Читать книгу Bärrauscht - Kayla Gabriel - Страница 10
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ОглавлениеIch muss eine der unglücklichsten Personen auf diesem Planeten sein, dachte sie sich. Ganz einfach.
Dr. Serafina Khouri biss auf ihre Lippe, während sie einen Stapel Patientenakten balancierte, der sich anfühlte, als würde er sich bis zur Decke türmen.
Okay, okay. So schlecht ist mein Leben auch wieder nicht. Ich habe einen Job, ich habe ein Zuhause. Ich sollte nicht so viel jammern. Aber trotzdem…
Bis jetzt meinte es ihre Schicht in der Notaufnahme des Sloane Krankenhauses an diesem Dienstagmorgen nicht gerade gut mit ihr. Nachdem sie um vier Uhr fünfundvierzig am Morgen hier angekommen war, fünfzehn Minuten bevor ihre Schicht eigentlich begann, war sie von einer scheinbar nie endenden Welle an Fällen überschwemmt worden.
Ein Feuer in einem beliebten Vampirclub hatte die Notaufnahme mit Kith-Patienten gefüllt, die sich mit kleineren Verbrennungen und Rauchvergiftungen herumplagten. Auf einer Motorrad-Clubrally war ein Kampf zwischen einigen Wolfgestaltwandlern ausgebrochen, was bedeutete, dass Sera gebrochene Nasen, fiese Bisswunden und einige Gehirnerschütterungen behandeln hatte müssen. Mitten in all diesem Chaos hatten auch noch bei einem Bejahhb Dämon im Wartezimmer die Wehen eingesetzt und die Geburt von sechs sich windenden und mit Tentakeln ausgestatteten Babydämonen hatte Sera beinahe an den Rand eines Zusammenbruchs gebracht.
Sera hatte zwei Schalen Operationswerkzeuge fallen lassen, den Boden ihrer Arzthose ausgerissen und sich die empfindliche Haut an ihrem Innenarm mit der säurehaltigen Nachgeburt der Bejahhb Mutter verätzt. All das war während der ersten sechs Stunden ihrer Schicht passiert. Den Rest ihrer Schicht hatte sie zum Glück mit weniger Vorfällen hinter sich gebracht. Nun, es hatte keine Vorfälle mit Patienten mehr gegeben.
Das Personal war nochmal eine andere Sache. Obwohl Sera bereits etwas über ein Jahr im Sloane Krankenhaus arbeitete, war sie beim restlichen Personal nicht gerade beliebt. Insbesondere nicht bei Dr. Gregor Day und all den Krankenschwestern und Ärzten, die an seinen Lippen hingen. Der gut aussehende französische Gargoyle hatte Sera bereits an ihrem ersten Tag im Sloane ins Auge gefasst und sie nur wenige Minuten, nachdem er sie kennengelernt hatte, um ein Date gebeten.
Date war nicht einmal das richtige Wort für das, was er vorgeschlagen hatte. Er hatte sie gefragt, ob sie auf eine Flasche Wein zu seinem Apartment kommen wollte, „und vielleicht einen Film… falls wir so weit kommen“. Das war mit einem Augenbrauenwackeln einhergegangen, womit er angedeutet hatte, dass sie zu beschäftigt sein würden, schweißtreibenden Sex zu haben, um einen Film zu schauen.
Sera war errötet und hatte ihm einen Korb gegeben, beleidigt von seinen amourösen Annahmen. Damit hatte sich Sera unwissentlich für einen besonders steinigen Weg für den Rest ihrer Anstellung im Sloane Krankenhaus entschieden.
Dass sie Dr. Days Avancen abgelehnt hatte, schien Gregor schockiert zu haben und hatte für ordentlich Gesprächsstoff unter dem Krankenhauspersonal gesorgt. Wie konnte es Sera wagen, den großen, dunklen und gut aussehenden Arzt, nach dem sich jede heimlich verzehrte, abblitzen zu lassen? Sera hielt sich jedoch nicht nur an ihre strenge Regel, keine Arbeitskollegen zu daten, sondern sie fand Gregor auch zu aufdringlich und egoistisch.
Außerdem hatte Dr. Day einen eindeutig unfairen Vorteil Sera gegenüber, obgleich sie eine Weile gebraucht hatte, diesen Fakt aufzudecken. Durch die Adern von Gargoyles floss eine Menge natürliche Heilmagie, was bedeutete, dass Gregor einfach in einen Raum marschieren und beinahe jedes Leiden kurieren konnte. Die Leichtigkeit, mit der er seiner Arbeit nachging, ließ Sera grün vor Neid werden.
Ihre Adoptiveltern waren eine Kräuterhexe und ein Falkengestaltwandler, aber Seras eigene Kith-Kräfte blieben ein Rätsel. Von Zeit zu Zeit konnte sie etwas Heilmagie ausüben, aber den Großteil der Zeit musste sie sich den Arsch aufreißen, um sich um ihre Patienten zu kümmern. Ihre Sturheit war das Einzige, das Seras medizinische Karriere so weit vorangetrieben hatte, das und eine Menge langer Nächte. Sie wollte verdammt sein, wenn sie sich von dem Riesenego eines Mannes alles zunichtemachen lassen würde, wofür sie gearbeitet hatte.
Sie seufzte, als sie ein Patientenzimmer verließ. Sie fühlte sich ruhelos, obwohl sie den ganzen Morgen pausenlos in Bewegung gewesen war. Direkt nach Vollmond fühlte sie sich immer so, als würde ihr etwas fehlen… aber was? Ihre Mundwinkel sanken herab, als sie daran dachte, wie sie sich während des Vollmonds verloren hatte, ganze Stunden, die verschwanden…
Darüber sollte sie jetzt besser nicht nachdenken. Mit Muskelkater und Gedächtnislücken aufzuwachen, bedeutete nicht, dass sie etwas Schlimmes machte. Nur… etwas Rätselhaftes, sogar für sie selbst. Zwischen dem und den Träumen, diesen lebhaften Träumen, die sie über Leben hatte, die sie nie geführt hatte, über Leute, die sie geliebt und verloren, aber dennoch nie gekannt hatte…
Ja, in Seras Leben war momentan ziemlich viel los.
„Dr. Khouri.“
Sera drehte sich um und stellte fest, dass Dr. Adeem, der Chefarzt, mit ungeduldiger Miene hinter ihr stand.
„Dr. Adeem, guten Morgen. Oder Nachmittag?“, korrigierte sich Sera und blinzelte stirnrunzelnd auf ihre Armbanduhr.
„Es ist beinahe sechs Uhr am Abend, Dr. Khouri“, informierte sie Dr. Adeem in seinem scharfen pakistanischen Akzent, wobei er über den Rand seiner Brille auf Sera hinabsah. „Geht es Ihnen gut?“
„Ja, natürlich“, platzte es aus Sera heraus. „Nur ein hektischer Tag. Wie jeden Tag, ha ha.“
Ein unangenehmer Augenblick verging, in dem Dr. Adeem Sera aus schmalen Augen betrachtete.
„Schön“, sagte er schließlich. „Ich weiß, Ihre Schicht ist fast zu Ende, aber ich hätte gerne, dass Sie sich noch um einen letzten Patienten kümmern. Einer der Alpha Wächter ist mit einem Vampirbiss reingekommen. Da wir sie als VIPs betrachten, möchte ich, dass Sie sich um ihn kümmern, ehe Sie gehen.“
„Ich?“, fragte Sera peinlich berührt darüber, wie überrascht sie klang.
Dr. Adeems Stirnrunzeln vertiefte sich.
„Ja, Sie. Dr. Khouri, ich weiß, Sie hatten leichte Probleme, sich im Sloane Krankenhaus einzugewöhnen, aber Sie sind eine exzellente Ärztin. Sehr gründlich und sachkundig. Ich weiß, Sie werden dem Patienten die bestmögliche Pflege angedeihen lassen.“
Er hob seine Augenbrauen, als wollte er sie herausfordern, seine Aussage infrage zu stellen.
„Dankeschön“, sagte Sera und lief rot an. „Ich – ich werde jetzt nach ihm sehen.“
Bevor sie den Moment verderben konnte, wirbelte sie herum und lief den Gang entlang.
„Dr. Khouri!“, rief Dr. Adeem und deutete in den Gang. „Sie sind im Untersuchungsraum Eins. Die andere Richtung.“
Sie stoppte und drehte mit einer Grimasse um, winkte ihm kurz und kicherte verlegen, während sie in die andere Richtung lief.
Super, Sera.
Sie wollte so dringend aus Dr. Adeems Sichtfeld verschwinden, dass sie sich davon abhalten musste, nicht los zu sprinten, während sie sich auf den Weg zur Notaufnahme machte. In ihrem Überschwang verlor sie beinahe ihren Stapel Patientenakten und kämpfte immer noch mit ihnen, als sie sich der Tür des Untersuchungszimmers näherte.
Stirnrunzelnd zog sie die Akte ihres neuen Patienten aus dem Fach neben der Tür und klappte sie auf. Für gewöhnlich überflog sie eine Akte gerne, bevor sie sich mit dem Patienten besprach, was bedeutete, dass sie zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich vorstellte, bereits eine vage Vorstellung von den Beschwerden des Patienten hatte und wusste, welche Fragen sie stellen musste.
„Kellan Gray?“, fragte sie schließlich und trat ganz in den Raum.
Sie blickte auf und schaute dann nochmal. Da waren zwei von ihnen, zwei riesige, bullige Männer mit silber-braunen Haaren, unfassbar breiten Schultern, markanten Kiefern und stechenden grünen Augen.
Zwillinge. Heilige Scheiße.
„Aye“, sagte der, der auf dem Untersuchungstisch saß.
Da war etwas, irgendeine unterschwellige Botschaft, die zwischen den zwei Männern in einem kurzen Blick ausgetauscht wurde. Sera öffnete den Mund, um zu sprechen, aber fühlte sich plötzlich merkwürdig. Heiß, kochend heiß. Aber auch eiskalt. Als bestünde ihre Haut aus Eis, aber eine merkwürdige Hitze würde in ihrem Inneren hochblubbern, Lava, die unter einem schlafenden Vulkan anstieg, bereit, die Spitze in die Luft zu jagen.
Die beiden anzuschauen, weckte ein wirklich eigenartiges Gefühl in ihr, beinahe… besitzergreifend? Wie eine Stimme, die flüsterte mein. Bevor sie zu viel darüber nachdenken konnte, brach ihr am gesamten Körper der Schweiß aus.
„Dr. Khouri?“, fragte einer der Männer und streckte seine Hand nach ihr aus.
Dann fühlte Sera ihren ganzen Körper erschaudern. Sah eine strahlend weiße Magiewelle aus ihrem Körper hervorbrechen, sogar als ihre Augen in ihren Kopf zurückrollten.
Sie spürte nicht, wie sie auf dem Boden aufschlug, aber sie fiel, fiel, fiel…