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3. KAPITEL
ОглавлениеMolly war vor Sonnenaufgang aufgestanden. Sie mußte sich um die Lady Jay kümmern und war überhaupt nicht in der Stimmung, sich gleich am frühen Morgen auf eine neue Auseinandersetzung mit ihrem Onkel einzulassen. Die Behauptung, daß es auf der Ranch wenig Arbeitskräfte gab, wäre eine schlichte Untertreibung gewesen. Heute mußten die wenigen Männer, die ihr zur Verfügung standen, herumstreunende Tiere einfangen und sie mit Brandzeichen versehen. Und Molly war bereit, ihren Teil beizutragen und den Männern zu beweisen, daß auch sie hart arbeiten konnte.
Auf dem Pferd sitzend, nahm Molly den breitkrempigen Hut ab und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Es war fast Mittag. Da die Männer weit draußen arbeiteten, kam Angel mit einem Wagen voll Essen zu ihnen hinausgefahren. Obwohl Molly fast am Verhungern war, sah es so aus, als ob sie auf die Mahlzeit verzichten mußte.
Sie scheuchte True eine Anhöhe hinauf. Seit einer Stunde folgte sie einer Hufspur und abgeknickten Ästen. Einer der Bullen hatte sich von der Herde entfernt. Normalerweise hielten die Lockrufe der Färsen die Bullen davon ab, sich von den anderen Tieren zu trennen – es sei denn, es hatte einen Unfall gegeben. Darum ging Molly davon aus, daß dem Bullen etwas zugestoßen war. Gerade, als sie den Kopf einzog, um einem tiefhängenden Ast auszuweichen, und um ein paar Granitfelsen herumritt, hallte das leise Muhen des Tieres durch die Bergluft zu ihr hinüber. Mollys Herz schlug schneller. Das Muhen klang schwach und nervös. Der Bulle mußte gleich hinter dem nächsten Bergkamm stehen. Als sie den Hügel hinuntergaloppierte, sah sie, warum das Tier aufgeschreckt war. Satan, der Bulle, der ihre Herde anführte, steckte bis zum Genick in einer Schlammgrube fest.
Molly ritt mit True ganz dicht an den schweren Bullen heran, der voller Unbehagen brüllte. Erschöpft von dem Versuch, sich freizustrampeln, wartete er inzwischen geduldig auf den Tod. Treibende Schatten – wie Blätter in einem Strom – ließen Molly zum Himmel aufschauen. Über ihrem Kopf kreisten Geier und warteten darauf, daß der Bulle verendete. Das Tier schwenkte den Kopf hin und her und ließ ihn dann in den zähen, dunklen Schlamm fallen.
Der jungen Frau blieb nichts anderes übrig, als das steife Lasso an ihrem Sattelknauf zu befestigen und das andere Ende in die Luft zu schleudern, das über ihrem Kopf kreisend laut surrte. Molly konnte mit dem Lasso sehr gut umgehen, und das Seil legte sich nur Sekunden später um das Ohr des Bullen, der bis zur Nase im Schlamm versunken war. Satan protestierte nicht, aber Molly mußte das Lasso noch ein paar Mal werfen, bevor sie das Tier dazu bringen konnte, den Kopf soweit hochzurecken, daß sich die Schlinge um sein Genick legen konnte.
Sie trieb True an und zog sachte an dem Seil. Das Pferd, das an diese Arbeit gewöhnt war, lief langsam los. Der Bulle machte einen langen Hals, muhte lautstark und schwankte leicht, rührte sich aber nicht von der Stelle.
Mollys neue Taktik erforderte ein wenig Phantasie. Sie ritt mit dem Rappen um einen Baum. Das Lassoseil war immer noch am Sattelknauf befestigt. Wenn sie es um den Baum zog, wirkte er wie eine Art Hebel. True bewegte sich langsam vorwärts, und das Seil ratschte über die Baumrinde. Aber der Bulle rührte sich trotzdem nicht.
Da wußte Molly, daß sie sich noch etwas Besseres einfallen lassen mußte. Ihr Wille, diese Situation für sich zu entscheiden, war ungebrochen. So ließ sie die Zügel fallen, stieg vom Pferd und sprang in das Schlammloch. Schon nach dem ersten Schritt reichte ihr die klebrige Pampe bis zu den Knien, beim zweiten steckte sie bis zum Bauch im Schlamm, so daß sie sich unweigerlich fragen mußte, ob nun sie oder der Bulle als Fraß für die Geier enden würde. Behutsam, aber entschlossen mühte sie sich zu dem verängstigten Tier vor und legte dann das Seil um sein breites Hinterteil. Sie mußte es schaffen, und wenn es den ganzen Tag oder noch länger brauchte, bis sie den Bullen aus der Schlammgrube gerettet hatte.
Sam Brannigan, der auf seinem großen Falben über den Hügel zwischen dem Live Oak-Kamm und dem Cedar Valley ritt, vergaß vollkommen, wie hungrig er war. Um diese Jahreszeit trieb man das entlaufene Vieh zusammen, um es mit Brandzeichen zu versehen, und er arbeitete gern mit Cowboys zusammen, genoß das Hochgefühl, das sich bei harter, körperlicher Arbeit einstellte. Jetzt mußte einer Herde von Kälbern das doppelte C eingebrannt werden. Darum trieb er das Vieh, das auf seiner achttausend Morgen großen Ranch verstreut war, zusammen.
Ein kühler Luftzug verfing sich in Sams dickem, blonden Haar, das sich im Nacken kringelte. Das war an diesem heißen Tag eine willkommene Abwechslung. Aber der Wind trug auch den Ruf eines verängstigten Tiers zu ihm hinüber, das nicht mehr weit weg sein konnte. Seit einer guten halben Stunde suchte er jetzt schon nach diesem Tier, aus dessen Muhen er heraushören konnte, daß es in Schwierigkeiten steckte.
So trieb er den Falben an und ritt um einen Granitfelsen, der vor einem fast völlig ausgetrockneten Wasserloch stand. Und plötzlich konnte Sam den Bullen… und Molly James sehen. Schon nach einem kurzen Blick machte sich auf Sams Gesicht ein Grinsen breit. Nicht im Traum dachte er daran, das Mädchen im Stich zu lassen, aber für ein paar Minuten wollte er zuschauen, wie sie sich mit dem Tier abquälte, und den Anblick genießen.
Molly stellte sich hinter das schwere Tier und stemmte sich mit beiden Händen und der Schulter gegen sein Hinterteil.
»Zieh, True! So zieh doch!« befahl sie, und der schwarze Wallach folgte ihr aufs Wort. Das Seil wurde straff gespannt, der Sattel bewegte sich, und das große Pferd mühte sich wiehernd mit dem Gewicht des Bullen ab. Molly spürte, wie die Hinterbeine des Tieres zitterten und sich unter ihren Händen verkrampften. Inzwischen hatte offensichtlich auch der Bulle begriffen, was Molly vorhatte. Seine rosafarbene Zunge hing ihm aus dem Maul; er verdrehte die Augen, so daß nur noch das Weiße zu sehen war, während er sich darum bemühte, die Beine zu bewegen. Ja, er bewegte sich sogar ein kleines Stück vorwärts, aber nur soviel, daß Molly das Gleichgewicht verlor und bis zu den Achselhöhlen im Schlamm versank.
»Zum Teufel mit dir, Satan!« fluchte sie und spuckte den Schlamm aus, der ihr in den Mund gelaufen war. Dann wischte sie den Modder von den Armen. »Ist das alles, was du zustande bringst? Du wirst hier draußen sterben, wenn du dich so anstellst!«
»Brauchen Sie Hilfe?« Sam Brannigan ritt zum Rand der Grube hinunter. In der Hand hielt er ein Lasso, dessen Schlinge über seinem Kopf kreiste.
Eigentlich wollte Molly das Angebot ablehnen, denn sie hatte keine Lust, in der Schuld eines Brannigan zu stehen. Ja, sie wollte weder seine Hilfe, noch die eines anderen. Aber das Leben des Bullen stand auf dem Spiel. Es gab Dinge, die wichtiger waren als ihr Familienstolz.
Sam wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. Geschickt, wie er nun einmal war, warf er die Schlinge über den Kopf des gefangenen Tieres. Molly watete durch den Schlamm und zog das Seil bis zum Genick herunter. Als sie aufblickte, fiel ihr auf, daß Sam mit seinem Falben dieselbe Technik einsetzte, die sie mit True angewendet hatte. Wieder mußte der Baum als Hebel herhalten.
»Sieht aus, als ob er ziemlich geschwächt sei«, sagte Sam. »Falls das nicht hinhaut, werde ich zu Ihnen in den Schlamm steigen. Auf die eine oder andere Art werden wir ihn schon rauskriegen.«
Bei den Worten des großen Mannes spürte Molly eine gewisse Erleichterung. Er war entschlossen, ihr zu helfen, egal welchen Preis er dafür bezahlen mußte. Sein Verhalten überraschte sie. »Vielen Dank, Mr. Brannigan.« Mehr brachte sie nicht heraus,
Wieder stemmte sich Molly mit der Schulter gegen den Rumpf des Tieres, und dieses Mal rührte sich der Bulle tatsächlich von der Stelle, weil True beim Ziehen von Sams Falben unterstützt wurde. Anfänglich bewegte das Rind sich nur zögernd, faßte dann aber Mut. Molly schob mit aller Kraft und trieb den Bullen damit soweit, daß er sich weiter wagte. Sie hingegen hatte nicht damit gerechnet, daß er so schnell aus der Schlammgrube freikommen würde, weil sie nicht daran glaubte, daß er noch über die nötige Kraft verfügte.
In der einen Sekunde preßte sie sich noch gegen das muskulöse Fleisch des Tieres, und in der nächsten ertrank sie schon im Schlamm. Den Mund voll zähflüssiger, übelriechender Pampe, ruderte sie wild mit den Armen, in der Hoffnung, so wieder das Gleichgewicht zu finden.
Sam lachte aus vollem Herzen, als Molly hustend und würgend den Kopf aus dem Schlammloch streckte. Mit abwesendem Blick, aber grinsend, machte er sich daran, den Bullen zu befreien und kümmerte sich dann um den Rappen und den Falben, als Molly aus dem Loch krabbelte.
Sie war von Kopf bis Fuß mit einer dicken Schlammschicht überzogen. Nur ihre großen, blauen Augen blitzten aus dem schwarzen Morast hervor.
»Sie finden das wohl ziemlich lustig, nicht wahr?« schimpfte sie. Ihre Gliedmaßen waren vom Schlamm schwer wie Blei – und sie dachte nur daran, daß sie Sam Brannigan umbringen wollte.
Als Sam sein Lasso aufgerollt hatte, wandte er sich ihr zu. Unter dem blonden Schnauzbart umspielte ein Lächeln seine Lippen. Seine Augen funkelten teuflisch. »Ja, so ist es in der Tat, Miss James.«
»Nun, ich finde das nicht spaßig!« Niedergeschlagen ließ Molly sich zu Boden fallen, wischte den Schlamm von ihrem Gesicht und den Kleidern ab. Dann begann sie, das schwarze Zeugs aus dem Pferdeschwanz zu drücken, der an ihrem Rücken herunterhing. Gegen ihren Willen mußte nun auch sie lachen. Zuerst kicherte sie nur, aber dann platzte es aus ihr heraus. Sie mußte so herzhaft lachen, daß ihr zierlicher Körper durchgeschüttelt wurde und sie Seitenstechen bekam. Sam lief zu ihr hinüber. Auch er lachte aus vollem Herzen und konnte offensichtlich gar nicht wieder aufhören.
»Wenigstens haben Sie Ihren Bullen gerettet«, erinnerte er sie und half ihr beim Aufstehen.
Als sie ausspuckte und sich die Augen rieb, wurde sie wieder von einem Lachanfall durchgeschüttelt. »Wir haben den Bullen gerettet, Mr. Brannigan. Und ich stehe in Ihrer Schuld. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, gehe ich ein Stück flußaufwärts und nehme ein Bad.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, führte Molly True um den Felsen herum und watete, voll bekleidet, in den Fluß. Dann tauchte sie unter und ließ ihre Kleidung von der Strömung durchspülen. Kurz darauf tauchte sie wieder auf, holte Luft und tauchte gleich nochmal den Kopf unter Wasser.
Der Fluß war nicht tief. In der Mitte reichte ihr das Wasser gerade mal bis zur Taille. Molly löste das Band, das ihren Pferdeschwanz zusammenhielt, und ließ sich auf dem Rücken im Wasser treiben. Das Wasser spülte den Schlamm aus ihren Haaren, die Strömung drapierte einzelne Strähnen um ihr Gesicht. Zum Spaß tauchte sie noch ein paar Mal unter und watete dann zufrieden an das Ufer zurück, wo Sam wartete und zusah, wie sie aus dem Wasser stieg.
»Gott, tut das gut«, sagte sie zu ihm. Sie fühlte sich zehn Pfund leichter. Sam sagte kein Wort. »Ich fühle mich wie neugeboren.« Immer noch kein Kommentar. Da er so beharrlich schwieg, warf sie ihm einen Blick zu. Erstaunt mußte sie feststellen, daß Sam Brannigan sie lüstern anschaute. Der Ausdruck in seinen haselnußbraunen Augen, die heute einen leichten Grünton hatten, war ihr bei der letzten Begegnung nicht aufgefallen und jagte ihr jetzt einen Schauer den Rücken hinunter. Ihr Herz schlug schneller, und das Atmen fiel ihr auf einmal unsäglich schwer.
»Mr. Brannigan«, sagte Molly und kam langsam näher. Allmählich machte sie sich Sorgen, daß mit dem Mann irgend etwas nicht stimmte. »Geht es Ihnen nicht gut?«
Sam Brannigan hatte alle Mühe zu sprechen. Er wollte etwas sagen, traute seiner Stimme aber nicht. Zu sehen, wie Molly James ein Bad nahm, war wahrscheinlich die sinnlichste Zurschaustellung von Weiblichkeit, die er jemals erlebt hatte. Und daß sie voll bekleidet gewesen war, änderte daran überhaupt nichts. Die ohnehin schon eng anliegenden Reithosen klebten nun über den Rundungen ihres Gesäßes; das Hemd spannte sich straff über ihre üppigen Brüste, und unter dessen Stoff zeichneten sich die dunkler gefärbten Brustwarzen deutlich ab. Ihr offenes Haar fiel bis zur Taille hinab, und ihre runden, blauen Augen, die von einem dichten Wimpernkranz umsäumt waren, reflektierten die Farbe des Flusses. Winzige Wasserströme liefen an ihren zarten Wangen herunter.
Sam spürte ein Ziehen in der Leistengegend. Ihn dürstete es danach, diese atemberaubende Frau gleich hier am Ufer des Flusses zu nehmen.
»Mr. Brannigan?« sagte die sanfte Stimme, dieses Mal leicht beunruhigt.
Sam räusperte sich und wandte sich ab, entschlossen, seine Stimme und die Begierde, die er empfand, um jeden Preis in den Griff zu kriegen. »Es tut mir leid, Miss James«, entschuldigte er sich. Inzwischen hatte er sich wieder im Griff und konnte sich wieder zu ihr umdrehen. »Ich fürchte, ich bin in Gedanken abgeschweift.« Das Sprechen fiel ihm schwer. »Um diese Jahreszeit gibt es eine Menge Arbeit, die bewältigt werden will.«
»Das kann ich gut verstehen. Und ich möchte, daß Sie wissen, wie dankbar ich Ihnen für Ihre Hilfe mit dem Bullen bin. Ich glaube nicht, daß ich es allein geschafft hätte.«
Sam versuchte krampfhaft, ihr nur ins Gesicht zu schauen. Wenn er seinen Blick nur für eine Sekunde über ihren Körper schweifen ließ, würde er jegliche Kontrolle über sich verlieren. »Ich bin sicher, daß Sie es schon irgendwie geschafft hätten, Miss James«, erwiderte er ein bißchen zu barsch. »Es ist besser, wenn ich mich jetzt an die Arbeit mache.« Er stieg auf sein Pferd und wartete, bis auch Molly aufgestiegen war. Sie ging auf ihren Rappen zu, legte eine Hand auf den Knauf und schwang sich auf den Sattel, ohne die Steigbügel zu benutzen. Dann warf sie ihm einen triumphierenden Blick zu. Sam unterdrückte ein Grinsen. Doch Molly lächelte ihn siegessicher an. Offensichtlich freute sie sich darüber, daß er mitbekommen hatte, wie gut sie mit dem Pferd umgehen konnte.
»Ich habe auch noch einen langen Tag vor mir, Mr. Brannigan«, sagte sie, »aber ich möchte mich nochmals bei Ihnen bedanken.« Und damit ritt sie langsam davon.
»Noch eine Sache, Miss James«, rief er ihr hinterher.
Sie riß an den Zügeln und blieb stehen.
»Es geht mich ja nichts an, aber über kurz oder lang werden Sie sich mit dieser Art von Kleidung ein Menge Schwierigkeiten einhandeln. Ich rate Ihnen, wieder ein nettes, schlichtes Kleid anzuziehen. Es gibt ganz sicher jemanden, der Ihre Reithosen als Einladung auslegt, und dann werden Sie herausfinden, daß es viel schwieriger ist, mit diesen Cowboys fertigzuwerden, als mit Ihrem Bullen.«
Molly spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. »Sie haben ganz recht, Mr. Brannigan, das geht Sie wirklich nichts an. Aber zu Ihrer Information möchte ich Ihnen sagen, daß die meisten Männer eine Frau in einem netten, schlichten Kleid begehrenswerter finden, als eine, die dreckig und verschwitzt ist und Reithosen trägt.«
Nun mußte Sam wieder grinsen. Er betrachtete ihr rundes Hinterteil, das sich gegen den Sattel abhob, und die üppigen Kurven ihrer Brüste.
»Das, Miss James, sagt mir nur, daß Sie zwar mit einem Lasso umgehen können, aber – was die Männer betrifft – noch eine Menge zu lernen haben. Auf Wiedersehen, Miss James.« Er tippte kurz an den Rand seines Hutes, machte dann kehrt und ritt davon. Den ganzen langen Weg zurück zur Ranch mußte er kichern.
Molly trieb den großen Bullen ins Tal zurück, obwohl das eigentlich nicht erforderlich war. Satan freute sich darüber, daß er nicht mehr in der Schlammgrube festsaß, und rannte fröhlich zu seiner Herde zurück. Als Molly endlich das Lager erreichte, war Angelina schon wieder weggefahren und die Männer hatten sich nach der kurzen Pause erneut an die Arbeit gemacht. Nur Joaquin war noch in der Nähe und kam sofort angeritten. Als er sah, in welchem Zustand ihre Kleider und Haare waren, mußte er grinsen.
»Ich wußte ja, daß dein Hunger dich irgendwann hierherbringen würde, hija«, sagte er. Wie es seine Gewohnheit war, nannte er sie auch jetzt wieder ›Tochter‹. »Ich habe etwas Brot und Käse für dich aufbewahrt. Wenn du es in Zukunft noch öfter mit dem Satan aufnehmen willst, achtest du besser darauf, daß du bei Kräften bleibst.«
Molly machte sich dankbar über das Essen her. »Danke dir, padrino«, sagte sie. Weil ihr keine bessere Anrede einfiel, nannte sie ihn ›Patenonkel‹. Er und Angelina hatten sie praktisch großgezogen. Molly hatte mit Joaquin mehr Zeit als mit ihrem Vater verbracht.
Joaquin war ein vaquero, der Erstgeborene einer der ältesten Familien in Kalifornien. Früher einmal waren die Sanchez sehr wohlhabend gewesen, aber nachdem man hier Gold gefunden hatte, hatten die gierigen Norte Americanos die Sanchez-Familie und viele hundert andere von ihrem Land vertrieben.
Die Gerichtshöfe waren den Klagen der Californios nicht wohlgesonnen. Die weißen Amerikaner glaubten an ihre göttliche Mission. Die Siedler hatten jedes Recht, sich Land anzueignen und es damit zu Territorium der Vereinigten Staaten zu machen. Die Sanchez, und mit ihnen unzählige andere Californios, wurden umgesiedelt und waren gezwungen, jede Arbeit – falls sich ihnen diese Möglichkeit überhaupt bot – anzunehmen. Joaquin hatte länger als fünfzehn Jahre für Malcolm James gearbeitet und den Posten des segundo, des Stellvertreters, auf der Lady Jay innegehabt.
Joaquin lüftete seinen breitkrempigen Sombrero und fuhr sich mit der Hand durch die glänzenden Haare, die immer noch pechschwarz waren. Kritisch beäugte er Mollys feuchte Kleider und zerzauste Haarpracht. »Ich bin mir gar nicht so sicher, ob du oder Satanas, also wer von euch beiden gewonnen hat.«
»Ich glaube, daß Satan immer noch in der Schlammgrube Kokken würde, wenn Sam Brannigan nicht zufällig aufgetaucht wäre«, erzählte sie ihm wahrheitsgemäß und biß ein Stück von dem mexikanischen Brot ab. »Zum Glück ist das der Fall gewesen.«
Joaquin lächelte ihr zu. Das blitzende Weiß seiner Zähne hob sich gegen sein dunkelhäutiges, wettergegerbtes Gesicht ab. »Das ist Señor Brannigans Eigenheit. Der kann Schwierigkeiten riechen, wie ein Hengst selbst noch bei Gegenwind die Fährte einer Mähre aufnehmen kann. Was hältst du von dem großen Gringo?«
»Groß ist er wirklich. Und scheint keinen schlechten Charakter zu haben, aber ich will mir nicht allzu voreilig eine Meinung über ihn bilden. Immerhin ist er ein Brannigan, und Papa hat immer gesagt, daß man denen nicht über den Weg trauen kann.«
»Ich habe dir schon ein paar Mal gesagt, daß das Urteil deines Vaters manchmal etwas getrübt war, vor allem wenn es unsere Nachbarn betraf. Ich hatte seit jeher den Eindruck, daß die Brannigans eine anständige Familie sind, obwohl ich das – solange dein Vater noch gelebt hat – niemals laut ausgesprochen hätte.« Joaquins Mähre riß an den Zügeln und fing an, mit den Hufen im Erdreich herumzuscharren. Das lange Stillstehen machte sie nervös. »Laß nicht zu, daß die Vergangenheit dich blind macht, wenn es um die Zukunft geht.«
Molly nickte verständnisvoll. Sowohl Joaquin als auch Angelina glaubten, daß es an der Zeit war, den ewigen Streit mit den Brannigans beizulegen, und Molly stimmte ihrem Urteil auch teilweise zu. Doch in ihr meldete sich noch eine andere Stimme zu Wort, die ihr sagte, daß sie erst dann ihren Frieden finden würde, wenn die Brannigans für die Einsamkeit und das Leid, das Molly erlitten hatte, bezahlten. Und außerdem – redete sie sich ein – konnte die Lady Jay zusätzliche Gewinne einstreichen, wenn der Paß und das angrenzende Land allein ihr gehörte.
»Eines Tages, und das werde ich noch erleben, wird die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen«, hatte ihr Vater immer gesagt. »Eines Tages werden sie für alles bezahlen.« Das Jahr, das Shamus Brannigan im Gefängnis verbracht hatte, bevor er gestorben war, reichte in Mal James’ Augen nicht. Er hatte sich geschworen, daß er irgendwann einmal eine Möglichkeit finden würde, die Rechnung zu begleichen.
Mittlerweile war Mal James tot, und Molly hatte den James-Paß als Teil der Lady Jay beansprucht. An die Rechtmäßigkeit dieses Anspruches glaubte sie fest. Sie hatte einen Anwalt aus Sacramento mit der Sache betraut und wollte die Klage um jeden Preis gewinnen. Nachdem der Paß rechtmäßig ihr gehörte, würde sie entscheiden, was es mit den Brannigans auf sich hatte. Doch bis dahin gab es weitaus wichtigere Dinge, die sie bewältigen mußte.
»Ich muß mich wieder an die Arbeit machen«, sagte Joaquin und riß sie aus ihren Gedanken.
Molly nickte. »Ich werde zum Sugar Loaf-Gipfel hinüberreiten«, erzählte sie ihm. »In der Nähe des Flusses sollen sich noch ein paar entlaufene Tiere rumtreiben.«
»Si, hija.« Joaquin lächelte ihr wieder zu. Unzählige winzige Fältchen rahmten seine dunklen Augen ein. »Gib acht, daß du nicht wieder verloren gehst.«
Molly erwiderte sein Lächeln, winkte ihm zu und ritt zu dem Berg hinüber, der sich in der Ferne gegen den Himmel abzeichnete. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis die Abenddämmerung einsetzte.
Als Molly nach Hause ritt, hatte sie einen Bärenhunger. Heute hatte sie ein schönes Stück Arbeit erledigt, aber da sie die meiste Zeit über allein war, hatte sie viel Zeit zum Nachdenken. Obwohl sie sich auch den Kopf über ihren Vormund zerbrochen hatte, waren ihre Gedanken unablässig zu Sam Brannigan zurückgekehrt. Heute morgen hatte er mit seinen breiten Schultern und schmalen Hüften einfach viel zu gut ausgesehen. Sie konnte nicht vergessen, wie sich die Sonnenstrahlen in seinem goldenen Bart verfangen hatten, wie eine leichte Brise die blonden Haarspitzen, die unter seinem breitkrempigen Hut hervorgeschaut hatten, zerzaust hatte. Wenn sie nur an seine imposante Gestalt dachte, daran, wie gerade er auf dem Rücken seines großen Falben saß, stockte ihr der Atem. Es war ihr leider nicht gelungen, ihr Interesse vor Joaquin zu verbergen. Nicht einmal sich selbst konnte sie belügen.
Wie grausam kann einem das Schicksal doch mitspielen, dachte sie insgeheim. Ein Brannigan, der das Haupt der Familie war, die die ihre zerstört hatte, zog sie so stark an, wie es bis jetzt noch keinem anderen Mann gelungen war. Aber Sam Brannigan entsprach auch nicht dem Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte. Bei ihm hatte sie eine Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit gespürt, die die wenigsten Männer hatten. Ihr Vater hatte Sam als bösen, berechnenden Mann beschrieben, als jemanden, der Schwierigkeiten machte und Frauen nachstellte. Obwohl Sam sieben Jahre jünger als ihre Mutter gewesen war, hatte er – laut Mal – Colleen nachgestellt, was Molly unerträglich fand. In ihrem Herzen bewahrte sie sich ein Bild von ihrer Mutter, dieser Frau, die so wunderschöne blaue Augen, eine zarte, dunkle Haut und ein bezauberndes Lächeln besaß. Stimmte es, daß Sam sie begehrt hatte? Eigentlich sah ihm das gar nicht ähnlich, aber Molly hatte nicht genug Erfahrung mit Männern gesammelt, um sich ihrer Meinung sicher zu sein.
Bis zum heutigen Tag hatte es nur einen Jungen gegeben, der in ihrem Leben einen besonderen Platz eingenommen hatte. Richard Anthony. Er war groß, hatte sandfarbenes Haar und war außerordentlich stattlich. Und außerdem hatte er ihr damals im Osten unaufhörlich den Hof gemacht. Ja, er hatte sie sogar gebeten, ihn zu heiraten und bei ihm in Chicago zu bleiben, wo er das Familienunternehmen leiten wollte. Aber Molly war die Lady Jay wichtiger gewesen, und das hatte sie ihm auch klipp und klar gesagt.
Richard hatte nicht aufgegeben, obwohl Molly ihm mehrmals zu verstehen gegeben hatte, daß sein Werben zu nichts führen würde. Mit ihm hatte sie viele Stunden verbracht und sich sogar von ihm küssen lassen, doch es war ihm nie gelungen, diese Begeisterung zu schüren, die ein Blick in Sam Brannigans haselnußbraune Augen in ihr hervorrief. Richard Anthony war ein netter Junge, der sie anbetete. Sam Brannigan war ein Mann. Und zum ersten Mal in ihrem Leben erkannte Molly, daß sie eine erwachsene Frau war.
»Por dios«, fluchte sie auf Spanisch, das ihr genauso leicht von der Zunge ging wie ihre englische Muttersprache. Warum mußte ausgerechnet er es sein? Von all den Menschen auf Gottes grüner Erde mußte es gerade ein Brannigan sein, der sie so stark anzog. Molly versuchte sich einzureden, daß das in Wirklichkeit gar keine Rolle spielte. Einmal abgesehen von seinem eigenwilligen Benehmen am Flußufer, hatte er ihr bis jetzt kaum Beachtung geschenkt. Sie kannten einander kaum. Offensichtlich machte sie viel Wind um nichts. Und während sie so über die ganze Angelegenheit nachdachte, entschied sie, daß es besser war, alles so zu belassen, wie es war. Mit einem Brannigan wollte sie nichts zu tun haben, und mit Sam schon gar nichts.