Читать книгу Max das Deichschaf - Kerstin Schmidt - Страница 9

Die Nacht, die alles veränderte

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Es war eine stürmische, kühle Herbstnacht. Die Schafe rückten eng zusammen, um sich gegen den starken Wind zu schützen. Max war froh noch zu den Lämmern zu gehören, denn die durften zusammen mit ihren Müttern im Inneren des Schafskreises stehen, während die Tanten, Onkel und Väter den Außenring bildeten. Dort stand auch Eugen und war heute Nacht besonders aufmerksam. Sein Fell juckte heute schon den ganzen Tag. Ein sicheres Zeichen dafür, dass irgendwas passieren würde, etwas Schlimmes.

Eine Stunde später kam ein großer, dunkler Kastenwagen mit Anhänger zum Deich gefahren. Die Schafe am Außenring hoben die Köpfe in diese Richtung. Als dann der Motor des Kastenwagens ausgeschaltet wurde und zwei Männer ausstiegen, blökte Eugen zweimal mit tiefer Stimme: "Mäh, Mäh!" Das war ein Warnsignal an die anderen Schafe. Sofort war die ganze Herde in Alarmbereitschaft und Max bekam etwas Angst.

"Verflixt und zugenäht, wieso müssen wir das heute bei diesem Mistwetter machen?", fragte einer der Männer.

"Weil ich es sage und jetzt los, mach den Hänger auf, damit wir die Schafe reintreiben können", antwortete der andere.

Max nahm die Witterung auf; die Männer rochen nicht nach dem Schäfer und sie wirkten auch nicht so gelassen und freundlich wie der Schäfer — eher angespannt und beinahe aggressiv. Was ist hier los?, fragte sich Max.

"Wir packen zuerst dieses Schaf da und dann das da drüben", wies der fremde Mann an und zeigte auf Fiona, dann auf Isabella, den beiden hübschesten Zuchtschafen in der Herde.

Der Schäfer war sehr stolz auf diese beiden Schafe, weil sie ihm schon einige Sach- und Geldpreise beschert hatten. Zudem wollte er mit ihnen weiterzüchten und so den Zuchterfolg voranbringen.

Fiona und Isabella dachten gar nicht daran, sich einfach mal so fangen zu lassen, und wehrten sich. Doch bei diesen schlechten Wetterverhältnissen und noch dazu mitten in der Nacht hatten die Schafe keine Chance; die Männer trieben Fiona und Isabella gekonnt in den Hänger. Die anderen Schafe liefen jetzt vor Panik auseinander.

"Jetzt noch das Schaf hier."

Der Mann zeigte auf Nana, denn auch Nana war ein sehr hübsches Schaf. Sie erschrak, als die Männer auf sie zeigten und Max auch.

"Bleib dicht bei mir", befahl Nana ihrem Sohn und stellte sich schützend vor ihn. Nana sah die Männer herausfordernd und angriffslustig an. Der Wind zerrte an ihrem Fell und sie wirkte dadurch furchterregend und gefährlich, bereit sich zu Wehr zu setzen.

"Hey Mann", sagte der Mann, "das Schaf schaut so komisch, fast kampfbereit. Außerdem hat es ein Lamm."

"Na und, was soll's. Das Lamm interessiert mich nicht, nur das Schaf. Los, komm jetzt, fangen wir es ein. Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit."

Die Männer traten von links und rechts an Nana heran und nahmen ihr immer mehr den Fluchtweg.

"Los Max, lauf — jetzt!", schrie Nana Max an und sprang zwischen den Männern hindurch, Max hinterher. Einer der Männer fiel dabei um.

Voll stark, dachte Max, das war toll.

"Himmel noch mal", keifte der Mann der gestürzt war.

"Steh' auf und beeil dich", sagte der andere ungerührt.

Nana und Max zwängten sich in die Herde zurück, gefolgt von den Männern. Nana buckelte, schlug mit den Hinterbeinen aus und biss um sich.

"Mistvieh", schrie einer der Männer. "Die hat mich gebissen."

"Du stellst dich auch zu dämlich an. Mach endlich. Du kommst von rechts und ich von links und dann pack richtig fest zu!"

"Okay", antwortete der andere.

Nana wusste nicht wie ihr geschah, als plötzlich vier Hände sie packten und sie in Richtung Hänger zogen. "Mäh, mäh, mäh, määäh", brüllte sie.

"Mähh, mäh", brüllte auch Max.

Als Nana kurz vor der Rampe des Hängers stand, kam wie aus dem Nichts Eugen herangesprungen. Er war unglaublich wütend. Wie konnten diese Männer es wagen, seine Schafsdamen einfach so zu entführen? Jetzt wollten sie auch noch Nana, ein Mutterschaf — ihr Lamm würden sie einfach so zurücklassen. "Nee, nee meine Lieben, so nicht!" Eugen rannte die Männer in vollem Lauf um — erst den einen, dann den anderen. "Lauft!", befahl er Nana und Max. Und die liefen so schnell sie konnten davon.

Etwas abseits des Treibens hielten sie außer Atem an. Eugen hielt derweil die Männer in Schach. Er blökte sie an, fletschte die Zähne, stellte sich auf die Hinterbeine und keilte dann mit den Vorderbeinen aus. Eugen war unglaublich groß in dieser Haltung und bereit alles zu tun, um seine Herde zu beschützen.

Doch dann fehlte auf einmal einer der Männer. Der andere Mann wich vor Eugen zurück. Eugen selbst lief zu seiner Herde und befahl ihnen dicht beieinanderzubleiben.

"He, ich hab eines", rief einer der Männer.

"Mäh, mäh", schrie Emma verzweifelt.

"Ach du meine Güte, sie haben Emma", rief Nana.

Max traute seinen Augen kaum.

"Hey, dieses Schaf hat auch ein Lamm, ein wunderschönes." "Dann nimm es halt mit", befahl der andere.

Very Nice wurde am Genick gepackt und in den Hänger gezerrt.

"Oh nein, so nicht", sagte Max ruhig und bestimmt. "Ihr bekommt Very Nice und ihre Mutter nicht!" Und schon schoss Max los, um seiner Freundin zu helfen.

"Max, Max bleib hier!", schrie Nana hysterisch.

Doch Max war außer sich vor Zorn. Außerdem: Was sein Vater konnte schaffte er doch auch, er war ja schließlich sein Sohn und als zukünftiger Leithammel musste er die Herde beschützen. Die Männer können sich auf etwas gefasst machen, dachte Max. Er lief direkt in die Kniekehle des Mannes der Emma festhielt.

Der Mann knickte daraufhin ein und fiel zu Boden. Er ließ Emma dabei los und versuchte seinen Sturz abzufangen.

Emma sprang zu Seite: "Danke, tapferer Max", sagte sie im Vorbeispringen.

Max freute sich über das Lob und grinste über das ganze Gesicht. ER hatte Emma gerettet! Ha — ER. Vor lauter Stolz sah Max den Mann nicht, der sich wieder aufgerappelt hatte und mit großen schnellen Schritten auf ihn zuging. Und schon hatte der Mann Max ebenfalls am Genick gepackt und zog ihn in den Hänger. Die Tür knallte zu und Dunkelheit hüllte Max ein.

"Los komm, wir müssen verschwinden, hier ist es zu laut geworden. Bestimmt ist jemand aufmerksam geworden."

Dann wurde der Motor des Kastenwagens angelassen und der Wagen setzte sich samt Hänger in Bewegung.

"Max?", fragte Very Nice zaghaft.

"Very Nice?", fragte Max genauso zaghaft zurück. Er stand mit Very Nice und den beiden Zuchtschafen Fiona und Isabella geschockt und bewegungsunfähig in der Dunkelheit des Hängers.

"Määäääääh, Eugen, so tu doch etwas!", schrie Nana.

"Meine Very Nice!", heulte Emma.

Eugen sprang dem Kastenwagen hinterher, bereit ihn mit seinem Leben aufzuhalten. Nana und Emma liefen hinter ihm her. Doch der Wagen wurde immer schneller. Der Abstand zwischen Eugen, Nana, Emma und dem Kastenwagen wurde immer größer — zu groß, um noch irgendwas ausrichten zu können.

Niedergeschlagen standen die drei Schafe da und sahen dem Wagen traurig nach, der mit ihren Lämmern davonfuhr.

Max das Deichschaf

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