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Fesseln der Zivilisation

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Dem propagandistischen Widerstand folgt bald der militärische. Anfang 1799 befiehlt Selim III. dem Statthalter von Akkon, Ahmad Pascha al-Dschazzar, Napoleon von Norden her anzugreifen. Zwei Armeen brechen in Richtung Ägypten auf. Allzu weit müssen sie nicht marschieren. Kaum sind sie in die Stadt Jaffa eingedrungen, erreichen auch die Franzosen den Ort. Im Nu haben sie ihn umzingelt; mehrere tausend ägyptische und osmanische Soldaten sind eingeschlossen. Nach einiger Zeit geben die Belagerten auf. – und Napoleon nimmt dies zum Anlass, ein Exempel zu statuieren, ein für alle Mal zu demonstrieren, wer der Herr im Lande sei. „In Ägypten“, schrieb er 1804 rückschauend an seine Freundin Claire Élisabeth Jeanne Gravier de Vergennes, Comtesse de Rémusat, „fühlte ich mich frei von den Fesseln einer störenden Zivilisation. Ich träumte von allem Möglichen – und ich hatte die Mittel, diese Träume umzusetzen.“17 Entledigt aller zivilisatorischen Fesseln, lässt er sich auch durch das Kriegsrecht nicht binden. Entgegen allen militärischen Gepflogenheiten richtet er unter den Gefangenen ein Blutbad an. Die ägyptischen Soldaten lässt er ziehen. Doch die osmanischen trifft die volle Wucht seines Machtstrebens. Aufgeteilt in kleine Gruppen, lässt er sie in verschiedene Teile der Stadt führen. Dort gibt er Befehl, die Gefangenen zu töten – insgesamt 3000. Die meisten werden erschossen. Doch irgendwann ist die Munition erschöpft. „So mussten wir die letzten Reihen mit Bajonetten und Messern erstechen. Es formte sich eine furchtbare Pyramide aus Toten und Sterbenden voller Blut. Wir mussten die Leichen wegtragen, um Platz für jene Unglücklichen zu schaffen, die noch nicht erschlagen worden waren.“18

Die Nachricht von dem Massaker machte die Runde, und alle, die den Beteuerungen der Franzosen nicht hatten trauen wollen, konnten sich bestätigt sehen. Das sollte nicht ohne Folgen bleiben: Im März 1800 erheben sich die Bewohner Kairos gegen die französischen Besatzer. Die Wucht des Aufstands lässt keinen Zweifel daran, wie verhasst die Franzosen bei den Ägyptern längst sind. Die Mamluken, denen die Revolte mehr als gelegen kommt, brauchen nicht viel mehr zu tun, als den Zorn der Straße zu kanalisieren. So geben sie Order, die Kopten anzugreifen, die ägyptischen Christen, die der Kollaboration mit den Franzosen verdächtigt werden. Nicht alle folgen dem Befehl. Doch die, die sich mitreißen lassen, richten nun ihrerseits ein Blutbad an, töten ausnahmslos jeden, der ihnen in die Quere kommt. Bald greifen die Franzosen ein, stoßen aber auf erbitterten Widerstand. Die Rebellen errichten Barrikaden, gießen sogar eigene Kanonen. Mehrere Tage brauchen die Franzosen, um den Aufstand niederzuschlagen. Der Erfolg ist teuer erkauft: Zwischen 2000 und 3000 Ägypter und 300 Franzosen verlieren in den Straßenschlachten ihr Leben.

General Kléber, der die Aktion koordiniert, zieht schließlich eine ernüchternde Bilanz: Am heftigsten hätten die gekämpft, um die sich die Franzosen vorher bemüht, sie umworben hätten, um sie für ihre Sache zu gewinnen. Die Allianzen, muss Kléber jedoch feststellen, sind brüchiger als gedacht. Wie gefährdet die Franzosen sind, wird bald sein eigenes Schicksal zeigen: Am 14. Juni 1800, der General unternimmt gerade einen Spaziergang, nähert sich ihm ein junger Mann. „Kléber?“ fragt der ihn, und als dieser bejaht, greift der junge Mann ohne Ankündigung an. Mit mehrere Messerstichen fügt er dem französischen Offizier Wunden zu, die dieser nicht überlebt. Sulayman al-Halabi, so der Name des aus Aleppo stammenden Mörders, wird wenige Tage später hingerichtet. Der Prozess ergab, dass er auf eigene Faust gehandelt hatte. Allerdings hatte er Religionsgelehrte der Al-Azhar-Universität in sein Vorhaben eingeweiht. Die hatten zwar versucht, ihn von seinem Plan abzubringen, verzichteten aber darauf, die Franzosen zu warnen. Auch sie wurden zum Tode verurteilt. Während sie enthauptet wurden, erlitt Al-Halabi einen qualvollen Tod: Er wurde gepfählt. Vier Stunden dauerte sein Martyrium, während deren er wieder und wieder das islamische Glaubensbekenntnis und Koranverse zitierte. Als er endlich tot war, hatte Kairo einen neuen Märtyrer.

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