Читать книгу Nur ein Auftrag - Kendran Brooks - Страница 5

Dienstag, 15. August 2006, 07:30 Uhr / City of London

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»Jules Lederer, 1964 in Washington D.C. geboren, Doppelbürger der Schweiz und der USA, mit Wohnsitz in New York und in La Tour-de-Peilz in der Schweiz«, las Chefinspektor Gregory Tremmand seinen beiden Mitarbeitern laut aus einer Akte vor und fügte nach einer kurzen Pause hinzu »...von Beruf Unternehmensberater«, wobei er das letzte Worte mehr knurrte als aussprach, so als wenn er sich darüber ärgern müsste.

John Leason, eins achtzig groß, dunkelhaarig und mit den funkelnden Augen und dem unverwechselbaren Teint eines Inders und sein Kollege Hence Faulkner, fast eins neunzig, blond und braungebrannt wie ein Skilehrer in St. Moritz, schauten einander fragend an.

»War das als Witz gemeint, das mit dem Unternehmensberater?«, fragte John seinen Vorgesetzten unsicher, »falls ja, so haben wir ihn nicht wirklich verstanden.«

Hence Faulkner und John Leason saßen vor dem Pult ihres Chefs auf zwei Holzstühlen, die recht unbequem aussahen und auch waren. Leason hatte sich trotzdem hingeflegelt, lag mehr als dass er saß auf dem hässlichen Möbelstück und balancierte seinen rechten Fußknöchel zudem auf seinem linken Oberschenkel, wippte mit der Fußspitze einen Takt, wirkte in diesem Moment wie ein ungeduldiger Terrier, dessen Flanken vor Aufregung zittern, weil er sich auf die kommende Jagd auf Ratten freute. Sein Kollege John Faulkner saß dagegen stocksteif auf seinem Stuhl, hatte die Schultern zurückgezogen und die Brust rausgedrückt. Mit seinen ruhigen, grauen Augen ließ er das Gesicht seines Vorgesetzten Tremmand keinen Moment aus den Augen, als könnte er daraus weitere wichtige Informationen ablesen.

Gregory Tremmand, ein Mann von Ende fünfzig, mit dem Gesicht einer gereizten Bulldogge, in das sich jedes seiner vielen Dienstjahre bei Scotland Yard als eine zusätzliche Furche tief eingegraben hatte, angelte sich die nächste Zigarette aus einem zerknautschten Päckchen, steckte sie zwischen seine Lippen und sah seine beiden Mitarbeiter etwas gequält an.

»Nein, das mit dem Unternehmensberater war kein Witz. So steht es zumindest im Telefonbuch.«

John und Hence sahen sich wieder fragend an. Ihr Chef hatte sie vom Mordfall in der Trevor Street abgezogen, um ihnen etwas über einen Unternehmensberater aus der Schweiz zu erzählen? Synchron zuckten sie fragend mit den Schultern und wirkten in diesem Augenblick das erste Mal wie ein eingespieltes Team.

Chefinspektor Tremmand hatte die hilflose Geste seiner Mitarbeiter nicht beachtet, las weiter aus der Akte vor, während seine rechte Hand auf der Suche nach seinem Feuerzeug über die Pultplatte tastete.

»Erstmals wurde er 1986 bei uns aktenkundig. War in die Irangate-Affaire verwickelt. Jedenfalls wird er in einem Untersuchungsbericht als Zeuge aufgeführt. Genaue Schlüsse über seine Rolle sind jedoch nicht möglich. Dann, 1991, tauchte er in Russland auf. Das war damals, als Gorbatschow gestürzt wurde und sich später Jelzin an die Macht schwingen konnte. Gemäß einem Bericht der MI6 hat Lederer ein Jahr später zwei Tonnen Beluga Kaviar für vierzig US-Dollar das Pfund von den Russen gekauft und nach Westeuropa verschiffen lassen. Schon damals lag der Weltmarktpreis für ein Pfund bei über tausend Dollar. Warum ihm die Russen den Kaviar so billig nachgeschmissen haben, konnten weder die Deutschen noch wir in Erfahrung bringen. Es dürfte sich um eine Gefälligkeit von Jelzin gehandelt haben. Wir wissen jedoch nicht, aus welchem Grund oder zu welchem Zweck.«

Hence Faulkner stieß einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen hervor. Er hatte sich den Gewinn dieses Unternehmensberaters bei dem Kaviar-Geschäft ausgerechnet und kam auf fast vier Millionen Dollar.

Tremmands Finger hatten endlich das Feuerzeug ertastet und die Zigarettenspitze glühte hell auf, als er sie in Brand setzte. Er nahm einen ersten und tiefen Zug, hielt einen Augenblick lang inne, um den Rauch in seiner Lunge wirken zu lassen, dann erst atmete er befreit aus.

John und Hence beobachteten ihren Vorgesetzten verstohlen, aber höchst aufmerksam, zeigten dabei ein möglichst unbeteiligtes Gesicht. Der Zigarettenrauch war in den Tiefen der Lungen ihres Chefs vollständig aufgesogen worden, denn bei seinem Ausatmen war kaum ein Wölkchen zu sehen gewesen. Tremmand rauchte immer auf diese ungesunde Weise und bei Scotland Yard liefen seit zwei Jahren Wetten über den Kalendertag, an dem ein Arzt bei Tremmand Lungenkrebs feststellen würde. Jeder Tipp kostete zwei Pfund und jeder Mitarbeitende durfte so viele davon abgeben, wie er bezahlen wollte. Das gesamte Geld sollte demjenigen Glücklichen gehören, der den Zeitpunkt am Genauesten erraten hatte. Der Jackpot war mittlerweile auf den Gegenwert eines Mittelklassewagens geklettert und die regelmäßig wiederkehrenden, oft Minuten lang dauernden Hustenanfälle von Tremmand heizten die Wettfreudigkeit seiner Mitarbeitenden immer wieder von Neuem an. Doch dieses Mal räusperte sich Tremmand nur kurz und fuhr sichtlich ruhiger als zuvor mit seinen Ausführungen fort.

»Vor ein paar Jahren war er in die Jenny-Affäre verwickelt. Ihr habt bestimmt von der Geschichte mit Verteidigungsminister Brown, dem Callgirl Jenny und der IRA gehört? Müsste mittlerweile zum Ausbildungsstoff gehören. Es war dieser Lederer, der uns damals den Tipp mit dem Tabakshop in Soho zuspielte. Er muss in diese Spionagegeschichte hineingestolpert sein, hatte die richtigen Schlüsse gezogen und uns danach informiert. Seit diesem Tag behalten wir den Kerl auf unserem Radarschirm.«

Seine beiden Mitarbeiter blickten ihren Chef erstaunt an.

»Wie kann ein Unternehmensberater in eine solch große Sache einfach hineinstolpern?«, meinte John Leason ungläubig seinen Kopf schüttelnd.

Tremmand überging auch diese Bemerkung, ohne eine Regung zu zeigen, sah aber von den Aktennotizen auf und seinen beiden Mitarbeitern direkt und zwingend in die Gesichter.

»Lederer trifft in fünfundvierzig Minuten mit der British Airways Maschine aus Genf in Heathrow ein. Schnappt euch einen Wagen und beschattet ihn. Ich will wissen, was er tut und mit wem er sich trifft. Aber schaut zu, dass er euch auf jeden Fall bemerkt. Er soll ruhig wissen, dass wir ihm hier in London auf die Finger schauen und er nirgendwohin gehen kann, ohne dass wir es erfahren. Wir wollen auf jeden Fall verhindern, dass der Kerl hier bei uns noch einmal in irgendwelche Dinge verwickelt wird. Kapiert?«

John und Hence nickten wortlos.

»Und wie sieht er aus?«

Tremmand zupfte ein Foto aus dem Aktendeckel und schob das Bild über die Pultplatte. Faulkner beugte sich vor, nahm es auf und steckte es wortlos ein. Dann erhoben sich die beiden jungen Agenten und wandten sich zur Tür. Tremmands nächste Bemerkung ließ sie noch einmal innehalten.

»Lasst euch von dem Kerl aber nicht verarschen, Jungs. Er ist uns hier in London in den letzten Monaten schon zweimal entwischt. Nicht für lange Zeit zwar, doch wir wussten beide Male nicht, wo er sich herumtrieb und mit wem er sich traf. Ich will keine weiteren Pannen mehr erleben. Ist das klar?«

»Klaro, Boss«, quittierte Hence lässig die Frage.

»Yes, Sir«, meinte John und stand grinsend stramm, wie beim Militär, worauf ihn sein Boss bloß gequält ansah und mit der Hand eine müde, wegwischende Bewegung machte.

Die beiden Agenten verließen das Büro ihres Chefs, zogen die Tür hinter sich leise zu. Tremmand hatte sich wieder an sein breites Pult gesetzt und die Akte von Lederer noch einmal aufgenommen, blätterte nachdenklich darin herum und meinte leise zu sich selbst: »Was willst du diesmal in meiner Stadt?«

*

»Mr. Lederer ist eingetroffen« säuselte die vielleicht fünfundzwanzig Jahre alte, äußerst aparte Sekretärin ins Mikrofon ihres Telefons. Nachdem sich Jules bei ihr vorgestellt hatte, sah sie ihm erst prüfend in die Augen, danach in ihre Agenda nach, hob den Hörer ab und drückte eine Taste.

»Ja, Mr. Ashawii«, quittierte sie etwas, dass Jules nicht mithören konnte und schob den Hörer zurück auf den Apparat. Sie lächelte ihn mit blendend weißen Zähnen an, die gleichmäßig wie kleine Perlen zwischen ihren blutrot gefärbten Lippen hervor blinkten.

»Bitte setzen Sie sich noch für einen Augenblick, Mr. Lederer. Mr. Ashawii wird in wenigen Minuten Zeit für Sie haben.«

Jules fläzte sich bewusst jugendlich auf das breite Sofa in dem recht großen Vorzimmer zum Büro des Rohstoffhändlers, blickte die Sekretärin offen und unverhohlen, ja fast schon anzüglich an. Er hatte gleich beim Eintreten das kurze Aufblitzen in ihren mandelförmigen Augen bemerkt. Ihre orientalisch-asiatischen Gesichtszüge, eine Mischung aus Inderin und Afghane vermutete der Schweizer, kombiniert mit dem schulterlangen, dichten, schwarzen Haar, den großen, dunklen Augen und einem samten aussehenden Teint, elektrisierten mit Sicherheit jeden männlichen Besucher.

»Wie heißen Sie«, fragte er geradeheraus, als sie ihn ebenfalls offen betrachtete.

»Sonja Leason«, war ihre Antwort und sie blickte ihn dabei recht keck, aber auch irgendwie abschätzend oder gar lauernd an, wie eine Wildkatze kurz vor dem Sprung auf ihre Beute.

»Ich hab Sie hier noch nie gesehen. Arbeiten Sie schon lange für Ashram Ashawii?«

»Erst seit zwei Monaten«, meinte sie knapp angebunden, wenn auch nicht direkt unhöflich. Irgendetwas an seiner Frage oder eher noch an ihrer Antwort schien sie zu stören. Denn danach blickte sie von ihm weg und tat so, als suchte sie etwas auf ihrem Pult, öffnete eine Schublade und kramte darin herum, schloss sie, erhob sich und ging betont langsam zum Aktenschrank, der an einer der Wände stand. Dabei kam sie dicht am Sofa vorbei und der Schweizer nahm ihren Duft wahr, sog ihn hörbar und genießerisch ein.

»Mmmm. Prada Tendre«, stellte er fest.

Verblüfft blieb sie stehen und sah ihn an.

»Ja, stimmt. Sind Sie in der Parfümbranche tätig, Mr. Lederer?«

»Nein, das gerade nicht. Doch ich mag diesen Duft ganz besonders, vor allem der Zitrusanteil durch die Bergamotte und auch den würzigen Kardamom. Es ist ein Parfüm, das genügend Raum für den herrlich natürlichen Duft der Frau lässt, die es trägt.«

Sie sah ihn erst etwas zweifelnd und ein wenig verwirrt an, konnte in seinen Augen jedoch nur Aufrichtigkeit erkennen. So lächelte sie ihn spitzbübisch an, hob ihr Näschen ein wenig in die Luft und schnüffelte übertrieben deutlich in seine Richtung.

»Auch nicht schlecht«, urteilte sie, »sehr männlich. Was ist es?«

»Alaun.«

»Alaun? Noch nie davon gehört.«

Sie schnüffelte erneut.

»Aber es gefällt mir.«

Sie ging zu einem Schrank an der Wand, öffnete die unterste Schublade und pickte sich eine Akte heraus. Dazu bog sie ihren Oberkörper bei durchgedrückten Knien weit nach vorne und nach unten, streckte ihm so ihren süßen kleinen Po entgegen, der den dünnen Stoff ihres kurzen Jupes stark spannte und fast zu sprengen drohte. Jules erkannte, dass sie kein Höschen darunter trug, denn nicht mal ein Tange-String zeichnete sich ab. Da richtete sie sich auch schon wieder auf, drehte sich geschmeidig auf einem Fuß herum und ging lässig zu ihrem Pult zurück.

Jules bewunderte ihre zierlichen Füße mit den schlanken Fesseln. Trotz der hohen Stilos bewegte sie sich sicher, das Resultat von ein paar Jahren Ballettunterricht, vermutete er, oder der Ausbildung als Laufstegmodell, obwohl sie dafür wohl an die fünf Zentimeter zu klein geraten war.

Als sie sich wieder gesetzt hatte, drehte sie ihm ihr hübsches Gesicht wieder zu und schaute ihn herausfordernd an, so als wollte sie sagen: Na, gefällt dir, was du siehst? Sicher gefalle ich dir. Ich gefalle allen echten Männern. Doch traust du dich auch?

Danach senkte sie ihr Gesicht auf die Akte.

»Hübsch.«

Mit einem Ruck hob sie ihren Kopf und sah ihn aus schmalen, abschätzenden Augenschlitzen an, zeigte gleichzeitig ein bezauberndes, spitzbübisches Lächeln.

»Wie meinen Sie?«, tat sie gekünstelt verwirrt.

»Ich meine Ihr Kleid. Ein Yves Saint-Laurents, wenn ich mich nicht irre?«

Nun war sie tatsächlich verblüfft, wie ihm ihr offener Mund verriet, der ihr Gesicht keineswegs verunstaltete, sondern sie noch ein paar Jahre jünger machte.

»Stimmt! Woher wissen Sie das?«

»Ich habe es gesehen. Auf dem Laufsteg in Paris, letztes Frühjahr.«

»Sie waren in Paris? Sind Sie denn im Modebusiness tätig?«

Er schüttelte lächelnd den Kopf.

»Nein, ich war bloß zufällig dort. Auf Einladung eines Geschäftsfreundes.«

»Aha.«

Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, zeigte ihm erneut ihr wunderschön gearbeitetes Gebiss. Denn dass diese nicht natürlich sein konnten, bewies ihre makellose Regelmäßigkeit und der symmetrische Aufbau. Genauso wie ihre etwas zu üppige Oberweite, gemessen an ihrem schmalen, mädchenhaften Becken, waren auch ihre Zähne eine Spur zu perfekt geraten. Ganz im Gegenteil zu ihrer Handtasche, wie er nun feststellte und die hinter ihrem Stuhl auf einem Büroschrank stand, als gehörte sie zur Einrichtung. Die große, goldene Schnalle wies sie als eine eher mittelprächtige Gucci aus. Doch zum bewusst schlicht gehaltenen Kleid von Saint-Laurents passte das auffällige und etwas plump wirkende Anhängsel nicht wirklich, sah dazu beinahe billig aus. Besser hätte ihr eine klassische Tasche gestanden, eine Kelly Bag von Hermes vielleicht oder angesichts der Jugendlichkeit ihrer Trägerin vielleicht noch eher eine Birkin?

Jules wollte schon in die nächste Flirtstufe einsteigen, als seine Gedanken doch noch zu Ashram Ashawii schweiften. Jules kannte die Vorliebe des Libanesen für Assistentinnen mit Können und Aussehen. Und er wusste von Ashrams eifersüchtigem Wachen über die Tugend seiner Sekretärinnen. Doch in Wirklichkeit zwang der Rohstoffhändler alle seine persönlichen Mitarbeiterinnen regelmäßig zum Beischlaf. Das war ein wesentlicher Teil seiner Anstellungsbedingungen und der eigentliche Grund, warum er ihnen den dreifachen Lohn bezahlte. Er genoss seine Assistentinnen eine Zeit lang, bis er ihrer Müde wurde. Dann tauschte er sie durch eine frische Kraft aus. Doch wehe, wenn ihm in dieser Zeit ein anderer Mann in die Quere kam. Nebenbuhler konnte der Libanese nicht ausstehen.

Diese Gedanken mussten sich wohl bis in seine Gesichtszüge geschlichen haben, vielleicht sogar zusammen mit einem unbewussten, aber bedauernden Schulterzucken. Jedenfalls warf ihm die Schöne hinter dem Pult nun einen giftigen Blick zu, drehte sich von ihm weg und beachtete ihn nicht weiter. Sie hatte in seinen Augen wohl erkannt, was sie selbst war, nämlich bloß die unterbeschäftigte, überbezahlte Sekretärin und Sexgespielin eines erfolgreichen Londoner Geschäftsmanns.

Das große Vorzimmer war mit geschmackvollen Möbeln ausgestattet, wenn auch in einer orientalisch anmutenden, überladenen Weise. Zum viel zu wuchtigen Pult der Assistentin aus dunklem Mahagoni mit dem ebenso dunklen Schrank dahinter, gesellte sich ein weiß lackierter, um Aufmerksam heischender Aktenschrank an der einen Wand und ihm gegenüber ein elfenbeinfarbener, moderner Bartresen.

Das wuchtige Sofa von Parker+Farr, auf dem sich Jules herum lümmelte, war ein viktorianisches Monster mit Blumendekor, Fransen und Troddeln. Seine weichen Kissen gefüllt mit Gänsefedern ließen einen richtiggehend einsinken. Ashram hatte ihm mal erzählt, das Sofa stammte aus dem Requisitenfundus der Miss Marple Filmstudios. Zum Beweis hing ein kleines schwarz-weiß Foto in einem Bilderrahmen an der Wand hinter dem Sofa. Es zeigte die Amateurdetektivin in ihrem Filmstudio-Haus und hinter dem Sofa stehend. Araber liebten es nun mal, mit Statussymbolen zu protzen.

Vor dem breiten Polstermöbel stand ein schön gearbeiteter, aber unpassend kleiner Tiffany Tisch. Und an den Wänden hingen klassische Gemälde mit allzu protzigen Goldrahmen. Ein Segelschiff in rauer See, Ernte einbringende Bauern und eine Fuchsjagdszene.

Jedes Möbelstück, jedes Bild war für sich allein betrachtet voller Charakter, wertvoll und stilsicher ausgesucht. Doch in ihrer Kombination wirkte die Einrichtung eher wie der zusammengewürfelte Ramsch, den man für einen Garagenverkauf vom Speicher geräumt und auf dem Rasenplatz vor seinem Haus ausbreitet hatte, damit ihn die neugierigen Nachbarn begaffen konnten und kaufen sollten. Wieder ein Beweis dafür, dass Geldbesitz nichts mit ästhetischem Empfinden zu tun hatte. Innenarchitekten und Stil-Berater würden sich auch in Zukunft die Butter auf ihre Brötchen verdienen können, wenn sich reiche, aber unsensible Menschen vorteilhaft präsentieren wollten.

In diesem Moment sprang die Tür zum Büro des Direktors der O&G Limited auf. Ashram Ashawii trat schwungvoll auf seinen stämmigen Beinen in der ihm eigenen, leicht schwankenden, beinahe watschelnden Art heraus, streckte breit lachend seine kurzen, dicht mit schwarzen Haaren übersäten Arme aus den nach hinten gerutschten, zu engen Jackenärmeln entgegen und rief: »Jules, endlich. Wie lange ist es her?«

*

Nach der überschwänglichen Begrüßung bat ihn Ashram in sein Büro, hieß ihn dort auf einem der beiden Fleming & Howland Chesterfield Ledersessel vor seinem Schreibtisch Platz nehmen, während er selbst von einem schmalen, hohen Tisch an der Wand zwei Gläser umdrehte und sie aus einer dickbauchigen Karaffe großzügig füllte. Er reichte Jules eines der Gläser und trat mit dem anderen hinter sein Pult. Dann prostete er ihm wortlos lächelnd und im Stehen zu, nahm einem langen Schluck, schnalzte zufrieden mit der Zunge und setzte sich erst dann und leise ächzend.

War Ashram völlig außer Form? Hatte er so sehr an Gewicht zugelegt, dass ihn schon das Herumlaufen im Büro und das Setzen außer Atem brachten? Richtig sportlich hatte der kompakte Libanese noch nie auf andere Menschen gewirkt. Doch wer mit ihm einmal Squash oder Tennis gespielt hatte und sich dabei übers Feld hatte hetzen lassen müssen, der wusste nur zu genau, wie wendig und ausdauernd der Libanese trotz seiner Leibesfülle war. Seine kurzen Arme und der dicke Hals mit dem ewig offen stehenden, obersten Hemdknopf täuschten. Die stämmigen Knochen seines Körpers waren dick mit Muskeln bepackt, die unter einer eher dünnen Fettschicht ruhten. Und Ashram wusste mit seiner Kraft durchaus umzugehen, trainierte früher mehrmals pro Woche und besaß die explosive Kraft eines Gewichthebers: äußerlich kaum zu erkennen, doch wuchtig und unwiderstehlich, wenn sie eingesetzt wurde.

Nein. Das Ächzen hatte sicher nichts mit seinem körperlichen Befinden zu tun, eher mit einer seelischen Belastung. Besorgnis schlich sich in die Überlegungen von Jules. Denn auch wenn sie vor allem reine Geschäftsfreunde waren, so verband ihn mit Ashram Ashawii eigentlich vom ersten Augenblick ihres Kennenlernens an auch eine gewisse kameradschaftliche Verbundenheit, die wohl aus der Lebensfreude und der Energie des Libanesen entspross.

Sie hatten sich nach dem Schluck ein paar Sekunden lang schweigend betrachtet.

»Wie geht es Hélène und den Kindern?«, begann der Rohstoffhändler das Gespräch so wie eigentlich jedes Mal, wenn sie sich trafen, wobei er den Namen von Jules Ehefrau in seinem arabisch gefärbten Französisch aussprach.

Seine Standardfrage war jedoch keineswegs als Floskel gedacht, wie Jules wusste, ganz im Gegenteil. Als Familienmensch war es Ashram ein echtes Anliegen, auch über die Befindlichkeiten der engsten Angehörigen seiner Bekannten auf dem Laufenden zu sein. Einem Menschen aus dem Westen mochte dies ein wenig seltsam erscheinen, angesichts der regelmäßigen, außerehelichen Eskapaden des Rohstoffhändlers. Doch als echter Orientale konnte der Libanese seine überschwänglichen Gefühle einfach nicht nur auf eine einzige Frau konzentrieren.

»Alles bestens«, beantwortete Jules die Frage knapp und ohne eine entsprechende Gegenfrage nach der Familie von Ashram zu stellen. Das war sehr unhöflich, machte dem Rohstoffhändler aber unmissverständlich klar, dass der Schweizer diesmal ohne weitere Umwege zum Grund der Einladung kommen wollte. Immerhin hatte ihn der Libanese erst gestern Abend angerufen und ihn dringlich nach London gebeten, weg von seinem Haus am Genfersee, wo Jules ein paar Tage Urlaub hatte verbringen wollen.

»Na gut«, meinte der Rohstoffhändler nach kurzem Zögern, als der Schweizer keine Anstalten machte, noch etwas an seine kurze Antwort anzufügen.

»Was wissen Sie über die Tankerrouten vom Golf von Arabien nach Westeuropa und den USA?«

»Nicht sehr viel, Ashram. Jeden Tag verlassen vier oder fünf VLCC oder ULCC und rund ein Dutzend kleinere Tanker die dortigen Häfen in Richtung Westen. Die kleinen Schiffe fahren meistens durch den Suezkanal nach Europa oder in die USA. Von den großen Pötten wählt die Hälfte die Route ums Kap herum, die etwa dreißig Tage dauert. Die anderen großen Tanker fahren über das Rote Meer bis zum Suezkanal und lassen dort einen Teil der Ladung durch die Pipelines zum Mittelmeer pumpen, bevor sie dank des nun geringeren Tiefgangs den Kanal benutzen können und laden das Öl nach der Passage wieder. Oder sie löschen ihre Fracht vollständig und ganz andere Schiffe nehmen ihre Ladung im Mittelmeer auf und transportieren sie weiter. Doch warum fragen Sie mich das?«

Der Libanese blickte ihn prüfend an. Irgendwie schien er während den Ausführungen von Jules auf irgendetwas zu lauern, auf ein Stichwort oder einen besonderen Hinweis. Der Schweizer erkannte in den Augen des Libanesen, wie enttäuscht er von der nur allgemein gehaltenen Antwort war. Doch dieser Gesichtsausdruck wich rasch einem fest entschlossenen und für den Orientalen außergewöhnlich ernsten.

»Es gibt da eine Sache, die wir gerne geklärt hätten. Und ich denke, Sie sind der richtige Mann für diese Aufgabe.«

Das WIR im ersten Satz elektrisierte Jules. Wer war WIR? Soweit er wusste, gehörte die O&G Limited mit Sitz in London immer noch zu hundert Prozent Ashram Ashawii. Nie zuvor hatte der Rohstoffhändler im Zusammenhang mit seinem Unternehmen das Wort WIR verwendet. Hatte der fünfzigjährige Libanese neuerdings Partner? Oder war er nur der Vermittler zwischen einer Gruppe von Interessenten und ihm?

Ashram wartete nach seinen Worten auf eine Reaktion des Schweizers, auf eine Bemerkung oder eine Frage. Der tat ihm diesen Gefallen jedoch nicht, saß weiterhin ruhig da und nahm einen weiteren Schluck des vorzüglichen schottischen Whiskeys.

Das ausgeprägte Aroma nach Kräutern und Trockenblumen, mit dem Hauch von Minze, zusammen mit dem etwas salzigen Geschmack und dem weichen, sehr buttrigen Abgang weckten in ihm Erinnerungen. Es musste ein Ben Wyvis sein, wahrscheinlich aus dem Jahr 1972, da war sich der Schweizer ziemlich sicher. Ashram zeigte nicht nur bei Frauen, sondern auch beim Essen und Trinken einen auserlesenen Geschmack und konnte sich diesen wirklich teuren Tropfen auch problemlos leisten. Und als orthodoxer Christ war ihm Alkohol keineswegs durch seine Religion verboten. So saß Jules fast ein wenig verträumt da und genoss es ganz einfach, bei jedem Nippen so an die zehn Pfund seine Kehle hinab rinnen zu lassen. Der Whiskey wärmte den Magen, gleichzeitig verströmte der lange Nachgang einen sanft umhüllenden Duft.

Es verstrich eine volle Minute, während der ihn Ashram unverhohlen musterte und während Jules ihm freundlich zulächelte, zwischendurch immer wieder an seinem Glas schnüffelte oder nippte. Endlich gab Ashram sein Geduldspiel auf und räusperte sich.

»Äh, na gut. Also, Jules, es geht um folgende Sache.«

Noch einmal stockte der Rohstoffhändler, so als müsste er sich vergewissern, dass ihm sein Besucher auch wirklich mit voller Aufmerksamkeit zuhörte. Dabei flackerte sein linkes Augenlid kurz und seine innere Anspannung war ihm auch aufgrund der etwas verkniffenen Mundwinkel leicht abzulesen.

»Seit rund achtzehn Monaten treten in unregelmäßigen Abständen gewisse Schwierigkeiten auf den Tankerrouten vom Golf nach Europa und in die USA auf, Probleme, die Sie für uns aufklären sollen. Doch bevor ich mehr darüber verraten kann, muss ich von Ihnen erst wissen, ob Sie unseren Auftrag auch annehmen.«

Schon wieder sprach er in der Mehrzahl. Die Neugierde von Jules war nun endgültig geweckt. Doch so leicht ließ er sich vom Libanesen nicht einwickeln.

»Etwas mehr müssen Sie mir schon verraten, mein alter Freund, bevor ich meine Seele an Sie verkaufe«, entgegnete er scherzhaft und breit lächelnd, »sagen Sie mir bitte klipp und klar, was Sie von mir erwarten. Dann kann ich Ihnen auch sagen, ob ich in der Lage und bereit bin, es Ihnen zu geben.«

»Es ist eigentlich eine Kleinigkeit«, begann der Rohstoffhändler abwiegelnd. Doch bei seinen Worten verlagerte er sein Gewicht im Sessel von links nach rechts, so als wenn ihm das teure Stück plötzlich unbequem geworden wäre. Dem Libanesen war sichtlich unwohl in seiner Haut. Vielleicht, weil Jules ihn in die Rolle des Bittstellers zwang? Oder steckte mehr dahinter, als seine Gestik und Körperhaltung bislang verrieten?

»Sie sollen bloß zwei oder drei Tankerfahrten von Kuwait nach Europa mitmachen. Nicht als Passagier selbstverständlich, sondern als Besatzungsmitglied. Dabei sollen Sie in ihren Berichten alles Außergewöhnliche festhalten, das Ihnen während den Fahrten, aber auch beim Laden und Löschen der Schiffe auffällt. Das ist auch schon alles.«

»Alter Freund«, entgegnete Jules immer noch lächelnd, »so schnell kriegen Sie mich nicht um den Finger gewickelt. Sie wissen, wie teuer ich bin. Für die Erledigung von Spazierfahrten würden Sie mich kaum engagieren. Ich stelle Ihnen deshalb drei einfache Fragen. Wenn Sie mir diese zu meiner Zufriedenheit beantworten, bin ich Ihr Mann.«

Ashram schaute ihn verunsichert an, nickte zögernd.

»Okay. Was wollen Sie wissen, Jules?«

»Es wird erzählt, dass in den letzten zwölf Monaten zwei Tankschiffe auf ihrer Fahrt nach Europa spurlos verschwunden sind. Die See soll ruhig gewesen sein und man konnte später keine Ölteppiche entdecken, die auf eine Explosion und ein Sinken der Schiffe hingewiesen hätten. Weiter erzählt man sich, dass beim Entladen in den Zielhäfen, seit mehr als einem Jahr immer wieder geringe Mengen an Erdöl fehlen, so, als wenn ein Teil der Ladung auf offener See gelöscht worden wäre. Doch in den elektronischen Pumpaufzeichnungen der Schiffe konnte man nichts dergleichen feststellen. Und Leck geschlagen waren die Tanker mit Sicherheit auch nicht. Wie also sollte Öl von den Schiffen während des Transports verschwinden? Die Befragung der Besatzungen ergab, soweit ich informiert bin, nie etwas Handfestes. Doch es sollen von den betroffenen Tankern manchmal Besatzungsmitglieder oder gar Offiziere auf offener See verschwunden sein. Man nimmt an, dass diese Männer mit den Diebstählen des Erdöls zu tun hatten, auch wenn man sich das Wie bislang nicht erklären kann. Denn weder beim Ladevorgang noch beim Löschen konnten Unregelmäßigkeiten nachgewiesen werden. Darum meine erste Frage an Sie, Ashram. Hat Ihr Auftrag mit dem verschwundenen Erdöl zu tun?«

»Ja.«

»Na gut. Kommen wir zur zweiten Frage. Wäre ich in Ihrem Auftrag unterwegs oder im Auftrag anderer?«

»Im Auftrag von mir und anderen.«

Unruhe breitete sich nun in den Augen von Ashawii aus, während er beinahe lauernd auf die dritte Frage seines Besuchers wartete. Jules ließ ihn noch etwas zappeln und kippte erst noch voller Genuss den letzten Schluck aus dem Glas in seine Mundhöhle, schluckte ihn bedächtig. Erst danach hob er seinen Blick vom Rand des Glases, richtete ihn direkt auf den Libanesen und fragte unschuldig lächelnd: »Und wie geht es Melina und deinen beiden Jungs?«

Eine kurze Verblüffung flog über die wulstigen Lippen des Libanesen. Dann zogen sich seine Mundwinkel zu einem ungemein breiten, entspannten Lächeln auseinander.

»Gut«, meinte er zweideutig, »sehr gut.«

Ob er damit den Gesundheitszustand seiner Familie meinte oder eher Jules harmlose dritte Frage, war aus den Worten nicht heraus zu hören.

»Sie kennen meine Bedingungen, Ashram. Eine Überfahrt dauert mit der Anreise etwa fünfzig Tage, wenn es ums Kap herum geht. Ich berechne Ihnen pro Fahrt also eine Million Dollar, zahlbar vor jeder Fahrt auf mein Konto bei der Bank of Dubai hier in London. Die Nummer finden Sie sicher noch in Ihren Akten. Sobald das Geld für die erste Reise eingetroffen ist und Sie mir ein Plätzchen auf einem der Tanker organisiert haben, kann es von mir aus losgehen. Als was werde ich reisen?«

Ashram zögert nur kurz.

»Können Sie kochen?«

»Wenn’s sein muss«, gab der Schweizer lachend zurück, »Seemänner sollen ja hart im Nehmen sein.«

Auch Ashram entspannte sich zusehends. Er wusste, er bekam, was er wollte, ohne dass er Jules allzu viel an Informationen hatte preisgeben müssen und ohne, dass dieser von ihm verlangt hatte, die Leute im Hintergrund zu benennen.

Und Jules?

Nach dem gestrigen Anruf des Libanesen mit seiner dringlichen Bitte hatte der Schweizer gleich vermutet, die Einladung des Rohstoffhändlers müsste mit den vor der Öffentlichkeit bislang geheim gehaltenen Erdölverlusten zu tun haben. Shridar Kumani hatte ihm bereits vor einigen Wochen davon erzählt. Der Inder war ebenso im Ölgeschäft und als Makler tätig, so wie Ashram Ashawii. Doch im Gegensatz zum Libanesen hatte Shridar seine Zelte direkt in Kuwait City aufgeschlagen und seinen Daumen so noch näher am Puls der Erdölverladestationen. Jules kannte den ewig freundlichen, stets lächelnden Inder seit vielen Jahren und sie tauschten sich regelmäßig aus.

»Ich werde auf jeden Fall ein paar Unterlagen benötigen, über den Tanker und über die Besatzung, zumindest Kopien der Personalakten der Offiziere«, verlangte Jules, »hier haben Sie meine Karte mit einer E-Mail-Adresse, an die sie alles senden können. Es wäre hilfreich, wenn Sie mir die Informationen ein paar Tage vor dem Auslaufen des Tankers zustellen könnten.«

Ashram blickte auf die Karte und nickte gleichzeitig: »Ja, das geht selbstverständlich in Ordnung. Sie erhalten alle Informationen rechtzeitig. Dafür werde ich sorgen.«

Eigentlich war alles gesagt und Jules stand auch auf, streckte Ashram über das Pult hinweg seine Hand entgegen, um ihre Vereinbarung zu besiegeln und sich gleichzeitig zu verabschieden.

Ashram nahm seine Rechte, schüttelte sie kurz und wirkte in diesem Moment geistesabwesend, hielt die Hand des Schweizers auch danach noch fest und blickte Jules länger als üblich und notwendig in die Augen. Irgendwie hatte sein Blick etwas Trauriges an sich. Zumindest war dies der Eindruck von Jules. Und auch sein »Auf Wiedersehen« klang eher bedrückt, so als spürte der Libanese plötzlich einen Kloß im Hals. So hörte sich die Verabschiedung für Jules fast wie ein Lebewohl an. Lagen dem Rohstoffhändler vielleicht noch andere Dinge auf der Seele? Oder hatte er ihm Wesentliches zum Auftrag verschwiegen?

Jules wartete ab und blickte Ashawii fest in die Augen. In seinem Beruf war der Schweizer auch haarige Probleme gewohnt und kam mit ihnen zurecht. Dass ihn Ashram in ein noch nicht erkennbares, offenes Messer laufen ließ, das traute er dem Libanesen allerdings ohnehin nicht zu. Wenn ihn also doch noch etwas bedrücken sollte, was mit dem Auftrag zu tun hatte, würde er es ihm bestimmt erzählen.

Nein. Der Rohstoffhändler ließ seine Hand endlich los, wirkte dabei aber weiterhin unschlüssig. Jules nickte ihm aufmunternd zu und ging zur Tür. Als er mit langen Schritten das Vorzimmer durchquerte, lächelte er der aparten Sekretärin freundlich zu, was diese mit einem ärgerlichen Schmollmund quittierte. Doch Jules spürte, dass sie ihm nachblickte, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.

Nur ein Auftrag

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