Читать книгу Wolken klingen rosa - Katrin Meyer - Страница 6

Nichts geht mehr

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Umweltkatastrophen, Lebensmittelskandale, Terror, Machtkämpfe in Politik und Wirtschaft, Betrüger, die das System ausnutzen, was letztendlich die wohlmeinenden, ehrlichen Menschen ausbaden müssen - jeden Tag erreichen uns Meldungen, die unsere Gelassenheit auf eine harte Probe stellen. Und doch scheint es Menschen zu geben, die sich durch all diese Nachrichten nicht beeindrucken lassen. Mich bringt es schon aus der Fassung, wenn unser Nachbar mal wieder bei laufendem Motor und in aller Seelenruhe sein nächstes Ziel in das Navigationsgerät eingibt. Es passt nicht in mein starkes inneres Wertesystem, dass er scheinbar nicht verstanden hat, wie es um den Zustand unserer Umwelt bestellt ist.

Und damit hat mich die Tragik wenige Tage nach dem schönen Abend mit meiner Freundin Merle bereits wieder eingeholt. Menschen strengen mich an, der Alltag strengt mich an, ICH strenge mich an.

Ich wühle in meiner Handtasche nach dem Autoschlüssel. Ich finde mein Handy, ein paar angebrochene Packungen Taschentücher, ein kleines Notizbüchlein, ein Fläschchen Desinfektionsmittel und einen Handspiegel. Gleich werde ich den Einkaufswagen - Chip und meine Bonuskarte suchen, aber erst muss ich den Startbildschirm meines Handydisplays entsperren um mich vom häuslichen W-lan Router abzukoppeln. Ich werde gefragt werden, ob ich ein Sicherheits- Update machen will, und wenn ja, jetzt gleich oder heute Nacht. Danach werde ich mich über die Menschen aufregen, die ihre Einkaufswagen so kraftvoll aus der Reihe der anderen abgestellten Wagen reißen, dass man das Scheppern noch in den angrenzenden Stadtteilen hört, ihr Obst und Gemüse in Plastiktüten stecken und über die gestresste Kassiererin, die in Schallgeschwindigkeit die Ware über den Scanner zieht, während die Kollegin sie über die Angebote der nächsten Woche informiert und die Kundin laut vorrechnet, dass acht mal vier zweiunddreißig ergibt und nicht vierunddreißig. In solchen Momenten ist es mir fast peinlich, dass auch ich sie noch mit meinem Einkauf behellige und vermeide es, das passende Kleingeld aus meinem immer schwerer werdenden Portemonnaie zu sammeln, damit ich hier so schnell wie möglich verschwinden kann. Kurze Zeit später werde ich in mein Auto einsteigen und mich fragen, welchen Beitrag ich eigentlich leiste um der Umwelt nicht zu schaden. Reicht es, auf Flugreisen zu verzichten? Ist es wirklich nachhaltig, Fleisch beim Biobauern zu kaufen und keinen Weichspüler zu benutzen? Ich habe darauf keine Antwort. Vielleicht sollte ich mich einer Naturschutzorganisation anschließen. Ich könnte mich auch ehrenamtlich in einem Tierheim engagieren oder wenigstens einen Vortrag zum Thema Ressourcenknappheit besuchen. Ich möchte in dieser Welt gerne Spuren hinterlassen.

Aber wie soll mir das gelingen, wenn es mir schon schwerfällt, die alltäglichen kleinen Dinge zu verrichten?

Heute ist ein guter Tag um all diese Fragen ruhen zu lassen. Ich werde ein entspannendes Bad nehmen und der Duft von Melisse und Lavendel wird mir sicher helfen, dem Alltag zu entfliehen. Ich werde mir selbst mal wieder Zeit schenken und ganz zur Ruhe kommen. Doch das, was sich so schön denkt, ist in Wirklichkeit gar nicht so einfach in die Tat umzusetzen, wenn man ausgebrannt und leer ist. Müde beobachte ich, wie das Wasser in die Badewanne fließt. Wie sehr wünsche ich mir, dass es alles Schwere, alles Trübe und Belastende fortspült.

Wieder komme ich in der Nacht nicht zur Ruhe. Die Stille, die mir sonst heilig ist, bedrückt mich plötzlich. Ich höre kein vertrautes Geräusch. Keine Stimmen aus der Nachbarschaft, kein Hupen, nicht mal ein vorbeifahrendes Auto lenkt mich von meinen quälenden Gedanken ab. Sie ergeben keinen Sinn, ich kann sie nicht einmal benennen, aber ich halte sie trotzdem fest und bewege sie immer und immer wieder im Kreis.

Die Erschöpfung am nächsten Morgen ist grenzenlos. Ich kann mich nicht bewegen, alles in mir fühlt sich taub und steif an. Als wäre ich ein Luftballon, aus dem man die Luft herausgelassen hat. Nur ohne Knall. Es passierte ganz leise. Ich scheine vergessen zu haben, wie Leben geht.

Wolken klingen rosa

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