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Die Palmen wiegten sich leicht im Wind, als Kelly vor die Haustür trat. Sie lächelte, hob ihr Gesicht an und ließ die weiche, warme Luft darüberstreichen. Die Karibik der USA. Sie konnte immer noch kaum glauben, dass sie hier gelandet war. Und was alles seither geschehen war.

Dale . . . Kellys Lächeln vertiefte sich. Eine Frau wie Dale zu treffen, damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass es so eine Frau überhaupt gab. Und dass sie sich für sie, Kelly, interessieren könnte.

Die dramatischen Ereignisse, die sie dann endgültig zusammengeschweißt hatten, daran wollte sie manchmal gar nicht denken. Wenn sie jemanden gehabt hätte, eine beste Freundin, eine Mutter oder Schwester, der sie das hätte erzählen können, hätte sie noch nicht einmal gewusst, ob sie das überhaupt erzählen sollte. Ob ihr das jemand glauben würde.

»Vorsicht!« Eine schrille Stimme warnte sie, aber fast zu spät, denn schon schoss etwas an ihr vorbei, und ein heftiger Luftzug warf sie beinah um.

Im nächsten Moment sprang etwas an ihr hoch und drückte ihr einen feuchten Kuss auf die Nase und halb auf den Mund.

»Iiih Rex!« Die Szene mit dem vorbeirasenden Skater hatte sie so ähnlich schon einmal erlebt, aber da war dieser Hund noch viel kleiner gewesen und sie hatte ihn unter ihrem Auto hervorholen müssen.

Mittlerweile stand Rex jedoch wieder mit allen vier Pfoten auf der Erde, lächelte sie mit seiner weit heraushängenden Zunge glücklich an und drehte den Kopf zu seinem offiziellen Herrchen, das nun mit dem Skateboard unter dem Arm zu Kelly zurückstapfte.

»Irgendwann schaffe ich diese Bremsung«, schimpfte Badger unzufrieden. »Das gibt’s doch gar nicht!«

Kelly lachte. »Du solltest dir vielleicht ein Beispiel an Rex nehmen. Er kann das schon ganz gut.«

»Hat ja auch vier Füße, nicht nur zwei. Und keine Räder drunter«, beklagte sich Badger, aber dabei steckte er Rex schon wieder ein Leckerchen zu und sah wie meistens sehr stolz aus.

»Was tust du überhaupt hier?«, fragte Kelly streng, weil das der einzige Tonfall war, der für Badger angemessen erschien. »Bist du nicht im Dienst?«

Ein breites Strahlen überzog Badgers Gesicht. »Rex wird jetzt zum Schutzhund ausgebildet. Wir sind auf dem Weg zum Training.«

»Schutzhund?« Das war Kelly völlig neu.

»Na ja, er ist ein Schäferhund.« Wieder klang Badgers Stimme sehr stolz. »Die haben einen natürlichen Schutztrieb.«

»Das weiß ich«, sagte Kelly. »Ich habe ja auch keine Zweifel an Rex.« Sie ließ ihre Blicke über Badgers ziemlich verlotterte Gestalt schweifen.

»Och Mensch . . .« Wie so oft schmollte Badger wie ein kleines Kind. »Du kannst einem aber auch jeden Spaß verderben.«

»Weiß Dale davon?«, fragte Kelly misstrauisch.

»Sie ist nicht da.« Badger wandte sich ab, sodass Kelly nicht mehr in sein Gesicht sehen konnte.

Kelly seufzte. »Sie weiß es also nicht. Und wahrscheinlich hast du auch niemand um Erlaubnis gefragt, noch nicht mal deinen direkten Chef.«

»Dieser Kurs wird jetzt angeboten. Wir müssen heute da hin!«, verteidigte Badger sich. »Der nächste fängt erst wieder in zwei Monaten an. Dann ist Rex vielleicht zu alt, und sie nehmen ihn nicht mehr.«

Immer noch war es Kelly so gut wie unmöglich, Badger etwas abzuschlagen. Ganz zu schweigen von Rex. Deshalb schüttelte sie nur tadelnd den Kopf. »Dale hat dir diese Chance gegeben im Sicherheitsdienst bei Matrix International. Und du bist selbst doch noch in der Ausbildung. Du hast kaum damit angefangen.«

»Ich weiß ja.« Schuldbewusst scharrte Badger mit den Füßen. »Aber Rex . . . Für Rex ist das wichtig.«

»Und für dich ist regelmäßige Arbeit nicht wichtig, das ist mir schon klar«, seufzte Kelly. Sie hob mahnend einen Finger. »Aber du wolltest doch das Futter für Rex verdienen.«

»Aber . . . Aber . . .«, stammelte Badger herum, weil er keine richtige Antwort wusste, beziehungsweise weil er wusste, dass die Antwort, die er geben wollte, Kelly nicht gefallen würde.

»Aber was?« Tief durchatmend ging Kelly zu ihrem Wagen. »Kommt. Steigt ein. Wie ich dich so kenne, bist du doch sowieso schon wieder zu spät. Selbst für diesen Kurs, der für Rex angeblich so wichtig ist.«

»Nicht angeblich«, schmollte Badger, während Rex, nachdem Kelly die Tür geöffnet hatte, schon auf die Rückbank sprang. Als wäre er selbst ein Hund, setzte Badger sich daneben. »Es ist wichtig für ihn. Das kann dir jeder sagen. Schäferhunde brauchen eine Aufgabe. Sonst suchen sie sich eine. Und das kann furchtbar schiefgehen. Obwohl Rex natürlich nie jemanden beißen würde. Nicht wahr, Rexi?« Er küsste den Hund mitten auf die Schnauze.

»Woher hast du das denn?« Kelly lachte und stieg vorn ein. »Bisher hatte ich das Gefühl, du weißt gar nichts über Hunde.«

»Jim hat einen Hund. Einen Dobermann«, sagte Badger. »Und er hat gesagt, Rex braucht eine Ausbildung.«

»Ach so, Jim.« Kelly lächelte. Sie mochte Jim Patterson sehr gern, und sie vertraute seinem Urteil. Möglicherweise hatte er das nur zu Badger gesagt, damit Badger eine Ausbildung in Disziplin und Ordnung bekam, denn bei Rex sah Kelly da weniger Probleme. »Hat er diesen Kurs empfohlen?«

»Ja.« Badger nickte heftig. »Er hat den mit seinem Dobermann auch gemacht. Er sagt, der wäre sehr gut.«

»Dann ist er es bestimmt auch.« Kelly nickte, während sie am Ende der Straße wie üblich nach links auf die Hauptstraße abbog. »Ist das die richtige Richtung?«, fragte sie. »Wo findet der Kurs statt?«

»Du hättest nach rechts abbiegen müssen«, erklärte Badger, während er sich vorbeugte. »Es ist in Hialeah.«

»Hialeah?« Fast hätte Kelly aufgestöhnt, aber sie unterdrückte es. »Na, das ist ja genau meine Richtung«, fügte sie sarkastisch hinzu. »Und das wolltest du mit dem Skateboard schaffen?«

»Damit bin ich unheimlich schnell«, behauptete Badger beleidigt. »Nur mit dem Bremsen habe ich es nicht so.«

»Also gut. Ich habe es versprochen, also halte ich es auch.« Bei der nächsten Gelegenheit wechselte Kelly die Richtung und fuhr den Weg, den sie gekommen war, zurück. »Weißt du genau, wo es ist, oder soll ich das lieber auch noch herausfinden?«

»Nicht so richtig«, gab Badger kleinlaut zu. »Aber ich habe den Namen des Kennels. Und die Adresse. Ungefähr.«

»Ungefähr.« Kelly schüttelte den Kopf, musste aber innerlich lächeln. Was hatte sie eigentlich von Badger erwartet? Mit einem Druck auf das Telefonsymbol am Lenkrad aktivierte sie den Anrufmodus. »Jim Patterson anrufen«, sagte sie, und gleich darauf ertönte das Rufzeichen aus den Lautsprechern im Wagen. Als Jim sich meldete, erklärte sie ihm die Situation. »Und ich nehme an, du hast die genaue Adresse«, schloss sie.

»Ja, habe ich.« Jim lachte. »Ich hatte sie aber auch Badger gesagt.«

Im Rückspiegel warf Kelly einen strafenden Blick nach hinten. Badger zog die Schultern ein.

»Davon bin ich überzeugt«, nickte sie.

»Ich schicke dir schnell die Koordinaten, dann kannst du das gleich in dein Navi übernehmen.« Jim war in solchen Dingen äußerst pragmatisch. »Der Betreiber ist ein ehemaliger Kollege, ein ehemaliger Polizist, der schon viele Polizeihunde ausgebildet hat. Er ist wirklich gut. Man kann sich auf ihn verlassen. Und er trainiert die Hunde mit positiven Methoden, nicht mit Strafen. Das ist immer besser.«

»Allerdings.« Kelly schüttelte den Kopf. »Stell dir mal vor, unser lieber Rex . . . Wenn ich wüsste, dass er dort bestraft wird, würde ich ihn nicht hinbringen.«

»Damit hättest du auch völlig recht.« Jims Stimme klang so, als ob er nickte. »Mein Gus stammt ja sowieso aus dem Tierschutz. Der hatte schon so einiges durchgemacht. Und deshalb hat er jeden gebissen, der ihm zu nahe kam. Aber eigentlich ist er ein ganz lieber Kerl. Bei Ethan hat sich das dann schon nach kurzer Zeit gezeigt. Er hatte keine Angst vor ihm und wusste sofort, dass Gus nur Angst hat. Obwohl alle denken, ein Dobermann kennt so was gar nicht.«

»Das hätte ich auch gedacht«, erwiderte Kelly lächelnd. »Da kann man mal sehen, wie man sich irren kann. Ich kenne Gus ja. Niemals hätte ich angenommen, dass der Angst vor irgendetwas hat.«

»Jetzt nicht mehr«, sagte Jim. »Aber das haben wir nur Ethan zu verdanken. Und ein bisschen auch Ava.«

»Ach ja, stimmt. Sie hat ja auch einen Hund«, erinnerte Kelly sich.

»Wir haben uns bei Ethan kennengelernt«, erklärte Jim. »Hatte ich das nicht erzählt?«

»Wir haben uns schon eine Weile nicht gesehen.« Kelly bog jetzt in Richtung Hialeah ab und musste sich auf die Straße konzentrieren. »Und als wir uns damals in der Stadt getroffen haben, hatten wir ja nicht viel Zeit, uns zu unterhalten. Da konnte ich nur feststellen, dass Ava sehr nett ist.« Sie lächelte wieder. »Und es freut mich zu hören, dass es so gut zwischen euch klappt.«

»Oh ja«, sagte Jim. Dann machte er eine lange Pause, und Kelly dachte schon, er hätte aufgelegt, als er plötzlich weitersprach. »Können wir uns vielleicht mal unterhalten? Du bist doch auch eine Frau.«

Kelly lachte. »Soweit ich weiß, ja. Aber was soll das bedeuten?«

»Ich hätte da . . .«, Jim zögerte, »ein paar Fragen. Und ich dachte, da Dale ja im Moment nicht da ist . . . vielleicht könnten wir uns mal treffen.«

»Das könnten wir auch, wenn Dale da wäre«, antwortete Kelly locker, obwohl ihr kurz ein Kribbeln über die Haut gefahren war. Ja, Dale war nicht da. Und Kelly vermisste sie sehr. Deshalb dachte sie am liebsten nicht daran, wenn sie sich mit etwas anderem ablenken konnte. Aber jetzt hatte Jim sie wieder schmerzhaft an Dales Abwesenheit erinnert. »Du weißt, dass das kein Problem ist.«

»Ja, weiß ich. Oh, Mist!« Ein lauter Ausruf ließ Kelly zusammenzucken. »Ich muss los, Kelly. Ist was passiert. Die Koordinaten hast du ja.« Und schon war er weg.

Mit ein paar Tastendrücken übernahm Kelly die Koordinaten, die Jim ihr geschickt hatte, in ihr Navi. Einige Sekunden später ertönte die weibliche Stimme aus den Lautsprechern. »In dreihundert Yards links abbiegen auf . . .«

»Jetzt kommen wir auf jeden Fall an, ohne viel suchen zu müssen.« Sie lachte. »Ich habe nämlich auch noch was anderes zu tun heute.«

»Du hast selbst angeboten, uns zu fahren«, entgegnete Badger vorwurfsvoll. »Rex und ich wollten ja mit dem Skateboard –«

»Rex, was sagst du denn dazu?« Kelly schaute in den Rückspiegel, aber sie wusste, dass Rex das nicht sehen konnte. »Hättest du gern ein Skateboard?«

Auch wenn er nicht verstanden hatte, was sie gesagt hatte, hatte Rex seinen Namen gehört und spitzte die Ohren, schaute aufmerksam nach vorn zu Kelly, was man als Mensch als fragendes Anblicken hätte interpretieren können.

»Hmhm«, machte Kelly und nickte. »Das denke ich auch.«

»Rex hat überhaupt nichts gesagt«, protestierte Badger, als ob das wirklich eine Möglichkeit gewesen wäre. »Klar hätte er gern ein Skateboard, wenn er ein Junge wäre.«

»Das legst du ihm in den Mund.« Kelly lachte. »Sehr bequem mit einem Hund. Versuch das nur nie mit einem Mädchen.«

Badger errötete leicht, das war selbst im Rückspiegel zu sehen. Mädchen waren immer ein schwieriges Thema für ihn. Er verstand sie einfach nicht, und obwohl seine tollpatschige Art sie manchmal zum Lachen brachte, interessierten sie sich auch nicht für ihn. »Hast du mit Celia gesprochen?«, fragte er mit zerknautschtem Gesicht.

»Celia?« Da Kelly nicht mehr mit Celia zusammenwohnte, hatte sie gar nicht mitgekriegt, dass Badger und sie sich jetzt anscheinend näher kannten. »Was hast du zu ihr gesagt?«

»Ach nichts.« Badger winkte ab. »Sie hat es wohl in den falschen Hals bekommen.«

Note to self, dachte Kelly. Ich muss Celia fragen, was da los war. Badger wird es mir nicht erzählen. »Du magst sie, hm?«, fragte sie über den Rückspiegel nach hinten.

»Mädchen sind verrückt«, sagte Badger.

Kelly musste innerlich grinsen. Eigentlich dachte Badger bestimmt das Gegenteil, und wenn er ihre Frage nicht beantwortete, war das auch eine Antwort.

»Sie sind an Ihrem Ziel angekommen.« Kelly sah die Hundeschule schon, bevor die leblose Stimme aus dem Lautsprecher das verkündete.

»Na dann . . .«, sie drehte sich im Sitz um und lächelte ihre beiden Fahrgäste an, »wünsche ich euch viel Spaß.« Missbilligend warf sie einen scharfen Blick auf Badger. »Und ich sage deinem Chef Bescheid. Damit er Ersatz für dich besorgt. Es müssen ja schließlich zwei Mann in jeder Schicht sein auf jeder Etage, oder nicht?«

»Ja-a.« Badger wand sich unbehaglich, während er so tat, als müsste er irgendetwas an Rex’ Halsband überprüfen. »Sagst du . . .«, er blinzelte sie ein wenig von unten herauf an, »sagst du es auch Ms. Richards?«

»Das überlege ich mir noch«, gab Kelly zurück und musste mit aller Kraft gegen ein Zucken ihrer Mundwinkel ankämpfen.

Badger hatte einen Mordsrespekt vor Dale, und da er heute Morgen wahrscheinlich mal wieder ganz spontan beschlossen hatte, nicht zur Arbeit zu gehen, sondern lieber zu dem Kurs mit Rex, war ihm wohl erst im Laufe der Fahrt klargeworden, dass das keinen guten Eindruck auf Dale machen würde. Oder als Kelly ihm Vorhaltungen darüber machte, wie undankbar es Dale gegenüber war, die sich über alle Sicherheitsbedenken hinweggesetzt und ihm eine Chance gegeben hatte. Und das schlechte Gewissen hatte sich die Fahrt über verfestigt.

Aber ein schlechtes Gewissen hatte bei Badger nie lange eine Chance. Schon als er nun mit Rex ausstieg, lachte er wieder. »Dann wünsche ich dir auch viel Spaß. Bei der Arbeit.«

Warnend wedelte Kelly mit einem Finger in der Luft herum. »Das ist eine Ausnahme. Verlass dich das nächste Mal nicht mehr darauf, dass ich für dich die Kastanien aus dem Feuer hole. Ich habe Dale versprochen, dass du dir Mühe gibst. Und ich breche ein Versprechen nicht gern. Normalerweise überhaupt nicht.«

»Ist ja schon gut. Ich bin ja auch dankbar.« Badgers Schulterzucken sah zwar nicht danach aus, aber Kelly wusste, wie sie das zu nehmen hatte.

»Du wirst die Schicht natürlich nacharbeiten«, sagte sie. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Aber Rex muss seine Ausbildung haben, da hat Jim auf jeden Fall recht. Also müssen wir einen Plan machen, wie wir das mit deiner Arbeitszeit abstimmen können.«

Gequält verzog Badger das Gesicht.

»Hast du etwa gedacht, das wird dir erlassen?« Jetzt konnte Kelly ein Grinsen nicht mehr unterdrücken. »Du weißt, dass ich dafür geradestehen muss.«

»Och Kelly . . .« Badger sah jetzt doch etwas schuldbewusst aus. »Ich wollte dich doch nicht in Schwierigkeiten bringen.«

»Hast du nicht.« Kelly startete den Wagen wieder. »Wie du ganz richtig sagtest, habe ich das selbst entschieden. Das drücke ich dir nicht aufs Auge. Aber du musst das Futter für Rex verdienen. Darauf bestehe ich. Rex soll nicht darunter leiden.«

»Cool.« Wenn Badger ein Talent hatte, dann selbst in für ihn gar nicht gut aussehenden Situationen noch etwas Gutes zu finden. »Dann sehen wir uns!« Winkend lief er mit Rex zum Eingang der Hundeschule.

Kelly schüttelte den Kopf. »Hast du dir da nicht vielleicht ein bisschen zu viel vorgenommen, Kelly Bennett?«, fragte sie sich selbst und seufzte.

Aber dann fuhr sie los und dachte nicht mehr daran. Denn mehr und mehr drehten ihre Gedanken sich wieder um Dale. Wie sie das eigentlich die ganze Zeit taten, seit Dale abgeflogen war.

Am liebsten hätte sie Dale alle halbe Stunde angerufen, aber sie wusste, dass sie Dale jetzt ein bisschen Zeit lassen musste. Und auch ein bisschen Raum, obwohl sie selbst gern jede Sekunde angekuschelt an Dale verbracht hätte. Was aber sowieso nicht gegangen wäre bei der Arbeit.

Ich habe alles hinter mir gelassen, als ich aus Maine weggezogen bin, hatte sie zu Dale gesagt, aber damals nicht gewusst, dass das bedeutete, dass Dale noch einmal nach Texas zurückmusste, um genau dasselbe zu tun, was Kelly bereits getan hatte.

Kelly hatte nichts in Maine zurückgelassen als schlechte Erinnerungen, sie hatte keinen Menschen auf der Welt, doch für Dale galt das nicht. Ihre Familie lebte immer noch in Texas, außerdem hatten die Richards Grundbesitz, der zum Teil auch Dale gehörte. Sie hatte sich lange Zeit nicht darum gekümmert, weil da irgendetwas gewesen sein musste, was sie Kelly nicht erzählte, aber da waren noch irgendwelche offenen Dinge, die zum Abschluss gebracht werden mussten, bevor Dale sich wirklich frei fühlen konnte. Jedenfalls war das Kellys Eindruck, auch wenn Dale das niemals zugegeben hätte.

Zuerst hatte Kelly gedacht, die größte Belastung für eine Beziehung mit Dale wäre Kathryns Tod – und das war auch tatsächlich eine Belastung, weil Dale sich immer noch die Schuld daran gab –, aber schon nach Kurzem hatte sich herausgestellt, dass Dales Familie auch nicht ganz ohne war.

Offenbar hatte Dale eine sehr gute Beziehung zu ihrem Vater gehabt, solange er noch lebte, aber niemals zu ihrer Mutter und Schwester. In Miami war sie weit genug weg von Texas, um das verdrängen zu können, und im Krieg war sie noch weiter weg gewesen, doch auch wenn sie sich immer so gab, als könnte sie nichts erschüttern, das entsprach nicht den Tatsachen. Familie war wichtiger für sie, als sie zugeben wollte.

Selbst Kelly hatte sich manchmal Gedanken über ihre Familie gemacht – ob ihre Eltern noch lebten, ob sie Geschwister hatte, vielleicht sogar Großeltern und andere Verwandte –, obwohl sie ohne jegliche Familie aufgewachsen war und absolut nichts über ihre Familie wusste. Sie war ein Findelkind.

Wie musste es da für jemanden sein, der zwar eine Familie hatte, sich aber nicht mit den Mitgliedern dieser Familie verstand?

So etwas konnte Kelly sich überhaupt nicht vorstellen.

Küsse lügen nicht

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