Читать книгу Die verrückte Wendezeit - Kelda Breckschadt - Страница 4
Unsere erste Westfahrt
ОглавлениеIrgendwann wollten wir uns den Westen auch mal ansehen, alle kamen mit vollgepackten Taschen nach Hause und was man sich nicht alles für das Geld kaufen konnte. Meine Eltern und meine Schwiegereltern waren schon lange vor uns mal im Westen und haben geschwärmt. Es wäre ja alles so toll. Wahrscheinlich haben wir dies realistischer gesehen, wie manch ein anderer, irgendwann kommt der Alltag und die Wessis wollen was von uns zurückhaben. So stellten wir uns bei unserer Polizeidienststelle an und besorgten uns das besagte Visum. Die Menschen standen im Treppenhaus die Treppe runter und es dauerte. Irgendwann bekamen wir diesen Stempel, der uns berechtigte in den Westen zu fahren. Wir hatten erst noch vor unseren Sohn mitzunehmen, denn diese bedeutete 100,- DM mehr an Begrüßungsgeld. Meine Mutter meinte zu mir, dass ich ihm dalassen sollte, da sie gehört hätte, dass die Züge gerammelte voll wären und niemand, wirklich niemand Rücksicht auf dem anderen nimmt. Ich wollte erst nicht, ließ mich jedoch dann doch überreden und war ihr im Nachhinein sehr dankbar dafür. Da wir wussten, dass es in den Orten die nahe an der Grenze lagen voll sein wird, entschlossen wir uns nach Nürnberg zu fahren, so war unser Plan, aber es sollte ganz anders kommen. Unseren Sohn gaben wir also bei meinen Eltern ab, bereitwillig und somit verzichteten wir auf 100 Mark Westgeld. Wir kauften uns vorschriftsmäßig eine Fahrkarte bis nach Nürnberg und fuhren mit dem letzten Zug nach Karl – Marx- Stadt, dort kamen wir um 23:00 Uhr an und der Zug in den goldenen Westen sollte, ich glaube gegen 24. 00 Uhr fahren. Der Bahnhof füllte sich immer mehr, der Bahnsteig war sowas von voll und man wusste wirklich nicht, wie man mit den Zug überhaupt hier wegkommen sollte. Im Prinzip war es schon ein Schauspiel, dann endlich der Zug fuhr ein, er kam aus Dresden und es wollten von dort ja auch welche in den Westen. Einige sind auch gleich dortgeblieben und haben gedacht, die warten auf uns dort. Wie der Zug nun so einfuhr, da dachten wir uns, dass uns der Schlag trifft, der Zug war sowas von voll, sie hielten die Türen von innen zu und es hatte wirklich niemand mehr die Möglichkeit in den Zug einzusteigen. Wo sollten sie auch hin, es ging nichts mehr. Die Leute liefen wie blöd den Bahnsteig rauf und runter und dachten sie können noch irgendwo in den Zug rein. Es waren dort zwei Ehepaare und einer von ihnen fuhr seine Frau an, „das hast du nun von deinen Scheiß“ und sie sagte „wären wir nur mit dem Auto gefahren“, alle waren sauer. Wir hatten schnell erkannt, dass wir hier keine Möglichkeit mehr haben und entschlossen uns wieder nach Hause zu fahren, nur fuhr der nächste Zug erst wieder früh um halb sechs und wir mussten uns die Zeit bis dahin noch vertreiben. In diesem Moment war ich so froh, dass ich auf meine Mutter gehört habe und unseren Sohn nicht mitgenommen habe und habe gerne auf die 100 Mark Westgeld verzichtet. So entschlossen wir uns mitten in der Nacht durch die Stadt zu schlendern, eine schöne Erinnerung an längst vergangene Zeiten, denn bevor ich meinen Mann kennen gelernt hatte, war ich hier viel unterwegs, das war eine wirklich schöne Zeit und ich habe sehr viele schöne Erinnerungen daran. Als wir wieder zurück auf dem Bahnhof waren brachten wir in Erfahrung, dass um halb vier noch ein Zug fährt. Es war ein Bild, das man wohl nie wieder in seinen Leben vergisst. Bevor der Zug einfuhr versammelten sich die Leute von der Bahn wie auf einer Aussichtsplattform in ihrem Raum von den sie den ganzen Bahnhof überblicken konnten, der Zug wurde erst hier ab diesen Bahnhof eingesetzt, ich denke sie schauten sich jeden Tag dieses Schauspiel an. Die Leute stürmten die Waggons, als gäbe es kein Morgen mehr und ruck zuck war er voll. Für uns stand eigentlich fest, dass wir wieder nach Hause fahren. Plötzlich wollten wir uns dieses Drama noch einmal ansehen und liefen noch einmal zum Bahnsteig und als wenn wir es geahnt hätten wurden an diesen Zug noch einmal zwei Waggons angehangen. Das war unsere Chance, die Wagen füllten sich in wenigen Minuten und auch wir stiegen ein und als wir im Gang standen, denn Sitzplätze gab es keine mehr, kamen von rechts und links noch Leute dazu und selbst wenn wir wieder hätten aussteigen wollten, es gab keine Möglichkeit mehr wieder hier raus zu kommen. Wir mussten also in den Westen fahren, was wir gar nicht mehr vorhatten. Ein Schaffner hatte hier keine Möglichkeit Fahrkarten zu kontrollieren, denn es ging nichts mehr. Viele saßen auf dem Boden, ich hatte die Möglichkeit mich auf die Armlehne eines Sitzes zu setzen, dabei schlief ich natürlich total übernächtigt ein und rutschte mit dem Arm ab, ich traf die Frau, die dort saß auf dem Kopf, aber sie nahm das Ganze mit Humor. Unser Reiseziel war Nürnberg nur hierhin sollten wir nicht kommen, denn der Zug endete in Hof und so mussten wir aussteigen. In Hof angekommen, wussten wir nicht was uns erwartet, aber die Wessis wussten es schon, es kamen viele kauffreudige Ossis, die hier auf jeden Fall ihr Begrüßungsgeld umsetzen werden. Auf dem Bahnhof lächelten uns die ersten Bananen an. Als wir dem Bahnhof verlassen haben, hatte sich schon eine Riesenschlange an der ersten Bank gebildet, manche wollten schnell ihr Geld in den Händen halten. Wir entschlossen uns weiter in die Stadt zu laufen und uns auf die Suche nach einer anderen Bank zu machen. Ein paar Straßen weiter sollten wir dann fündig werden, an einer Bank standen nur ungefähr fünf Leute an, was für ein Glückstreffer. Es ging alles ganz zügig, wir mussten unsere Personalausweise vorlegen, hier gab es einen Eintrag, dass wir die 100,00 DM erhalten haben und dann wurde uns das Geld ausgezahlt. So besaßen wir 200,00 DM, was für ein Reichtum. So jetzt kam die große Frage, was kaufen wir ein, für meinen Mann sollte es eine neue Jeanshose geben und der Rest würde sich finden. Aus der DDR kannten wir die Jugendmode, ein Geschäft wo es Mode für die Jugend gab. Wir wurden fündig und entdeckten einen Jeansladen, also nichts wie rein da, es kann ja nicht so schwierig sein eine Jeans zu kaufen. Im Laden, ich weiß es noch als wenn es gestern gewesen wäre, drin standen drei Verkäuferinnen, die sahen uns an, als kämen wir von einen anderen Planeten. Ich glaube so fühlten wir uns auch, es waren hier so viele Jeans, es war für uns so erschlagend. Wir wussten in diesem Moment nicht mehr, was wir überhaupt wollten und wer weiß, was hier eine Hose gekostet hätte. Völlig durcheinander verließen wir diesen Laden, das war einfach zu viel des Guten, sowas kannten wir nicht. Es reihte sich ein Geschäft an das andere, so begaben wir uns in ein Kaufhaus, dieses Warenangebot, das war so erdrückend, alles war voll mit wunderschönen Dingen, aufwendig verpackt. Heute denken wir anders, warum muss alles doppelt und dreifach eingepackt werden, dieser Müllwahnsinn und es ist schlecht für die Umwelt. Wir machten uns auf Entdeckungsreise und ein paar Vorstellungen hatten wir ja auch, da schon einige vor uns das Experiment einkaufen im Westen durchlebt hatten. Da es kurz vor Weihnachten war wollte ich unbedingt für unseren Sohn einen Alf, der war zu dieser Zeit voll angesagt und Matchbox-autos. Den Alf sollte ich ziemlich schnell finden, es war alles schon in den Regalen eingeräumt, dass wir es auch finden. Dann entdeckte ich zwei Wühlkisten mit Matchbox-autos, ich machte mich auf die Suche, oben drauf waren natürlich die preisintensivsten, da kostete so ein Auto schon einmal über 5,- DM, ich weiß auch nicht aber die haben wahrscheinlich gedacht die werden die schon kaufen, im Osten kostet es doch überall gleich viel. Ich fing jedenfalls an in dieser Wühlkiste zu wühlen, sie heißt ja nicht ohne Grund so und siehe an ganz unten kamen die Autos zum halben Preis zum Vorschein für 2,50 DM, die habe ich dann mitgenommen. Ich glaube den Verkäuferinnen hat dies nicht gepasst, denn mein Treiben blieb ja nicht unbeobachtet und so tat mir dies so manch einer nach. Am Ende lagen wahrscheinlich die teuren Autos unten, so ein Pech aber auch. Da wir uns in einen großen Kaufhaus befanden, sollte die Suche nach einer Hose auch von Erfolg gekrönt sein und wahrscheinlich preiswerter wie im Jeansladen, wo es sicherlich nur Markenjeans gab. Irgendwann kamen wir an einen Elektronikgeschäft vorbei, wir wollten uns einen Radiowecker kaufen, natürlich sollten wir fündig werden und für 19,99 DM sollte er uns gehören. Da wir es von der DDR so gewöhnt waren, das alles noch einmal vorgeführt und erklärt wird, fragte mein Mann auch hier danach, da meinte der Verkäufer nur „die sind vom Werk alle geprüft“. Was wollten wir machen, ob dies nun so stimmte konnten wir nicht überprüfen. Wir konnten nur hoffen, dass er zu Hause dann funktionierte. Langsam füllten sich unsere Einkaufstaschen, was natürlich nicht fehlen durfte war Schokolade, ein Überraschungsei für unseren Sohn, Ananas, Pfirsiche in der Konserve, die waren ja im Delikat, wo es öfters mal solche Sachen gab sonst wie teuer, eine Dose Ananas kostete 12,- Ostmark. Was ich mir unbedingt noch kaufen wollte war ein Regenschirm für 10,- Mark, dies verstand meine Schwiegermutter nun gar nicht, aber es war ja schließlich unser Westgeld und damit konnten wir machen was wir wollten. Irgendwann bekamen wir Hunger, an einer Ecke wurde Wurst mit einem Brötchen verkauft, das kostete 2,- DM. Vor einen Zeitungsladen bildete sich eine Schlange die schöne bunte Welt, die uns überhaupt nicht interessiert hat und dafür war uns das Geld auch zu kostbar. Viele waren scharf auf Erotikheftchen, Sachen, die wir überhaupt nicht kannten. Aber warum sollte ich dafür Geld ausgeben. Ganz zum Schluss kauften wir noch Obst, Bananen dürften auf gar keinen Fall fehlen und was es nicht alles gab, der Obstverkäufer war sehr geschickt und hat wahrscheinlich so manch einen was aufgeschwatzt was er gar nicht wollte. Da gab es eine komische Frucht, die nannte sich Kiwi, als DDR – Bürger noch nie was davon gehört, 10 Stück hat er uns verkauft, er hätte mal die Gebrauchsanweisung dazu mit rausgeben sollen, denn wer hat schon gewusst, wie diese gegessen wird und wann sie so richtig reif ist. Im Zug hat eine Frau diese seltsame Frucht abgewischt und in die Schale gebissen, oh wie schrecklich. Die Stunden an diesem Tag vergingen wie im Pfluge, so viele neue Eindrücke, die man erst einmal verarbeiten musste. Irgendwann stand die Frage, wann fahren wir wieder nach Hause, denn es fährt irgendwann kein Zug mehr. Also machten wir uns vollgepackt auf dem Weg zum Bahnhof, die Straßen waren voll mit DDR – Bürgern. Ich frage mich heute noch wo sich die ganzen Einheimischen aufgehalten hatten, den muss es doch himmelangst geworden sein, als am 09.11.1989 die Grenzen wirklich aufgingen. Auf dem Weg zum Bahnhof haben welche lautstark festgestellt, dass in einer Gaststätte ein Schnitzel mit Bratkartoffeln 7,50 DM kostete, für uns unvorstellbar und doch sollte es bald zur Realität für uns werden. Uns kamen noch welche entgegen und wollten wissen wo es das Begrüßungsgeld gibt, wir meinten nur noch an jeder Ecke. Auf dem Bahnhof angekommen, es war ein Graus, es war ja klar jeder der hier im Laufe des Tages ankam, wollte auch wieder nach Hause. Die Züge waren ruck zuck voll, manch einer war den Tränen nah, da sie dachten sie kommen hier heute nicht mehr weg, was für ein Gedanke, die Nacht im Westen verbringen, das ging nun gar nicht. Endlich kam die erlösende Nachricht aus dem Lautsprecher, es wurde noch ein Zug auf einen anderen Bahnsteig bereitgestellt. Aber nichts wie hin und dieses Mal hatten wir sogar einen Sitzplatz. Völlig erschöpft sanken wir in die Sitzbänke und alle waren froh, dass es wieder zurückging. Jetzt hieß es erst einmal durchatmen die Erlebnisse verarbeiten und vielleicht ein Nickerchen machen. Ich glaube jeder hat so seine eigenen Erinnerungen an dieses einmalige Erlebnis. Obwohl mit dem Schlafen, das war und ist noch heute so ein Ding bei mir, ich kann in Zügen oder im Auto nicht so recht einschlafen, ich muss immer sehen was so los ist. In unserer Bezirksstadt angekommen mussten wir noch einen Zug nach Hause oder besser gesagt in den Heimatort meiner Eltern bekommen. Um 21:30 Uhr waren wir völlig erledigt und erschöpft da, wir waren somit ganze 22 Stunden auf den Beinen. Meine Mutter war schon im Bett und auch unser Sohn schlief bereits, da wir die ganze Zeit auf den Beinen waren, bat ich meine Mutter, dass sie die Nacht noch mal bei meinen Sohn schlief, was sie auch machte. Endlich konnten wir ins Bett gehen und schlafen. Die ganzen Sachen, die wir gekauft hatten, konnten wir erst nach und nach mit nach Hause nehmen, da wir ja nur ein Motorrad hatten und somit nicht so viel transportiert werden konnte. Also nahmen wir am nächsten Tag nur die Sachen mit die wir unbedingt als erstes zu Hause haben wollten. Im Ganzen hatten wir gar nicht so viel Geld ausgegeben, es müssen um die 100,00 DM gewesen sein, also wir waren recht sparsam.