Читать книгу ENGELSMÖRDER - Kerstin von Schuckmann - Страница 5
Mittwoch, 8. Oktober
ОглавлениеStändige Fragen und fehlende Antworten verkürzten den Schlaf von Hauptkommissar Voigt in dieser Nacht erneut um einige Stunden. Selbst wenn dieser Mann, wie Elisabeth Winkler sagte, hessisch sprechen sollte, so wäre dieses noch lange keine Garantie dafür, dass er sich in einem Zug nach Hessen befinden könnte. Auch dieses Bundesland erweist sich bei Recherchen größer als gedacht. Voigt hoffte nun auf eventuelle Hinweise seiner geschätzten Kollegen in dieser bisher recht aussichtslosen Suche nach Erfolg. Um seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, beschloss er sich mittags auf dem Präsidium zunächst mit einem weiteren älteren Fall zu beschäftigen. Vertieft in die ersten Seiten, klingelte plötzlich sein Telefon. Am Apparat war Elisabeth Winkler.
„Ich habe vor lauter Aufregung vergessen, Ihnen zu erzählen, dass Ingrid mit einer Lebensgefährtin, also einer Frau, zusammenlebte. Sie heißt Xenia Uhlig. Keiner wusste es lange Zeit, da diese oft unterwegs und nur selten zu Hause war. Vielleicht war der Mord ein Mord aus Eifersucht, da sie dachte, dass sie ein Verhältnis haben könnte?“
„Danke für den vielleicht sehr wichtigen Hinweis“, antwortete Voigt. Er bedankte sich bei Elisabeth und teilte ihr mit, sich wegen eventuell zusätzlicher Fragen noch einmal zu melden. Die Lebensgefährtin von Ingrid Engel musste unbedingt als Nächstes verhört werden. Vielleicht kannte sie den Tatverdächtigen. Xenia Uhlig war nicht anzutreffen. Eine Nachbarin wies den vor dem Haus stehenden Kommissar auf seine Nachfrage in tiefstem Sächsisch darauf hin, dass sie für ein paar Tage in einem europäischen Kloster wäre. Angeblich ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Sie würde in dieser Jahreszeit jedes Jahr kurze Zeit in einem Kloster untertauchen und keiner wüsste, in welchem. Das Ganze nenne sich „Besinnungstage“. Allerdings dürfte sie in den nächsten beiden Tagen wieder da sein. Voigt musste warten, da er wusste, dass eine europaweite Suche nach ihr dieselbe Zeit in Anspruch nehmen würde wie ihre geplante Rückkehr nach Freiberg. Er fühlte auch basierend auf seiner langjährigen Erfahrung, dass der Mord anhand der bisher vorliegenden Indizien durch den Verdächtigen vollzogen worden sein dürfte
-Berlin- Zwei Tage nach Entkommen des Freiberger Mörders wurde eine Frauenleiche am Lietzensee im Bezirk Berlin Charlottenburg Wilmersdorf gefunden. Der See, der die Form einer Sichel hat, ist umgeben von dichten Baumanpflanzungen und von sehr wenigen Häusern. Die umliegenden Parkanlagen des Lietzenseeparks sind weitere mehrere Hektar groß. Die Tote lag versteckt zwischen großen Büschen. Rentner Heinz Bulle, sechsundachtzig Jahre, ein alter Charlottenburger, oder „Lietzenseer“ wie er sich selbst nannte, lief wie jeden frühen Morgen der Gesundheit wegen, langsam mit seinem Stock den gut aufbereiteten Spazierweg am See entlang. Er wollte, wie immer an dem leicht zugänglichen Stück zum Wasser hin die Enten füttern. Allerdings quälte ihn seine Prostata auf dem kurzen Stück zum Wasser hinunter so sehr, dass er bereits kurz davor in die Büsche gehen musste. Beim Hinstellen spürte er plötzlich, dass sein rechter Fuß auf einer Art weicher Wurzel stand. Als er genauer hinsah, traute er seinen Augen nicht. Zunächst vermutete er, dass es an seiner Sehschwäche und der noch vorhandenen Dämmerung liegen könnte. Aber beim zweiten Hinsehen schrie er einen so lauten Ton aus, von dem selbst er als ehemaliger und stimmlich nicht mehr so voluminöser Opernsänger überrascht war. Er trat zurück und sah eine tote Frau mit seitlich ausgestreckten Armen. Der Körper war Richtung Wasser platziert. Ihr wunderhübsches Gesicht schien eine Zigarette im Mund zu haben und auf dem eindeutig blutenden Hals lag seines Erachtens ein Stück Holz. Da er noch nicht lange unterwegs war, ging er so schnell wie überhaupt möglich nach Hause, um die Polizei anzurufen. „Hallo, Hallo, ist dort die Polizei? Ich habe eine Tote am Lietzensee gefunden. Ich bin aus Versehen noch auf ihren Arm getreten. Bitte kommen sie schnell.“
Eine beruhigende, tiefe Stimme eines Beamten klang in sein rechtes Ohr hinein.
„Sagen Sie uns bitte erst einmal Ihren Namen und wo Sie wohnen, und dann gehen wir gemeinsam dort hin.“ Heinz Bulle antwortete hektisch und laut.
„Witzlebenstrasse, aber kommen Sie am besten ans Bootshaus. Sie erkennen mich an meinem silberfarbenen Gehstock. Außerdem sind zurzeit ja noch nicht viele Leute unterwegs.“
Wenige Minuten später trafen Hauptkommissar Holz, die Polizei und die Spurensicherung am Bootshaus ein.
„Guten Tag Herr Bulle. Wir bedauern, dass Sie diese schreckliche Entdeckung machen mussten. So etwas sieht keiner gerne. Glauben Sie uns, wir haben damit trotz unserer langjährigen Erfahrung auch immer noch Probleme. Lassen Sie uns gemeinsam langsam zur Tatstelle gehen.“ Schweigend gingen sie zu der Böschung, in der das Opfer lag.
„Vielen Dank Herr Bulle. Wir müssen jetzt den Tatort leider großräumig abriegeln, damit uns keine wichtigen Spuren verloren gehen. Bleiben Sie bitte zu Hause ganztägig erreichbar, da Sie kein Handy haben. Geben Sie uns bitte auch noch Ihre Hausnummer in der Witzlebenstrasse und Ihre Telefonnummer. Wir melden uns dann heute noch bei Ihnen. Legen Sie sich erst einmal auf Ihr Sofa und ruhen Sie sich nach diesem Schock etwas aus.“
Heinz Bulle trat den Rückweg an und war verwundert, dass ihm so etwas in seinem hohen Alter an diesem schönen See noch passieren musste. Die Spurensicherung hatte den Fall bereits an die Mordkommission übergeben und begann mit ihrer Arbeit. Hauptkommissar Johann Holz begrüßte seine geschätzten Kollegen.
„Guten Tag allerseits. Ich weiß, Sie hatten noch keine Zeit ausführlich Spuren zu finden, aber ich möchte mir, ohne groß Ihre Arbeit zu behindern, nur einen kurzen Eindruck verschaffen.“
Holz sah eine wunderschöne blonde Frau, deren Liegeposition an einen Engel erinnerte. Und sie hatte einen Erzgebirgs-Holzengel als Bäcker mit einem Cup Cake in der Hand auf ihrem blutigen Hals liegen. Dieser wies Stichwunden auf, und in ihrem Mund steckte ein zusammengerollter Zettel. Ich habe es geahnt, dachte sich Kommissar Holz. Ähnlich wie in Freiberg in Sachsen.
Soweit er es beurteilen konnte, handelte es sich auch hier nicht um ein Sexualdelikt.
„Lassen Sie uns jetzt bitte arbeiten“ sagte ein Kollege mit unfreundlicher Stimme zu ihm. Wir werden Sie später auf dem Polizeipräsidium mit den Details versorgen.“
„Okay“ sagte Holz und verließ den Fundort. Er ging den leichten Anstieg vom Seeufer hoch und bog danach rechts auf den Weg ab. So wie die Leiche aussah, war der Mord erst ein paar Stunden her, dachte er sich. Ein gutes, bekanntes und direkt am Wasser liegendes Restaurant, lag auf seinem Rückweg. Holz hoffte innerlich, dass es dort vielleicht einen Zeugen geben könnte, der die Tat beobachtet hatte.
„Guten Morgen die Damen, Mordkommission Berlin, Holz mein Name. Es gab in der vergangenen Nacht einen Mord, nicht weit weg von hier. Von Ihrer Terrasse aus gesehen mit frontalem Blick auf das Wasser circa vierhundert Meter nach rechts entfernt. Können Sie sich eventuell an einen weiblichen Gast mit kurzen blonden Haaren, circa vierzig Jahre alt, gekleidet in einem pinkfarbenen Mantel erinnern?“
„Sie sind lustig“, sagte eine der beiden Angestellten.
„Blonde kurze Haare sind nicht gerade selten. Bei den vielen Gästen, die hier täglich ein und ausgehen, gucken wir bestimmt nicht auf jeden Mantel oder jede Jacke, die jemand anhat. Es gibt hier in der Ecke so viele kreative und individuelle Leute, dass selbst ein pinkfarbener Mantel nicht auffällt.“
„Danke für das freundliche Feedback“ sagte Holz. „Ich komme eventuell noch einmal in Ihr Restaurant, wenn es voller ist. Vielleicht habe ich ja dann mehr Glück. Schönen Tag noch.“
Holz fuhr weiter zum Präsidium in der Hoffnung, so schnell wie möglich weitere mit dem Mord in Verbindung stehende Informationen erhalten zu können. Da dieses aber noch etwas Zeit in Anspruch nehmen würde, nutzte er sie vor Ort, um in das Datenanalysesystem der Morddelikte zu schauen. Laut diesem System hatte auch die in Freiberg vor einigen Tagen ermordete Person einen Engel am Hals und einen Zettel im Mund.
„Guten Tag sehr geehrter Kollege Voigt. Ich bin Hauptkommissar Holz von der Mordkommission Berlin. Heute Morgen wurde in unserer Stadt eine Leiche am schönen Lietzensee in Charlottenburg gefunden. Ich erinnerte mich sofort daran, dass Sie diese Woche einen ähnlichen Mordfall in Freiberg hatten. Daraufhin habe ich, um einen ersten Anhaltspunkt zu bekommen, in das System der Tötungsdelikte reingeschaut, um festzustellen, ob eine gewisse Ähnlichkeit vorliegen könnte. Leider ist das Ganze noch zu frisch, aber tendenziell könnte es passen. Ich werde Ihnen schnellstmöglich die ermittelten Erkenntnisse weitergeben. Auf gute Zusammenarbeit!“
Voigt war erfreut, endlich einmal Kontakt zu einer etwas entfernter liegenden Mordkommission zu bekommen. Er arbeitete normal fast ausschließlich mit den Kollegen in Dresden zusammen. „Sehr gerne Herr Holz. Vielen Dank! Vielleicht kann der Mörder durch unsere gemeinsame Zusammenarbeit schneller gefunden werden. Ich wünsche Ihnen bis zu unserem nächsten Kontakt erst einmal einen erfolgreichen Tag.“
Holz schaute aus dem Fenster und sah aus der Ferne, dass die Kollegen vom Lietzensee zurückkamen. Auch sie sahen ihn bereits am Fenster und wussten genau, dass er sie, pedantisch wie er war, gleich anrufen würde. Der Leiter der Spurensicherung bevorzugte es daher, lieber direkt in seinem Büro vorbeizukommen.
„Da sind wir wieder und haben bisher schon einige Erkenntnisse dazugewinnen können. Die Leiche wird jetzt obduziert und die Ergebnisse sowie die der Kriminaltechnischen Untersuchungen (KTU) liegen am späten Nachmittag vor, also keine Panik. Die tote Dame ist circa vierzig Jahre alt. Wie Sie selbst sehen konnten, lag der Bäcker-Engel mit dem Cup Cake in der Hand, an ihrem blutigen Hals. Die Einstichstelle wurde mit einem Messer vollzogen. Der im Mund zusammengerollte Zettel enthielt die Aufschrift „Dieses war der zweite Streich und der dritte folgt sogleich.“ Tatort des Mordes ist der Fundort. Die Tatwaffe war nicht am Tatort. Papiere, Geld und so weiter wurden entwendet. Tatzeit und Todeszeitpunkt circa elf Uhr nachts. Das Opfer war auf jeden Fall bereits länger als sechs Stunden tot. Das konnte man mithilfe des auch Ihnen bekannten Drucktests feststellen.“
Holz war sich nicht ganz sicher, ob er den Inhalt noch wusste und guckte seinen Kollegen absichtlich fragend an.
„Also bei Leichen, die länger als sechs Stunden tot sind, lassen sich die Flecken nur durch kräftigen Druck geringfügig ändern. Sie kehren in den nächsten Sekunden nicht zurück. Dieser Zustand war bei der Dame der Fall. Bekleidet war sie mit einem pinkfarbenen Mantel, gelben Sneakers, orangefarbener Hose und blauer Bluse. Verzeihen Sie lieber Kollege, aber sie sah so bunt aus wie der Cup Cake den der Engel in der Hand hielt.“ Er lachte, fügte aber beschämt hinzu, dass das Ganze ja eigentlich nicht zum Lachen sei. Holz bedankte sich und ging in die Kantine zum Essen. Er saß allein am Tisch und genoss die leckere, typische Berliner Curry Wurst, die seiner Meinung nach die beste in diesem Stadtteil war. Beeindruckt von der bisherigen Übereinstimmung des Falls in Freiberg mit dem hier in Berlin, konnte er den Anruf des Pathologen kaum erwarten. Holz wusste, dass seine Kollegen immer unter Hochdruck arbeiteten, sodass er bereits gegen Abend die ersten Ergebnisse haben dürfte. Seine langjährige Erfahrung bestätigte seine Vermutung. Gegen sechs Uhr abends meldete sich zuverlässig die Pathologie. „Warten Sie“, sagte Holz. „Ich bin sofort bei Ihnen, dann können Sie mir alles direkt vor Ort persönlich mitteilen.“ Am Autopsie-Tisch stehend, zeigte ihm der Pathologe zunächst den Arm der Toten. „Diese Verletzung entstand post mortem als der Rentner, Herr Bulle, auf den Arm des Opfers getreten ist. Es handelt sich hierbei nicht um eine Gewalteinwirkung durch den Täter. Die Tat selbst ist natürlich eine Gewalteinwirkung durch die drei gezielten Stiche in den Hals mit einem alten Messer. Meine neue Kollegin hat parallel zu meiner Arbeit herausfinden können, dass es sich um ein altes Militärmesser handelt. Dem Tatvorgang nach könnte es sich um Hass gehandelt haben. Kein Sexualdelikt. Größe des Opfers, ein Meter siebzig, Schuhgröße achtunddreißig, Gewicht siebenundsiebzig Kilogramm, also etwas kräftiger gebaut. Kein Blut des Täters vorhanden. Keine Fingerabdrücke, aber Speichelreste an der rechten Wange, die vom Täter sein müssten. Dieselben Speichelreste fanden wir an den Krümeln der Reste eines Gebäckstücks. Auf diesen Krümeln fanden wir allerdings auch Speichelspuren der Ermordeten. Beide müssen also vorher gemeinsam in etwas Süßes reingebissen haben. Mehr dürfte unseren Kenntnissen nach zu urteilen nicht zwischen den beiden gewesen sein.“ Holz bemerkte einen größeren Bluterguss am Schienbein.
„Hierbei handelt es sich um eine prämortale Wunde, die bereits vor dem Tode existierte. Vielleicht hat sie sich an einem Sofatisch gestoßen.“
Kommissar Holz gab ihm die Daten der Haare, Hautschuppen, des Mantels und des Anzugs. Bis auf die Fasern des Anzugs stimmte alles mit den Daten des Mordes in Freiberg überein.
„Jetzt sagen Sie bloß noch, dass im Blut des Opfers Schlafmittel nachgewiesen werden konnte.“
„Ja. Schlafmittel und leider auch noch Alkohol. Interessant ist auch, dass die Dame auf ihrem Rücken ein schon ein paar Jahre altes Tattoo hat. Ein Flugzeug.“
„Danke Ihnen und später wünsche ich Ihnen noch einen erholsamen Abend.“ Kommissar Holz war sich sicher, dass es sich um denselben Täter handeln musste. Sollte die Speicheluntersuchung keine Ergebnisse bringen, dachte er sogar über eine DNA Reihenuntersuchung mit Speicheltest nach. Allerdings konnte der Täterkreis noch nicht eng genug eingekreist werden, sodass das Ganze noch zu aufwendig war. Er beschloss erneut zum Lokal am Lietzensee zu fahren, um dort zu Abend zu essen. Eine Bedienung wurde bereits durch eine andere ersetzt. Das war die Chance für Holz dieselbe Frage nach dem Opfer während seiner Bestellung noch einmal zu stellen. Sichtlich freundlicher als die Angestellte morgens setzte sie sich, kurz nachdem sie sein Getränk auf den Tisch gestellt hatte, neben ihn.
„Ich erinnere mich an die farbige Bonbon-Kundin. Ihren Namen kenne ich nicht, könnte ich aber von Gabi Saft, einer Kollegin und Freundin, die im Restaurant eine Straße weiter an der Ecke arbeitet, erfahren. Dort tauchte sie auch öfter auf. Ich selbst kenne sie nur vom Sehen. Gabi Saft arbeitet in dem beliebten vegetarischen Lokal „Aubergine.“
„Wenn wir den Namen von ihr erfahren könnten, würde uns das einen enormen Schritt weiterbringen. Erinnern Sie sich zufällig auch daran, ob sie allein hier war, oder mit Begleitung?“
„Eindeutig mit Begleitung. Ich nehme an ein Freund, da er sie mit seinen dicken Lippen, dem großen Mund und den blauen Augen immer fasziniert anstarrte. Mit steigendem Wein- und Schnapskonsum wurden seine Blicke immer intensiver. Fällt einem natürlich schon irgendwie auf, zumal der Tisch genau von der Theke aus zu beobachten war. Mich haben seine dicken Finger und seine großen Ohren irritiert. Besonders als er mit diesen dicken Fingern nach diversen Schnäpsen etwas Kleines aufhob, das während ihrer kurzen Abwesenheit zur Toilette auf den Boden gefallen war. So, jetzt muss ich leider weiterarbeiten.“
„Kurze Frage noch. Können Sie sich eventuell noch an seine Kleidung erinnern?“
„Nichts Besonderes. Weißes Hemd und dunkle Hose. Aber unterhalb seines hellen, eng sitzenden Hemdes guckte ein Streifen eines Tattoos heraus. Komisches Tattoo. Aber Geschmäcker sind verschieden.“ Holz suchte nach etwas in seiner Jackentasche. „Eine Bitte noch. Hier ist meine Karte. Kommen Sie morgen früh um neun Uhr zur Täterbeschreibung zu uns ins Präsidium.“ Holz bestellte seine geliebte „Lietzensee-Platte“ ab, bezahlte und lief zügig zum Restaurant „Aubergine“. Gabi Saft stand bereits auf den Treppen des Eingangsbereichs und wartete auf ihn.
„Hallo sind Sie der Mann, der bei mir soeben angekündigt wurde?“
„Ja. Das bin ich. Mein Name ist Johann Holz. Hört sich zwar Bayrisch an, ick bin aber ein waschechter Berliner und dazu noch Kriminalhauptkommissar.“
„Ich heiße Gabi Saft und habe schon kurz von meiner Bekannten am Telefon gehört, worum es geht. Das ist ja schrecklich. Und so ein Mörder geht dann hier noch essen und läuft einem vielleicht noch mal über den Weg. Echt gruselig.“ Beide gingen in das Restaurant hinein. Holz zeigte ihr behutsam die Fotos des Opfers. Er wusste, dass solche Anblicke schon öfter zu Kreislaufzusammenbrüchen geführt hatten. Gabi Saft stützte sich auf die moderne, schwarz-weiß bemalte Theke und ihre Beine zitterten genauso wie ihre Stimme. „Der Name der Toten ist Ursula Ulme. Ich kenne sie sogar ziemlich gut, da wir bereits vor Jahren zusammen an diversen Koch- und Backkursen teilgenommen haben. Besonders lustig und effektiv war der Cup Cake Kurs. Dieser Kurs hat sie so in den Bann gezogen, dass sie eine kleine Bäckerei nur für Cup Cakes eröffnet hat. Sie redete sehr gerne und aß sehr gerne, was man zum Schluss auch an ihrer Figur sah, aber trotzdem war sie noch eine bildhübsche Frau. Sie hat dieses Jahr ihren vierzigsten Geburtstag gefeiert. Seit zehn Jahren war sie nun in Berlin. Sie liebte diese weltoffene und freie Stadt. Museen, Parks, Theater, Lesungen, Sportveranstaltungen, Cafés und Restaurants aller Art und natürlich viele historische Plätze. Kurz gesagt, Berlin war ihre Stadt.“
„Was hat sie davor beruflich gemacht?“
„Verheiratet war sie nie. Sie wollte immer Freiheit haben, und das hätte man ihrer Meinung nach in einer Beziehung nicht. Ja, so war sie die liebe Ursula. Ich bin zutiefst erschüttert.“
Holz merkte, dass sie durch den Vorfall ziemlich verwirrt war, aber er benötigte jedes kleinste Detail für seine weiteren Ermittlungen.
„Okay, sie war nicht verheiratet, aber sie musste doch Geld verdienen, um dann allein über die Runden zu kommen. Was hat sie beruflich gemacht, bevor sie ihren Laden eröffnet hat?“ Gabi Saft überlegte.
„Ich bin mir nicht ganz sicher, aber sie war irgendwie in der Touristikbranche tätig, da sie viel gesehen hat und auch einige Sprachen sprach. Wir haben uns, wie gesagt, immer bei den Kochkursen gesehen. Da war sie ziemlich lustig, besonders dann, wenn die Weinflaschen geöffnet wurden. Ansonsten war sie ein ziemlich introvertierter Mensch, mit dem außerhalb der Kochkurse eigentlich niemand privat Kontakt hatte.“
„Das heißt sie hatte keine Freunde?“
Gabi Saft nickte mehrmals.
„Nein. Sie war, wie sie es selbst immer gerne betonte, eine typische Einzelgängerin. Man hatte das Gefühl, dass sie darüber geradezu stolz war. Ich bin sehr müde, da ich hier schon wieder viel länger als notwendig gearbeitet habe.“
„Wohnen Sie hier in der Nähe?“ fragte Holz mit verständnisvollem Blick.
„Ja, vier Straßen weiter. Nur drei von Ursulas Bäckerei entfernt.“
Er wusste, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt durch weitere Fragen überfordert gewesen wäre, und nahm zunächst ihre Kontaktdaten auf. „Ich begleite Sie noch bis nach Hause, um Gewissheit zu haben, dass Sie dort auch wohl und behütet ankommen werden.“ Holz ahnte, dass in den nächsten Tagen viel Arbeit auf ihn zukommen dürfte, und beschloss deshalb den heutigen Arbeitstag zu beenden.