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ОглавлениеAbsolute Dunkelheit umgibt mich. Dunkelheit und Stille. Friedvolle Stille. Ich empfinde behagliche Wärme. Es fühlt sich an, wie auf Wolken. Liege ich oder schwebe ich? Bin ich tot?
Nein. Ich höre ganz deutlich, wie ich atme: Ein, aus, ein, aus.
Ich spüre, wie sich mein Brustkorb hebt und senkt.
Also bin ich am Leben.
Oder ist das Ganze nur ein Traum? Gaukelt mir mein Gehirn nur vor, dass ich noch lebe, weil ich nicht gehen will?
Ist es so, wenn man stirbt?
Jetzt fühle ich etwas. Doch fühlen ist nicht das richtige Wort dafür, was dann über mich hereinbricht:
Schmerzen. Höllische Schmerzen. Ein kaum auszuhaltender Druck in meinem Kopf, als würde er gleich auseinanderplatzen. Und Brennen - wie tausend Nadelstiche auf meiner Haut: im Gesicht, an Händen, Armen und Beinen.
Dann ist alles nur noch Schwarz.
Am Anfang ist wieder nur Dunkelheit. Sie ist ganz um mich herum. In ihr kann ich mich verstecken. In ihr fühle ich mich sicher. Geborgen. Verborgen. Sie ist Eins mit mir. Da ist keine Angst. Keine Unsicherheit. Erst wenn die Komponente Licht hinzukommt, werde ich sichtbar. Angreifbar. Verletzbar. Dann bin ich der Welt wieder ausgeliefert.
Als ich zu mir komme und die Augen öffne, ist es mir viel zu hell. Die Helligkeit trifft mich völlig unvorbereitet und sticht schmerzhaft in meinen Augen. Reflexartig und zu derer Schutz schließe ich sie wieder. Ich zögere, doch die Neugier in mir lässt sie mich wieder öffnen. Ganz leicht nur. Wo bin ich? Durch diesen kleinen Schlitz hindurch sehe ich, dass ich in einem Bett in einem hellen, Licht durchflutetem Zimmer liege. Um mich herum stehen Apparaturen mit verschiedensten Anzeigen und Ständer mit Infusionen. Ein Gerät gibt seit geraumer Zeit einen aufdringlichen Dauerton ab, der unaufhörlich in mein Gehör kriecht. Ich habe immer noch ein Klingeln im Ohr. Selbst dann noch, als eine Frau in weißem Kittel ins Zimmer geeilt kommt, sich kurz über mich beugt und die Maschine abstellt. Meine Reaktion ist nicht unbemerkt geblieben, denn irgendetwas hatte der Frau in Weiß wohl angezeigt, dass ich, die Patientin von Zimmer 203, wieder da bin.
Gleich nach ihr betritt ein älterer Herr mit schütteren, schon recht grauen Haaren, den Raum. Er stellt sich seitlich an mein Bett, leuchtet mir mit einer Art kleinen Taschenlampe in beide Augen, blickt dann auf die Anzeigen der Geräte und stellt sich mit den Worten: „Hallo, da sind Sie ja wieder. Ich bin Dr. Paulsen. Sie sind hier im Krankenhaus“, vor. Er hält inne und wartet auf eine Reaktion. Eine Reaktion meinerseits.
Es kommt aber keine.
„Wir haben leider keinerlei Papiere bei Ihnen gefunden“, setzt er nach. „Können wir vielleicht jemanden benachrichtigen?“ Er verharrt wieder einen Moment, damit ich genug Zeit habe, nicht nur die Worte zu vernehmen, sondern auch aufzunehmen und wenn möglich, ihm darauf zu antworten. Er fährt fort: „Wissen Sie, wer Sie sind, was passiert ist?“
Ich fühle mich zunehmend unbehaglich, irgendwie in die Enge getrieben. Ich habe keine Lust auf Konversation und schließe meine Augen. Ich will einfach nur meine Ruhe haben – konnte das denn niemand verstehen?
„Haben Sie Schmerzen?“ vernehme ich die Stimme des Arztes wie aus weiter Ferne. Da habe ich mich bereits wieder zurückgezogen in meine Welt, die der Stille und des Friedens, in den Schutz der Dunkelheit. Da ich nicht reagiere, dreht er sich Hilfe suchend nach der Schwester um. Diese zuckt ein paar Mal mit den Schultern und schüttelt bloß kurz mit dem Kopf: „Die Blutwerte und Vitalfunktionen sind alle in Ordnung.“ Damit verlässt sie den Raum. Dr. Paulsen bleibt noch einen Moment bei mir, der Patientin. Sein Blick streift die weißen Verbände an Kopf, Armen und Beinen, durch die ich noch zerbrechlicher wirke in meiner und die mich umgebende Blässe. Sein Pieper setzt plötzlich ein: Er wird anderweitig gebraucht. Kurze Zeit später ist er bereits wieder so intensiv in seine Arbeit vertieft, dass er mich, die eigenartige Patientin, vergessen hat.
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Vergessen, ja das war auch mein Ansinnen gewesen, bevor der Unfall oder was auch immer mit mir geschehen war, passierte. Aber das war mir mittlerweile ebenso entfallen. Ich erinnere mich an nichts mehr. An gar nichts.
Was hatte der Arzt gefragt? Wissen sie, wer sie sind?
Was sollte diese törichte Frage? Wollte er mich der Lächerlichkeit preisgeben?
Natürlich weiß ich, wer ich bin…
Ich versuche, über den Satz nachzudenken und über mich. Es gelingt mir nicht. Es ist mir nicht mehr möglich, überhaupt noch einen Gedanken zu fassen.
Diese unerträglichen Kopfschmerzen!
Panik kommt in mir auf – es ist, als stecke ich in einem Sack und bekomme keine Luft. Irgendetwas versucht, mein Herz abzudrücken – es hämmert jetzt schon so laut in meinem Kopf, bald würde es heraus springen.
Das musste doch irgendjemand hören?
H i l f e.
Mein Herzschlag dröhnt, mein Puls rast und steigt – die Krankenschwester von eben kommt ins Zimmer gerannt und beugt sich über mich. Wieder spüre ich einen kurzen Einstich in meinen Arm. Ich denke immer noch darüber nach:
Wer bin ich? Der Satz entgleitet mir, meine Glieder werden schlaff.
Keine Schmerzen mehr.
Nicht mehr fühlen müssen.
Dann umfängt mich wieder tiefe Finsternis.