bei den Kleinen zum Herzstillstand führen. Das wollte sie unbedingt vermeiden. Andererseits durfte sie auch nicht riskieren, dass die Löwin zu früh aufwachte, denn dann war auch ihr eigenes Leben in Gefahr. In der Eifel war vor einiger Zeit ein Kollege während der Behandlung einer Löwin von einem Prankenhieb getroffen und schwer am Kopf verletzt worden. Daran musste sie denken, als sie den Pfeil mit dem Betäubungsmittel in das Blasrohr schob. Während eines Praktikums hatte sie gelernt, wie das funktionierte, aber seither hatte sie diese Technik nicht mehr angewendet.
Sie legte auf die Löwin an. Die Raubkatze schien zu spüren, dass etwas vorging, denn sie stemmte sich plötzlich vom Boden hoch und begann, auf und ab zu laufen. Dabei schlug ihr Schwanz auf den Boden wie eine Peitsche.
»Nicht gerade jetzt«, murmelte Julia. »Es wird schon schwer genug, dich zu treffen, wenn du stillliegst, aber wenn du herumläufst, sinken unsere Chancen dramatisch, dass ich dich auf Anhieb treffe. Komm schon, leg dich wieder hin …«
Die Löwin schüttelte den Kopf, als hätte sie jedes Wort verstanden, und setzte ihre Wanderung fort. Der Tierärztin blieb nichts anderes übrig, als ihr Glück zu versuchen.
Sie atmete tief ein, zielte und schoss.
Daneben! Julia stöhnte enttäuscht auf, als der Pfeil auf den Boden prallte und ein Stück über die Fliesen rutschte. Die Störung veranlasste die weiße Löwin zu einem gereizten Röhren.
Also ein neuer Versuch. Julia schob den nächsten Pfeil in das Blasrohr, legte an und konzentrierte sich.
»Denken Sie an gar nichts, Frau Doktor«, murmelte Kristina. »Sie schaffen es. Das weiß ich.«
Julia richtete all ihre Konzentration auf die Löwin, die immer noch herumwanderte. Sie folgte ihr mit dem Blasrohr, ahnte ihren nächsten Schritt voraus – und schoss.
Volltreffer! Die Löwin fauchte, als der Pfeil sie am Hinterbein traf. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann knickten die Beine unter ihr ein. Sie sank auf den Boden und knurrte, aber ihre Augen fielen bereits zu. Ein Zucken noch. Dann lag sie still. Geschafft!
Die Tierärztin zählte in Gedanken bis zwanzig. Wirkte das Betäubungsmittel zuverlässig? Das konnte sie nur hoffen. Julia atmete tief aus – und öffnete die Tür zu dem Raubtiergehege.
Die schneeweiße Raubkatze rührte sich nicht. Ihr Atem kam schwer und fauchend. Vorsichtig näherte sich die Tierärztin ihrer Patientin, kniete sich hin und streifte Einweghandschuhe über. Innerlich aufgewühlt lauschte sie dem Atem der Löwin. Alles ruhig. Dann also los …
Julia schob jeden Gedanken an die tödlichen Pranken der Löwin zur Seite und überprüfte die Vitalzeichen des Tieres. Wie sie es vermutet hatte, schlug das Herz der Raubkatze viel zu schnell. Der Puls ihrer Jungen war dagegen kaum wahrnehmbar. Sie waren geschwächt und mussten schleunigst auf die Welt gebracht werden, sonst würden sie nicht überleben. Julia tastete die Löwin ab und fand ihre Befürchtung bestätigt. Eines der Jungen lag quer und versperrte den Geburtskanal. »Ich muss einen Kaiserschnitt machen. Dabei werde ich Ihre Hilfe brauchen, Kristina.«
»Klar.« Die Tierpflegerin nickte bereitwillig. »Operieren Sie hier?«
»Das wird am besten sein. Der Transport zur Zoopraxis wäre ein unnötiges Risiko.« Julia ging in Gedanken den Eingriff durch. Sie war erstaunlich ruhig. Ihr Kopf spulte das erlernte Wissen einfach ab. Sie wusste, dass das Leben der Löwin und ihrer Jungen am seidenen Faden hing. Aber sie wusste auch, was zu tun war. In einem Stall hatte sie schon einmal einen Kaiserschnitt bei einer Kuh gemacht, aber das hier war doch noch etwas anderes.
Sie streifte sich einen grünen Kittel über und legte einen Mundschutz an. Kristina folgte ihrem Beispiel, ohne dass sie etwas sagen musste. Julia rasierte den Bauch der Raubkatze und deckte sie mit einem grünen Tuch ab. Nur das Operationsfeld ließ sie frei.
Anschließend desinfizierte sie den Bauch und legte Handtücher, Klemmen und Kreislauftropfen bereit. Kristina stellte derweil eine Wärmelampe auf, um die Jungen, sobald sie auf der Welt waren, darunter warm halten zu können. Sobald der Bauch geöffnet war, würde alles schnell gehen müssen.
»Behalten Sie Tamika im Auge«, bat sie Kristina. »Und geben Sie mir Bescheid, sobald sie Anzeichen zeigt, dass sie aufwacht – wenn die Lider flattern oder sie unruhig wird.«
»Alles klar, Frau Doktor. Von mir aus kann es losgehen.«
»Okay.« Angespannt stieß Julia den Atem aus und öffnete die Bauchdecke der Löwin mit einem gekonnten Schnitt. Blut quoll aus der Wunde, das sie abtupfte, dann klappte sie sie mit Hilfe der Klammern auf. Sie legte den Bauchraum der Raubkatze frei und suchte nach der Gebärmutter. Das war kein ballonartiges Gebilde, sondern ähnelte eher zwei Schläuchen, die an den Flanken der Raubkatze verliefen. Julia nahm die erste Fruchtblase mit einem Jungen heraus und öffnete sie vorsichtig mit dem Finger. Sie entfernte die Fruchthülle und befreite ein Jungtier, das noch blind war. Sein weißes Fell zeigte dunkle Flecken, die erst im Verlauf eines Jahres verschwinden würden und in der Natur zur Tarnung gedacht waren. Julia wischte behutsam Schleim und Fruchtwasser vom Mäulchen des Jungtiers und klemmte die Nabelschnur ab, ehe sie sie durchtrennte. Dann legte sie das Kleine in Kristinas Arme. »Rubbeln Sie es bitte trocken. Das regt den Kreislauf und die Atmung an.« Julia beugte sich wieder über die Löwin und überprüfte die Narkose. Alles stabil.
Konzentriert holte sie das zweite Jungtier ans Tageslicht. »Es atmet nicht«, murmelte sie. »Warum atmet es nicht?« Sie griff nach den Kreislauftropfen und träufelte sie zwischen die Zähne des Kleinen. Dann rieb sie behutsam die Brust des Winzlings. Schlaff lag es in ihrem Arm. Es war länger im Mutterleib gewesen und hatte aus diesem Grund mehr von dem Narkosemittel abbekommen. War es zu viel für sein kleines Herz gewesen?
Kristina blickte besorgt herüber und drückte das Junge auf ihrem Arm beschützend an sich. »Oh nein«, wisperte sie. »Nein, bitte nicht.«