Читать книгу Wolken klingen rosa - Katrin Meyer - Страница 4
Für dich eine Brise, für mich ein Orkan
ОглавлениеWann es anfing mit dem Gefühl in jeder Brise des Lebens einen Orkan zu sehen, weiß ich nicht. Schon früh gehörten Stille und Rückzug zu meinen essenziellen Grundbedürfnissen und ich brauchte immer viel Zeit um Situationen zu bewerten, Erlebnisse zu verarbeiten und Zusammenhänge in Dingen zu erkennen. Meine Mitschüler habe ich als zu wild und zu laut empfunden und in den Pausen habe ich mir immer eine ruhige Ecke gesucht, in die ich mich zurückziehen konnte, um alleine zu sein. Ich machte den Fehler zu glauben, dass die breite Masse so dachte, wie ich.
“Mit der stimmt was nicht...”
“Die ist aber empfindlich...”
“Spielverderber!”
All das waren noch harmlose Angriffe auf meine Dünnhäutigkeit.
Ich habe es mitbekommen, was hinter meinem Rücken getuschelt wurde, wie sie gelacht haben über mich.
Dass es mir weh tat und ich langsam anfing an mir zu zweifeln hat aber niemand bemerkt. Ich habe immer viel gespürt aber nie was gesagt. Ich war schon früh eine Meisterin des Aushaltens.
Und nun, viele Jahre später, liege ich hier auf dem Sofa, und kann nicht aufhören daran zu denken, wie es meiner Freundin wohl gerade geht. Dass ich überhaupt eine Freundin gefunden habe und so einen liebevollen Partner.
“Dein Tag scheint ja ganz schön anstrengend gewesen zu sein, du schläfst doch sonst nicht um diese Zeit hier ein,” flüstert mir Sascha behutsam ins Ohr.
“Ach,” seufze ich,” ich bin einfach nur müde.”
Am nächsten Tag reihe ich mich wieder ein in das Verkehrschaos der Großstadt. Einer Stadt, in der die Menschen hart arbeiten, viel Geld für andere machen, in eine Welt des Konsums und der ewig im Vordergrund stehenden Gewinnmaximierung. So zermürbend alltäglich, dass sich mein Kopf anfühlt wie aus Watte. Ich bin ein Teil von ihnen. Und ich habe doch gar nicht das Bedürfnis, irgendwo dazuzugehören. Ich befinde mich auf dem schmalen Grat zwischen Anpassung und dem dringenden Wunsch ein Individuum zu sein. Ich möchte nicht überschüttet werden mit Meinungen und Ratschlägen von Menschen die ich nicht darum gebeten habe. Sie denken doch sowieso von mir was sie denken wollen. Sie hören doch sowieso nur das was sie hören wollen. Warum bin ich so besessen von dem Gedanken, es jedem recht machen zu wollen? Ich kann manchmal gar nicht mehr zwischen ihnen und mir unterscheiden. Ihre Emotionen sind auch meine, ihr Druck ist auch meiner, ihre Ansprüche sind auch meine. Ich verschwinde regelrecht in ihnen.
Und heute Abend wird es das gleiche sein. Alle Ameisen krabbeln zurück in ihren Bau, nur um am nächsten Tag wieder die gleiche harte Arbeit zu tun.
`Du wolltest noch Merle zurückrufen und denk´ dran heute noch ein Geburtstagsgeschenk für sie zu kaufen. Wie lange weißt du eigentlich schon, dass sie am Samstag Geburtstag hat??? Es ist wie Weihnachten! Weihnachten kommt ja auch immer ganz plötzlich! ´
Ich bin noch keine zwei Minuten wach, bekomme kaum die Augen auf, aber mein innerer Antreiber hat den Dienst schon längst wieder aufgenommen. Er scheint mal wieder richtig gut in Form zu sein.
`Halt´ die Klappe´, denke ich und schleppe mich ins Bad wie jeden Morgen. Und doch fühlt es sich heute befremdlicher an. Dunkler, enger. Als würde sich eine Veränderung in meinem Leben anbahnen.
Sascha hat sich, wie jeden Morgen, schon einen Kaffee aufgebrüht und mir meinen Lieblingstee in meiner Lieblingstasse in den dezenten Farben bereitgestellt. Es ist ein liebgewonnenes Ritual geworden, auf das ich nicht mehr verzichten möchte. An frisch gemahlenem Kaffee riechen zu dürfen, ist für mich immer eine ganz besondere Freude, aber nachdem ich einmal davon gekostet hatte, bin ich doch lieber auf Tee umgestiegen. Ich lief den ganzen Tag auf Hochtouren und auch mein Magen nahm mir diesen Fauxpas, im wahrsten Sinne des Wortes, übel.
Die eiskalte Morgenluft veranlasst mich, meine Jacke noch fester zu schließen und mir meinen kuschelig orangefarbenen Schal über die Nase zu ziehen. Der Winter und ich sind keine Freunde.
WUMMS! Der Dauerfrost hat der Straße übel zugesetzt. Das wird im nächsten Jahr wieder für viele Baustellen sorgen und noch mehr Arbeit für überforderte Mitarbeiter in den Autowerkstätten. Im Prinzip müsste man Slalom fahren um den vielen, teilweise sehr tiefen Schlaglöchern auszuweichen. Ich konnte so schnell nicht reagieren. Geblendet vom Licht des Gegenverkehrs und abgelenkt durch die aufdringliche Werbung im Radio ist mein Stresslevel schon wieder so hoch wie die chinesische Mauer lang ist.
`Das musst du heute Abend Sascha zeigen, vielleicht ist eine Achse gebrochen, katastrophisiert mein Kopf und mahnt mich zur Eile, weil ich schon spät dran bin.
`Dann könnte ich wohl kaum noch fahren´, mutmaße ich, aber ich habe jetzt keine Lust in einen Dialog zu treten, bei dem ich nicht das letzte Wort haben werde.
Am nächsten Tag betrete ich erneut die Showbühne des Berufsalltags. Willkommen beim Festival der Stimmungen! Patricia begrüßt mich stürmisch und scheint mal wieder übereifrig, Jonas ist gereizt, Holger betrübt, Larissa unternehmungslustig, Sebastian möchte wieder witzig sein und Claudia versucht ihre Unsicherheit durch ein Dauerlächeln zu überspielen. Marco scheint gar nicht da zu sein. Er sitzt an seinem Schreibtisch und versteckt sich hinter einem Stapel von Akten. Und ich? Fühle mich für alles und jeden verantwortlich.
Irgendwie gelingt es mir dann doch, den Arbeitstag mit all seinen Anforderungen durchzustehen. Mich auf ein neues Computerprogramm einzustellen, nachdem ich mich gerade an das alte gewöhnt hatte, am Telefon freundlich zu lächeln, obwohl mir gar nicht danach zumute ist und im Meeting eine professionelle Haltung einzunehmen, wobei ich schon das Wort “Meeting” zutiefst verabscheue. Diese blöden Anglizismen!
In der Pause versuche ich Smalltalk mit den Kollegen zu halten, was ich außerordentlich anstrengend finde und um siebzehn Uhr lasse ich alles fallen. Nur nicht mich. Ich muss ja noch ein Geschenk für Merle besorgen. So hat es der innere Antreiber mir heute morgen befohlen. Jetzt aber noch in ein Einkaufszentrum zu gehen, unter Menschen, die nicht zur Ruhe kommen, an Geschäften vorbei, aus denen die unterschiedlichsten Gerüche dringen, beschallt von Musik, die mir ein leichtes Lebensgefühl und Spaß am Kaufen vermitteln soll, erscheint mir als eine so maßlose Herausforderung, die ich heute nicht mehr würde bewältigen können. Ein kleines Geschäft mit einer netten Beratung könnte ich vielleicht noch akzeptieren, aber die gibt es ja kaum noch. Ich habe nicht mal mehr die Kraft, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. In meinem Körper herrscht eine solche Schwere und Antriebslosigkeit, wie ich sie noch nie empfunden habe. Wie ferngesteuert begebe ich mich ins Parkhaus, finde mein Auto intuitiv und fahre sicher nach Hause, ohne jedoch konzentriert und aufmerksam an diesem Vorgang beteiligt zu sein. Ohne jede Mimik oder eine freundliche Geste begrüße ich meinen Freund und verschwinde im Badezimmer. Ruhe, einfach nur Ruhe. Atmen, einfach nur Atmen und langsam wieder bei mir ankommen. Ich lasse angenehm kühles Leitungswasser über mein Handgelenk fließen um mich wieder zu spüren und alles Belastende von mir abzuwaschen.
Allmählich bemerke ich, dass ich wieder bereit bin, mich auf meinen Freund einzulassen. Ihn in den Arm zu nehmen und für einen Augenblick nur die Berührung zu genießen. Nicht zu sprechen, einfach nur da zu sein. Sonst nichts.
Ist das die Veränderung, die sich gestern so verheißungsvoll ankündigte? Ich könnte im Moment nichts dagegensetzen, aber es fühlt sich beunruhigend an.
In dieser Nacht finde ich keinen erholsamen Schlaf. Ich schrecke immer wieder hoch, mit dem Gedanken, noch kein Geburtstagsgeschenk für Merle zu haben. Ich würde ihr Zeit schenken. Nichts Materielles, was vielleicht für ein paar Tage Freude bereitet um dann langsam, immer blasser werdend aus der Erinnerung und schließlich zwischen dem ganzen anderen bedeutungslosen Zeug zu verschwinden. Eine Einladung zum Essen müsste diesmal reichen. Sie dürfte entscheiden, wo wir hingehen und ich würde mich an diesem Abend ganz und gar auf sie einlassen. Ja, das fühlt sich gut an. Es würde genug sein.
Der Schlaf kommt trotzdem nicht. Ich jage ihm nach, wie eine Katze ihrer Beute, aber ich hole ihn nicht ein.
Die Melancholie am nächsten Morgen erschreckt mich. Ich habe irgendein diffuses Gefühl von Angst, das ich nicht greifen kann. Aber mein Bestreben, Dinge gut zu machen treibt mich wieder an meinen Arbeitsplatz. Jeden neuen Tag verlange ich Höchstleistungen von mir selber ab, gehe gewissenhaft meinen Verpflichtungen nach, plane, organisiere und beurteile und halte es aus, wenn ich durch andauerndes Telefonklingeln immer wieder aus meiner Konzentration gerissen werde. Jedes Anliegen eines Arbeitskollegen wird als besonders dringlich auf meine immer länger werdende To-Do Liste gesetzt und ich ignoriere völlig, dass sich mein Körper langsam auf einen Streik vorbereitet.