Читать книгу ENGELSMÖRDER - Kerstin von Schuckmann - Страница 7

Freitag, 10. Oktober

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Freiburg, Hauptstadt im Schwarzwald, bekannt durch seine „Bächle“ und das Freiburger Münster. Umgeben von einer traumhaften Natur. Man könnte meinen, dass in dieser Idylle die Welt noch in Ordnung sei. Leider wurde diese Vorstellung einer perfekten und harmlosen Umgebung in der letzten Zeit schon häufiger zerstört. Diese Erfahrung musste nun auch Marathon Läuferin Petra Reichenbach in den Weinbergen des nah gelegenen Glottertals machen. Es war erst der Start ihrer beliebten Laufstrecke hinauf zum 1241 Meter hohen Kandel, als ihr in den Weinbergen einfiel, dass sie nach Verlassen ihres Hauses vor lauter Hektik vergessen hatte, den Wasservorrat ihres Rucksacks aufzufüllen. Sie wusste aber, dass es nach zwei weiteren Umrundungen direkt an einer Weinhütte, eine beliebte Brunnenquelle gab, die gutes Trinkwasser hatte. Beim Aufdrehen des Hahns bemerkte sie, dass etwas in die Öffnung gesteckt wurde. Es war ein gerollter, in Plastik verpackter Zettel. Als sie ihn herauszog, öffnete, ausrollte, und las fingen ihre durchtrainierten muskulösen Beine an zu zittern. Nervös zog sie ihr Handy aus der Tasche und rief die Polizei in Freiburg an.

„Hier Petra Reichenbach aus dem Glottertal. Ich habe soeben in einer Quelle in den Glottertäler Weinreben beim Joggen, in dem Hahn einer Quelle einen Zettel gefunden und gelesen. Auf diesem steht „Ich, der Engelsmörder, bin überall und stehe vielleicht gleich auch schon hinter Dir. Also pass gut auf, denn sonst bist Du bald das dritte Opfer.“

Petra hatte erst gestern in der Badischen Zeitung von den beiden Mordfällen des Engelsmörders in Freiberg und Berlin gelesen und auch den Hinweis der Polizei, alle möglichen Informationen bundesweit mitzuteilen. Das Phantombild und einige wichtige Hinweise waren darin groß abgebildet. Allerdings hätte sie nie gedacht, dass er sich irgendwann im Hoch-Schwarzwald aufhalten würde.

„Guten Tag hier Mordkommission Freiburg, Hauptkommissar Geigele. Wo genau sind Sie? Wir kommen sofort vorbei, um Spuren zu sichern und Beweise wie den Zettel sicherzustellen. Bleiben Sie am besten die ganze Zeit am Apparat, damit Sie eine gewisse Sicherheit haben.“

Petra Reichenbach setzte sich etwas versteckt in eine Reihe der alten, abgeernteten, aber noch mit großen, rötlich gefärbten Weinblättern bewachsenen Rebstöcke. „Ich befinde mich am Ende des Weinlehrpfades in den Reben.“

Die Zeit bis zur Ankunft der Polizei kam ihr ewig vor. Die Spurensicherung suchte das gesamte Terrain ab und stellte einige Proben sicher. Geigele nahm die Daten von Petra Reichenbach auf und übergab ihr seine Visitenkarte. Sie versprach ihm, jederzeit mobil erreichbar zu sein. Auf dem Weg zum Polizeipräsidium merkte er, wie sehr ihn diese Mitteilung in innere Unruhe versetzte. Die Untersuchungen der KTU hatten oberste Priorität und die Kollegen arbeiteten unter Hochdruck an den Ergebnissen. Allein der Gedanke, dass sich der Engelsmörder in seiner Region aufzuhalten schien, war für ihn unerträglich.

Die KTU Untersuchungen des Zettels und der entnommenen Proben aus dem Erdreich sowie die Fußabdrücke am Fundort ergaben, dass es sich nicht um den Serienmörder handeln konnte. Die Daten waren eindeutig einer Frau zuzuschreiben, wie man auch den Urinspuren hinter dem Brunnen entnehmen konnte. Es musste sich um eine Person handeln, die durch eine Art Mitläufereffekt für Aufmerksamkeit sorgen wollte. Die Vermutung, dass es sich um eine ganz bestimmte Patientin der nahe liegenden psychiatrischen Klinik handeln könnte, wurde nach dem parallel durchgeführten Verhör und der über sie zur Verfügung stehenden Daten verworfen. Diese hätte laut Klinikleitung die einzige Person sein können, zu der diese Art von psychologischem Verhalten gepasst hätte. Fest stand, dass die „Mitläuferin“ schwarze Haare hatte. Nach vorheriger Abnahme der Fingerabdrücke von Frau Reichenbach, wurden die Fingerabdrücke vom Zettel und der Plastikverpackung, in der er steckte, genommen. Hinzu kamen noch Faserspuren von Leder, also einer Lederjacke oder Lederhose. Kommissar Geigele beschloss nach Durchsicht der Datenbank, seine beiden Kollegen in Freiberg und Berlin im Rahmen einer Videokonferenz zu kontaktieren, um potenzielle Fehler bei der Tätersuche zu vermeiden.

„Schönen guten Tag Herr Kommissar Voigt und Herr Kommissar Holz. Wie Sie der soeben bei Ihnen eingegangenen Eilmeldung entnehmen konnten, könnte mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit der nächste Mord des Engelsmörders in unserer Freiburger Region geschehen. Wir wissen zwar, dass der Zettel nicht von ihm, sondern von einer Frau geschrieben und verteilt wurde, allerdings liegt es nahe, dass ein zukünftiger Mord trotzdem hier stattfinden könnte. Einer der von Ihnen, Herr Kommissar Voigt, in das System eingegebenen, in Freiberg gekauften Engel, hielt eine Weinflasche in der Hand. Hier um Freiburg herum ist eine sehr große und gute Weinregion.“

„Das ist doch ziemlich bei den Haaren herbei gezogen lieber Herr Kollege Geigele“ erwiderte Voigt energisch.

Es gibt so viele Weinregionen in Deutschland. Meine Zeugin Elisabeth Winkler sagte mir damals, dass er andeutungsweise Hessisch sprach. Es könnte also genauso gut sein, dass er jemanden im Weingebiet an der hessischen Bergstraße tötet.“ Voigt lachte leicht genervt. Man sah auf dem Monitor, wie sich seine Gesichtsfarbe von blass in Rot änderte.

Kommissar Holz aus Berlin glättete die angeheizte Stimmung. „Fakten, Fakten, Fakten. Das ist wichtig. Das nächste Opfer wird blond sein, es wird weiblich sein, und der Täter kannte es schon vorher ziemlich gut. Sie wird etwas mit Wein zu tun haben, sei es als Verkäuferin oder als Eigentümerin eines Weinguts oder Weinladens. Er wird überrascht tun, sie zu sehen, er wird mit ihr essen und trinken gehen, ihr das Schlafmittel per Flüssigkeit geben und sie dann nach dem Einschlafen voraussichtlich an der Stelle töten, an der sie einschlief. Und zwar mit dem alten Piloten-Messer durch drei gezielte Stiche in den Hals. Dann wird er ihr den Erzgebirgs-Engel mit der Weinflasche in der Hand in den blutigen Hals legen und eventuell eine erneute Botschaft als gerollten Zettel in den Mund schieben. Wir können jetzt unter anderem nur darauf hoffen, dass die in der Presse abgebildeten und in den öffentlichen Gebäuden hängenden Phantombilder und Angaben ausreichen, um ihn vor einer neuen Tat zu überführen. Jetzt im Herbst sind zum Beispiel immer noch so viele Weinfeste, dass die Wahrscheinlichkeit, ihn irgendwo dort zu überführen, sehr gering ist.“

Alle drei Kommissare verabschiedeten sich mit dem Ziel, die Fälle weiterhin mit größter Intensität in der Hoffnung zu bearbeiten, kein weiteres Opfer mehr registrieren zu müssen.

Kommissar Geigele fuhr nach dem Gespräch direkt zum Flughafen, um seine Frau vom einwöchigen Urlaub auf Lanzarote abzuholen. Eigentlich hätte er am Liebsten einen Bekannten geschickt, da ihm die beiden Mordfälle innerlich keine Ruhe ließen. Allein der Gedanke, dass jede Sekunde eine neue Person voraussichtlich auch noch in seiner Region ermordet werden könnte, kostete ihn zahlreiche Nerven. An Schlaf in den nächsten Nächten Tagen dürfte kaum zu denken sein. Alles was wir bisher haben, grübelte er, ist zwar schon viel, aber eigentlich wieder nichts, das uns besonders gut in diesen Fällen weiterhelfen könnte. Geigele fuhr zum Flughafen und sah, dass der Flieger seiner Frau zwanzig Minuten Verspätung hatte. Er setzte sich fast meditierend auf eine Bank im Ankunfts-Terminal und schaute in die Menge, als ihm beim Vorbeigehen einer Fluglinien-Crew plötzlich ein Gedankenblitz in den Kopf schoss. Die beschriebenen Streifen, die der Mörder als Tattoo hatte, sahen mit etwas Fantasie aus wie die Kapitänsstreifen auf einer Pilotenuniform. Könnte er eventuell auf dieser Erkenntnis weiter aufbauen? Seine Frau kam aus dem Ankunfts-Terminal heraus und umarmte ihn. Das Interesse von Geigele jedoch konzentrierte sich erneut auf eine weitere Crew, die an ihnen vorbeilief.

„Hallo mein Schatz. Freust Du Dich denn überhaupt nicht, dass ich wieder zurück bin? Du machst so einen weggetretenen Eindruck.“

„Doch doch, natürlich freue ich mich sehr. Ich hatte nur gerade eben so eine Art „Eingebung“ im Rahmen der Ermittlung eines Falles mit einem Serienmörder. Schatz, ich werde Dich jetzt zu Hause absetzen, allerdings danach gleich weiter ins Präsidium fahren, um dort noch wichtige Details zu klären. So zu sagen, um aus diversen Glasscherben ein Mosaik zusammenzusetzen.“ Geigele fuhr seine sonnengebräunte und entspannte Frau ohne Tempolimit nach Hause und verabschiedete sich hektisch mit einem Kuss von ihr.

Im Präsidium fixierte er seine Arme neben einer großen Teetasse aufgestützt, die vorbeifahrenden Autos der nahe liegenden Schnellstraße. Seinen Gedanken ließ er dabei freien Lauf. Deutete bisher in den Fällen weiteres auf den Bereich des Luftverkehrs hin? „Natürlich“ dachte Geigele sich. Die Tote in Berlin hatte laut System ebenfalls ein Tattoo mit einem Flugzeug auf dem Rücken. War der Mörder ein Pilot und was hatte das Flugzeug auf dem Rücken der Toten damit zu tun? Bei dem Opfer in Freiberg kaufte der Mörder einen Piloten als Räuchermännchen. Alles ziemlich herbeigesponnene Dinge, aber weitere Recherchen diesbezüglich könnten mit Sicherheit Fortschritte bringen. Vorausgesetzt, es sollte sich bei dem Streifen-Tattoo wirklich um Kapitäns-Streifen handeln. Fantasie hatte in seinem Beruf schon bei so manchen Fällen zum Ergebnis geführt. Geigele behielt diese Gedanken zunächst für sich, um von seinen anderen Kollegen nicht ausgelacht zu werden.

Unkonzentriert fuhr er nach Hause zu seiner Frau, die bereits voller Ungeduld auf ihn wartete.

„Schatz“, sagte er fast euphorisch. „Lass uns etwas essen gehen. So hast Du keine Arbeit, und ich komme hoffentlich auf andere Gedanken. Außerdem können wir uns dann auch endlich in Ruhe über Deinen Urlaub unterhalten.“

Ohne zu zögern liefen beide Arm in Arm zu ihrem Lieblings-Italiener und genossen den gemeinsamen Abend in der wunderschönen Freiburger Altstadt.

ENGELSMÖRDER

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