Читать книгу Die verrückte Wendezeit - Kelda Breckschadt - Страница 3
Oktober 1989
ОглавлениеEs ist Oktober im Jahr 1989, dass Jahr, welches in die Geschichte eingehen wird. Das Jahr der friedlichen Revolution in der DDR, das Jahr das unser aller Leben durcheinander wirbeln sollte. Manch einer wird in der neuen Welt etwas werden und manch einer wird in ihr nicht zurechtkommen, viele haben Zukunftsängste. Aber es gibt auch diejenigen die die Chance auf ein völlig neues Leben sehen und sich etwas aufbauen, was ihre Zukunft und die ihrer Kinder werden soll.
Wir haben im September knapp einen Monat zuvor uns das „Ja – Wort“ gegeben, viele aus unserer Familie wollten nicht, dass wir heiraten, sie waren der Meinung wir passen nicht zueinander. Ich frage mich, wer gab ihnen das Recht über uns zu urteilen, denn wir mussten in unserer Ehe mit einander klarkommen und nicht unsere Familie, es wurde alles versucht, dass wir ja nicht diesen Weg einschlagen sollten. Trotz aller Widerstände sagten wir „Ja“ zueinander, da unsere Liebe einfach stärker sein sollte. Da mein Mann, bei der NVA diente bekamen wir eine Wohnung 25 km entfernt von unserem „Heimatort“, jeder der in der DDR lebte, weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht so einfach war eine Wohnung zu bekommen. Bevor ich meinen Mann kennen gelernt hatte, war ich eine alleinerziehende Mutter, die sich schon lange auf dem Wohnungsamt angemeldet hatte. Nur mit der Wohnung sollte es nicht funktionieren, also lebte ich mit meinen Sohn knapp zweieinhalb Jahre bei meinen Eltern in einem wirklich sehr kleinen Kinderzimmer. Zwischen meinen Bett und dem Kinderbett war nur noch ein sehr schmaler Gang vorhanden, aber es half nichts irgendwie mussten wir zurechtkommen. Zu DDR – Zeiten bekam man nach der Eheschließung einen Ehekredit in Höhe von 7000,- Mark, den wir natürlich gern in Anspruch nahmen, wie hieß es so schön, man konnte den Ehekredit abkindern, da ich ja schon ein Kind hatte, bekamen wir sofort nach der Antragstellung 1000,- Mark erlassen, für jedes weitere Kind wurde wieder dieser Betrag erlassen, ich glaube nach dem dritten Kind brauchte man dann gar nichts mehr zurück zahlen. Wir konnten mit diesem Geld erst einmal auf Möbelkauf gehen, denn wir brauchten ja so ziemlich alles. Wir haben erst einmal klein angefangen und beschlossen uns von dem Geld erst einmal die Wohnzimmereinrichtung zu kaufen. Ich weiß noch, meine Schwiegermutter wollte unbedingt, dass wir uns einen Vollwaschautomaten kaufen, der kostete stolze 3500,- Mark, ich habe sie immer gefragt, was wir uns denn in die Wohnung stellen sollten, wenn schon die Hälfte des Geldes weg ist. Sie konnte damit nicht so gut umgehen, dass ich meine eigenen Vorstellungen hatte. Für das Schlafzimmer nahmen wir das Bett von meinen Mann und den Schrank aus seinem Kinderzimmer mit. Eine Waschmaschine sollte sich dann auch noch finden, wir kauften uns erst einmal einen gebrauchten Halbautomaten, der noch eine ganze Weile seine Dienste leisten sollte. So nach und nach hatten wir alles beieinander für unsere Erstausstattung, es war ja auch nur eine Zweizimmerwohnung, für uns jedenfalls völlig ausreichend und wir waren froh für uns zu sein und voller Erwartung auf unser gemeinsames Leben. Etwas Geschirr brachte jeder von uns mit in die Ehe und zur Hochzeit haben wir auch noch manch Nützliches bekommen. Eine Woche lang sind wir umhergezogen und haben uns alles so organisiert. In der zweiten Woche nach unserer Hochzeit machten wir noch etwas Urlaub in unseren Nachbarort an einem See in einem Bungalow von meinen Betrieb, für große Flitterwochen hat es dann nicht mehr gereicht. Wir pendelten sowieso in der Woche unseres Urlaubs von unserem Urlaubsquartier zu unseren neuen Heimatort, da ja schon die Möbel angeliefert wurden. An dem Tag als unsere Schrankwand geliefert werden sollte, waren wir schon vormittags in unserer Wohnung da sie im Laufe des Vormittages geliefert werden sollte. Wir warteten den ganzen Tag und zweifelten schon, als es um 16:15 Uhr klingelte und die Post ein Telegramm brachte, auf dem stand, dass die Möbel an diesem Tag nicht geliefert werden. Na toll und dafür haben wir den ganzen Tag dort gesessen und gewartet, jetzt würde man einfach eine SMS oder eine E-Mail bekommen, aber von solchen Sachen waren wir ja damals noch Lichtjahre entfernt. Diesen Tag hätten wir auch anders nutzen können, es gab ja noch so viel zu erledigen. Vor unserer Hochzeit musste ich noch in meinen alten Betrieb mein Arbeitsverhältnis beenden, da wir in eine andere Stadt zogen, konnte und wollte ich hier nicht mehr arbeiten. Es war ein Betrieb, in dem wir Schuhe, hauptsächlich Kinderschuhe herstellten, da es in unseren neuen Heimatort ebenfalls so einen Betrieb gab, wurde mir natürlich die Frage gestellt, ob ich nicht hierhin einfach wechseln möchte. Ich lehnte dies ab, ich wollte in keinen Betrieb mehr arbeiten, von früh bis spät, es hat mir immer mein Mutterherz zerrissen, wenn mein Sohn früh der Erste und abends der Letzte in der Tageseinrichtung war, das wollte ich nicht mehr. Also stand für mich fest, dass ich mir ganz in Ruhe was Neues suchen und auch finden werde. So optimistisch bin ich immer an Herausforderungen ran gegangen und meistens sollte es dann auch funktionieren.
Irgendwie gingen die ganzen Veränderungen, die sich so in unserem Land abspielten an uns vorbei, da wir mit unseren Vorbereitungen für die Hochzeit und den bevorstehenden Umzug zu tun hatten. In diesem Sommer, genauer gesagt ab dem 2. Mai 1989 machte Ungarn seine Grenzen zu Österreich auf und viele DDR – Bürger nutzten die Chance über Ungarn in den Westen zu fliehen, innerhalb weniger Tage flüchteten tausende Menschen in den Westen. Da sind ganze Familien abgehauen, haben alles zurückgelassen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Dies hatte zur Folge, dass die DDR – Behörden neue Anträge für Urlaubsreisen nach Ungarn ablehnten. In der ehemaligen CSSR sollte sich ein ganz anderes Drama abspielen, da sind viele in die Botschaft der Bundesrepublik geflüchtet und wollten somit ihre Ausreise in den Westen erwirken. Es müssen schlimme Zustände geherrscht haben, denn dafür war sie nicht ausgerichtet. Zum Schluss hielten sich dort wohl 6000 Menschen auf und es waren ja nicht nur Erwachsene sondern auch Kinder darunter. Die DDR – Regierung gab dann nach und gewährte ihnen die Ausreise in den Westen mit der Bedingung, dass der Zug noch einmal über
DDR – Gebiet fahren musste. Diese erlösende Botschaft überbrachte der damalige Außenminister Hans – Dietrich Genscher. Was für ein Gefühl muss das wohl gewesen sein? Als der Zug dann noch einmal über das Territorium der DDR fuhr, kam es erneut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Massenfestnahmen. Am Dresdner Hauptbahnhof versammelten sich 20.000 Demonstranten, es flogen Steine, Polizeihunde, Wasserwerfer und Tränengas wurden eingesetzt. Es lag Bürgerkriegsstimmung in der Luft. In Leipzig fanden ab dem 04.09.1989 die ersten Montags-Demos statt, es tat sich was im Land, die Unzufriedenheit war einfach zu groß, viele wollten eine Veränderung, nur zu welchem Preis? Im Westen ist auch nicht alles Gold was da glänzt, aber das stand auf einem anderen Blatt. Jedenfalls wurde der Widerstand in der DDR immer größer. Anfangs hat man noch versucht die Demonstrationen zu unterbinden, aber es wurden immer mehr Menschen, die auf die Straße gingen und ihren Unmut Luft machten.
Ein paar Tage nach unserem Urlaub stand erst einmal der Umzug an, in unsere erste gemeinsame Wohnung in eine fremde Stadt, hier kannte ich niemanden, alles war fremd. Aber wir richteten uns so gut wie möglich ein. Jetzt brauchte ich noch für meinen Sohn einen Krippenplatz, denn ich wollte ja wieder arbeiten gehen. Das sollte gar nicht so einfach werden, da in unserem Wohngebiet hauptsächlich junge Familien wohnten, waren auch viele Kinder vorhanden, so viele Kinder wie hier, wenn die draußen spielten habe ich noch nie irgendwo gesehen, dementsprechend war auch die ortsansässige Kindertagesstätte gut ausgebucht. Mit anderen Worten es war aussichtslos hier einen Krippenplatz zu ergattern, es hätte passieren können, dass ich ganz woanders in der Stadt einen bekommen hätte. Aber ich hatte Glück, es sollte nicht lange dauern und ich hatte einen Platz für meinen Sohn in der Krippe in unserem Wohngebiet, die auf dem Rathaus meinte noch zu mir, ich soll dies als Lottogewinn betrachten. So meldete ich mich bei der Leiterin und machte die Termine für die Eingewöhnung aus. Diesbezüglich hatte ich nie Probleme, da mein Sohn immer sehr kontaktfreudig war und auch noch ist. Nach ein paar Tagen musste ich bei der Leiterin antanzen und sie fragte mich, dass ich doch noch nicht wieder arbeiten würde und ob ich nicht meinen Sohn in dieser Zeit zu Hause betreuen würde. Im Nachhinein leuchtete es mir ein, die waren froh über jedes Kind was nicht da war, da sie nun mal bis zum letzten Platz belegt waren. Ich wollte noch wissen, ob mir denn der Platz erhalten bleibt, was sie bejahte. Es dauerte nicht lange und mein Mann fuhr zur Messe nach Leipzig für drei Wochen, das war einfach furchtbar, da wir ja noch nicht lange verheiratet waren. Ich hatte mit meinen Eltern ausgemacht, dass ich in dieser Zeit zu ihnen komme, denn was sollte ich allein in der neuen Stadt, gekannt habe ich hier auch noch niemanden. Also machte ich mich auf dem Weg zu meinen Eltern und mein Mann fuhr nach Leipzig. Bei meinen Eltern machte ich dann zum ersten Mal Bekanntschaft mit einer Montags-Demo, ich fand es schon ein bisschen beängstigend, denn man wusste ja nicht was dies für Auswirkungen haben wird. Es stand ja auch noch der 40. Jahrestag der DDR auf dem Plan und den wollte sich die Regierung nicht vermasseln lassen. Mein Bruder war 1988 noch zur Armee zum Grundwehrdienst eingezogen worden, da aber immer mehr Menschen flüchteten fehlten die Arbeitskräfte in der Produktion, so musste er in einen Betrieb arbeiten, ich glaube er fand dies auch nicht so schlecht.
Die politischen, ökonomischen und ökologischen Probleme wurden in der DDR immer größer. Die ökonomische Krisensituation führte zunehmend zu Engpässen in der Versorgung. In den Betrieben herrschte Materialmangel und Misswirtschaft, die DDR war von der wirtschaftlichen Unterstützung der Sowjetunion und westlichen Krediten abhängig. Viele DDR – Bürger sehnten sich nach einem Leben im Westen, aber im Fernsehen zeigten sie meistens nur die Schokoladenseite des Westens und nicht das was noch zu einem Kapitalismus dazu gehörte. Am 7. Mai 1989 waren die DDR – Kommunalwahlen, landesweit hatten Bürgerrechtler die Auszählung überwacht und es stand fest, dass Wahlergebnis wurde gefälscht. Der nachgewiesene Wahlbetrug führte zu öffentlichen Protesten. Im September 1989 bildete sich das neue Forum. Am 7. Oktober feierte die Staatsführung den 40. Jahrestag der DDR, die Feierlichkeiten wurden von Demonstrationen begleitet. Der 9. Oktober markiert das wichtigste Datum im Kalender der friedlichen Revolution, an diesem Tag wurde das Gewaltmonopol der SED gebrochen, der Verfall des Regimes war in Gang gesetzt. Die Ostdeutschen wurden sich ihrer Macht und Stärke bewusst. Erich Honecker trat am 18.10.1989 zurück und sein langjähriger Stellvertreter Egon Krenz wurde sein Nachfolger. An den Leipziger Montags-Demo beteiligten sich immer mehr Menschen am 6. November kamen fast 500 000 Menschen. Auch nach dem 09. Oktober flüchteten jeden Tag 10 000 Menschen aus der DDR, das Land drohte auszubluten. Die ungenügenden Reform- und Dialogversuche seitens der Staats- und Parteiführung werden von Teilen der Bevölkerung abgelehnt, Massen- demonstrationen im ganzen Land führten schließlich am 07.11.1989 zum Rücktritt der neu eingesetzten Regierung unter Willi Stoph herbei. Am 09.11.1989 verkündete Günter Schabowski die neuen Reiseregelungen, die es jeden DDR – Bürger ermöglichte ins westliche Ausland zu reisen, er antwortete irrtümlich das diese Regelung sofort und unverzüglich gelte. Die überforderten und nicht informierten Grenztruppen gaben dem Druck der Bevölkerung nach und öffneten den ersten Schlagbaum an der Bornholmer Straße, damit war die Mauer Geschichte. Einzige Bedingung für die Ausreise war, man benötigte ein Visum der Volkspolizei. Viele konnten es nicht abwarten in den goldenen Westen zu fahren, der eine oder andere blieb dann gleich für ganz dort. Keiner wusste so recht was kommen wird. Der von den DDR-Bürgern erzwungene Mauerfall besiegelte den Untergang der SED – Herrschaft und eröffnete völlig neue Optionen für Deutschland und Europa. Im Westen gab es für jeden DDR – Bürger 100,- DM Begrüßungsgeld, egal ob 1-jähriges Kind oder alter 95-jähriger Mensch. So manch einer nahm jeden den er so in seiner Familie hatte mit in den Westen. Den Wessis muss es doch himmelangst geworden sein, die sind regelrecht überrollt worden und haben mit dieser Flut wohl nicht gerechnet. Gerade in den Grenzgebieten waren nur noch „Ossis“ unterwegs. Auf den Straßen bildeten sich lange Schlangen von Trabis, Wartburgs, Skodas und was alles so rumgefahren ist. Die Züge waren gerammelt voll. Es war einfach eine Aufbruchsstimmung und manch ein linientreuer war als erster im Westen. Es war einigen nicht klar, dass wir nicht nur das was glänzt aus dem Westen bekommen, sondern auch das negative, wie Arbeitslosigkeit, Drogen, Obdachlosigkeit, vieles Soziales ging verloren. Ich weiß noch, dass eine Frau mal bei einer Demo sagte, sie wolle auch mal was anderes kaufen wie Weißkraut und Rotkraut, einkaufen kann man jetzt was man möchte, man braucht nur das notwendige Geld in der Geldbörse. Am 13. November trat die Volkskammer zusammen und wählte aus ihren Reihen ein neues Präsidium, neuer Ministerpräsident wurde Hans Modrow. Die neue Regierung setzte sich überwiegend aus SED – Mitgliedern zusammen. Auf der anderen Seite verließen viele Mitglieder die SED. Doch mit Bekanntwerden von Skandalen und Korruptionsfällen, in die SED – Funktionäre verwickelt waren, stieg in der Bevölkerung der Unmut über die Partei und ihre Funktionäre. Schließlich trat die Regierung am 06. Dezember zurück. Viele Spitzenfunktionäre wurden aus der Partei ausgeschlossen und später leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen sie ein. Der legendäre Runde Tisch nahm seine Arbeit auf, die Bürgerrechtsgruppen versuchten hier Kontrolle über das Handeln der Regierung zu bekommen. Ich war immer noch auf der Suche nach einer Arbeitsstelle und da meine Freundin bei der Post gelernt hatte, dachte ich, ich versuche es einfach mal dort. Ich hatte Glück der Chef hatte zwei Arbeitsstellen zu vergeben und so einigten wir uns darauf, dass ich am 01.01.1990 dort anfange, meine Aufgaben waren mit dem Auto als Beifahrer die Außenpostämter zu beliefern und dann noch die Stützpunkte für die Zusteller zu bestücken. Später sollte ich erkennen, dass diese Eingebung mich bei der Post zu bewerben ein Glücksgriff gewesen ist, denn wäre ich wieder in die Schuhfabrik gegangen wie es viele wollten, dann wäre ich eine von den Ersten gewesen, die ihre Arbeit verloren haben. Alle zog es in den Westen, so mancher nur aus Neugierde wie es denn da drüben ist, nur wir hatten alle überhaupt keine Vorstellung wie es denn dort ist und was alles noch kommen sollte.