Читать книгу Gehalten, wenn nichts mehr hält - Katrin Schmidt - Страница 9

Оглавление

Einleitung

Ich schreibe hier die Geschichte meiner besonderen Schwangerschaft mit meiner Tochter Dalia auf. Sie gehört zu mir und ist aus meinem Leben nicht wegzudenken.

Schon sehr früh in der Schwangerschaft wurde deutlich, dass sich unser Kind nicht normal entwickelte. Kurze Zeit später war klar, dass unsere Tochter außerhalb des Mutterleibes nicht würde leben können. Wir entschieden uns, unsere Tochter auszutragen, und erlebten eine sehr herausfordernde, intensive Schwangerschaft.

Ich bin ein Mensch, der sich mit den Dingen, die ihm begegnen, auseinandersetzt. So habe ich auch die Zeit mit Dalia sehr bewusst erlebt und gelebt. Für mich war es eine schwere Lebenskrise mit ganz unterschiedlichen Facetten.

Im Prozess der Verarbeitung verfasste ich viele Texte, sie flossen aus mir heraus. Ich fotografierte in der Natur und fügte die Bilder und Texte in einem Buch zusammen. Das Buch half mir, mich selbst zu erkennen und die Vielschichtigkeit meines im Inneren Durcheinandergebrachten zu ordnen. Ich setzte mich intensiv mit meiner Tochter, meinem Glauben und mit den ganz unterschiedlichen Reaktionen von Menschen auf meine Situation auseinander.

Nach einem Gottesdienst, den ich mit meinem Mann gestaltete und während dessen auch Texte aus meinem Buch vorgelesen wurden, hatte ich einige Gespräche mit Frauen, die ähnliche Erlebnisse zum Teil unverarbeitet mit sich herumtrugen. Sie sagten mir, dass meine Texte ihnen helfen würden, an den tief versteckten Schmerz in ihnen heranzukommen. Ich würde ihnen Gefühle aufzeigen, von denen sie noch nicht einmal gewusst hatten, dass sie in ihnen sind. Ich konnte auch noch mit anderen betroffenen Frauen und einigen Personen mit ganz anderen Leidensgeschichten sprechen und sogar mein Buch weitergeben – immer mit der Reaktion, dass es hilfreich bei der Verarbeitung der eigenen Geschichte sei.

In mir wuchs der Wunsch, meine Erfahrung mit Dalia für andere zu öffnen, verbunden mit der Hoffnung, anderen Menschen im Leid zu begegnen. Ich wünsche mir, Mut zu machen, sich in allem Leid und Schmerz Jesus zuzuwenden, der alle unsere Wunden verbinden und heilen möchte. Mir ist bewusst, dass meine Geschichte sehr individuell ist und jeder die Dinge, die ihm im Leben passieren, anders aufnimmt und erlebt. Dennoch hat es mir persönlich immer wieder geholfen, mich in den Gefühlen eines anderen Menschen wiederzufinden und zu merken: »Ich bin nicht allein in einer schwierigen Situation.« So wünsche ich mir auch, dass es anderen mit meiner Geschichte ähnlich geht.

Mein Erleben beinhaltet intensive Phasen der Ohnmacht, des völligen Am-Ende-Seins und des Glaubenskampfes bis hin zu neuer Hoffnung und einem erneuten Wiedereinstieg ins Leben, mit einer ganz neu gewonnenen Freude. Leben pur.

Es war ein schwieriger Weg, und von Anfang an gab es die Möglichkeit, all dem durch einen Schwangerschaftsabbruch aus dem Weg zu gehen und ein schnelles, scheinbar schonendes Ende für alle herbeizuführen. Ich denke aber, dass es wichtig ist, auch schwierige Wegstrecken in unserem Leben anzunehmen und zu gehen. Im Leid, was sich niemand wünscht oder selbst wählen würde, liegen meiner Erfahrung nach tiefe Chancen verborgen. Ich habe es so erlebt.

Jesus möchte uns in unserem Leid begegnen. Er leidet mit uns und für uns. Das zu erkennen, ist nicht immer leicht. Es ist stets neu herausfordernd und ein lebenslanger Wachstumsprozess. Ich selbst hatte Zeiten des Anklagens, in denen ich Gott am liebsten den Rücken gekehrt hätte. Es lohnt sich aber, sich Lebenssituationen bewusst zu stellen und zuzulassen, dass Jesus heilend an uns wirken und uns bei allem begleiten darf.

Ich persönlich bin mir heute sicher, dass ich meine Schwangerschaft mit Dalia besser verarbeiten konnte, gerade weil ich mich auf sie und das damit verbundene Leid eingelassen habe. Ich kann heute vielmehr als vorher Menschen verstehen, die sich anders entschieden haben. Ich weiß, wie leicht es einem gemacht wird, und ich bin mir sehr bewusst, dass ich ein sehr stabiles familiäres Umfeld hatte, ohne das ich es nur schwer geschafft hätte. Ich denke, dass Jesus, auch wenn Menschen sich in so einem Fall anders entscheiden, als ich es getan habe, genauso mit den Leidenden geht und Heilung und Vergebung schenken möchte. Ich habe mit einigen Frauen gesprochen, die einen Schwangerschaftsabbruch erlebt haben. Als ich ihre weitere Geschichte anhörte, begriff ich erst, mit welchen Fragen und Belastungen sie nun weiterleben müssen. Es geht mir in keinem Fall darum, anzuklagen, wie sich jemand entscheidet. Sondern zu sagen, dass es meiner Meinung nach gute Gründe gibt, sich schwierigen Lebensumständen zu stellen. Was unsere Entscheidungen mit uns machen, sehen wir oft erst im Nachhinein.

Die Reaktionen auf meine Situation aus meinem unmittelbaren und weiteren Umfeld haben mir gezeigt, dass es im Gegensatz zu früheren Zeiten bereits einen gesellschaftlichen Umgang mit dem vorgeburtlichen oder kurznachgeburtlichen Versterben von Kindern gibt. Trotzdem ist es auch immer noch ein verstecktes, an die Seite gedrängtes Thema. Es gibt schmerzliche Haltungen und Meinungen zu diesem Thema, die Betreffenden zusätzlich schweren Kummer bereiten und im Heilungsprozess sehr hinderlich sein können.

Ich schreibe dieses Buch auch, um Angehörigen einen Einblick zu geben, wie intensiv die Trauer um ein ungeborenes Kind sein kann.

Um in meine Geschichte mit Dalia einsteigen zu können, ist es wichtig, einleitend ein paar Dinge über mich zu erzählen. Ich bin heute 36 Jahre alt und der Verlust meiner Tochter war nicht die erste schmerzliche Erfahrung in meinem Leben. Aber gewiss diejenige, die mich am meisten an meine Grenzen gebracht hat.

Gehalten, wenn nichts mehr hält

Подняться наверх