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Geheiligt werde dein Name

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Nach der Einleitung „Unser Vater, der du bist in den Himmeln“ fährt Jesus mit den Worten fort: „Möge er geheiligt werden, dein Name“ (eigene Übersetzung). Dieser Satz scheint auf den ersten Blick widersinnig. Gott zu bitten, sein Name möge geheiligt werden, klingt, als würde man sagen: „Möge das Holz hart werden“ oder „Möge das Feuer heiß werden“. Das Holz ist bereits hart und das Feuer bereits heiß. Gottes Name ist die heiligste Wirklichkeit überhaupt. Alles andere mag unrein sein, doch Gottes Name ist heilig. Allerdings kann er entweiht werden.

In Hesekiel 36,16-23 muss der Prophet dem Volk Israel sagen, dass es das Land durch Blutvergießen und Götzenverehrung entweiht hat. Dann vertrieb Gott das Volk, und dabei wurde Gottes heiliger Name in den Augen der nicht jüdischen Völker entehrt, denn Gott schien zu schwach, um sein Volk zu retten. Wie in Abbildung 8.1 dargestellt, verkündet Gott daraufhin:

Da tat es mir leid um meinen heiligen Namen, Mein heiliger Name
den das Haus Israel unter den Nationen entweiht hatte,wohin sie auch kamen. entweiht unterden Nationen
Darum sage zum Haus Israel: So spricht der Herr, HERR:Nicht um euretwillen handle ich, Haus Israel,sondern um meines heiligen Namens willen, nicht für euchfür meinenheiligen Namen
den ihr entweiht habt unter den Nationen,zu denen ihr gekommen seid. entweiht unterden Nationen
Und ich werde meinen großen,unter den Nationen entweihten Namen heiligen. Ich heilige meinen Namen

Abbildung 8.1: Hesekiel 36,21-23

Der hier beschriebene Gedanke ist, dass Gott seinen eigenen Namen heiligt. Dieser Gedanke ist in Hesekiel 20,41-42 bereits deutlich auf den Punkt gebracht, wo es heißt: „… und ich mich an euch als heilig erweise vor den Augen der Nationen. Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich euch in das Land Israel bringe […].“ Karl Kuhn schreibt: „Gott selbst [ist] es …, der seinen Namen als heilig erweist.“106 Zunächst ist der Ausdruck „Heilige deinen Namen“ etwas, das Gott selbst tut: Er macht seinen Namen heilig, indem er rettend in die Geschichte eingreift.

Im engeren Sinn trifft dies immer zu, wenn der Ausdruck heilig machen im Passiv auftritt. Wenn in der Hebräischen Bibel das Verb heilig machen im Passiv verwendet wird, ist immer Gott der Handelnde. Daraus folgt, dass die Formulierung „Dein Name werde geheiligt“ im Vaterunser bedeutet: „O Gott, wir flehen dich an, dass du deinen eigenen Namen heilig machst.“ Denn kein Mensch kann je solch einen Ehrfurcht gebietenden göttlichen Akt ausführen! Doch selbst wenn uns diese Dinge bewusst sind, ist die Formulierung trotzdem noch geheimnisvoll, zum Teil, weil es um Gottes Namen geht.

Worin liegt die Bedeutung von Gottes Namen, der geheiligt werden soll? Einfach ausgedrückt, ist Gottes Name der Zugangspunkt zu Gott, an dem es Menschen möglich ist, mit Gott zu kommunizieren. Dieser Gedanke stammt aus dem antiken Nahen Osten und spiegelt sich in Moses Worten am brennenden Dornbusch wider (2Mo 3,1-22). Dort spricht Gott mit Mose, der darauf besteht, Gottes Namen zu erfahren. Hinter der Geschichte steht die unausgesprochene Annahme, dass Mose nicht mit Gott kommunizieren kann, wenn er seinen Namen nicht kennt. Gottes Name ist außerdem eine Zusammenfassung seines Wesens. Seine Kenntnis ist ein Bekenntnis: dass Gott personal ist, dass man ihn kennen kann (Mt 28,19), und dass Offenbarung immer ein Akt Gottes ist.

Hier ist ein kleiner Exkurs angebracht. Wenn eine Aussage im Passiv Gott als eigentlichen Urheber der Handlung hat, spricht man von einem passivus divinus, einem „göttlichen Passiv“. Juden im ersten Jahrhundert achteten streng darauf, Gottes Namen nicht auszusprechen, es sei denn, es war unbedingt notwendig. Sie spürten, dass jeder gedankenlose Gebrauch von Gottes heiligem Namen unabsichtlich einen Verstoß gegen die Zehn Gebote darstellen könnte, in denen es heißt, wir sollen Gottes Namen „nicht zu Nichtigem aussprechen“ (2Mo 20,7). Um dieser Gefahr aus dem Weg zu gehen, entwickelten sie Methoden, von Gott zu sprechen, ohne seinen Namen in den Mund zu nehmen. Als verbindliche Regel wurde der heilige Gottesname (Jahwe) beim Lesen der Heiligen Schrift durch die Worte Adonaj (mein Herr) oder Elohim (Gott) ersetzt. Manchmal erfüllten die Umschreibungen „Engel“ oder auch „der Name“ den gleichen Zweck. Zusätzlich setzten sie eine Aussage oft einfach ins Passiv.

In den Worten Jesu in den Evangelien finden sich über zweihundert Fälle dieses göttlichen Passivs. Dies zeichnet Jesus in seiner Redeweise als Juden des ersten Jahrhunderts aus. Der Satz im Vaterunser, den wir hier untersuchen, gehört dazu. In der Heiligung seines Namens ist Gott der Handelnde.107

Dies führt zu der Frage, wie die Heiligkeit Gottes und die Heiligkeit seines Volkes miteinander in Verbindung stehen. Gott offenbart sich – das heißt, seine Heiligkeit – durch große Heilstaten in der Geschichte, und zu dieser Offenbarung gehört auch sein Name. Die Gemeinde sieht zu. Welche Auswirkungen hat dies auf sie – oder sollte es haben?

Weil Gott heilig ist, muss auch sein Volk heilig sein (5Mo 7,6; 26,18). Als Zeugen seiner Heiligkeit werden sie herausgefordert, in der gleichen Heiligkeit zu leben. Die große Vision Jesajas im Tempel gehört zu den Stellen, die dieses Prinzip am deutlichsten zeigt (Jes 6,1-10).

Gott heiligt seinen Namen, indem er seine Heiligkeit zeigt. In Jesaja 6,1-5 beschreibt der Prophet seine große Vision von Gottes Heiligkeit im Tempel. An diesem heiligen Ort sieht er „den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Thron“. Über ihm sind Seraphim, die je sechs Flügel besitzen. Diese himmlischen Wesen bedecken ihre Gesichter und Füße und rufen aus (V. 3):

Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen!

Die ganze Erde ist erfüllt mit seiner Herrlichkeit!

Jesaja spürt sofort, dass er ein Mensch unreiner Lippen ist und mitten unter einem Volk unreiner Lippen wohnt – ein Bewusstsein, das durch seine Nähe zur Heiligkeit Gottes geweckt wird. Klar sieht er den Gegensatz zwischen seinem eigenen Leben beziehungsweise dem Leben seines Volkes und Gottes Heiligkeit. Seine Reaktion:

Wehe mir, denn ich bin verloren.

Denn ein Mann mit unreinen Lippen bin ich,

und mitten in einem Volk mit unreinen Lippen wohne ich.

Denn meine Augen haben den König,

den HERRN der Heerscharen, gesehen.

Jesaja 6,5

Jesaja bringt daraufhin kein Opfer, durch das er sich reinigen und den Weg zum heiligen Gott eröffnen könnte. Vielmehr schickt Gott, als Jesaja über seine Unreinheit klagt, einen Engel, der eine brennende Kohle vom Opferaltar nimmt, um Jesajas Lippen zu reinigen. Dann fragt Gott: „Wen soll ich senden, und wer wird für uns gehen?“ Und Jesaja antwortet: „Hier bin ich, sende mich!“ Dieser Text zeigt eine wichtige Reihenfolge auf:

1. Jesaja sieht, wie Gott seine Heiligkeit zeigt.

2. Jesaja, der sich plötzlich seines Mangels an Heiligkeit bewusst ist, bekennt seine Unreinheit.

3. Gott schickt einen Engel, der ihn mit Feuer vom Opferaltar reinigt.

4. Nachdem Jesaja gereinigt ist, fordert Gott ihn mit der Frage heraus: „Wen soll ich senden?“

5. Der gereinigte Prophet antwortet: „Hier bin ich, sende mich!“

Im Vaterunser bittet der Glaubende mit den Worten „Dein Name werde geheiligt“ um eine Demonstration der Heiligkeit Gottes. Das heißt, der Beter meint: „Möge Gott erneut seine Heiligkeit zeigen.“ Das wiederum bringt die Bereitschaft zum Ausdruck, sich auf Jesajas dramatische Erfahrung einzulassen.

Doch wie bei Hesekiel zu lesen war, sehen wir auch die Größe von Gottes mächtigem, rettendem Handeln in der Geschichte als Ausdruck seiner Heiligkeit. Jesaja, alleine im Tempel, erhält gleichzeitig eine Vision dieser Heiligkeit. Sowohl Jesajas individuelle Erfahrung als auch die weitreichenden Aussagen Hesekiels stehen hinter dem Vaterunser.

Damit stellt sich die Frage nach dem scheinbar scharfen Gegensatz, der in den ersten beiden Anfangssätzen des Vaterunsers liegt. Im ersten Satz stellt Jesus Gott als liebenden Vater vor. Andererseits ist Gott heilig, und diese Heiligkeit verlangt Reinheit, sprich: Gerechtigkeit. Angesichts dieser Heiligkeit spüren wir unsere eigene Unreinheit, so wie Israels Sünde Gottes Heiligkeit entehrte.

Wie lassen sich Liebe und Heiligkeit miteinander vereinbaren? Erstere zieht uns zu Gott, während Letztere uns – wie Jesaja – dazu bringt, uns zurückzuziehen.

Jesus war kein Europäer

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