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Moderne auf Arabisch

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Der Westen kann aus seinen Moderne-Erfahrungen ein gemischtes Resümee ziehen, mit hellen, aber auch sehr dunklen Seiten. Ganz anders fällt das Fazit in der arabischen Welt aus. Hier hat die Moderne viele ihrer Verheißungen nicht eingelöst. Die Moderne: Das war (und ist zu Teilen, Stichwort US-Invasion in den Irak 2003, immer noch) für die meisten Araber die Begegnung mit einem übermächtigen, nicht nur freundlichen Westen. Seitdem Napoleon 1798 in Ägypten einmarschierte, haben die Bürger des damaligen Osmanischen Reiches und später der aus ihm hervorgegangenen arabischen Staaten immer wieder erfahren müssen, wie schwach sie sind. In erster Linie militärisch, in der Konsequenz daraus aber auch politisch und sozial. Die arabische Welt als Spielball des Westens: Diese Erfahrung zieht sich durch die gesamten rund 220 Jahre, denen dieses Buch sich widmet. Der Feldzug Napoleon Bonapartes; die britische Herrschaft in Ägypten; die eigennützigen, an den arabischen Interessen bestenfalls mäßig, im Grunde aber kaum interessierten Vereinbarungen und Verträge der Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg; die Zusammenarbeit mit arabischen Despoten quer durch das gesamte 20. Jahrhundert; schließlich, im neuen Jahrtausend, der war on terror: All diese Erfahrungen haben die Araber dazu gebracht, den Westen mit Begriffen wie Hochmut, Prinzipienlosigkeit, Hinterlist, einer oft grenzenlosen Gewaltbereitschaft zu verbinden; letztere hat in der arabischen Welt auf vielen Schauplätzen zahllose Menschenleben gefordert. All dies sollte im Hinterkopf haben, wer den Dschihadismus verstehen will.

Entschuldigt ist der Terror damit freilich noch lange nicht, und eines sei ganz deutlich gesagt: Die arabische Welt hat sehr wohl auch ihre eigenen Schurken hervorgebracht. Kaum ein Staat in der Region, in dem nicht starke Männer das Sagen gehabt haben und teils weiterhin haben; kaum ein Staat, in dem die Bevölkerung unter ihren Despoten nicht zu leiden gehabt hätte. Viele dieser arabischen Gewaltherrscher verdankten und verdanken ihren Aufstieg spezifischen historischen Konstellationen, an denen – gewiss – der Westen oft erheblichen Anteil hatte – und hat. Zu Teilen, allerdings nicht durchgehend, verdanken sie heute ihre Macht einer westlichen Politik, die menschenrechtliche Ideale, zurückhaltend formuliert, nur bedingt als Leitlinien ihrer Entscheidungen pflegt. Doch die starken Männer der Region hatten und haben keinerlei Skrupel, ihre Macht auch gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen. Das alte, sicher tendenziöse Wort von orientalischen Despoten ist nicht ganz falsch. Der Westen freilich muss sich vorwerfen lassen, dass er sich niemals entschlossen gegen diese gestellt hat. Dieser Verzicht hat Folgen.


Europa sinniert über den Orient: „Bonaparte devant le Sphinx“. Gemälde (1886) von Jean-Léon Gérôme, der auch in anderen Werken Napoleon in Ägypten imaginierte.

All das hat dazu beigetragen, dass viele Araber westlich geprägten Begriffen und Konzepten wie Demokratie, Menschenrechte, Aufklärung und Rechtstaat nur bedingt vertrauen – zu oft sind die in diese Begriffe gesetzten Erwartungen enttäuscht worden. Das hat nicht die Ideale selbst erschüttert, wohl aber den Glauben daran, dass jene, die sie ursprünglich geprägt hatten, sie auch im Nahen Osten ohne jede Einschränkung verwirklicht sehen wollen. Dass von den eigenen Potentaten ebenso wenig, vielleicht sogar noch weniger zu erwarten ist, hat sich in der Region als Allgemeingut längst etabliert.

Die Moderne war in der arabischen Welt aber nicht nur politisch, sondern auch kulturell problematisch. Ein kurzes Gedicht des syrischen Dichters Ali Ahmad Said (*1930) alias Adonis über die Verwandlung einer Moschee in eine Fabrik ist emblematisch für das Gefühl der Entwurzelung, das die Moderne in die Region getragen hat. Auf vielen Wegen spürt das Buch den Umwälzungen nach, die sich aus dem Übergang vom – vergleichsweise – ruhigen Leben im Osmanischen Reich zu den drängenden Rhythmen des Kapitalismus ergeben haben. Man muss es sich vorstellen: Ein französischer Feldherr, dessen Truppen das ägyptische Heer hinwegfegen; europäische Techniker, die einen uralten Traum, nämlich den Stich durch den Sinai, verwirklichen und so das Mittel- und das Rote Meer miteinander verbinden; britische Diplomaten und Bankiers, die, unterstützt von ihren Militärs, den Ägyptern die Herrschaft über das eigene Land entwinden und über Jahrzehnte dessen Geschicke bestimmen; Schiffe aus aller Herren Länder, die den Suezkanal in eine der wichtigsten Verkehrsadern des nunmehr globalen Transportwesens verwandeln; Schiffe auch, die die jeweils neuesten Moden – die intellektuellen wie die der Haute Couture in Paris, Rom und London – in den Orient bringen; junge Araber, die zum Studium nach Europa aufbrechen und sich nach der Rückkehr über die Sitten ihrer Eltern wundern; Theologen, die keine Antwort auf die Frage wissen, warum der Islam der zivilisatorischen Macht des Westens nichts Vergleichbares entgegenzusetzen habe; die Ankunft der ersten Autos, Busse, Straßenbahnen; die Eröffnung der ersten Kinos, die um sich greifende Caféhaus-Kultur; Anarchismus, Laizismus und Atheismus, die sich seit dem 19. Jahrhundert – vergeblich – anschicken, den Islam als Ideologie Nummer eins herauszufordern; die Entdeckung des Erdöls und die mit ihm sprudelnden Petrodollars, die den Scheichs und Monarchen der Arabischen Halbinsel zu schillerndem, oft obszön zur Schau gestellten Reichtum verhelfen; überhaupt, als bislang größte Herausforderung, der Kapitalismus. Der Zwang zum Geldverdienen verschont niemanden mehr; sich ihm zu verweigern, muss man sich leisten können. Das ist bei den wenigsten der Fall, und so sind zu den religiösen längst auch die Erwerbspflichten getreten. Dass beides in der Lesart mancher durchaus zusammenpasst, zeigt sich ausgerechnet in der Führungsmacht der sunnitischen Welt, Saudi-Arabien. Rund um das Allerheiligste des Islams, die Kaaba von Mekka, sind die Hotels und Shopping-Malls kaum minder hoch und mächtig als der Masdschid al-Haram, die Heilige Moschee, eines der religiös bedeutsamsten Bauwerke der islamischen Welt. So unterschiedlich sich die Phänomene zeigen – alle haben sie auf ihre Weise die traditionellen Selbstverständlichkeiten herausgefordert und fordern sie weiter heraus. „Wir haben uns von den Dattelpalmen entfernt“, beschreibt der irakische Dichter Saadi Yusef (*1934) kurz und knapp die Erfahrungen seiner Generation.5 Und der palästinensische Dichter Ghassan Zaqtan (*1954) beschreibt, wie die, die unter dem Verlust leiden – „die Einsamen“ nennt er sie – versuchen, diesen zu verarbeiten: „Sie wählen einen Platz im Abseits/Der dem verblühten Namen eines Baumes gleicht/und beginnen von Neuem, das Vergangene zu beschreiben.“6

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