Читать книгу Retourkutsche - Kendran Brooks - Страница 6

März 2010

Оглавление

»Das ist völlig unmöglich«, die aparte Frau von Mitte zwanzig schleuderte mit einer unwilligen Kopfbewegung ihr langes, dunkelbraunes Haar über die linke Schulter zurück und starrte Detective Dasher kampflustig an, »mein Bruder war der liebste Mensch auf Erden. Und mit Sicherheit hatte er nichts mit Drogen zu tun. Völlig ausgeschlossen. Sein bester Freund starb vor sechs Jahren an einer Überdosis. Danach hat Hank sogar das Rauchen aufgegeben.«

Dasher saß bequem zurückgelehnt in seinem Bürostuhl und musterte die junge Frau mit sichtlichem Wohlbehagen. Sie war mit einem Anwalt angerückt, um bei ihm noch mehr Eindruck zu schinden. Der Mann saß allerdings recht still neben seiner Mandantin und überließ ihr das Reden.

Der Anblick der Frau war allerdings mehr als erfreulich, wie sich Dasher eingestand. Mit leicht geröteten Wangen und wütend geschürzten Lippen saß sie vor ihm und giftete ihn an. Sie hatte sich ihm als Lena Publobsky vorgestellt, die jüngere Schwester des Ermordeten. Sie lebte nach ihrer eigenen Aussage in Paris und hätte erst vor wenigen Tagen vom Tod des Bruders erfahren. Dass die Polizei den Fall nach einer kurzen Untersuchung ad acta gelegt hatte, wollte Lena Publobsky keinesfalls akzeptieren. Darum versuchte Detective Dasher sie mit eindringlichen Worten zu besänftigen.

»Miss Publobsky. Es entspricht den Tatsachen, dass Ihr Bruder mit einem vorbestraften Drogendealer eine Zeit lang zusammenlebte. Dieser Dealer wurde auch in der Wohnung Ihres Bruders verhaftet. Und am nächsten Morgen fanden wir Ihren Bruder tot in einer Gasse, mit einem Päckchen Amphetamine in der Jackentasche. Für mich steht fest, dass die Verhaftung des Drogendealers jemanden nervös gemacht hat. Dieser Jemand ließ ihren Bruder ermorden, weil er befürchten musste, der verhaftete Drogendealer hätte ihm irgendwelche Geheimnisse verraten.«

Die Lippen der jungen Frau pressten sich bei dieser Erklärung zu einem Strich zusammen. Sie starrte den Detective über das Pult hinweg mit funkelnden Augen an und legte sich ihre Antwort sorgfältig zu Recht, bevor sie erstaunlich ruhig weitersprach.

»Und wo ist dieser Drogendealer jetzt? Haben Sie ihn befragt, was er mit meinem Bruder zu tun hatte und wer für den Mord verantwortlich sein könnte?«

Dasher fühlte sich in die Ecke gedrängt, gab sich jedoch immer noch gelassen. Nur das leichte hin und her Ruckeln seiner Schultern verriet, wie unbehaglich er sich fühlte.

»Nein, befragen konnte ich ihn leider nicht. Der Drogendealer steht seit seiner Verhaftung in Gewahrsam einer Regierungsbehörde.«

»Etwa dem FBI?«, kam die ungläubig gestellte Frage zurück.

»Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben.«

Lena Publobsky dachte einen Moment lang nach, schien in den Augen des Detectives nach Antworten zu suchen. Ihre Mundwinkel zuckten nervös, wie Dasher fasziniert beobachtete. Sie war bestimmt eine äußerst vitale Frau, voller Energie, die sie im Moment kaum in Zaum zu halten vermochte. Ein willensstarker Mensch, der einen einmal eingeschlagenen Weg bestimmt nicht so leicht wieder verließ.

»Nun gut. Ich werde mir mit Hilfe meines Anwalts erst einmal Zugang zu den Ermittlungsakten verschaffen. Danach sehen wir weiter. Vielen Dank für das Gespräch, Detective Dasher.«

Damit stand sie abrupt auf und ging mit weit ausgreifenden Schritten aus Dashers Büro und zielstrebig durch das Großraumbüro in Richtung Ausgang davon. Ihr Anwalt hetzte hinter ihr nach, versuchte vergeblich, sie einzuholen.

Nicht nur die Augen von Dasher waren dem energisch nach rechts und links schwingenden, wohlgeformten Hinterteil der Frau gefolgt. In ihrem engen, knielangen Rock, unter dem sich die sportlich-straffen Oberschenkel bei jedem Schritt abzeichneten, erkannte man das professionelle Laufsteg-Mannequin, während das laute Klacken ihrer hochhackigen Schuhe den Blick automatisch auch auf die äußerst schlanken Fesseln der jungen Frau zog.

*

Chufu und Mei Ling waren seit zwei Wochen ein Liebespaar. Das hatte sich einfach so ergeben. Nach ihrem damaligen Strandbesuch hatten sie im Nuth erst ausgelassen getanzt und sich später mit einem Longdrink in eine der Sitzecken verzogen. Von hier aus beobachteten sie die anderen Tänzer, wiegten sich im Takt der Musik und sogen zwischendurch immer wieder an den Strohhalmen. Irgendwann erzählte Mei Ling dann einen aktuell in Rio grassierenden Witz, den mit dem Eskimo, dem Fahrrad und der Nonne. Sie musste sich dazu weit zu Chufu hinüberbeugen und ihn trotzdem beinahe anschreien, denn der Lärmpegel der Musik war geradezu infernalisch. Chufu sah ihr Gesicht ganz nahe vor sich, ihre kleine, neckische Nase, die rosa Lippen mit den ebenmäßigen Zahnreihen dahinter und der immer wieder verführerisch auftauchenden Zungenspitze dazwischen. Plötzlich lagen ihre Lippen auf den seinen und eine herrlich warme, weiche Zunge bahnte sich ihren Weg zwischen seinen Zahnreihen hindurch, suchte stürmisch die seine. Danach wusste er einige Sekunden lang nichts mehr, gab sich völlig dem aufflammenden Lustgefühl hin. Ein perfekter Blackout, würde er später über sich selbst diagnostizieren, ausgelöst durch eine Welle von Hormonen, die seinen Körper in diesem Moment durchflutete, intensiver als jede berauschende Droge.

Als sie sich voneinander lösten, schauten sie sich schuldbewusst in die Augen. Sie konnten beide nicht wirklich sagen, wer vor ihnen den letzten Schritt zu ihrem ersten Kuss tat.

»T’schuldige«, meinte Mei Ling fast schon schreiend und schaute Chufu dabei forschend in die Augen, suchte dort nach der Antwort auf die einzig wichtige Frage. War es dir recht?

Chufu zog etwas verschämt die Nase hoch, wusste im Moment noch nichts zu entgegnen, war von seinen Gefühlen immer noch überwältigt. Konnte das Liebe sein?

»Wenn es dir nicht recht ist, dann vergiss es bitte sofort wieder. Es war bloß ein Ausrutscher«, meldete sich die junge Chinesin laut und ebenso tapfer, übernahm auf diese Weise die volle Verantwortung. Sie wollte nicht, dass dieser Kuss zwischen ihrer Freundschaft stehen blieb. Doch gleich nach diesen Worten leuchteten ihre Augen strahlend und wunderschön auf. Sie hatte im Gesicht von Chufu wohl eine Antwort gelesen.

Der junge Philippine ergriff ihre Hände, rutschte auf der Sitzbank ganz nahe zu ihr hin und flüsterte ihr ins Ohr: »Es ist alles gut. Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.«

Ihre Lippen fanden sich sogleich wieder, saugten sich, öffneten sich füreinander und ließen ihre Zungenspitzen umeinanderkreisen, diesmal nicht schnell und wild, sondern sanft und voller Zärtlichkeit. Lange verhielten sie mit geschlossenen Augen, gaben sich völlig ihrer neu entdeckten Gefühlswelt hin.

Chufu spürte seine beginnende Erektion unter der Jeanshose. Plötzlich kam ein vorsichtiges Tasten hinzu. Die Hand von Mei Ling. Sie begann sein Glied durch den dicken Stoff zu streicheln, gleichermaßen als Liebkosung und als Versprechen.

Selbstverständlich hatte Chufu schon früher ein paar Mal Geschlechtsverkehr gehabt. Im gemischten Internat Le Rosey gab es recht häufig Gelegenheit zu einem sexuellen Austausch. Als aufgeweckter, hoch aufgeschossener und irgendwie auch hübscher Schüler war er beliebt gewesen, denn viele der Mädchen aus aller Welt hielten die Jahre in der Schweiz für eine Art von Freipass, sich vom Leben mitzunehmen, was es nur anbot. Aber auch schon Jahre zuvor, als Schiffsjunge auf dem Supertanker Daisy, hatten ihn die anderen Matrosen manchmal in die Hafenbordelle geschleppt. So lernte er bereits als Fünfzehnjähriger den wenig befriedigenden Sex gegen Bezahlung kennen. Doch die zärtlichen und auch etwas unbeholfen wirkenden Berührungen der Chinesin waren etwas ganz anderes, neues und elektrisierendes. Sie ließen ihn leise aufstöhnen, was im Gedröhne der Lautsprecherboxen niemand hörte, vielleicht mit Ausnahme von Mei Ling.

»Ich will dich«, flüsterte sie ihm ins Ohr und fügte an, »jetzt gleich.«

Sie ergriff seine Hand und zog ihn von der Sitzbank hoch und hinter sich her. Sie überquerten die Tanzfläche, drängten sich zwischen den wild zuckenden Leibern hindurch zur Ausgangstüre, vorbei an der Kasse und den Türstehern. Draußen war es trotz der späten Stunde immer noch angenehm warm. Mei Ling winkte ein Taxi heran und die beiden stiegen ein. Sie nannte die Adresse und kaum zehn Minuten später, die sie knutschend auf der Rückbank verbracht hatten, standen sie vor dem Gittertor zum Anwesen der Familie Ling.

Chufu war zuvor schon zweimal zuvor hier gewesen, wurde von Mei Ling ihren Eltern und den anwesenden Geschwistern artig vorgestellt, bevor sich die beiden zum gemeinsamen Lernen in die Bibliothek des Hauses zurückzogen.

Die Lings wohnten auf einem für brasilianische Stadtverhältnisse recht mondänen Anwesen. Chufu schätzte das Haus auf zwölf bis fünfzehn Schlafzimmer, mit ebenso vielen Bädern und einem Haufen weiterer Räume. Ein weitflächiger Garten mit Rasenplätzen und Buschwerk umgab die Villa, schaffte mit einer ringsum hohen Mauer eine Idylle der Ruhe inmitten eines lebhaften Viertels.

Mei Ling zog den Schlüssel aus ihrer Tasche und die beiden schlüpften durch das Tor, pirschten sich Hand-in-Hand an das Wohnhaus heran. Die Eingangstüre öffneten sie beinahe lautlos, hielten unter der Tür den Atem an und lauschten nach drinnen, bevor sie auf Zehenspitzen die Treppe ins Obergeschoss hochstiegen. Der Schein der Außenbeleuchtung drang durch die Fenster und erhellte den Flur genügend weit, so dass sie auf ein Deckenlicht verzichten konnten.

Mei Ling zog Chufu in ihr Zimmer, schloss die Türe, lehnte sich mit ihrem Rücken dagegen. Chufu drängte sich an ihren warmen Körper. Sie küssten sich wiederum stürmisch.

Plötzlich spürte der Philippine tastende Hände an seiner Hose nesteln und die Knöpfe der Jeans öffneten sich unter geschickten Fingern. Bald glitt der dicke Stoff über seinen Hintern und fiel zu Boden. Während dessen hatte er mit zittrigen Fingern begonnen, ihre Bluse aufzuknöpfen. Das wurde umso mühsamer, je höher er mit seinen Händen kam, denn sie fanden kaum mehr Platz zwischen ihren dicht aneinander gepressten Oberkörpern.

Zielsicher ergriff die Chinesin sein Glied, das längst erregt war, schälte es aus dem knappen Slip, begann, seine Eichel mit ihren zu einem Ring geformten Zeigefinger und Daumen zu stimulieren.

Endlich war auch die verdammte Bluse offen. Den Büstenhalter schob Chufu mit seinen heißen Händen einfach nach oben und seine Finger suchten ihre kleinen Brüste, begannen sie sanft zu kneten. Immer noch hingen ihre Lippen aneinander und umschlangen sich ihre Zungen.

»Stopp, Mei«, flüsterte Chufu atemlos und löste sich ein wenig von der Chinesin, »ich komm gleich, wenn du so stürmisch weitermachst.«

Leise, aber zufrieden, kicherte die Chinesin, nahm ihre sanften Hände von seinem Glied und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Er ließ es widerstandslos geschehen, konzentrierte sich darauf, die wilde Lust in seinen Lenden zu beruhigen. Als sie das Hemd über seine Schultern und Arme schob, so dass es zu Boden fallen konnte, öffnete sie den Verschluss ihres Rocks und streifte ihn zusammen mit dem Slip vom Becken. Dann drückte sie Chufu in Richtung Bett, wobei der mit seinen immer noch durch die Jeanshose eng verbundenen Knöchel nur lächerliche Trippelschritte vollführen konnte.

Rücklings ließ er sich auf die kühle Tagesdecke fallen. Mei Ling zerrte ihm die Hose von den Knöcheln, warf sie achtlos hinter sich. Dann legte sie sich dicht neben ihn hin, halb über seinen Körper, drängte ihr warmes Fleisch an das seine. Ihre Augen waren ihm nahe und ihre Hände fuhren zitternd über seine Brust.

Chufu begann sie sanft zu streicheln. Ihre Haut war trocken und sehr weich. Unter seinen Händen entspannte sich Mei, drehte sich auf den Rücken und schloss ihre Augen. Der junge Philippine streichelte ihre kleinen Brüste. Die dunklen Warzen stellten sich auf, schienen nach mehr von seinen Liebkosungen zu verlangen. Er küsste erst ihren Hals, dann die Brüste. Rasch wanderten seine Lippen weiter hinunter zu ihrem süßen Bauchnabel, küssten ihn sanft. Mei Ling erzitterte, was Chufu als Aufforderung empfand, mit seinem Mund auch die tiefer liegenden Regionen ihres Körpers zu erforschen.

Ihre Scham war nicht rasiert oder gestutzt. Dichtes, seidiges Haar bot seiner Zunge einigen Widerstand. Er raspelte mit der Spitze über ihre Vulva und Mei stöhnte ein erstes Mal auf. Chufu rückte auf dem Bett weiter nach unten, legte sich zwischen ihre Schenkel, die sich ihm willig öffneten. Er versenkte seinen Kopf zwischen ihre Beine, fand mit seiner Zungenspitze ihre kleinen Schamlippen, sog sie in seine Mundhöhle ein, begann an ihnen sanft zu saugen.

Als Mei Ling ihr Becken im Rhythmus seiner Zärtlichkeiten zu bewegen begann, spürte der Philippine, wie sehr ihn die Lust der jungen Frau selbst erregte. Chufu verstärkte seine Reizung und leckte mit der ganzen Zunge über ihre Klitoris, deren Knospe sich riesig anfühlte, prall und voller Gier nach mehr.

Unerwartet rasch bäumte sich die junge Chinesin auf und ein kurzer, spitzer Schrei entrann ihrem Mund. Chufu ließ seine Zunge einen Moment lang ruhen, saugte ihre Schamlippen jedoch weiterhin sanft und rhythmisch ein, verlängerte ihren Höhepunkt um viele wertvolle Sekunden, während dessen sich die Bauchmuskeln von Mei immer wieder hart anspannten, sich lockerten, nur um in einer erneuten Traktion zu vibrieren. Sie begann voller Glücksgefühle zu keuchen.

Fast eine Minute hielt dieses Wechselspiel an, dann erschlaffte der Körper der Chinesin allmählich. Ihre Hände tasteten nach seinem Kopf, zogen ihn und seinen Körper zu sich hinauf und er legte sich sanft auf sie.

»Das war wunderschön«, flüsterte sie dem jungen Philippinen ins Ohr, kuschelte sich an seinen Körper, als wolle sie in ihn hineinkriechen. Ihre Haut war nun glitschig vor Schweiß und heiß. Sie duftete noch verlockender. Chufu spürte, wie sein Glied sich wieder stärker zu versteifen begann, in Erwartung einer baldigen Vereinigung mit Mei. Allein der Gedanke an ihren festen Körper, an das Gefühl, wie er in sie eindringen würde, wie sein Glied ihre Höhlung erforschte, ließ ihn erwartungsvoll erbeben.

Auch sie bemerkte seine aufflammende Lust, blickte ihn im Dämmerlicht der Außenbeleuchtung mit glücklichen Augen an und meinte: »Komm.«

Sie öffnete erneut ihre Schenkel ohne jede Scham und Chufu rutschte auf ihren Körper etwas tiefer. Seine Finger tasteten nach ihrem Geschlecht, fand die feuchten Lippen, öffneten sie sanft und er drang in sie ein. Kurz spürte er einen Widerstand, verstärkte den Druck noch etwas. Mei Ling gab einen schmerzhaft-erregten Kicks von sich, den Chufu nicht weiter beachtete, denn nun schloss sich ihre enge Vagina hart um sein Glied, schnürten es auf eine gar wunderbare Weise ein, während ihre Stimme in ein leises, wohliges Stöhnen überging.

Chufu begann Mei äußerst sanft zu Stoßen. Mit kleinen Bewegungen seines Beckens stimulierte er sie und sich gleichermaßen, ständig bedacht, ja nicht die Übersicht zu verlieren und zu früh zum Samenerguss zu gelangen.

So schob er immer wieder kleine Pausen ein, verharrte kurz, für zwei Sekunden, während denen sich das heftige Atmen von Mei stets auch ein wenig beruhigte. Doch die junge Chinesin war bereits wieder aufs höchste erregt, streckte ihm ihre Bauchdecke voller Lust entgegen, pendeltet mit ihrem Kopf wie in Trance hin und her, hielt ihre Augen dabei fest geschlossen.

Chufu konnte seine Erregung nicht mehr länger zurückhalten, wollte es auch nicht mehr. Er stieß Mei nun ein wenig härter, spürte, wie sie sogleich ein zweites Mal zum Höhepunkt kam und ergoss sich im selben Moment in sie hinein, heiß, feucht, befreiend. Beide keuchten wie zwei alte Menschen nach einem steilen Treppenaufstieg, heftig zwar, jedoch auch tief und regelmäßig. Ein zweiter und dritter Schwall ergoss sich in die junge Chinesin. Chufu fühlte sich in diesem Moment dem Paradies nahe. Nie hatte er eine ähnliche Befriedigung, ja Befreiung beim Sex empfunden. Sein Gehirn war leer, konnte in diesen Momenten keinen Gedanken fassen, spürte nur seine immer noch vorhandene Lust am köstlichen Fleisch der jungen Frau, eine ganz innige und zärtliche Verbundenheit zur Chinesin.

Er öffnete seine Augenlider, bemerkte erst jetzt, dass auch er sie während den letzten Sekunden genießerisch geschlossen gehalten hatte. Er sah in das runde, entspannte Gesicht von Mei. Sie blickte ihn voller Glück aus glänzenden Augen an. Ihre Lippen öffneten sich leicht und lockten ihn von neuem. Er verschloss sie mit seinem Mund.

Als sie sich voneinander lösten, fühlte Chufu, dass sein Schamhaar verklebt war und sich die sonst weiche Haut seines Penis verkrustet anfühlte.

»Hast du deine Periode?«, flüsterte er Mei Ling ins Ohr.

»Nein, die habe ich erst nächste Woche«, gab sie leise zurück.

Chufu war verwirrt. Hatte er sich beim Liebesakt etwa verletzt, so dass er blutete? Dann endlich dämmerte es ihm.

»War es für dich etwa das erste Mal?«, fragte er sie flüsternd, ungläubig, fast bestürzt.

Mei Ling schloss ihre Augen, biss sich auf die Unterlippen und nickte dann heftig.

»Doch es war so schööön. Danke Liebster.«

Seit dieser ersten Nacht waren zwei Wochen vergangen. Chufu und Mei verbrachten seither jede freie Minute miteinander. Auf dem Campus konnten sie sich ihrer Liebe frei hingeben, denn die ältere Schwester von Mei Ling deckte das Paar gegenüber ihren Eltern. Doch außerhalb der Universität wurde es schwieriger. Brasilien schien zwar ein Land der Verlockungen zu sein, gleichzeitig aber auch erzkonservativ und mehrheitlich katholisch. Sex vor der Ehe galt in besseren Kreisen immer noch als äußerst unschicklich und war allgemein verpönt. Die Eltern von Mei Ling wachten über die Jungfräulichkeit ihrer Töchter ähnlich streng wie die Gastfamilie von Chufu.

Nach ihren ersten Liebesstunden im elterlichen Haus von Mei war Chufu nach Hause geschlichen, um einer Entdeckung durch die chinesische Familie am nächsten Morgen zu entgehen. An ein intimes Beisammensein in seinem Zimmer bei den Ferreiras war ebenso wenig zu denken. Darum wurden die beiden Verliebten Stammgäste in einem kleinen Motel, das nicht allzu weit vom Campus der Universität entfernt lag. Fiszpan hieß es und beherbergte ein griechisches Restaurant im Erdgeschoss, dessen Ausdünstungen von Knoblauch und heißem Olivenöl oft das ganze Haus durchdrangen. Doch wenn sich Mei Ling auf dem Becken von Chufu hockend leise zum Takt der Musik aus dem alten Radiowecker wiegte, ihre eigene Lust ebenso genoss, wie die Lust von Chufu unter ihren sanften Bewegungen, dann wurde das Fiszpan für sie beide zum Paradies auf Erden.

*

Ihr Rechtsanwalt erzwang die Akteneinsicht in den Mordfall und erstritt ihr anschließend vor dem Bezirksrichter auch das Recht, das Protokoll zur Verhaftung des in den Mord verwickelten Drogendealers zu lesen. Eine private Detektei wurde anderntags von ihr beauftragt, sich mit dem Namen Timothy Allen auseinander zu setzen und sich auf die Suche nach neuen Hinweisen zur Ermordung ihres Bruders Hank Publobsky zu machen.

Nach zwei Wochen stand fest, dass dieser Timothy Allen nur wenige Wochen in New York gelebt hatte. Woher er kam, konnte allerdings nicht schlüssig ermittelt werden. Und wie dieser Timothy Allen drei Jahre zuvor in New York wegen Drogendelikten verhaftet werden konnte, obwohl er in dieser Stadt vor Oktober 2009 keinerlei Spuren hinterlassen hatte, blieb für die privaten Ermittler ein Rätsel.

Doch mit all diesen Informationen saß Lena Publobsky wenige Stunden später wiederum vor dem Pult von Detective Lieutenant Dasher. Dieser schüttelte nach ihrer Aussage und der Beschwerde über seine lahme Arbeit bloß den Kopf, nicht zustimmend, sondern mit einem verbissen wirkenden, fast ärgerlichen Ausdruck im Gesicht.

»Sie können Ihren Bruder nicht mehr lebendig machen, Miss Publobsky, egal, was Sie noch alles über diesen kleinen Drogendealer herausbekommen sollten. Besser, Sie finden sich endlich mit dem Tod Ihres Bruders ab. Er war ganz einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.«

Die junge Frau schüttelte ihren Kopf und sah Dasher zwingend an.

»Wir Publobskys stammen aus der Ukraine, aus Skadovsk am Schwarzen Meer. Meine Urgroßeltern entkamen dem Holocaust im Zweiten Weltkrieg nur knapp, konnten nach Marseille flüchten und wurden dort vor den Nazis verborgen. Doch bereits mein Vater wuchs als stolzer Franzose auf. Er ist dort immer noch Polizist, bei der Autobahnpolizei. Und er ist sehr stolz darauf, Tag für Tag seinen Beitrag für das Land seines Herzens zu leisten, das seine Familie vor dem Konzentrationslager beschützte. Ich kann meinem Vater nicht unter die Augen treten und ihm mitteilen, sein Sohn hätte bloß Pech gehabt. Jedenfalls so lange nicht, bis ich wirklich alles unternommen habe, um die Hintergründe dieser scheinbar so sinnlosen Tat aufzudecken. Das müssen Sie doch verstehen, Detective?«

Einen Moment lang schwieg sie, ließ ihre Worte auf Dasher wirken und legte sich gleichzeitig neue Argumente zurecht.

»Interessiert Sie denn gar nicht, woher dieser Timothy Allen aufgetaucht ist und wohin ihn das DEA nach seiner Verhaftung gebracht hat? Glauben Sie immer noch, dass es bei diesem Mord bloß um ein paar Amphetamine oder irgendwelche Informationen ging? Dass mein Bruder in irgendwelche Drogengeschäfte verwickelt war und darum sterben musste?«

Dasher zuckte mit den Schultern.

»Ihr Einsatz für Ihren Bruder kann ich nicht hoch genug werten und Sie haben meine volle Anteilnahme, Miss Publobsky. Doch die Akte zum Mordfall an Hank wurde nun mal ergebnislos geschlossen. Ob die Verhaftung dieses Timothy Allen in irgendeiner Weise mit dem Tod Ihres Bruders zusammenhängt, ist bloß Ihre Annahme. Ich habe keinerlei Hinweise oder Spuren gefunden, an die man hätte anknüpfen können. Und darum spielt es auch keine Rolle, was Sie über diesen Allen herausgefunden haben wollen. Finden Sie sich bitte damit ab, dass der Mord an Ihrem Bruder unaufgeklärt bleibt.«

Die Enttäuschung war der jungen Frau von den aparten Gesichtszügen abzulesen. Ihre schmale Nase war blass geworden, ihre Haut über den hohen Wangenknochen wirkte einen Moment lang eingefallen. Doch dann ging ein Ruck durch ihren Körper und ihr Rücken straffte sich merklich. Auch begannen ihre Augen wieder zu funkeln.

Nein, Detective Dasher machte sich nichts vor. Diese Frau würde wohl noch eine sehr lange Zeit nicht aufgeben, schien sich in ihre selbst gestellte Aufgabe regelrecht verbissen zu haben.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stand sie auf und ging mit ruhigen Schritten zum Ausgang, drehte sich nicht mehr zu ihm um. Dasher starrte auf ihren schmalen Rücken mit den unter der Bluse leicht abzeichnenden Schulterblättern. Die junge Frau kam ihm so stark, zielstrebig, ja unbeirrbar wie eine echte Amazone vor. Gleichzeitig erkannte er aber auch ihre Verletzlichkeit, ja Zerbrechlichkeit. Sie würde bestimmt im selben Moment zusammenklappen, in dem sie sich selbst eingestand, dass jede weitere Untersuchung sinnlose Zeitverschwendung war.

Dasher erschauerte innerlich. Dann schüttelte er seinen aufflackernden Beschützerinstinkt mit einem unwilligen Ruck seiner Schultern ab. Für Gefühlsduseleien war er schon viel zu lange Polizist.

*

Henry war nach London zurückgekehrt und hatte die Harddisks aus dem Server des Juárez-Kartells einem guten Freund übergeben. Dieser würde sie für ihn dechiffrieren und auswerten. James Hancock, seit der Studentenzeit von seinen guten Bekannten nur Jimmy Access genannt, war seit vielen Jahren Professor für Informatiksicherheit und Kryptografie an der Universität von Cambridge, übernahm jedoch gerne auch anspruchsvolle Aufgaben aus der Privatwirtschaft, galt zudem als ausgesprochen verschwiegen. Henry wartete mit zunehmender Spannung auf Resultate seiner Arbeit. Doch die Speichermedien leisteten hartnäckig Widerstand. Die Verschlüsselung war umfassend und auf dem neuesten Stand der Technik, wie Jimmy Access bald einmal herausfand. Er musste seinen Klienten deshalb jede Woche um noch ein paar Tage mehr Zeit bitten.

Die Wartefrist nutzte Huxley zur lockeren Kontaktpflege mit seinen Bekannten aus der Finanzbranche. Ihn interessierte dabei vor allem, was sie ihm über die Wachovia Bank in den USA erzählen konnten. Cyrill Fletcher, eine quirlige, sehr schlanke Frau Mitte dreißig, gab ihm den entscheidenden Hinweis, wie sich bald herausstellen sollte.

»Du solltest dich mit Martin Woods in Verbindung setzen.«

»Martin Woods?«

»Ja, er trat 2005 bei der Wachovia ein, als Senior-Manager gegen mögliche Geldwäscherei-Delikte. Doch nach knapp zwei Jahren hat man ihn rausgeschmissen und er arbeitete danach für Scotland Yard. Man erzählt sich hinter vorgehaltener Hand, dass das oberste Management der Wachovia kein Interesse an den vielen Hinweisen und Beanstandungen von Woods gezeigt habe. Sie scheinen dort die Stabsstellen gegen Geldwäscherei nur geschaffen zu haben, weil sie von der Bankenaufsicht dazu gedrängt wurden. Woods sollte ihnen wohl als Feigenblatt dienen.«

»Und wie kann ich Kontakt zu ihm aufnehmen? Lebt er in England oder den USA?«

»Soweit ich weiß, lebt er immer noch hier in London. Aber lass mich mal ein wenig herumtelefonieren.«

Die beiden saßen in der obersten Etage von Harvey Nichols, genauer gesagt in der Café und Espresso Bar. Sie hatten sich zum Lunch Club-Sandwichs bestellt. Ein 2007er Chardonnay vom Newton Wineyard im Nappa Valley, den Henry zuvor im Weinshop erstanden hatte, adelte die eher schlichte Mahlzeit.

Die Nase des kalifornischen Weißweines duftete verführerisch nach Ananas und Mangos, reifen Pfirsichen und Papaya. Ein einzigartiges Fruchtbouquet, das die Sinne berührte. Dem cremigen Auftakt im Mund folgte ein honigartiger Fluss, der eine enorme Fülle zeigte und von Marillen und Pfirsichen begleitet wurde. Es war ein Wechselspiel von Frische und Fülle, mit edler Vanillenote im Hintergrund und einer überwältigend, fruchtigen Ananas im langanhaltenden Finale.

»Ein Wein, für den man töten könnte«, war der neckische Kommentar von Cyrill nach ihrem ersten, genießerischen Schluck gewesen.

Henry blickte sich im Restaurant um, während seine Bekannte verschiedene Nummern nacheinander anrief und nach Woods ausfragte. Ein Pärchen fiel Henry ganz besonders ins Auge. Die beiden blickten angestrengt und lange in die Menükarte des Cafés und gaben anschließend eine äußerst kurze Bestellung beim Kellner auf. Der brachte ihnen wenig später zwei Mineralwasser. Was Huxley jedoch wirklich misstrauische machte, war ihr gegenseitiger Umgang. Sie wechselten kaum ein Wort miteinander, blickten die meiste Zeit aneinander vorbei. Waren das vielleicht zwei Polizeibeamte in Zivil? Gar Agenten von Scotland Yard oder vom MI6?

Der Mann war Anfang dreißig und wirkte auf ihn wie ein gewöhnlicher Börsenmakler, wie sie zu tausenden in der City unterwegs waren. Dunkles, nicht allzu teures Tuch, eine dezente Krawatte mit Streifen, schwarze Lackschuhe und ein durchschnittlich langweiliges Gesicht.

Die Frau war wesentlich jünger und sah in den Augen von Henry höchst erfreulich aus, auch wenn ihr Gesicht etwas gewöhnlich wirkte. Ein Landei in der großen Stadt, gehüllt in ein Kleid, das einem Luxusstück von Dolce & Cabana nachempfunden war, eine Billigimitation, welche die Frau wohl am Petticoat Lane Market aufgestöbert hatte. An einem ihrer hochhackigen, recht neu wirkenden Pumps war der Gummiabsatz ein wenig verschoben, Indiz für Ramsch-Ware aus Fernost.

Henry war beruhigt. Es mochte sich um ein verbotenes Liebespaar handeln, das in seinen letzten, gemeinsamen Tagen lag und sich darum nichts mehr zu sagen hatte.

Cyrill Fletcher beendete eben ihr viertes Gespräch und nickte Henry aufmunternd zu.

»Also. Martin Woods wohnt immer noch in einem Apartment in der City. Ich schick dir seine private Telefonnummer.«

Sie drückte ein paar Knöpfe und in Henrys Sakkotasche piepste es zweimal leise.

»Danke Cyrill, du bist die Beste.«

»Und warum willst du mehr über die Wachovia erfahren? Da ist doch etwas im Busch? Woran arbeitest du derzeit, Henry?«

Der Brite schmunzelte.

»Darüber darf ich dir leider nichts erzählen, Cyrill. Sonst müsste ich dich anschließend töten.«

Sein scherzhafter Tonfall nahm den Worten ihre Brutalität, zog sie im Grunde ins Lächerliche. Doch die Frau schmunzelte keineswegs, sondern blickte ihrem guten Bekannten mit forschenden Augen ins Gesicht.

»Ich kann mir nicht helfen, Henry, aber ich glaub dir das sogar.«

*

Toni musste in Las Vegas volle drei Wochen ausharren, bis ihm die Detektei endlich ihren nächsten Bericht über Caspar Jakes schickte, dem General Manager von Hecksmith & Born.

»Monday, February 22 2010: CJ flog mit AA527 nach Los Angeles, traf um 12:30 PM ein und fuhr mit dem Taxi direkt zur Gage Avenue Nummer 2100, besuchte dort Tracy Egloff, eine Prostituiert, die unter dem Künstlernamen Jamie S. ihre Kunden empfängt. Eine Stunde später kehrte er auf den Flughafen zurück und flog mit AA741 nach Vegas zurück, fuhr in sein Büro, wo er bis 8:00 PM blieb und dann direkt nach Hause fuhr. Keine Aktivitäten in der Nacht.«

»Tuesday, February 23 2010: CJ arbeitet von 9:00 AM bis 5:00 PM im Büro. Lunch zwischen 1:00 PM und 3:00 PM mit einem Ernesto Herero, einem hiesigen Anlageberater. Redeten über Startup Unternehmen, in die sich Investitionen lohnen könnten. Keine Aktivitäten in der Nacht.«

»Wednesday, February 24 2010: CJ arbeitet von 8:00 AM bis 3:00 PM im Büro ohne Pause. Kehrte nach Hause zurück, wo eine Party zum Geburtstag seines vierjährigen Sohnes stattfand. Keine Aktivitäten in der Nacht.«

»Thursday, February 25 2010: CJ flog mit UA 567 nach San Francisco, traf um 9:30 AM ein und nahm sich bei Hertz einen Mietwagen. CJ fuhr nach Downtown in die California Street Nummer 50. Unser Agent vor Ort hat ihn in diesem Bürogebäude verloren. CJ kehrte nach rund fünf Stunden zu seinem Wagen zurück, fuhr direkt zum Flughafen und gelangte mit US Airlines 2973 um 7:00 PM nach Vegas zurück. Direkte Fahrt nach Hause. Um 8:30 PM fuhren er und seine Frau zum Abendessen ins Aureole, besuchten später die Late Show im Caesers Palace, kehrten gegen Mitternacht in ihr Haus zurück.«

»Friday, February 26 2010: CJ arbeitete von 9:00 am bis 5:00 pm im Büro. Kurzer Lunch-Break mit einem seiner Mitarbeiter im Diego. Redeten bloß allgemein über das Geschäft und über Sportresultate.«

So oder ähnlich ging es weiter im Bericht. Die Wochenenden gehörten ausschließlich der Familie, einmal die Woche besuchte er ein wechselndes Callgirl in Los Angeles. Wie die meisten Fremdgeher bevorzugte auch Caspar Jakes eine gewisse Distanz zu seinem Wohnort, obwohl doch gerade dies besonders auffiel, sobald jemand zufällig an einem ungewohnten Ort auf einen alten Bekannten stieß. Aber in dieser Beziehung schienen die meisten Männergehirne gleich geschaltet zu sein.

Interessanter fand Toni, dass Jakes in der dritten Woche wiederum nach San Francisco geflogen war und zum selben Bürogebäude fuhr, diesmal jedoch bloß knapp eine Stunde dort verbracht hatte und ohne Verzögerung nach Las Vegas zurückkehrte. Der Detektiv konnte auch diesmal nicht sagen, welche Firma Caspar Jakes im Gebäude besucht hatte. Doch der Beschattete hatte den Fahrstuhl im 23. Stockwerk verlassen. Dort tummelten sich ein gutes Dutzend kleinerer Unternehmen.

Ohne Gefahr einer Entdeckung konnte die Detektei den genauen Besuchsort von Jakes nicht herausfinden, wie sie im Bericht versicherte. Der Lift endete im 23. Stockwerk in einem langen, schmalen Flur ohne Empfang, von dem die Türen zu den einzelnen Firmen abgingen. Falls ihr Privatdetektiv mit Jakes zusammen den Fahrstuhl verlassen würde oder ihn bereits auf dem Stockwerk erwarten wollte, dann könnte der CEO von Hecksmith & Born Verdacht schöpfen.

Toni flog darum selbst nach San Francisco und schaute sich das Gebäude gründlich an. Im Erdgeschoss, neben der Lifttür, war eine riesige Tafel mit allen Firmennamen und den jeweiligen Stockwerken angebracht. Der Mann am Empfang war gerade mit einem Telefonat beschäftigt und so zog Toni seine kleine Pentax hervor und fotografierte unbemerkt die Tafel.

Zurück im Hotelzimmer wertete er die Namensliste aus und verglich die Unternehmen mit den Eintragungen im elektronischen Telefonbuch. Die Firmen auf dem dreiundzwanzigsten Stock schienen ihm allesamt unverdächtig. Also widmete er sich den benachbarten Etagen. Dort wurde er rasch fündig. Denn die G. H. Import & Export Company auf dem 22. war in keinem Verzeichnis zu finden. Sie schien nicht einmal über einen Telefonanschluss zu verfügen. Das war mehr als seltsam.

Womöglich fuhr Jakes jeweils zum dreiundzwanzigsten Stock hoch und stieg dann das Treppenhaus eine Etage nach unten? So wurden mögliche Verfolger zuverlässig abgehängt oder sie wären gezwungen, ihm zu Folgen und sich so zu erkennen zu geben. Einfachste Routine in Geheimdienstkreisen.

Caspar Jakes und seine Besuche in San Francisco wurden für Toni immer interessanter.

*

»Und wie kommst du in Delaware voran?«

Toni hatte sich mit Jules auf halbem Weg zwischen Las Vegas und Genf in Manhattan getroffen. Sie saßen in einer Ecke im Palm Too, hatten sich als Vorspeise die vorzügliche Lobster Bisque gegönnt und saßen nun vor ihren Porterhouse Steaks, die ihnen der Kellner wärmstens empfohlen hatte.

Es war noch recht früh am Abend, kurz vor halb sieben und erst wenige Tische waren besetzt. Doch das Restaurant würde sich in der nächsten halben Stunde sicher füllen.

»Als Erstes die schlechte Nachricht«, begann sein Freund, »das Einschleusen von Michael Langtry bei Sun, Heuscher & Bush hat nicht funktioniert. Ich hab doch versucht, dort ein paar der Mitarbeiter abzuwerben, um Platz für Langtry zu schaffen. Ohne jeglichen Erfolg.«

Jules stutzte: »Was meinst du damit?«

»Na, egal wie verführerisch die Konditionen und wie hoch die neue Bezahlung auch ausfiel, die Leute gaben meinem beauftragten Head Hunter stets einen Korb. Sie haben sich freundlich bedankt und abgelehnt.«

Jules schüttelte verständnislos den Kopf.

»Das ist wirklich seltsam. Glaubst du, dass Sun, Heuscher & Bush eine direkte Zweigstelle der CIA ist? Das würde zumindest deine Misserfolge beim Abwerben der Mitarbeitenden erklären. Doch was willst du nun weiter unternehmen?«

»Ich habe zwei von meinen eigenen Männern angesetzt. Es sind vertrauenswürdige Kerle, die für mich auch als Türsteher in meinem Club in Miami arbeiten.«

»Ich hoffe doch, sie gehen mit der notwendigen Vorsicht und Diskretion vor?«

Jules Stimme verriet ein gewisses Unbehagen bei der Vorstellung, wie zwei unbeholfene Elefanten im Porzellanladen herum stampften.

»Keine Sorge. Es sind zwar kräftige Jungs, ehemalige Navy Seals aus Virginia. Doch sie haben nicht nur Muskeln, sondern auch einiges auf dem Kasten und im Kopf. Einer ist von der Ausbildung her Sprengstoffspezialist, der andere Scharfschütze. Und sie wissen genau, auf was sie sich in Delaware einlassen.«

»Stammen sie aus Team Four?«

Toni sah seinen Freund überrascht an.

»Du meinst Team Four bei den Navy Seals? Das weiß ich leider nicht auswendig. Warum fragst du?«

»Ach nur so. Das Seal Team Four aus Little Creek wird speziell für Mittel- und Südamerika ausgebildet, du weißt schon, fließendes Spanisch, vertieftes Kulturwissen und so weiter.«

»Ach, von daher weht der Wind. Du meinst, vielleicht könnten sie dir und Henry auch in Mexiko ein wenig unter die Arme greifen? Okay, ich frag sie bei Gelegenheit und geb dir dann Bescheid.«

Jules nickte dankbar: »Und auf welche Weise gehen die beiden in Delaware vor?«

»Sie besuchen zurzeit alle kleineren Anwaltskanzleien, die sich auf die Gründung und Betreuung von Briefkastenfirmen spezialisiert haben. Sie holen dort Angebote ein, schauen sich dabei aber vor allem das Management und die Mitarbeitenden an. Vielleicht sind darunter besonders beachtliche Männer und Frauen.«

»Und was soll das bringen?«

»Ich denke mir, dass die amerikanischen Regierungsbehörden nur mit Spitzen-Kanzleien zusammenarbeiten. Vielleicht betreiben sie aber auch eigene Anwaltsbüros. Auf jeden Fall dürften die obersten Verantwortlichen dort herausragende Leute sein und die Mitarbeiter über Durchschnitt.«

»Keine schlechte Idee, Toni. Kleine, unscheinbare Firma mit Spitzenleuten. Das kann hinkommen. Und wie geht’s bei dir in Vegas voran?«

Toni Scapia nahm einen langen Zug aus seinem Bierglas, rülpste dann unterdrückt, aber zufrieden.

»Ich hab eine verdächtige Import/Export-Firma in San Francisco ausfindig gemacht. Ich vermute, dass dieser Caspar Jakes aus Vegas sie jede Woche persönlich aufsucht. Dort dürften seine wirklichen Bosse sitzen und ihre Fäden über Hecksmith & Born ziehen.«

Jules Lederer entgegnete nichts darauf, blickte seinen Freund aber aufmunternd an, ihm mehr darüber zu erzählen.

»Die Firma ist mir aufgefallen, weil sie zwar Büroräume angemietet hat, jedoch über keinen öffentlich bekannten Telefonanschluss verfügt. Es ist das einzige Unternehmen im gesamten Haus, deren Telefonnummer man in keinem Verzeichnis findet. Auch besitzt die Firma keinen Internet-Auftritt. Dieser Jakes fährt jedenfalls immer in den 23. Stock und nimmt dann das Treppenhaus, um auf das Stockwerk darunter zu gelangen. Und nach seinem Besuch kehrt er auf demselben Weg zurück. Doch sicher bin ich mir nicht, ob er tatsächlich diese Import/Export Firma aufsucht oder eine andere.«

»Und wieso weißt du so genau, dass er die Treppe nach unten benutzt? Hast du ihn etwa so dicht beschatten lassen? Das muss er doch bemerkt haben?«

Jules Stimme drückte echte Besorgnis aus.

»Keine Sorge. Bis jetzt kam ihm niemand näher als fünfzig Meter. Doch ich habe im Treppenhaus auf Höhe des zweiundzwanzigsten Stockwerks eine Minikamera unter eine der Stufen geklebt. Auf den Aufnahmen ist Jakes zu sehen, wie er die Treppe zu dieser Etage benutzt.«

»Hast du auch die übrigen Unternehmen auf demselben Stockwerk genauer durchleuchtet?«

Tonis Gesicht verriet Unsicherheit.

»Wenn du mich so fragst, nein. Warum sollte ich?«

»Na, ich denke mir, dass sich eine Regierungsbehörde, und darauf hoffen wir ja, doppelt und dreifach absichert. Darum kann ich mir gut vorstellen, dass alle übrigen Mieter auf derselben Etage entweder Briefkastenfirmen sind oder etwas mit Regierungsbehörden zu tun haben.«

Scapia wiegte nachdenklich seinen Kopf.

»Guter Punkt. Ich werde das gleich morgen überprüfen lassen. Und wie kommt ihr in Mexiko voran?«

»In Juárez tobt ein brutaler Krieg zwischen den verschiedenen Drogenkartellen. Letztes Jahr wurden dort mindestens dreitausend Menschen umgebracht. Auf einer Liste der gefährlichsten Städte der Welt rangiert Juárez derzeit auf Platz eins. Bagdad mit seinen vielen Selbstmordattentaten liegt im Vergleich dazu abgeschlagen auf Platz zehn. So sieht die Lage in Juárez derzeit aus.«

Toni pfiff leise durch die Zähne.

»Scheint ein äußerst gefährliches Pflaster zu sein, das ihr euch für eure Ermittlungen ausgesucht habt?«

Jules nickte dazu nur kurz.

»Henry und ich sind in die Zentrale des derzeit wichtigsten Kartells von Juárez vorgedrungen und haben dort ein paar Unterlagen und einige Harddisks sichergestellt. Derzeit werden die Daten in London von Henry ausgewertet. Danach sehen wir weiter.«

»Und du versprichst dir viel davon, ein mexikanisches Drogenkartell auszuforschen?«

Jules zuckte leicht mit den Schultern.

»Die Geheimdienste der USA müssen sich für ihre inoffiziellen Aktivitäten von irgendwoher Geld beschaffen. Was liegt da näher als sich in den lukrativen, internationalen Drogenhandel einzuklinken und dort abzusahnen?«

»Du meinst, problemlose Einfuhr von Drogen gegen entsprechende Umsatzbeteiligung?«

»Sicher, Toni. Oder warum glaubst du, hat sich der Kokaintransport aus Mittel- und Südamerika so rasch über die Routen in Mexiko etablieren können? Es ist doch stets einfacher, Hand-in-Hand zu arbeiten, wenn Kunden und Dienstleister möglichst nahe beieinander leben.«

*

Jules kehrte nach seinem Abstecher nach New York wieder in sein Haus am Genfersee und zu Alabima und Alina zurück. Seine Frau schimpfte ihn bei seiner Ankunft einmal mehr einen elenden Herumtreiber, denn seit Jules den Auftrag der Banker aus der Schweiz übernommen hatte, war er kaum mehr eine Woche am Stück zu Hause gewesen.

Am späteren Nachmittag, es begann draußen bereits zu dämmern, suchte sich Jules zwei Dutzend Kerzen im Haus zusammen, ging mit ihnen in das große Bad nach oben, das zu ihrem Schlafzimmer gehörte, verteilte die Kerzen dekorativ auf Ablagen und Schränkchen und zündete sie allesamt an, ließ danach Wasser in die große, ovale Wanne fließen, schüttete nach Rosen duftendes Bade-Öl hinzu, dimmte das Licht.

Ihre Tochter Alina war zum Kindergeburtstag bei einer befreundeten Familie eingeladen. Seine Frau werkelte in der Küche, bereitete das Abendessen vor.

»Kommst du mal zu mir hoch, Alabima?«, rief er mit verhaltener Stimme ins Erdgeschoss hinunter.

»Was ist?«, kam ihre Antwort postwendend, »brauchst du Hilfe?«

»Ja, ich brauch zwei flinke Hände.«

Alabima kam die Treppe hoch, wischte sich ihre Finger an der Schürze trocken. Sie hatte wahrscheinlich Gemüse gerüstet oder Kartoffeln geschält. Ihr Gesichtsausdruck verriet eine gewisse Unsicherheit, aber auch eine kräftige Portion Schalk.

»Was um alles in der Welt...?«, begann sie, als Jules sie ins Badezimmer führte, verstummte aber beim Anblick des Lichtermeers der Kerzen und der dampfenden Wanne. Spöttisch lächelnd drehte sie sich Jules zu

»Und was hat das zu bedeuten?«

Statt einer Antwort umarmte Jules seine Frau, küsste sie zärtlich, begann gleichzeitig, ihr die Schürze hinter dem Rücken aufzubinden und dann den Reißverschluss ihres Kleides herunterzuziehen.

Alabima ging auf dieses Spiel ein und zog ihrerseits Jules das Hemd aus dem Hosenbund, knöpfte es mit flinken Fingern auf und zog es über seine Schultern.

Die Leidenschaft überkam die beiden. Sie rissen sich den Rest der Kleidung förmlich vom Leib. Jules umfasste Alabima mit den Armen, hob sie hoch und stieg mit ihr zusammen in das warme Wasser der großen Wanne.

Die schweren Brüste seiner Frau hoben und senkten sich im Takt ihrer Atmung. Ihre Warzen ragten steif hervor und auch Jules spürte, wie sich sein Penis zu regen begann. Alabima sah ihn lüstern an, packte recht grob nach seinem Glied, zog ihn näher zu sich heran. Dabei setzte sie sich auf den Wannenrand, schob seinen Stängel zwischen ihre Brüste, wippte mit ihrem Oberkörper vor und zurück, stimulierte auf diese Weise seine Männlichkeit, bis selbst der Hodensack steif und fest war. Dann ließ sie sich in der Wanne auf ihre Knie sinken und schob seine Eichel zwischen ihre Lippen, begann sie erst sanft, dann heftiger zu saugen. Jules stand mit leicht gespreizten Beinen über ihr, streckte sein Becken vor, hatte sein Gesicht zur Decke gerichtet und genoss mit geschlossenen Augenlidern die Zärtlichkeiten seiner Frau. Nach nur einer Minute hielt er es nicht mehr aus und spritzte ihr seine Samenladung leise aufstöhnend in den Mund. Alabima ließ noch nicht locker, hielt seinen Hodensack weiterhin mit einer Hand fest gepackt, saugte noch stärker an seinem Glied. Weitere Eruptionen erschütterten Jules, sein Becken und sein Bauch zuckten in Ekstase und er stieß ein langgezogenes Aaaaahhhh aus.

Alabima erhob sich, presste ihren wogenden Busen gegen seine Brust, umklammerte seinen Körper und drückte ihre Lippen auf die seinen. Als Jules mit seiner Zunge in ihren Mund vordrang, spürte und schmeckte er seinen Samen. Alabima hatte ihn nicht geschluckt. Der unerwartete Spermakuss erregte Jules sogleich von Neuem und der zuerst leicht aufgeflackerte Ekel vor dem eigenen Sekret vermengte sich mit neuer, ungeheurer Lust, wurde von ihr rasch verdrängt.

Gemeinsam sanken sie in die Wanne hinunter, ließen ihre Körper vom warmen Wasser umschmeicheln.

Alabima machte ihre Beine breit, öffnete sich Jules neu erregtem Glied. Er hob ihr Becken mit seinen Armen etwas an und glitt dann sanft zwischen ihre Schamlippen, begann sie sanft zu Stoßen. Nach zwei Minuten regte sich Alabima und machte Anstalten, sich in der Wanne umzudrehen. Jules zirkelte ihre Beine an seinem Oberkörper vorbei, ohne dass er sie mit seinem Penis verließ, was ihm einiges an Verrenkungen abverlangte. Auf Händen und Knien streckte ihm seine Frau endlich ihr Hinterteil entgegen, das seit der Geburt ihrer Tochter ein wenig fleischiger geworden war, jedoch immer noch fest und mit glatter Haut, sogar weicher und weiblicher als früher.

Jules spürte ihre aufregenden Pobacken an seinen Lenden. Sie beflügelten ihn und er stieß seine Frau immer heftiger. Alabima begann ihrerseits zu keuchen, streckte ihm ihr Hinterteil noch stärker entgegen, veränderte so den Winkel seines Eindringens, ließ sich dadurch stärker stimulieren. Nach einer kurzen Weile erzitterte ihr Rücken und sie zog gleichzeitig ihr Becken ein wenig zurück. Doch Jules folgte ihrer Bewegung, drang weiterhin kraftvoll und stark in sie hinein, ließ sie ihren Höhepunkt weitertragen, bis auch er ein zweites Mal abspritzte.

Alabima begann wie eine zufriedene Katze zu schnurren, während sie sich umdrehte und entspannt hinlegte. Jules fühlte sich glücklich.

*

Endlich meldete sich James Hancock bei Henry Huxley mit der guten Nachricht: »Komm bitte so rasch als möglich vorbei. Ich hab’s«, meinte er kurz angebunden am Telefon. Henry spürte aus dem Klang der Stimme seines guten Bekannten eine seltsame Bedrückung, vielleicht sogar eine Spur von Nervosität oder auch Furcht.

Keine halbe Stunde später traf er vor dem Haus an der St. Georges Road in Southwark ein. Er quetschte seinen Smart geschickt in eine enge Parklücke und stieg aus. Big Ben schlug gerade sechs Uhr abends. Es war ein kalter, unfreundlicher Nachmittag. Der Nebel verlieh dem Glockenklang eine besondere Fülle, ließ die Töne etwas dumpf, aber irgendwie auch voller, raumgreifender erschallen. Und so wirkte das Abendgeläut im bereits einsetzenden Zwielicht des späten Nachmittags beinahe unheimlich.

Henry zog den Reißverschluss seiner leichten Sportjacke hoch und blickte hinauf zur dunkelgrauen Himmelswand, aus der einzelne, feine Tropfen kondensierten, niederfielen und das Pflaster um ihn herum benetzten. Es roch nach altem Motorenöl und irgendwie modrig und moosig.

Keine freundliche Gegend, die sich James als Wohnort ausgesucht hat, dachte sich Henry wie bei jedem seiner Besuche. Doch der Professor für Kybernetik war nun einmal in Waterloo aufgewachsen und nach seinen Sturm- und Drang-Tagen in der Fremde wieder hierher in sein Elternhaus zurückgekehrt.

Henry betätigte den Klingelknopf. Ein durchdringendes Rrrrrriiiiinnnng ertönte im Innern des Hauses, schien die Glasfüllung in der Eingangstüre erzittern zu lassen. Im Flur ging das Licht an. Dann erkannte Henry einen Schatten hinter der Milchglasscheibe. Die Haustüre wurde einen Spalt weit aufgezogen, gesichert durch eine Vorlegekette. James spähte vorsichtig hinaus. Er atmete sichtbar auf, als er Henry erkannte. Rasch löste er die Kette und ließ seinen Freund eintreten.

»Du wirkst erschrocken, James«, meinte Henry, nachdem Hancock die Türe in die Falle gedrückt hatte und ihm im Flur voraus ging, um ihn in sein Labor zu führen.

»Das, was ich bisher an Daten von diesen Harddisks entschlüsseln konnte, hat mich tatsächlich etwas nervös gemacht«, gab der Professor unumwunden zu und sah Henry dabei eindringlich und gleichzeitig verunsichert an.

Huxley nickte ihm aufmunternd zu: »Na, so schlimm wird’s kaum sein, oder?«, worauf ihn sein Bekannter vorwurfsvoll anblickte.

»Komm«, sagte er aber nur und stieß die Türe zum Labor auf.

Sie setzten sich hinter einen der beiden großen Schreibtische, auf denen Bildschirme wie Pilze an einer feuchten Höhlenwand wucherten. Hancock rückte ein Keyboard und eine Maus zurecht, tippte ein Passwort ein und öffnete mit ein paar Mausklicks einige Dateien.

»Das hier«, und damit deutete Hancock mit dem kleinen Pfeil auf eines der Dokumente, »ist eine Aufstellung über verschiedene Bargeldablieferungen. Es handelt sich dabei um eine Wechselstube am Flughafen von Mexiko City. Die tauschen dort, wie es scheint, US-Dollars in mexikanische Pesos um.«

»Und?«, Henrys Stimme verriet bloß mittelmäßiges Interesse.

»Schau dir mal die Beträge an, hier.«

Hancock fuchtelte mit dem Mauszeiger über den Bildschirm und Huxley rückte näher, um die Zahlen lesen zu können. Dann blickte er den Professor überrascht an.

»Hast du das mal addiert?«

»Hab ich. Es sind zweihundert und achtunddreißig Millionen Dollar. Und das bloß im Monat August 2008. Ich hab auch noch zwei, drei andere Dateien gecheckt. Überall ähnlich hohe Summen.«

»Und was ist mit dem vielen Geld passiert?«

»Schau hier.«

Hancock klickte ein weiteres Dokument an. Es stellte sich als Kontoauszug der Wachovia Bank, Filiale Mexico City, für den August 2008 heraus. Darauf waren viele einzelne Zahlungseingänge vermerkt, aber auch ein paar große Belastungen aufgeführt.

Henry schluckte trocken, denn was er hier sah, das schien tatsächlich Sprengstoff zu sein. Da zahlte eine Wechselstube vom Flughafen jeden Tag ein paar Millionen Dollar bar auf ihr Konto ein und ließ es anschließend in wöchentlichen Tranchen auf ein Bankkonto in den USA weiterleiten. Das roch doch selbst für einen blutigen Anfänger nach Geldwäscherei. Hatten die Banker in Mexico City etwa Tomaten auf den Augen?

»Es kommt noch besser«, meldete sich Hancock, diesmal in einem bissig-satirischen Tonfall, und riss Henry aus seinem Gedankengang, »hier, das Empfängerkonto bei der Wachovia in Miami.«

Er öffnete ein drittes Dokument und Henry sah dort die wöchentlichen Überweisungen aus Mexico City aufgelistet. Daneben gab es eine große Anzahl von Belastungen. Sie gingen in alle Welt, vornehmlich aber an Banken in der Karibik. Erst sammeln, danach verteilen, um es später wieder zu sammeln und dies am besten über mehrere Kontinente und ein Dutzend Bankinstitute hinweg. Klassische Geldwäsche, doch in einer Größenordnung, die schwindlig machte.

»Kannst du den Weg dieses Geldes weiterverfolgen?«

»Nur zum Teil. Ich hab ein Konto bei der Bank of America in Brownsville in Texas gefunden. Es lautet auf eine unbedeutende Firma in Delaware. Auf dieses Konto wurden 2006 innerhalb von zwei Monaten knapp zwanzig Millionen Dollar überwiesen. Wenig später hat man davon eine ausgemusterte DC-9 gekauft. Hier ist die Rechnung der Airline, die ihnen die Maschine verkauft hat.«

Henry blickte fasziniert auf das Dokument, in dem auch die Kennung des Flugzeugs aufgeführt war. Diese McDonald-Douglas würden sie wiederfinden können, egal, wo sie sich auf der Welt gerade befand.

»Weiter«, befahl Henry seinem Bekannten. Auch James schien seine Furcht mittlerweile abgelegt zu haben, wirkte aufgekratzt und eifrig, bis hin zu einer Art von Fiebrigkeit.

»Ich konnte mir bislang erst einen ungefähren Überblick verschaffen. Die Fülle an Dokumenten und Dateien ist ganz einfach erschlagend. Wenn du dieses Material den Behörden zuspielst, dann wird es ziemlich rau zu und hergehen. Das ist Zündstoff pur für jeden Steuerfahnder.«

Mit diesen Worten kehrten die Gedanken von Hancock wieder zu seinem ursprünglichen Problem zurück. Er war durch Henry Huxley zum Mitwisser über ein illegales Milliarden-Dollar-Geschäft geworden, hatte Namen von Firmen, Personen und Banken gelesen, wusste über einige der Wege und der Methoden der Geldwäsche Bescheid. Nicht auszumalen, wenn der Eigentümer dieser Harddisks all das herausfand. Er wäre mit Sicherheit ein toter Mann.

Seine Stimmung trübte sich bei diesem Gedanken augenblicklich.

»Bitte versteh mich nicht falsch, Henry, aber ich habe schon viel zu viel von dem Zeug gelesen. Ich weiß nicht, woher diese Harddisks stammen, und ich möchte im Grund genommen auch nichts weiter über sie erfahren. Doch der Eigentümer der Daten wird bestimmt alle Hebel in Bewegung setzen, um sie zurückzubekommen. Und er wird jeden aus dem Weg räumen, der zum Mitwisser wurde.«

Henry drückte verständnisvoll und freundschaftlich den Oberarm von Hancock: »Keine Sorge, James, ich kann dich gut verstehen und es tut mir ehrlich leid, dass ich dich in diese Angelegenheit hineingezogen habe. Ich konnte nicht ahnen, dass die Daten so brisant sind. Doch eine Bitte hätte ich trotzdem noch. Kannst du mir den Inhalt dieser Harddisks vollständig entschlüsseln und die Daten auf CDs brennen? Dann nehme ich alles mit und niemand wird jemals erfahren, dass du mir bei der Entschlüsselung geholfen hast.«

Hancock nickte: »Okay, Henry. Komm morgen früh, so auf neun Uhr, noch einmal hierher. Bis dahin werde ich wohl fertig sein.«

Huxley verabschiedete sich von Hancock und hatte dabei das unbestimmte Gefühl, einen weiteren guten Bekannten und Freund verloren zu haben. Jimmy Access würde sich bestimmt hüten, ihn in nächster Zukunft noch einmal zu treffen.

*

Die nächsten zwei Wochen verbrachte Henry damit, die Datenfülle der Harddisks zu sichten, zu katalogisieren und auf diese Weise nach und nach ein Netzwerk an Geldströmen aufzuzeichnen. Im Mittelpunkt des entstehenden Geflechts an Firmen und Bankkonten saß als fette Spinne die Wachovia Bank mit Hauptsitz in Charlotte, ein alteingesessenes Institut, gegründet im Jahre 1879 und bis zur Finanzkrise im Grunde genommen über die meisten Zweifel erhaben.

Doch die Auswertung der Dokumente ergab ein klares Bild. Viele Milliarden von US-Dollars waren über die Konten dieser Bank aus Mexiko und anderen Ländern in die USA geflossen. Dort wurden sie gesammelt und anschließend weitergeleitet. Doch die ungeheure Menge und die zweifelhafte Herkunft des Geldes hatten bestimmt sämtliche Alarmglocken der Bank schlagen lassen. Henry stellte zudem fest, dass diese riesige Geldwaschmaschine über sehr lange Zeit in Betrieb war, zumindest fünf Jahre lang. So etwas war im Grunde genommen nur möglich, wenn das oberste Management der Bank gemeinsame Sache mit dem Drogenkartell in Juárez machte.

Wo lag wohl die Grenze zwischen einem Manager einer Bank und einem Ganoven? Hier wurde sie auf jeden Fall weit überschritten. Schon Karl Marx meinte vor mehr als hundert Jahren, was ist schon ein Bankraub im Vergleich zur Gründung einer Bank.

Die Wachovia war ein erschreckendes Beispiel dafür, zu was Geldgier führen konnte. Denn wer diese Drogengeldwaschmaschine aufgebaut und für das Kartell betrieben hatte, der wusste ganz genau, dass hinter den riesigen Summen aus einem Drittweltland auch Tausende von Toten und Millionen von Verzweifelten standen. Nicht nur Kriminelle und Drogenjunkies, sondern auch viele unbeteiligte, ja zufällige Opfer, Familienangehörige und Freunde.

Huxley dachte mit Grauen an das Ausmaß seiner Entdeckung. Denn das Juárez Kartell war ja nur eines von über einem halben Dutzend und die aufgelisteten Umsätze in Milliardenhöhe musste man darum vervielfachen, um die eigentliche Dimension zu erhalten. Ein solch riesiges Geschäft konnte nur unter dem Deckmantel von mächtigen staatlichen Behörden betrieben werden. Geheimdienste wie Regierungsstellen mussten daran beteiligt sein, hingen bestimmt längst am Geldtropf der Drogenmafia, waren mit ihr verbandelt.

Henry musste sich unbedingt mit diesem James Woods in Verbindung setzen.

*

Vicente Carrillo Fuentes saß in einem provisorisch eingerichteten Büro im Schlachthof von Gonzales Alvarez. Der Kartellboss war äußerst gereizt. Vor drei Wochen hatte er Jeffrey Immels angewiesen, ihm die Passagierlisten vom Flughafen in El Paso zu bringen und seitdem nichts mehr vom CIA Agenten gehört. Das musste sich schleunigst ändern.

»Rocky«, rief er befehlend ins Vorzimmer hinüber, zu dem die Bürotür offenstand. Sofort erhob sich dort einer der vier wartenden Mexikaner ächzend vom niedrigen Sofa und ging zu seinem Boss hinüber. Rocky war nur mittelgroß, jedoch ungeheuer breit gebaut, mit einem mächtigen Brustkorb und überdicken Oberarmen. Sein Kopf schien kugelrund, mit kurz geschnittenem, schwarzem Haar. Das Atmen durch seine breite, flach gedrückte Nase fiel ihm schwer und er schnaufte darum ständig, so dass er einem gereizten Toro glich, der durch seine Nüstern schnaubte.

»Ja, Vicente?«

Carrillo pflegte einen eher lockeren Ton mit allen Mitarbeitern, im besonderen Maße jedoch mit seinen zahlreichen Leibwächtern. Die Bindung zu ihnen verstärkte sich durch den familiären Umgang und wer verrät schon gerne seinen Vater oder den eigenen Bruder, lässt ihn abschießen oder tötet ihn gar selbst?

»Geh rüber nach El Paso und such diesen Jeffrey Immels auf. Sag ihm, meine Geduld ginge langsam zur Neige.«

»Zur Neige?«

Rocky schien über keinen allzu großen Wortschatz zu verfügen.

»Na, zu Ende, conexíon, al final.«

»Aha, das meinst du, Boss«, der Toro nickte bedächtig, »und wo finde ich diesen Immels?«

Stupide Menschen waren zwar nützlich, konnten einem aber auch gehörig auf den Senkel gehen. Carrillo schluckte eine scharfe Erwiderung, die bereits auf seiner Zunge lag, trocken hinunter und bellte stattdessen: »Na, wo schon. Im Hotel Carlyle. Das solltest du mittlerweile wissen.«

»Und wenn er nicht dort ist?«

Carrillo Geduldsfaden spannte sich bis knapp vor dem Zerreißen.

»Dann hinterlässt du ihm eine Nachricht an der Rezeption.«

Rocky wandte sich um und tappte zur Tür, drehte sich dann aber wieder zu Carrillo um.

»Was für eine Nachricht?«

Der Kopf des Kartellbosses lief dunkelrot an, während sich seine Augen vor Verzweiflung und Wut weiteten. Rocky quittierte dies mit einem verstört fragenden Blick. Ihm war immer noch nicht bewusst, dass er mit seiner Dämlichkeit kurz vor einer Bleikugel im Schädel stand.

Vicente Carrillo stieß hörbar die Luft aus seinen Lungenflügeln und die ungesunde Farbe wich aus seinem Gesicht.

»Dass meine Geduld bald zu Ende sei.«

Rocky nickte.

»Comprende, Vicente. Bitte hab etwas Geduld mit mir. Ich kapier nicht alles auf Anhieb.«

»Aber die habe ich doch, Rocky«, meinte Carrillo mit aufgesetzter Freundlichkeit, hinter der sich seine innere Wut nur ungenügend verbarg, »und schließe bitte die Türe hinter dir.«

Der Muskelmann war noch nicht lange Teil seines Rund-um-die-Uhr Bewachungsteams, vielleicht seit drei Monaten. Er ersetzte Franco, der in Untersuchungshaft saß und auf seine Verhandlung beziehungsweise auf seine sichere Verurteilung wegen Mordversuch und illegalem Waffenbesitz wartete. Franco würde wohl kaum in den nächsten sechs Jahren freikommen. Mit etwas Wehmut dachte Carrillo an den ehemaligen Footballspieler, der viele Jahre als Verteidiger bei den Arizona Cardinals gearbeitet hatte und ihm seit seinem Karriereende gute Dienste leistete. Mit seinen dreihundert zwanzig Pfund war Franco stets ein gewichtiges Argument in jeder körperlichen Auseinandersetzung gewesen. Und dabei war der Zwei-Meter-Mann auch noch mit einem gehörigen Maß an Intelligenz ausgestattet, im Gegensatz zum stupiden Rocky. Mit seiner Dämlichkeit war dieser geistige Blindgänger ein Risiko. Carrillo war längst klar geworden, dass er für seinen neuen Bodyguard mittelfristig eine abschließende Lösung finden musste. Eine Felsspalte in den Bergen und eine gnädige Kugel im Kopf konnten das Problem rasch aus der Welt schaffen. Carrillo nahm sich vor, daran zu denken, wenn er seine rechte Hand Armando das nächste Mal traf.

Leise ging die Tür wieder auf und Rocky schob seinen Kopf ins Büro, sah Carrillo treuherzig an.

»Was ist denn noch?«, fuhr dieser seinen Leibwächter an, »bist du immer noch nicht unterwegs?«

»Ich hab’s ihm ausgerichtet, Vicente«, vermeldete der Muskelmann stolz.

»Wem ausgerichtet?«

»Na, diesem Immels. Ich hab ihm gesagt, dass deine Geduld zu Ende sei.«

Carrillo schüttelte verwirrt seinen Kopf.

»Wie? Was?«

»Na, er ist doch hier, dieser Immels, eben eingetroffen.«

Der Kartellboss fühlte sich auf einmal unendlich müde. Zehn Minuten mit Rocky zu verbringen war mindestens so anstrengend wie zwei Stunden lang als einziger Hirtenhund eine große Schafherde zusammen zu halten. Seine geistigen Lämmer wollten nicht zusammenbleiben, strebten ständig auseinander.

»Und warum lässt du ihn dann nicht herein, Rocky?«

Die Stimme von Carrillo klang sanft, fast säuselnd und drückte Geduld und Freundlichkeit aus. Gleichzeitig blitzten die Augen des Bosses jedoch gefährlich böse auf, was diesmal sogar vom Muskelmann bemerkt wurde. Mit einem, »entschuldige«, zog er rasch seinen Kopf aus dem Türspalt.

Jeffrey Immels kam ein paar Sekunden später gutgelaunt wie immer und mit seinem grässlichen, breiten Südstaatenlächeln herein und drückte gleich die Tür hinter sich ins Schloss. Noch auf dem Weg zum Pult öffnete er die mitgebrachte Ledermappe und zog einen Stapel mit Blättern hervor, die er vor Carrillo hinlegte.

»Hier, bitte sehr, Vicente, wie von Ihnen bestellt.«

Der Kartellboss blickte kalt auf seinen Verbindungsmann zur CIA.

»Und warum hat es so lange gedauert? Hattet ihr so viele von euren eigenen Leuten zu streichen?«

Immels überhörte den gefährlich gereizten Unterton in der Stimme von Carrillo keineswegs. Etwas Kaltes und Feuchtes schien plötzlich seinen Rücken hinunterzukriechen. Immels räusperte sich.

»Nein, das nicht. Doch wir haben die Liste selbst erst einmal etwas genauer unter die Lupe genommen. Wenn Sie mir nur ein paar zusätzliche Hinweise zu den Tätern machen könnten, würden wir Sie gerne bei der Suche nach ihnen unterstützen.«

Der letzte Satz kam fast treuherzig über die Lippen des sonst knallharten Agenten. Carrillo lächelte ihn dünn an.

»Solange ich nicht weiß, wer tatsächlich hinter dem Überfall steckt, traue ich nicht einmal meinen eigenen Leuten über den Weg, geschweige denn Ihrer Agency.«

Nach diesen kalt gesprochenen Worten kam sich Jeffrey Immels recht überflüssig vor, da sich der Kartellboss über die Papiere gebeugt hatte und zu lesen begann. Den CIA-Beamten überkam das unbestimmte Gefühl, es wäre seiner Gesundheit zuträglicher, möglichst rasch zu gehen. Er wartete deshalb mit zunehmender Ungeduld auf seine Entlassung.

»Also gut, Vicente. Melden Sie sich bitte, wenn ich noch etwas für Sie tun kann.«

Carrillo hatte sich in seinem Bürostuhl zurückgelehnt und betrachtete sein Gegenüber schweigend und abschätzend. Leicht wippte die Lehne hin und zurück, verriet damit die innere Anspannung des Kartellbosses. Immels drehte sich wortlos auf seinen Absätzen um und verließ das Büro beinahe fluchtartig und ohne einen Abschiedsgruß. Nie zuvor in seinem recht bewegten Leben hatte er je den eisigen Hauch des Todes so deutlich und so nahe verspürt.

*

Für sein erstes Zusammentreffen mit Martin Woods hatte sich Henry die Food Hall von Harrods, genauer gesagt die Abteilung für Früchte und Gemüse ausgesucht. Woods war zwar vom Ort anfänglich etwas irritiert gewesen, fühlte sich zwischen den vielen ausländischen Touristen und den wenigen Londonern auch sichtlich unwohl. Doch nach zwei, drei Minuten wurde ihm bewusst, wie klug der Ort im Grunde genommen ausgesucht war. Das Stimmengewirr in mehreren Sprachen verursachte einen hohen Lärmpegel, der von den Kacheln zurückgeworfen und noch verstärkt wurde, so dass man zeitweise kaum sein eigenes Wort verstand. In diesem Raum musste wohl jedes Richtmikrophon kläglich scheitern. Zudem waren die vier Eingänge zur Halle einfach zu überblicken.

»Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich gefunden haben.«

Woods hatte sich eben noch einen kunstvoll geschichteten Haufen wunderschöner, gewachster und polierter Äpfel angesehen. Henry Huxley hatte sich mit seinem Einkaufskorb daneben gestellt und besah sich ebenfalls die Ware, wirkte unentschlossen und kritisch.

»Was möchten Sie von mir wissen?«

Das ganze Treffen kam dem ehemaligen Geldwäscherei-Experte der Wachovia Bank unwirklich vor. Ihn beschlich plötzlich die Vorstellung, es könnte sich um einen üblen Scherz oder gar um Versteckte Kamera handeln. Man vereinbarte mit einem Prominenten fünfter Klasse eine seltsame Zusammenkunft, brachte ihn in eine unmögliche Situation und führte ihn so den Zuschauern vor. Unwillkürlich suchte er die Gestelle nach verborgenen Linsen ab.

Henry hatte erst das Minenspiel und den anschließenden Rundblick von Woods bemerkt und lächelte dünn.

»Keine Sorge, Mr. Woods. Ich bin echt und ich habe auch einige Fragen an Sie.«

»Aber warum dieser Ort? Ich komm mir vor wie in einem schlechten Agententhriller.«

»Zu Ihrer eigenen Sicherheit, Mr. Woods. Es ist besser, wenn man Sie nicht mit mir in Verbindung bringen kann.«

Woods blickte Huxley zweifelnd an, überlegte sich ernsthaft, ob er diesen seltsamen Menschen neben sich nicht besser stehen ließ und nach Hause ging. Doch Henrys nächste Worte hielten ihn auf jeden Fall auf.

»Sie waren bei der Wachovia für Geldwäscherei etwa drei Jahre lang tätig, haben danach ihre Anstellung gekündigt. Können Sie mir sagen, warum?«

Woods blickte etwas verärgert auf Huxley, der seinen Blick in der Halle umherschweifen ließ, so als suchte er ein bestimmtes Gemüse oder eine Fruchtsorte.

»Die Gründe gehen Sie nichts an«, bemerkte der ehemalige Supervisor kurz angebunden.

»Sie waren doch auch für Scotland Yard tätig? Zumindest dort waren Sie bestimmt ein stets ehrlicher und loyaler Beamter, wie man mir erzählt hat.«

Woods Gesicht drückte Unwillen und Misstrauen aus.

»Hören Sie. Wer sind Sie eigentlich, dass Sie glauben, über mich Bescheid zu wissen und mich beleidigen zu können?«

Henry hob beschwichtigend seine rechte Hand.

»Mir wurden Unterlagen zugespielt. Sie betreffen verschiedene Geschäftskonten bei der Wachovia in den USA und Mexiko«, begann er seine Erklärung, »und diese Dokumente zeigen einen solch ungeheuren Fall von Geldwäscherei auf, dass es unmöglich erscheint, Sie und Ihre Mitarbeitenden bei der Wachovia hätten ihn übersehen können.«

Der ehemalige Beauftragte gegen Geldwäscherei nagte verunsichert auf seiner Unterlippe.

»Papier ist geduldig«, versuchte er dann doch abzuwimmeln, was Henry sogleich quittierte.

»Sagt Ihnen der Name einer Kette von Wechselstuben etwas? Casa de Cambio Puebla? Oder die Firma Fun Stuff Enterprise in Miami? Oder wissen Sie vielleicht sogar etwas über den Kauf einer DC-9 von der Delta Airline über ein Konto der ehemaligen Wachovia Bank?«

Das Gesicht von Woods lief weiß an und er schluckte trocken: »Sie scheinen über einige Informationen zu verfügen, wie mir scheint. Doch damit können Sie mich nicht erpressen.«

Henry winkte ab.

»Mir geht es nur um eines: Haben Sie Ihren Job gekündigt, weil man Sie im Management beim Kampf gegen die Geldwäscherei nicht unterstützt hat? Oder lagen andere Gründe vor.«

Woods kämpfte nicht lange mit sich. Sein Gewissen verlangte schon seit langer Zeit von ihm, Informationen über all die illegalen Tätigkeiten seines früheren Arbeitgebers öffentlich zu machen. Auch wenn ihm seine Austrittsvereinbarung dies ausdrücklich verbot und er mit harten Zivilklagen rechnen musste.

»Ja, ich war dort bloß das Feigenblatt für die Finanzmarktaufsicht. Die ersten beiden Jahre dachte ich noch, ich könnte wirklich etwas bewegen, kam mir wie Herkules vor, der einen riesigen Stall auszumisten hat. Doch als auch äußerst stichhaltige Beweise für Geldwäscherei-Geschäfte vom obersten Management in Charlotte einfach vom Tisch gewischt wurden und man mir einen Maulkorb verordnete, musste ich aufgeben. Diese Bank war in ihrem innersten Kern durch und durch unmoralisch und verdorben. Und ich empfinde es als großes Glück und als Gerechtigkeit, dass sie im Strudel der Finanzkrise unterging und in neue Hände kam.«

Henry leckte sich über die Oberlippe. Er spürte, dass Woods nur zu gerne sein Herz weiter ausschütten wollte.

»Und wie groß ist nach Ihren Untersuchungen der Gesamtbetrag der gewaschenen Drogengelder aus Mexiko bei der Wachovia?«

Der Blick von Woods ging durch die Reihen von Früchten und Gemüsen hindurch, verlor sich in der Unendlichkeit.

»Dreihundert und achtundsiebzig Milliarden US-Dollar«, murmelte er mehr zu sich selbst als an die Adresse von Huxley. Henry stieß vor Überraschung einen leisen Pfiff durch seine Zähne aus, der Woods in die Wirklichkeit zurückholte.

»Wären Sie an einer Zusammenarbeit interessiert?«, hakte Huxley nach, wollte den Fisch nicht mehr von der Leine lassen.

»Wer steckt hinter Ihnen?«, wandte sich der Geldwäscherei-Experte Henry zu, »etwa der Britische Geheimdienst? Oder gar eine amerikanische Organisation?«

Henry blickte sich neuerlich suchend in der Halle um, konnte aber weiterhin keine verdächtigen Personen ausmachen.

»Nein. Wir ermitteln auf private Initiative hin.«

Woods stutzte und blickte Huxley dann scharf an.

»Das müssen Sie mir näher erklären.«

*

Atemlos stürzte Armando Vasquez ins Büro von Vicente Carrillo, blieb keuchend vor seinem Pult stehen und starrte seinen Boss mit weit geöffneten Augen an. Sie drückten gleichermaßen Furcht und Verzweiflung aus.

»Was ist«, schnauzte ihn Vicente nach drei Sekunden an, während seine rechte Hand immer noch japste.

»Sie … sind … weg«, stieß er zwischen dem heftigen Schnaufen hervor.

»Wer ist weg?«

»Die … Harddisks... «, stammelte Vasquez.

»Von was sprichst du, Armando?«

Aus der Stimme von Vicente konnte man den leichten Ärger heraus spüren, aber auch ein bereits aufkommendes Desinteresse.

»Die Harddisks aus den Servern, aus unserem früheren Hauptquartier.«

Vicentes Gesichtszüge versteinerten und sein linkes Augenlid begann zu flackern, während der Boss des Juárez-Kartells seine Gedanken fliegen ließ.

»Etwa unsere Buchhaltung?«, schrie er seinen Stellvertreter plötzlich an, sprang auf und packte Vasquez mit seinen kräftigen Fäusten über die Pultplatte hinweg am Revers der Jacke und zog ihn halb zu sich hinüber.

»Sag, dass das nicht wahr ist«, herrschte er ihn an, bevor er seinen Mitarbeiter von sich stieß.

»Doch. Alles ist weg. Die gesamten Daten. Es fiel einem Arbeiter auf, der beim Abbruch des ausgebrannten Gebäudes mithalf. Er hat sich über das fast leere Metallgehäuse gewundert und es seinem Vorarbeiter gezeigt. So kam es raus.«

Vicente Carrillo setzte sich wieder zurück in seinen Sessel hinter dem Pult und starrte Vasquez finster an.

»Und was bedeutet das für uns?«

Armando schluckte erst einmal trocken und begann dann zu erklären: »Vorerst wahrscheinlich gar nichts. Alle Daten sind selbstverständlich verschlüsselt. Mit der neuesten Technik. Da kommt niemand so leicht ran. Von allen Dateien hatten wir selbstverständlich auch Sicherheitskopien zur Verfügung. Die lagen wie immer im feuersicheren Schrank gut verstaut und hatten den Brand unbeschadet überstanden. Darum dauerte der Unterbruch auch bloß zwei Tage, bis wir wieder voll funktionsfähig waren.«

Die Worte seines Stellvertreters besänftigten den Boss des Kartells ein wenig. Äußerlich wieder völlig ruhig und sachlich fragte er: »Und wie groß sind die Chancen, dass die Diebe unsere Verschlüsselung knacken können?«

Vasquez beeilte sich mit der Antwort.

»Unsere Experten sagen, die Amerikaner könnten es schaffen, zumindest der NSA. Ebenfalls die Israelis. Die Russen und Chinesen mit großer Sicherheit genauso. Vielleicht sogar ein paar europäische Länder. Aber niemand aus Mexiko oder sonst wo in Lateinamerika.«

Carrillos Gehirn begann zu rasen.

Wer steckte bloß hinter dem Überfall und dem Diebstahl der Daten? Laut Jeffrey Immels war es bestimmt keine amerikanische Behörde. Und die Chinesen, Russen und Israelis hatten wohl kein Interesse an ihrem Grenzgeschäft mit den USA. Blieben höchstens noch die Europäer. Doch was konnte deren Motiv sein? Das Kokain für den alten Kontinent ging direkt von Kolumbien und Ecuador aus über See- und Luftfrachten auf den alten Kontinent. Und soweit er wusste, beteiligte sich kein einziges der mexikanischen Kartelle an diesem Geschäft. Was hätten also die Europäer gegen ihn hier in Juárez haben können?

Carrillo hatte eine Entscheidung getroffen.

»Na gut. Die Liste mit den Flugpassagieren hast du von mir erhalten. Ich will, dass jeder einzelne von ihnen überprüft wird. Schaut euch vor allem die Europäer genauer an. Ein Gefühl sagt mir, dass wir dort am Ehesten fündig werden.«

Und als sich Vasquez abwenden wollte, ergänzte er: »Ich will die Schweinehunde lebend in meine Finger bekommen, Armando. Ich will nicht, dass sie einen allzu leichten Tod sterben.«

Retourkutsche

Подняться наверх