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Selbst der ärmste Jude hat ein Sabbat-Huhn

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Maras Satz, oft zu lesen und zu hören, gehört wohl zu den Standard-Sätzen, die das Leben geschrieben hat.

Die Speisen des Sabbats haben ihre feste Abfolge. Der Sabbat-Vorabend, hat seine Regeln, ebenso wie der darauffolgende Sabbat.

Ihren Sabbateingang beschreibt Mara so:

Nach Beendigung der rituellen Handlung wird der gefillte Fisch aufgetragen. Ihm folgt die Brühe, die goldene Jojch mit verschiedenen Suppeneinlagen. Ihr schließt sich das Sabbat-Huhn an, gekocht, geröstet, gebraten (es kann auch Ente oder Gans sein, je nach Geldbeutel).

Eine Zwischeneinlage oder auch Beilage sind farcierte Hälschen (gefüllte Hühnerhälse, aus denen die Knochen entfernt sind und stattdessen eine Füllung eingelegt wird) oder auch Kischkes, Därme mit delikaten Füllungen.

Nun wird der Zimmes gereicht, ein Auflauf, der süß oder salzig ist, aus Obst oder Gemüse, eine Nachspeise, die zumeist Trockenobst enthält und ebenso eine Beigabe zum Hauptgang sein kann. Maras Zimmes bestand aus Karotten in flüssigem heißem Honig.

Danach beschließen vielerlei Gemüse das Essen. Bei Tee mit Zitrone oder mit süßer, sehr edler Konfitüre und kleinem Gebäck hat der Sabbateingang seinen Abschluss gefunden.

Aber Mara erzählt auch von kargerem Sabbat-Essen. Da war das kleine Huhn schon das Ende der Mahlzeit und die Brühe, verdünnt mit viel Wasser, trug keine Fettaugen, leuchtete nicht golden. Keine Nachspeisen, nur wenige Vorspeisen, zumeist Gemüse in Dill und Knoblauchsauce. Wenn die Straßen des Scheunenviertels etwas reichlich hatten, dann waren es die kleinen ärmlichen (oder auch elenden) Geschäfte und Handlungen, in denen Gemüse verkauft wurde. Mara ging stets erst kurz vor Schluss kaufen. Da war es noch billiger. Und sie nahm dann nur das Beste.

Mischket Liebermanns Erinnerungen an den Sabbat ihrer Kindheit ähneln der kargen Variante, die Mara auch kennt:

"Es ging bei uns tatsächlich so zu wie bei Heine in der 'Prinzessin Sabbat'. Die ganze Woche lebten wir wie die Bettler, am Sabbat aber wie die Könige. Es begann schon am Freitagabend. Meine Mutter zündete die Kerzen im silbernen Leuchter an. Ja, im silbernen Leuchter, der schon vielen Generationen gute Dienste geleistet hatte. Sie sprach ein kurzes Gebet und ließ die Tränen laufen. Vater und die Brüder gingen in die Synagoge. Wir Mädels deckten den Tisch festlich. Neben Vaters Platz kamen die selbst gebackene Chale, das geflochtene Weißbrot mit Mohn, zugedeckt mit einer weißen Serviette, und der selbst gemachte Rosinenwein. In die Mitte des Tisches der gefüllte Fisch.

Wenn die Männer aus der Synagoge heimkehrten, so nach zwei Stunden, saßen wir Mädels und die Mutter schon am Tisch in unseren schönsten Kleidern, das heißt ohne Schürzen. Jeder hatte seinen bestimmten Platz. Stehend, mit einem Glas Wein in der Hand, sprach Vater ein Dankgebet für den Wein, von dem wir nippten, für die Chale, von der wir alle ein Stück abbrachen. Zum Glück waren die Gebete kurz. Wir waren hungrig wie die Wölfe. Tagsüber wurde am Freitag doppelt gespart. Das Mahl begann. Mit Fisch, ganz wie es sich gehört. Dann folgte die Hühnerbrühe mit selbst gemachten Nudeln und etwas Hühnerklein. Keine Nachspeise. Das wäre schon Luxus. Alles andere war Brauch. Jede Woche dasselbe. Jahraus, jahrein. Und der Hunger, der sich schon am Sabbatausgang einstellte, war auch derselbe. Die Woche über nährten wir uns in der Hauptsache von Brot und Kartoffeln, in allen nur möglichen Varianten". (6)

Mara hatte einen reichen Vetter, einen Schuh-Fabrikanten, der behielt vom Sabbat-Huhn nur die Brühe. Das ausgekochte Fleisch ging an die ärmere Verwandtschaft, und Mara war jedes Mal froh darüber, verdoppelte es doch die Fleischmahlzeit oder aber es war Fleisch für die Woche.

Mara wusste zu sparen, aber sie verstand es auch, den Feiertagen ihren Glanz zu verleihen.

Der Sabbat-Morgen, der frühe Sonnabend, verhieß kein oder ein karges Frühstück, etwas Gebäck, etwas Tee oder Kaffee. Dann begab sich die Familie zum Sabbat-Gottesdienst. Die Männer voran, gefolgt von Frauen und Söhnen. Die Töchter blieben zu Hause, spielten oder hatten Pflichten den jüngeren Geschwistern gegenüber.

Nach diesem Gottesdienst erfolgte die Sabbatmahlzeit, die sogleich eingenommen werden konnte, denn im warmen Herd warteten die fertigen Speisen. Am Freitag hineingeschoben, wurden sie am Sonnabendmittag gegessen, der Tscholent und der Kugel (auch Kig'l). Und sie waren zu diesem späten Zeitpunkt gut und wohlschmeckend, wenn der Ofen die Wärme hielt.

Ihre Zusammensetzung erlaubt - und erfordert - stundenlanges Köcheln. Die Zutaten blühen vielfach erst durch die lange Garzeit auf. "Das muss man lernen", sagt Mara. "Der beste Tscholent ist der, in dem das Wasser oder das Fett erst ganz am Schluss verkocht. Und anbrennen darf dir gar nix, sonst hast du versagt als Köchin und Hausfrau. Und besser gut und ein bissel, als schlecht und eine volle Schüssel, heißt es doch."

Tscholent, Kugel und der Zimmes sind die Krönungen des Sabbatessens. "Wer am Sabbat Tscholent und Kugel isst, ist die ganze Woche lang satt." Ein Sprichwort, dem man glauben will, wenn man die Zusammensetzung, die unendliche und kalorienhaltige Vielfalt dieser Gerichte bedenkt.

Heinrich Heine rühmt in seiner "Prinzessin Sabbat" den Tscholent (oder auch Chalet) auf folgende Art:

"Schalet, schöner Götterfunken,

Tochter aus Elysium!

Also klänge Schillers Hochlied,

hätt' er Schaletje gekostet.

Schalet ist die Himmelsspeise,

Die der liebe Herrgott selber

einst den Moses kochen lehrte

auf dem Berge Sinai,

Wo der Allerhöchste gleichfalls

all' die guten Glaubenslehren

und die heil'gen zehn Gebote

Wetterleuchtend offenbarte.

Schalet ist des wahren Gottes

koscheres Ambrosia,

Wonnebrot des Paradieses,

und mit solcher Kost verglichen.

Ist nur eitel Teufelsdreck

das Ambrosia der falschen

Heidengötter Griechenlands,

die verkappte Teufel waren.

Speist der Prinz von solcher Speise,

glänzt sein Auge wie verkläret,

und er knöpfet auf die Weste,

und er spricht mit sel'gem Lächeln :

Hör ich nicht den Jordan rauschen?

Sind das nicht die Brüßelbrunnen

In dem Palmenthal von Beth-El,

Wo gelagert die Kamele?

Hör ich nicht die Herdenglöckchen?

Sind das nicht die fetten Hämmel,

die vom Gileathgebirge

abendlich der Hirt herabtreibt? ... "(7)

Der Tscholent ist variantenreich, und beliebig werden darin Gemüse, Fleisch, Grütze, auch Obst und Dörrobst miteinander ver- und gekocht. Am Freitagmittag angesetzt, erreicht er durch langsames Köcheln (bis zu 24 Stunden) seinen eigentlichen Geschmack. Selbstverständlich könnte er auch in kürzeren Kochzeiten gar werden. Aber weil er auch langsames Köcheln verträgt, ist er angesichts des Arbeitsverbotes zum Sabbat ideal.

Der "klassische" Tscholent ist der Fleischtscholent mit Limabohnen und Rinderbrust, Zwiebeln, viel Fett, Salz, Pfeffer, Perlgraupen, Mehl und Paprika.

"Zusammen gekochtes" könnte man die Tscholents auch nennen, "Eintöpfe", wie sie von Landschaft zu Landschaft verschieden sind, und doch zeichnet die Tscholents etwas anderes aus: Sie sättigen in höherem Maße, und sie sind durch das langsame Köcheln von großer Geschmacksintensität. Zuweilen wird den Tscholents noch ein Mehlkloß und Dörrobst hinzugegeben, mit Nelken, Honig und Zucker zubereitet. Süß und salzig in einem Topf ist nicht jedermanns Sache, aber international durchaus vertraut.

Eine andere Variante vom Tscholent, aber auch ein absolut selbstständiger Gang in der Speiseabfolge des Sabbat-Mittagessens ist der Kugel.

Ein jüdisches Sprichwort sagt: Wer oft Kugel isst, muss auch alt werden. Ein anderes: Wenn die Frau keinen Kugel bereiten kann, schick ihr den Scheidungsbrief.

Der Kugel ist ein Auflaufgericht, neutral, enthält also keine Milch und kein Fleisch und überdauert keine Nacht im Backofen.

Nudeln, Kartoffeln oder Matzebrösel können die Grundlage sein. Vermischt mit Obst oder auch pur werden sie in gut gefetteten Kasserollen gar gemacht und sind warm gehalten oder auch kalt zu essen, je nach dem, ob als Hauptgericht oder als Beilage gedacht.

Den Abschluss des Sabbatmittags bildet der Zimmes.

Zimmes kann eine Beilage zu Fleisch, wie zum Tscholent, zu vielerlei Essen sein, ist aber auch ein Nachtisch.

Maras Karottenzimmes war eine Beilage, den Obstzimmes reichte sie als Nachtisch.

Auch der Zimmes ist abhängig davon, wie viel Geld auf die Woche da gewesen ist. Der Zimmes kann ein schwerer Gang sein, nämlich dann, wenn man ihn mit Fleisch kombiniert, Gemüse und Obst in Honig mit Nüssen dazu gibt und ihn mit viel Fett versieht. Dann hält es der Zimmes auch eine Nacht im Backofen aus, gart und entfaltet seine Düfte und ist ein "als Nachtisch verkleideter Hauptgang". (8)

Der Mittagsruhe und einem Glas Tee folgt wiederum der Gang in die Synagoge oder es setzen die Sabbat-Anhörungen ein. Vielfach wird die Friedlichkeit des Nachmittags auch dazu genutzt, einander zu besuchen, Kinder zu bewundern oder Gäste zu empfangen.

"Meine Eltern noch", sagt Mara "durften an Sabbat nicht mehr als zweitausend Schritte gehen. Hier in diesem Viertel, wo es so viele Betstibls gab, hat das allemal ausgereicht. Von der Schendelgasse, in der wir wohnten, bis vor zur Grenadierstraße waren es nur wenige Schritte, und hier hatte der Tate seine feste Adresse und seinen Stammplatz. Da traf er Leute. Das war auch gut fürs Geschäft."

Vor Sonnenuntergang kommt die dritte Sabbat-Mahlzeit.

Im Talmud steht: Rabbi Jose sagt: Mein Teil möge unter denen sein, die am Schabbat drei Mahlzeiten halten. Der Nachmittagsgottesdienst und der Abendgottesdienst umrahmen die Mahlzeit.

Die dritte Mahlzeit besteht aus kleinen Speisen wie Fisch, Rohkostsalaten, zubereitetem Geflügelklein und aus den Resten vorangegangener Mahlzeiten.

Zum Sabbatende wird Hawdala (oder auch hawdole) gehalten, die Unterscheidung zwischen dem Sabbat und dem normal einsetzenden Wochentag.

Über den letzten Becher Wein - bis an den Rand gefüllt - spricht der Vater das Gebet, die jüngste Tochter hält die brennende Hawdala-Kerze aus geflochtenem Wachs, im Zimmer duftet die Bessomimdose mit all ihren Gewürzen. Der Hausherr schaut auf den Wein, trinkt das Glas fast bis zur Neige aus und löscht mit dem Rest des Weins die Kerze, indem er seine Finger eintaucht, sie über Augen und Ohren führt und dann den Docht ausdrückt. Auch die Söhne machen auf dieselbe Weise Hawdala, nur die Mädchen dürfen nicht von dem Wein trinken, "weil ihnen sonst ein Schnurrbart wächst".

"Eine gute Woche hat uns der Vater gewünscht; eine Woche, die für jeden von uns anders aussah", erinnert sich Mara, "die Kinder froh, endlich wieder hinaus zu dürfen, zu ihren Freunden. Ich sorgenvoller als der Tate. Denn dieser Mann, der mich seinerzeit ehelichte, war von kräftigem Mut und voller Vertrauen in den nächsten Tag. Das machte ihn stark auch für andere. Das blieb auch später so, als die Zeiten für uns schlimm wurden. Wir hätten ein längeres Leben miteinander haben sollen. Er war ein Mann, mit dem ich alt werden wollte, wenn er auch nie ein einfacher Mann war.

Wir waren immer zwei sehr verschiedene Menschen."

Und Mara fügt noch hinzu: Meine Tochter Betty denkt heute bei Sabbatende schon wieder ans Kochen. Eine neue Generation schafft neue Gewohnheiten.

Das Sonnabend-Abendessen heutzutage heißt, frisches Essen auf den Tisch. Kein Ruhegesetz waltet mehr. Da spielt der Fisch natürlich wieder eine Rolle, dazu heiße, frisch gekochte Kartoffeln, Salate und Tee und Gebäck wie am Sabbat."

Es ist Sonnabend und eigentlich noch Sabbat-Zeit. Mara ist mehr als zweitausend Schritte gelaufen und den Erinnerungen gefolgt, so wie sie sie suchte.

Die dritte Mahlzeit steht auf dem kleinen Tisch am Fenster:

Gelierter Fisch, kaltes Fleisch, Hefebrot, etwas Gemüse, Tee in der Wärmekanne.

Mara lächelt. "Ich hab nur etwas gesündigt", sagt sie, "und jetzt kann man den Schabbes noch einholen."

Die Hawdala-Kerze brennt und Mara erwartet den Sabbatausgang. Sie sitzt am Fenster, um die ersten drei Abendsterne am Himmel früh genug zu sehen.


Ein kleines Ei ist auch ein Huhn

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