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Republikanische Ahnungen

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Über die politischen Hintergründe der Napoleonischen Invasion ist Al-Dschabarti nur vage informiert. Wenig weiß er über die innere Dynamik der Französischen Revolution, über die Philosophie der Aufklärung und deren dramatische Folgen in den Jahren nach 1789. Welchen Zündstoff die neuen Ideen bergen, wie sehr sie das politische Europa in Aufruhr bringen – all dies erwähnt er in seiner Chronik nur am Rande. Auch andere arabische Autoren jener Zeit erfassen den ideologischen Sprengstoff der in Paris und anderswo diskutierten Programme bestenfalls im Ansatz. Der Historiker Nikula al-Turk greift sie in seinen Tagebüchern zwar auf, dringt in ihren eigentlichen Kern aber nicht vor. Die Franzosen, notiert er, seien zu dem Schluss gekommen, „dass die absolute Macht des Königs dem Reich großen Schaden zugefügt habe.“ Darum hätten sie ihn ersucht, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, in der sich ihre Forderungen wiederfänden. „Diese Vereinbarung umfasste Bedingungen, um eine Republik zu gründen und die absolute Macht des Königs abzuschaffen.“28 Al-Turk belässt es bei diesen Worten. Konzepte wie Verantwortung und Rechenschaftspflicht, politische Legitimation, Gewaltenteilung, Interessenausgleich, Parlamentarismus, politische Repräsentation: all dies kommt bei ihm nicht vor. Auch in Europa werden diese Begriffe damals erst seit kurzem diskutiert und umgesetzt. Dort kaum hinreichend etabliert, schlagen sie in den Provinzen des Osmanischen Reichs bestenfalls dürre Wurzeln. So taucht die französische „Republik“, auf die Napoleon sich in seiner Proklamation bezieht, in Al-Dschabartis erster Schrift gar nicht erst nicht auf. Statt von der „französischen Republik“ spricht er bloß von „Franzosen“ – und das, obwohl Napoleons Übersetzer eine Übertragung des Wortes bereits angeboten haben. Sie sprechen von der Jumhûr, der „Allgemeinheit“. Aus diesem Begriff wird sich später der zeitgenössische arabische Begriff für „Republik“ entwickeln: Jumhûriyyah. Doch bis dieser Begriff nicht nur linguistisch, sondern vor allem auch in der politischen Philosophie verankert und verstanden ist, wird es noch einige Jahrzehnte dauern. Der ägyptische Reisende Scheich Rifa’a Rafi’ al-Tahtawi, der sich ab 1826 im Auftrag des ägyptischen Herrschers Muhammad Ali Pascha in Paris aufhält, um die französische Zivilisation zu studieren, wird ihn als erster arabischer Autor in seinen berühmt gewordenen Bericht Kitâb Takhlî al-ibrîz ilá talkhî Bârîz („Die Läuterung des Goldes in einer zusammenfassenden Darstellung von Paris“) aufnehmen.

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