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Mato-wea Dorf der Mandan am Knife-Fluss

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Mato-wea, was Bärenfrau bedeutete, stand außerhalb der Palisaden ihres Dorfes und besuchte den heiligen Schädelkreis ihrer Vorfahren. Irgendwo hier lagen auch die Schädel ihrer Mutter und ihres Vaters, aber die waren schon vor einiger Zeit gestorben, sodass die Erinnerung an sie verblasste. Ihr Vater war vor zwei Wintern gestorben und so, wie es Sitte war, von den männlichen Angehörigen der Sippe aufgebahrt worden. Inzwischen war das Gerüst verfallen, der Körper verwest, und man hatte den Schädel in den Kreis der Ahnen gelegt. Der Schädelkreis war heilig, und sie wagte sich dort nicht hin. Aber es war schön, in der Nähe zu stehen und seine Gedanken an die „Große Alte“ zu schicken. Sie wickelte das Bisonfell fester um ihren schmalen Leib und trotzte dem eisigen Wind, der um die Palisaden pfiff. „Große Alte!“, murmelte sie liebevoll. „Ich muss dir etwas erzählen.“

So begann sie stets das Gespräch mit den Geistern. Hier konnte sie all ihre Sorgen und geheimen Gedanken hintragen. „Ich bin zur Frau gereift, und Onkel wird nun einen guten Mann für mich suchen.“ Sie seufzte tief, und nur der Wind konnte ahnen, ob aus Sorge oder Vorfreude. Mato-wea knabberte an ihren Lippen. War sie schon bereit für einen Mann? Zu gerne erinnerte sie sich an das Gelächter, wenn sie von den anderen Mädchen mit dem Bisonfell hochgeworfen wurde. Sie war gut darin! Zehnmal war es ihr gelungen, das Gleichgewicht zu halten. Sie kicherte bei dieser Erinnerung. Es hatte so viel Spaß gemacht, mit ihren Freundinnen das alte Spiel zu spielen: Die Mädchen nahmen ein großes Bisonfell, schoben stabile Äste durch die Löcher, die entstanden, wenn man das Fell zum Gerben spannte, und erhielten so einfache Griffe. Die Mädchen hielten das Fell an den Griffen, ein Mädchen kletterte hinauf und wurde von den anderen Mädchen hochgeworfen. Wenn sie mit den Füßen aufkam, wurde sie wieder hochgefedert. Wenn sie stürzte, wurde sie von dem weichen Fell und einen riesigen Haufen Gras, der darunter aufgeschüttet worden war, weich aufgefangen. Es gab immer viel Gelächter, wenn die Mädchen „Hochwerfen“ spielten. Mato-wea hatte damals schon die langen Zöpfe gehabt, und nicht mehr die kurze Frisur mit den beiden Büscheln über den Ohren, die kleine Kinder vor Gefahren schützen sollte.

„Große Alte, bin ich denn schon bereit? Onkel sagt, dass ich ein gutes Mädchen bin und ein Ehemann bestimmt Gefallen an mir finden wird.“ Sie senkte den Blick und bohrte mit dem Mokassin im weichen Pulverschnee, der sich über das Land gelegt hatte. „Onkel ist sehr gut zu mir“, fuhr sie fort. „Und Tante auch …! Aber sie wollen mich vielleicht einem dieser Trapper zur Frau geben. Onkel möchte eine dieser Donnerwaffen haben.“

Sie zögerte, denn sie wollte nicht ungehorsam sein. „Onkel sagt, dass die weißen Männer sehr großzügig zu ihren Frauen sind. Ich könnte froh sein, wenn ich so eine wichtige Aufgabe bekomme. Der Handel mit den Weißen ist wichtig.“

Sie warf einen Blick zum Dorf zurück und senkte dann ihre Stimme zu einem Flüstern. „Aber ich kenne doch die Weißen nicht. Was, wenn ich ihre Sprache nicht spreche? Oder wenn sie böse Geister mitbringen? Die Älteren reden noch von der Zeit, als so viele Menschen wegen einer geheimnisvollen Krankheit gehen mussten. Was, wenn diese Weißen wieder Tod und Verderben bringen? Darf ich diese Sorgen mit meinem Onkel teilen?“

Hoffnungsvoll blickte sie in den Himmel, doch sie konnte kein Zeichen erkennen. Langsam hob sie die Hände und streckte sie der „Alten Frau“ entgegen. „Wache über mich! Lass mich bereit und eine gute Ehefrau sein!“

Sie erhob sich und lief wieder zum Dorf zurück. Sie huschte durch das Tor und wandte sich dem Erdhaus zu, in dem ihre Sippe lebte. Vor dem Eingang hing ein schweres Fell, das sie beiseiteschob, um durch den engen Eingangstunnel ins Innere zu treten. Das Erdhaus war aus vier starken Stützpfosten errichtet, auf denen weitere Balken das Gerüst stellten. Gedeckt war die Hütte aus Ästen und Zweigen, auf denen Schichten von Grassoden und Erde verteilt wurden. Das schützte vor Regen und Kälte. In der Mitte brannte das Feuer, dessen Rauch durch eine Öffnung in der Decke abziehen konnte. Es war ziemlich dunkel im Inneren. Eine Frau saß am Feuer und schnitt Fleisch in einen Topf. Im hinteren Bereich war der erhöhte Bereich des Onkels. Er war verlassen. Wahrscheinlich traf sich der Onkel mit anderen Männern. An den Seiten der Hütte standen erhöhte Betten, die mit Fellen belegt waren. Die Hütte war so groß, dass leicht zehn bis zwölf Menschen Platz hatten. Mato-wea wunderte sich, wo die anderen Familienmitglieder waren. Die Tante hatte eine Tochter, die etwas jünger als Mato-wea war, und noch zwei kleinere Kinder. Außerdem lebten eine Großmutter und eine verwitwete Cousine mit ihrem Sohn bei ihnen. Mato-wea fragte nicht, sondern setzte sich zu ihrer Tante ans Feuer. Sie zog ihr Messer und half der Tante, das Fleisch zu schneiden. Die Tante lächelte freundlich und nickte in Richtung einiger Körbe. „Bringe mir noch etwas Kürbis und Zwiebeln. Dann schmeckt es besser.“

Mato-wea erhob sich und holte das Gemüse. Sie hatten viele Vorräte, und es schien, als würde das Volk gut über den Winter kommen. Die Ernte des letzten Jahres war gut gewesen. Trotzdem war das Leben schwerer geworden. Normalerweise bezogen die Menschen im Winter kleine Hütten, die leichter zu beheizen waren, doch anhaltende Angriffe der Cha-rúwak, wie die Tituwan Suane von ihnen genannt wurden, zwangen sie auch im Winter, in ihren befestigten Dörfern zu bleiben. Cha-rúwak bedeutete Gras-Leute, denn wenn die Tituwan angriffen und dann von den Mandan verfolgt wurden, verschwanden sie einfach im hohen Gras. Seit dem Großen Sterben vor gut 25 Wintern war ihr Volk dezimiert worden und machte es den Feinden leichter, über sie herzufallen. Sie nannten sich die Numahkahke – die Mandan. Ihr Dorf hieß Mitutanka und war erst vor einigen Wintern an der Mündung des Knife-Flusses in den Missouri auf einer Anhöhe errichtet worden. Hier gab es wenig Holz, sodass die Frauen weite Wege gehen mussten oder angeschwemmtes Holz sammelten. Ihr Häuptling Sheheke shote war vor drei Wintern mit den weißen Händlern aufgebrochen, um den Großen Vater der Weißen zu treffen. Noch immer war er nicht zurückgekehrt, und das führte zu Unruhen unter den anderen Häuptlingen. Die Mandan wollten ihre Position als Handelspartner stärken und suchten damit den friedlichen Kontakt zu den Weißen. So, wie sie es in der Vergangenheit nicht nur zu Weißen, sondern auch zu anderen Stämmen schon erfolgreich getan hatten.

„Holst du mir Holz?“, fragte die Tante. Sie hieß Hohes-Wasser und hatte ihre Blütezeit schon lange überschritten. Die drei Geburten und die harten Winter hatten sie schnell altern lassen. Der Onkel hieß Shut-haska, was Puma bedeutete, und auch er war schon älter. Der Name war eindrucksvoll und zeigte, dass er mal ein gewandter Krieger gewesen war. Doch diese Zeiten waren vorbei. Sie nannte die beiden Mutter und Vater – aus Respekt, aber auch, weil sie es nie anders gekannt hatte.

Mato-wea nickte gehorsam und erhob sich. Sie legte sich wieder die Robe um die Schultern und nahm ein Beil, um Äste und Stämme zu einem handlichen Bündel hacken zu können. Die Tante gab ihr noch ein geflochtenes Seil aus gedrehter Bisonwolle mit, mit dem sie das Bündel schultern konnte. „Nimm deine Schwester mit, wenn du sie siehst!“

Mato-wea lächelte verschmitzt. Tante nannte die Cousine immer „Schwester“ – so wie sie die Nichte mit „Tochter“ anredete. Seit dem Tod der Mutter hatte sie die Mutterrolle übernommen, und Mato-wea war dankbar dafür. Sisohe-wea, Falkenfrau, war etwas jünger als sie und spielte vermutlich in einer anderen Hütte mit ihren Freundinnen.

„Ich nehme sie mit!“, versprach sie. Auch Sisohe-wea ließ ihre Haare inzwischen wachsen und musste sich auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter vorbereiten. Doch sie entwischte nur allzu gerne ihren Pflichten und verließ sich darauf, dass die ältere Schwester die Arbeiten erledigte. Mehrfach hatte Mato-wea ihre Schwester im Herbst ermahnen müssen, die Arbeit auf den Maisfeldern nicht zu vernachlässigen. „Die Krähen fressen uns den ganzen Mais weg, wenn wir sie nicht verjagen!“, hatte sie geschimpft. Aber wenn Sisohe-wea sie mit großen braunen Augen anhimmelte, dann konnte sie nie wirklich böse sein.

Mato-wea sah sich in dem Dorf um, dessen Hütten um einen großen freien Platz gebaut waren. Die Dächer waren mit Schnee bedeckt, und aus den Rauchlöchern stiegen feine Säulen in den Himmel. Niemand hockte auf den Dächern, weil es einfach zu kalt war. Nur in der Richtung zum Fluss stand einsam eine Wache auf einem Dach und lehnte schläfrig gegen einen langen Ast gestützt. Besonders aufmerksam sah er nicht aus. Mato-wea schlüpfte in das Erdhaus einer benachbarten Familie und fand ihre Schwester bei einem Würfelspiel mit anderen Mädchen. „Wir brauchen Holz!“, bat sie auffordernd.

„Hohch!“, stöhnte das Mädchen und erntete einen überraschten Blick der Matrone dieses Hauses. Nichts war schlimmer als ein faules Mädchen! Sofort bemerkte Sisohe-wea ihr ungezogenes Betragen und legte die Spielsteine beiseite. „Spielen wir nachher weiter?“, hoffte sie.

Die anderen Mädchen kicherten und erhoben sich ebenfalls. „Wir gehen mit! Unsere Mütter brauchen sicherlich auch Holz!“

Sisohe-wea klatschte in die Hände vor Begeisterung. „Ja, das ist schön! Und dann wärmen wir uns wieder auf.“ Sie glühte vor Stolz, als sie den wohlwollenden Blick der Matrone sah. Sie hatte ihre unbedachte Gemütsäußerung wieder ausgemerzt.

Mato-wea lächelte ebenfalls. So würde es viel mehr Spaß machen! Sie wartete, bis sich alle Mädchen in ihre warmen Umhänge gewickelt hatten, und führte sie dann in Richtung des breiten Flusses. Dort gab es immer Schwemmholz, das man neben dem Feuer trocknen und dann verwenden konnte. Der Fluss war noch nicht ganz zugefroren, und so musste man auch an den Stellen, die mit Eis bedeckt waren, gut aufpassen, wenn man sie betrat. Zwei Kinder waren beim Spielen bereits eingebrochen und wären fast unter die Eisdecke geraten. Es war ein seltsamer und gefährlicher Winter.

Die Mädchen gingen am Ufer entlang und plauderten kichernd über die letzten Neuigkeiten. Mato-wea erfuhr, dass eine junge Frau wohl ihr erstes Baby erwartete und es Streit zwischen zwei Eheleuten gegeben hatte. „Stellt euch vor“, erzählte Waschbären-Frau, „Guter-Habicht“ wohnt jetzt bei einem Freund. Seine Frau hat ihn einfach vor die Tür gesetzt.“

„Warum?“, wollte Mao-wea wissen.

„Er hat eine jüngere Frau als zweite Frau zu sich genommen, und nun ist seine erste Ehefrau wohl eifersüchtig.“

Mato-wea schüttelte den Kopf. „Hat er sie denn nicht gefragt?“

Waschbären-Frau zuckte mit den Schultern. „Anscheinend nicht.“

Mato-wea sah sie unsicher an. „Aber es ist doch gut, wenn sie Unterstützung bekommt.“

Waschbären-Frau wechselte einen wissenden Blick mit den anderen Mädchen und musterte Mato-wea dann streng. „Aber doch nicht, wenn er nur noch Augen für die Jüngere hat!“

„Hmh!“ Mato-wea runzelte die Stirn. Da hatte sie natürlich recht. Die Mädchen fanden schließlich einen großen Haufen angetriebenes Holz und machten sich daran, die Äste und Stämme auseinanderzuziehen. Mit ihren Beilen hackten sie das Holz in armlange Stücke und banden es zu tragbaren Bündeln zusammen. Ein eisiger Wind wehte, der ihnen die Arbeit erschwerte. Sie hatten keine Handschuhe an und machten immer wieder Pause, um die Hände unter dem Umhang zu wärmen. „Huh, kalt!“, rief Mato-wea vor Kälte zitternd.

Auch die anderen sahen auf und schienen für heute genug zu haben. „Lasst uns zurückkehren! Die Sonne geht schon unter!“, schlug Sisohe-wea vor.

Mato-wea nickte nur, denn auch sie fror. Sie schulterte ihr Bündel und trat dann in die Spur, die sie auf dem Hinweg hinterlassen hatten. Es war einfacher, dem kleinen Trampelpfad zu folgen, den sie in den Schnee getreten hatten. Es ging den Hügel wieder hinauf, und es war rutschig. Als sie die Ebene erreicht hatten, konnten sie schemenhaft den Palisadenzaun sehen und darüber den Wächter, der immer noch seinen Blick über das Land schweifen ließ. Hier und da lugte ein Dach über die Palisaden empor, sonst war von dem Dorf dahinter nichts zu sehen. Stattdessen standen westlich davon einige Totengerüste, und an der Seite des Flusses – dort, wo im Sommer die Felder zu sehen waren – standen die kleinen Plattformen, auf denen die Kinder und Mädchen saßen, um die Vögel zu vertreiben. Mato-wea beugte sich gegen den Wind, der nun von Westen her blies. Ein Warnruf schreckte sie auf, und sie verharrte, um nach dem Grund zu sehen. Oben auf dem Dach winkte der Wächter mit dem Speer hin und her und stieß Warnrufe aus. „Wiradar!“- Feinde! Ganz deutlich war das Wort über die Entfernung zu hören. Mato-wea ließ vor Schreck das Holz fallen und sah sich um. Tatsächlich! Über die Ebene galoppierte eine Gruppe feindlicher Krieger genau auf sie zu. Sie erkannte bei einigen bemalte Gesichter, die auf keine freundlichen Absichten hindeuteten. „Lauft!“, schrie sie den Mädchen zu. „Lasst das Holz liegen und lauft!“

Die anderen Mädchen waren vor Schreck wie versteinert. Mit weit aufgerissenen Augen blickten sie auf das Unheil, das dort auf gescheckten Ponys auf sie zu galoppiert kam. Energisch schob Mato-wea die Mädchen vor sich her. „Nun lauft doch endlich!“, schrie sie aus Leibeskräften. Sie konnte erkennen, dass sich vom Dorf her bewaffnete Männer aufmachten, die ihnen helfen wollten.

„Schneller!“, herrschte sie die Mädchen an. Sie ließen die Bündel fallen, wickelten sich aus ihren Roben und rannten mit fliegenden Zöpfen in Richtung des Dorfes. Ihnen kam zugute, dass sie jung waren. Einige Pfeile zischten knapp an ihnen vorbei, sodass die Mädchen ins Stocken gerieten und vor Angst schrien. „Weiter!“, herrschte Mato-wea sie an. Verzweifelt rafften sie sich auf und rannten weiter. Einige Reiter versuchten ihnen bereits den Rückweg zum Dorf abzuschneiden.

Mato-wea lief als Letzte und erkannte, dass sie es nicht schaffen würde. Der erste Krieger hatte sie fast erreicht, und so sauste sie einen Abhang hinunter und wich auf die Felder aus. Ihre Lungen brannten bereits von der Kälte, und ihre Knie waren weich vor Furcht. Im letzten Moment rutschte sie unter eine Plattform, während der Krieger sein Pferd parieren musste, wenn er nicht in das Gerüst preschen wollte. Schnaubend stieg das Pferd in die Höhe, und Mato-wea konnte den Mann kurz erkennen: Schwarze Augen in einem bemalten Gesicht, schwarze Zöpfe, eine einfache Robe und mit roten Streifen verzierte Beinkleider. Er grinste übermütig, als er seine Beute unter dem Gerüst hocken sah. Mato-wea wusste, dass er sie gleich als Gefangene mitzerren würde und entschloss sich zu einem verzweifelten Schritt. Kurz konnte sie erkennen, dass die anderen Krieger abgedreht hatten, als die Mandan wie aufgeschreckte Hornissen aus dem Tor strömten. Die anderen Mädchen hatten das Dorf inzwischen sicher erreicht und schrien erschrocken, als sie sahen, in welcher Gefahr Matowea schwebte.

Mato-wea hechtete mit einem Schrei unter dem Gerüst hervor, packte den Mann am Arm und zog ihn mit einem Ruck herunter. Völlig überrumpelt stürzte der junge Mann in den Schnee, und ehe er sich hochrappeln konnte, rannte Mato-wea davon. Sie war schnell! Aber sie wusste, dass er sie vermutlich einholen würde, sobald er sich von dem Schreck erholte. Stolpernd und keuchend erklomm sie die Böschung, dann hatte sie die Ebene wieder erreicht und hastete weiter. Sie rechnete jeden Augenblick damit, dass sein Totschläger sie treffen würde. Ihre Sprünge waren weit vor Angst, als sie in Richtung des Dorfes hechtete. Aber nichts geschah. Als sie die Männer erreicht hatte und sich umdrehte, stand der Krieger immer noch neben seinem Pferd und starrte ihr mit seinen dunklen Augen hinterher. Dann grinste er, hob grüßend sein Kriegsbeil und sprang mit einem eleganten Satz auf sein Pferd. Herausfordernd ließ er das Pferd steigen und tänzeln und forderte damit die Mandan zum Kampf heraus. Sein Kriegsschrei hallte über die Ebene und ließ Mato-wea frösteln. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie von ihren Freundinnen umringt wurde, die sie in ihre Mitte nahmen und ins Dorf zurückzerrten. „Du bist so mutig!“, schwärmte Sisohe-wea. „Ohne dich hätten wir es nicht geschafft!“

Mato-wea klapperten so die Zähne aufeinander, dass sie keine Antwort geben konnte. Sie war nicht mutig gewesen! Sie hatte einfach keine andere Wahl gehabt. Willenlos ließ sie sich in ihre Hütte ziehen, während im Hintergrund das Geschrei der Männer leiser wurde. Anscheinend hatten die Tituwan ihren Angriff abgebrochen und zogen sich zurück. Mato-wea brach am Feuer fast zusammen, und die Tante legte ihr einen Umhang um den zitternden Körper. „Was ist denn geschehen?“, erkundigte sie sich besorgt.

„Feinde haben uns aufgelauert, und Mato-wea hat uns alle gerettet!“, erzählte Sisohe-wea aufgeregt.

„Wirklich?“ Die Tante blickte entsetzt auf ihre Töchter.

Sisohe-wea nickte heftig. „Sie hätten uns fast erwischt, aber Mato-wea hat einen von ihnen vom Pferd gezogen!“

Die Tante maß die Nichte mit anderen Augen. „Du hast was?“

„Wirklich!“, beteuerte Sisohe-wea. „Sie hat ihn einfach vom Pferd gezogen und ist dann weggerannt.“ Plötzlich musste sie laut kichern, als die Anspannung von ihr abfiel. „Der war so erschrocken, dass er ihr nicht einmal gefolgt ist!“

Das Fell vor dem Eingang wurde geöffnet, und der Onkel trat ein. Er war ein stattlicher Krieger mittleren Alters, der sich nun auf seinen Ehrenplatz setzte. Aufmerksam musterte er seine Nichte. „Du warst tapfer!“, sagte er bewundernd. „Du hast deine Schwester und die anderen Mädchen gerettet! Ohne dich hätten sie das Dorf wahrscheinlich nicht erreicht und wären entführt worden.“

Mato-wea machte eine verlegene Handbewegung. „Ich bin eigentlich nur weggerannt!“

Der Onkel lächelte. „Nein, es war eine Ablenkung. Der Krieger ist dir gefolgt und nicht den anderen. Ich dachte, dass er dich rauben würde, aber du hast ihn besiegt!“

Mato-wea senkte verlegen den Blick. Sie hatte sich gewehrt. Das war alles. Immer noch klopfte ihr Herz, und sie legte die Hand auf ihre Brust, um es zu beruhigen. „Ich habe meine Robe fallen lassen!“, merkte sie an.

Der Onkel brach in Gelächter aus. „Zum Glück! Sonst hätte dieser Krieger dich nämlich erwischt. Lasst uns gehen und die Umhänge und das Holz bergen! Aber dieses Mal begleiten wir euch.“ Die Tante wehrte dies energisch ab. „Lass das Kind am Feuer sitzen! Ich werde gehen und die Sachen holen. Ich sage den anderen Müttern Bescheid, ehe es zu dunkel wird, und es wäre wirklich gut, wenn uns ein paar Männer begleiten würden. Man kann ja nie wissen, ob diese Halsabschneider nicht noch mehr Beute wollen.“

Ohne Widerspruch erhob sich der Onkel, nahm seine Waffen und machte sich auf, auch die anderen zum Mitgehen zu bewegen. Kurze Zeit später kehrten er und die Tante mit den geborgenen Sachen zurück. Sorgsam hing die Tante den Umhang neben Mato-weas Bett und legte dann das Holz zum Trocknen neben das Feuer. Dann schenkte sie die warme Suppe in Schüsseln aus und reichte sie ihrem Mann und anschließend den beiden Mädchen. Hungrig schlürfte Mato-wea die leckere Suppe und seufzte genießerisch. „Danke!“ Sie hatte noch nie in ihrem Leben so einen Hunger gehabt!

Neugierig näherten sich die beiden kleineren Kinder und ließen sich die Geschichte erzählen, wie Mato-wea den feindlichen Krieger besiegt hatte. Sisohe-wea schmückte die Geschichte aus, sodass es Mato-wea bald peinlich war. „Ich habe ihn nur vom Pferd gezogen!“, meinte sie bescheiden.

„Ja, und er war so überrascht, dass er dir nicht gefolgt ist“, prahlte die Schwester.

„Wirklich?“ Die Augen der Kinder hingen an Mato-weas Lippen. Mato-wea senkte ratlos den Blick. „Er hätte mir leicht folgen können, aber er hat es nicht getan. Ich weiß nicht, warum!“

„Haha! Weil er Angst vor dir hatte!“ In Sisohe-weas Stimme klang Bewunderung.

„Sicher nicht!“ Mato-wea dachte an die funkelnden schwarzen Augen, die fast übermütig auf sie heruntergesehen hatten. Angst hatte dieser Krieger ganz bestimmt nicht gehabt!

In der Nacht wälzte sie sich ruhelos hin und her. Immer wieder sah sie das Gesicht des Mannes vor sich, der sie fast niedergeritten hatte. Dann fuhr sie schweißgebadet hoch, sah sich um und erkannte, dass sie nur geträumt hatte. Zweimal stand sie auf und legte Scheite ins Feuer, weil sie die Dunkelheit nicht aushielt. Die anderen Bewohner lagen in ihren Betten und schliefen tief und fest. Der Onkel schnarchte leise und hatte sich an seine Frau gekuschelt. Es sah friedlich aus. Ob auch sie einst so einen liebevollen Ehemann bekam? Mato-wea hoffte, dass ihr Onkel einen guten Ehemann für sie suchte. Ihre Wünsche hatten sich ein wenig verändert: Nach dem heutigen Tag wollte sie einen Ehemann, der sie auch beschützen konnte!

Im Eissturm der Amsel

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