Читать книгу Kuss der Wölfin - Die Suche (Band 2) - Katja Piel - Страница 13
Kapitel 10
ОглавлениеLondon Stadtmitte - Big Ben, Herbst 2012
«Er hat sie doch erschossen. Ich habe doch den Schuss gehört.»
"Bitte Marcus, tu ihr nichts. Ich komme zu dir, ganz egal, wo du bist …“ Ich konnte Alexa im Hintergrund wimmern hören. Mein Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, dass sie bei diesem Mistkerl war. Und dann ertönte ein Schuss. Jemand schrie und ich war mir nicht sicher, ob ich es gewesen war. Zitternd sank ich auf die Knie, ließ mein Smartphone auf den Boden fallen, vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Die Kälte, die in mir hochkroch, war mit nichts zu vergleichen. Als ich eine Berührung auf meinem Rücken spürte, hob ich den Kopf. Sam nahm mich in die Arme. Tränen kullerten aus meinen Augen, schluchzend umklammerte ich ihn, legte mein Kinn auf seine Schulter. Jemand bückte sich und hob das Handy hoch. Adam.
„Du wirst Anna niemals bekommen.“ War Marcus etwa noch am Telefon?
„Lass den Scheiß! Was willst du?“ Adam spazierte den Gehweg entlang. Da er sich von uns entfernte, konnte ich ihn nur noch schlecht verstehen.
„Sie werden dir Anna nicht geben und dann bleibst du auf Alexa sitzen.“
Was sollte das heißen?
Er hatte sie doch eben erschossen. Oder nicht? Hoffnung stieg in mir auf. Wild gestikulierend stand Adam bereits auf der anderen Straßenseite, wo seine Unterhaltung im Straßenlärm unterging.
„Er hat sie doch erschossen. Ich habe doch den Schuss gehört“, murmelte ich vor mich hin.
„Scheinbar hat er nur geblufft. Er würde niemals an dich rankommen, wenn er sie getötet hätte. Er braucht Alexa lebend.“ Mit ruhiger Stimme redete Sam auf mich ein und ich war so froh, dass er bei mir war.
***
Adam starrte auf das Handy und zischte einen Fluch. Marcus hatte aufgelegt. Er hatte es also auf diesen sagenumwobenen Ring abgesehen. Ohne lange zu überlegen, fischte er sein eigenes Handy aus der Hose, tippte eine Nachricht hinein, ließ es wieder in der Jeans verschwinden, und überquerte die Straße.
***
Hoffnung glomm in mir auf, als Adam wieder auf uns zu schlenderte und mir das Handy gab.
„Sie ist nicht tot. Marcus meldet sich. Er ist nicht verhandlungsfähig. Hat einfach aufgelegt.“ Sein Blick wanderte zwischen Sam und mir hin und her, in seinem Gesicht konnte ich die Anspannung sehen. Ich saß immer noch mitten auf dem Gehweg, Sam neben mir in der Hocke. Londons ewiger Regen prasselte auf meinen Kopf, durchweichte uns beide. In den Pfützen, die sich vor uns bildeten, spiegelten sich die Lichter der Straßenlaternen. Um uns herum waren plötzlich nicht mehr viele Fußgänger unterwegs.
Die wenigen hatten es zu eilig, um auf uns zu achten. Ich blinzelte einen Regentropfen fort und wischte mir über das feuchte Gesicht.
„Gehen wir“, sagte Adam und reichte mir die Hand. „Die Venatio haben einen Landsitz etwa zwei Stunden von London entfernt.“ Wieder einmal fragte ich mich, woher er das wusste.
Andreas war neben Adam getreten. Seinem Gesichtsausdruck konnte ich nicht entnehmen, was er dachte. Wie immer. Die Maske der Venatio. Super, Anna. Toller Titel für einen historischen Roman.
Ich nickte ihm zu, erhob mich und folgte ihnen zum Auto, das, wie bereits am Flughafen, quer auf dem Bordstein parkte. Der Motor brummte leise vor sich hin. Durch die Frontscheibe konnte ich Jo erkennen, der ungeduldig auf das Lenkrad tippte. Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, als sei dies eine andere Welt, eine, in die ich nicht mehr reinpasste. So lange Zeit war ich nun schon hier, hatte die Menschheit dabei beobachtet, wie sie sich selbst im Weg stand, sich gegenseitig vernichtete, ohne auch nur zu ahnen, dass wir unter ihnen weilten. Vermutlich war es diese Geheimhaltung, die uns bisher den Pelz gerettet hatte. Wenn man bedachte, was Menschen einander antaten, nur weil jemand die falsche Hautfarbe hatte, dann wollte man auf ihre Toleranz Wandlern gegenüber nicht vertrauen.
Ich warf einen Seitenblick zu Andreas. Er gehörte zu den Venatio.
Ein Mensch, der sein Leben in den Dienst einer Gruppe gestellt hatte, die für Ordnung sorgte, immer das oberste Ziel vor Augen: Niemals durfte bekannt werden, dass es uns gab.
Ich hatte keine große Kenntnis von dieser Organisation. Wenn ich es recht überlegte, wusste ich überhaupt sehr wenig über das, was hier vor sich ging. Alles wirkte, als würde ich hinter einem Theatervorhang stehen, der nun Stück für Stück geöffnet wurde. Wollte ich klar sehen? Sollte sich nach mehr als 400 Jahren der Schleier um mich lichten? War ich tatsächlich ernsthaft dabei, mich in einen von ihnen zu verlieben? Oder war es bereits passiert? Bislang war ich den Menschen erfolgreich aus dem Weg gegangen. Ab und an hatte ich ein Verhältnis. Doch es war nie so intensiv gewesen wie mit Sam. Noch vor kurzem hatte ich mir überlegt, einfach zu verschwinden. Thailand wäre mein bevorzugtes Ziel gewesen. Vielleicht Tauchlehrerin? Auf Koh Phangan, einer Aussteigerinsel in der Nähe von Koh Samui, kannte ich jemanden, der mehrere Tauchschulen betrieb. Aber statt mich im Sand zu räkeln, trieb ich mich im regnerischen London herum, bangte um das Leben einer Frau, die mir genauso gut egal sein konnte, und verliebte mich in einen Mann, der kein Fellträger war.
Als wir in den Wagen stiegen, war dieser Alptraum beinahe zu viel für mich.