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Kapitel 8

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London, Airport - Stadtmitte - Big Ben , Herbst 2012

«Achte auf ein Zeichen des Friedens!»

Während ich noch ein einigermaßen sauberes Taschentuch auf Sams Wunde presste, hielt der Wagen endlich an. Besorgt blickte ich auf all das Blut, das sein Hemd tränkte.

„Oh Fuck, tut das weh“, stöhnte Sam. Ich biss die Zähne zusammen, knöpfte sein Hemd auf und zog ihm es von den Armen. An der Schulter lief Blut runter, es handelte sich aber nur um einen harmlosen Streifschuss. Aber das reichte mir. Ich wollte Sam in den nächsten Flieger zurück nach Deutschland setzen. Zusammen mit seinem Vater, der gerade seelenruhig seine Waffe verstaute. Wie hatte er sie überhaupt ins Flugzeug schmuggeln können? Vermutlich war er in London mit anderen Jägern vernetzt, beantwortete ich mir selbst meine Frage. Dennoch hatten sie hier nichts zu suchen. Das war nicht ihr Krieg.

Es dämmerte bereits und ich versuchte, einzuschätzen, wie viel Zeit seit unserem Aufbruch vom Flughafen vergangen sein musste - nicht mehr als eine Stunde vermutlich.

Die Umgebung wurde nicht durch Straßenlaternen beleuchtet. Adam hatte uns auf einen schmalen Waldweg gebracht. ich war schon mehrfach mit dem Flieger in London gelandet, mir war aber noch nie aufgefallen, wie schnell man von Heathrow aus auf dem Land war.

Adam telefonierte, während er den Motor abstellte und die Handbremse anzog.

„Halt die Klappe, Marcus. Ich will, dass du dieses Mädchen raus rückst. Ich kann dir etwas anderes geben. Im Austausch.“

Ich horchte auf. Seine Worte klangen nach Befehlen und seine Stimme peitschte durch das Auto wie Pistolenschüsse. Marcus. Er sprach mit ihm.

„Was soll das, Marcus? Alexa hat nichts zu tun mit deinem Hass auf Anna. Lass sie frei und dann werden wir uns alle treffen. Ohne Menschen…“ Er unterbrach sich und lauschte ins Handy. Durch den Rückspiegel konnte ich seine Augen sehen. Er war wütend. Verdammt wütend!

„Verflucht!“, rief er aus und pfefferte das Handy auf das Armaturenbrett. Ich lehnte mich nach vorne.

„Was ist los?“

„Marcus! Ich habe ihn angerufen.“

„Woher …“

„Er hat dir eine SMS geschickt, schon vergessen? Ist ja auch egal. Er will dich gegen Alexa eintauschen, und er will dich alleine sehen.“ Seufzend strich er sich durch die Haare, drehte sich nun endlich zu uns um. Als er Sams Verletzung sah, stöhnte er kurz auf.

„Zum Teufel! Ich wusste nicht, dass die Schweinehunde getroffen haben. Ist es schlimm?“

„Ich werde es überleben“, stieß Sam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Wenn ich nicht zu viel Blut verliere. Oder mir eine verdammte Blutvergiftung hole.“

„Keine Sorge“, warf Andreas mit angespanntem Lächeln ein. „Zumindest dagegen bist du geimpft.“

„Wenn er noch mehr Menschen in die Fehde reinzieht, haben wir alle ein Problem. Entweder er ist komplett durchgedreht oder fühlt sich näher an seinem Ziel als je zuvor.“ Adam rieb sich über die Augen, hielt sie einen Moment geschlossen, bevor er weiter sprach: „In einer Stunde am Big Ben. Du sollst auf ein Zeichen des Friedens achten.“ Ich nickte stürmisch. Endlich ein Plan.

„Gut! Dann fahrt mich in die Stadt und ich werde ihn alleine dort treffen.“

Sam rührte sich.

„Nein! Auf keinen Fall, Anna. Ich lasse nicht zu, dass du ohne uns hingehst.“

Ich legte ihm die flache Hand auf die Brust.

„Du bist verletzt, Sam, zwar nicht schlimm, aber bitte bleib bei deinem Vater. Das ist nicht euer Krieg …“

„Oh doch! Es ist Alexa! Ich kenne sie seit hundert Jahren, sie war da, als Mama gestorben ist und...“

Er unterbrach sich und sah mich an.

„Ganz egal, was zwischen uns ist, Anna. Ich muss für Alexa alles tun, was in meiner Macht steht. Bitte.“

Ich wusste, er hatte keine Ahnung, wie lang hundert Jahre wirklich waren. Beziehungen hielten keine solche Zeitspanne, selbst wenn die Lebenserwartung es erlaubt hätte. Aber er war jung, und er hatte tatsächlich sein halbes Leben mit Alexa verbracht.

Flehend sah ich zu Andreas, in der Hoffnung, er würde vernünftig genug sein, seinen Sohn da raus zu halten. Doch der schüttelte den Kopf.

„Tut mir leid, Anna. Das ist unsere Aufgabe.

Wir stecken da genauso mit drin wie du.“

„Andreas, ich weiß, du bist ein Venatio, es ist deine Aufgabe, Werwölfe zu jagen...“

Adam warf mir über die Schulter einen Blick zu, aber ich fuhr unbeirrt fort.

„... aber Sam ist keiner. Er ist verletzt...“

„Nicht besonders schwer. Obwohl es Eindruck machen würde, wenn ich an der Uni erzählen könnte, ich sei angeschossen worden.“

„Wenigstens ihn sollten wir heraushalten!“

Andreas sah zu seinem Sohn. Der schüttelte finster den Kopf.

„Keine Chance. Alexa ist meine … steht mir sehr nahe, und ich bin nicht nach London geflogen, um mich rauszuhalten.“

Andreas hob die Hände.

„Da hörst du es.“

„Adam...“

„Ich halte mich da raus. Das ist eure Angelegenheit. Aber sagt Bescheid, wenn euer Gejammer noch länger dauert. Ich gehe dann inzwischen eine rauchen.“

„Niemand jammert!“, knurrte ich.

„Aber du weißt, dass ihm alles zuzutrauen ist, Adam. Ich nehme seine Warnung sehr ernst. Wenn ihr unbedingt dabei sein wollt, dann nicht in meiner Nähe, wo sie euch wittern können.“

„Wir haben nicht viel Zeit. In einer Stunde musst du am Big Ben sein und es wird langsam spät. Um die Uhrzeit beginnt die Rush Hour.

Hoffentlich schaffen wir es überhaupt noch. Hast du dich jetzt endlich entschieden, Anna?“ Er klang nicht genervt, was ihm einen Pluspunkt einbrachte.

„Ja. Aber bleibt auf Abstand und so wie du auf die Tube drückst, sind wir in Nullkommanichts da“, murmelte ich, nahm Sams Hand in meine und drückte sie.

Wir brauchten schließlich doch eine halbe Ewigkeit. Denn auch wenn Adam den ersten Teil der Strecke aufs Gas drücken konnte, war es damit vorbei, als wir London erreichten. Wir steckten im Feierabendverkehr wie ein Korken im Flaschenhals. Wir kamen kaum voran, und in mir machte sich Unruhe breit, denn die Minuten verstrichen. Kostbare Zeit. Mitten auf der Westminster Bridge kam der Verkehr zum Erliegen. Es waren nur noch wenige Augenblicke bis zum Ablauf des Ultimatums. Von weitem konnte ich den angestrahlten Turm bereits sehen.

„Ich steige hier aus und gehe den restlichen Weg zu Fuß.“ Vermutlich fanden es die anderen auch vernünftiger, denn niemand widersprach. Als ich die Tür öffnete, hielt Sam mich zurück.

„Warte …“, murmelte er und zog mich zu sich, legte seine warmen Lippen auf meine, streichelte mir durch die Haare.

„Sei vorsichtig!“, flüsterte er.

Ich nickte und stieg aus und rannte los, in Richtung der Parlamentsgebäude. Eine hohe, schwarze Umzäunung aus Metall trennte die Besucher von dem Gelände. Ich folgte dem Zaun im Laufschritt, bog links ab und kam zu einem bewachten Eingang.

Mittlerweile war es dunkel geworden, aber die Gebäude und Big Ben selbst wurden von zahlreichen Scheinwerfern angestrahlt.

Menschen liefen unbeirrt über den Bürgersteig, es war viel los, obwohl es immer noch regnete. Gehetzt schaute ich mich um, ging auf und ab und stieß dabei gegen jemand. Eine feine Duftnote umwehte meine Nase, und ich kniff die Augen zusammen. Außer des Rückens, konnte ich leider keinen Blick auf die verhüllte Person werfen. Es war mir auch nicht möglich zu erkennen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Wenige Augenblicke später war sie in der Menge verschwunden. Ohnehin hatte ich nicht mehr die Zeit, zu folgen, denn ich war verabredet und wurde nervös.

Auf ein Zeichen des Friedens warten …

Aha. War ich zu spät? Noch während ich das dachte, hörte ich die unverkennbare Melodie von Big Ben. Nein, ich war pünktlich. Aber war ich am richtigen Ort? „Vor Big Ben“ war wesentlich weniger genau, als man glaubte. Hier oder dort drüben? Oder am Zaun, Richtung Themse? Was, wenn ich jetzt meinen derzeitigen Standort verlassen, und ausgerechnet deshalb jemanden verpassen würde? Ich überlegte noch hin und her, als ich ein Gurren vernahm.

Auf ein Zeichen des Friedens warten … . Schlagartig wurde mir klar, was Marcus gemeint hatte.

Eine Friedenstaube! Anders konnte es nicht sein. Ich sah mich suchend um, und da saß sie auf dem Asphalt und pickte nach unsichtbaren Krumen. Sie war schneeweiß und wunderschön.

Ich näherte mich vorsichtig, doch die Taube war zahm und flatterte nicht davon.

Vorsichtig griff ich mir das Tier. Die Flügel fühlten sich seidenglatt in meinen Fingern an. Sie war ganz ruhig, nur das Herz schlug hektisch gegen meinen Handballen.

„Alles gut“, redete ich auf sie ein, und untersuchte den Hals, wo normalerweise die Nachrichten in einem Röhrchen verstaut wurden. Unter den Federn an einem dünnen Stahlring hing eines, das ich recht einfach entfernen konnte. „Nun flieg wieder zurück. Wenn du schlau bist, suchst du den Weg in die Freiheit.“

Ich öffnete meine Finger und sah zu, wie die Taube in den dunklen Nachthimmel aufstieg. Fahrig öffnete ich das winzige Röhrchen und pulte den Zettel raus. Ich rollte ihn auseinander und starrte auf das Wort, das da geschrieben stand.

Ein einziges Wort.

PENG!

Ich hatte die blinde Panik noch nicht im Griff, als mein Smartphone klingelte. Mit gefühllosen Fingern fummelte ich es aus der Tasche und entriegelte das Display mit einem Wisch zur Seite. Schließlich hielt ich den Hörer ans Ohr und räusperte vergeblich gegen den Kloß in meinem Hals an.

„Ha ... hallo?“

Kuss der Wölfin - Die Suche (Band 2)

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