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Meredith & Jonathan

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Meredith war eine ganz besondere Katze. Schon früh hatte sie ihre Mama verlassen müssen. Denn die Züchterin, bei der sie die ersten Wochen verbracht hatte, erhielt einen besorgniserregenden Anruf, dass ihre eigene Mutter nicht mehr alleine zurecht käme. Deshalb beschoss sie, diese zu sich zu holen. Dazu musste sie allerdings eine längere Autofahrt in das Nachbarland unternehmen. Um die älteren Katzen wollte sich die Nachbarin der Züchterin kümmern. Aber mit den jungen Katzen, das traute sie sich nicht zu.

Also kam Meredith zwei Wochen vor der Zeit zu Jonathan, denn die Züchterin hatte ein gutes Gefühl dabei. Jonathan hatte instinktiv das richtige Gespür für die kleine Meredith gezeigt. Und sie tat ihm ganz offensichtlich gut.

Jonathan war anders als seine jüngere Schwester Sophie. Bei Jonathan war die innere Welt viel größer als die äußere. Und deshalb fand er in ihr auch viel leichter Platz. Wenn er der äußeren Welt etwas mitzuteilen hatte, dann bereitete es ihm Mühe, Sätze zu bilden, die länger waren als fünf Wörter.

Sophie hingegen war ein Plappermaul. Jonathan fand das oft störend. Wenn in der äußeren Welt so viele Geräusche waren, dann dröhnten die Wände zu seiner inneren Welt. Da war es gut, dass sie inzwischen zur Schule ging und Jonathan viele Stunden allein im Haus war, ohne von ihr gestört zu werden. Da konnte er in Ruhe nachdenken.

Mit Meredith war das anders. Sie brauchte keine großen Worte, um sich verständlich zu machen. Jonathan verstand sie auch ohne Worte. Und Meredith freute sich über diese Freundschaft, die sie über den frühen Verlust ihrer Mama hinwegtröstete.

Meredith war übrigens eine Glückskatze. So nennt man die dreifarbigen Katzen weltweit. Das überwiegend schwarze Fell von ihr war durchsät mit gelb-goldenen Sprenkeln. Die Beine, der Bauch und der Hals waren weiß. Und ihr Gesicht war zweigeteilt. Etwa eine Hälfte war schwarz, die andere Hälfte war gelb-gold. Das sah sehr lustig aus. Und auch wenn die Trennlinie zwischen der gelben und der Schwarzen Gesichtshälfte nicht exakt auf der Mittellinie der Nase verlief, Jonathan war bei solchen Angelegenheiten eigentlich extrem pingelig, störte es ihn bei Meredith nicht, denn er hatte sie sehr lieb.

Dann wurde Meredith mit einem Mal immer dicker. Jonathan fand das ganz spannend, dass in ihrem Bauch kleine Katzen heranwuchsen. Obwohl Meredith selbst fast noch ein Kind war, bekam sie drei kleine, putzmuntere Babies, die fortan im Bett von Jonathan am Bauch der Mama ihre Milch bekamen. Jonathan fand das sehr spannend. Und er war sehr stolz auf seine Meredith, wie sie das alles allein gewusst hatte, was sie tun musste, ohne dass es ihr einer erzählt hatte. Sie hatte es einfach gewusst.

Über viele Monate bekamen die kleinen Katzen von Meredith ihre Milch. Auch, als sie schon größer waren als ihre Mama und längst feste Nahrung aßen. Meredith hatte nämlich einfach aufgehört zu wachsen und alle Kraft in die Pflege von ihren Babies gesteckt.

Irgendwann schüttelte sie die Kleinen an ihrem Bauch ab und beschloss, dass es nun genug sei, mit der Milch für die inzwischen erwachsenen Katzen. Und dann kam das, was allen Mamas irgendwann passiert. Meredith stellte sich die Frage, ob da noch etwas anderes sei, als einfach Mama sein?

Und es traf sich, dass das Jahr, in dem sie anfing, diese Frage zu stellen, ein ganz besonderes Jahr war, das so nur etwa alle sieben Jahre vorkommt.

Wenn nämlich der Heilige Abend auf einen Montag fällt, dann ist der Tag davor ein Sonntag. Der Sonntag, der der vierte Advent ist. Man schläft also vom vierten Advent direkt in den Heilligen Abend. Und diese Nacht ist auf eine gewisse Weise magisch.

Und wie immer lag Meredith an Jonathan angekuschelt im Bett und träumte. Aber in dieser Nacht war es insofern besonders, als Jonathan mit Meredith zusammen träumte. Er konnte ihren Traum ganz deutlich sehen und wusste, was sie geträumt hatte. Einfach so, ohne sich anzustrengen oder irgendwelchen Lärm mühsam wegschieben zu müssen, was ihm die Gespräche in der äußeren Welt meist so unangenehm machte. Nein, Meredith war in ihrem Traum ein Teil seiner eigenen inneren Welt. Und er verstand sie ganz ohne Mühen.

Am Frühstückstisch fasste er sich ein Herz und verkündete:

"Meredith wird Circus-Katze."

Alls sahen ihn an.

"Au, ja!", fand Sophie, "Ich mache ihr einen spitzen Hut. Ihr Gesicht wirkt ja schon geschminkt. Sie wird bestimmt ein toller Harlekin."

"Nein!", antwortete Jonathan zu seiner eigenen Überraschung. "Sie wird Artistin und lernt das Springen, Klettern und Balancieren. Das ist es, was sie will."

So viele Worte hatte er bisher noch nie in einem Satz gesagt. Er war selbst überrascht, aber es ging ja auch um etwas Wichtiges.

"Man soll Frauen immer das machen lassen, was sie wollen. Makramee und Töpfern ist wohl nicht so recht etwas für Katzen. Und Yoga machen die sowieso den ganzen Tag", meinte sein Vater hinter der großen Zeitung.

Nach dem Frühstück wusste Jonathan zunächst nicht so recht, wie man Artistin wird und wie er Meredith dabei helfen könne, ihren Wunsch umzusetzen. Er setze sich auf das Sofa und Meredith kuschelte sich an ihn.

Dann sah er auf den Elefantenfuß. Das war ein Sitzkissen aus Leder, auf das man sich setzen konnte, wenn alle Sitzplätze auf dem Sofa besetzt waren. Jonathan hatte lange überlegt, ob der Elefantenfuß wirklich von einem richtigen Elefantenfuß stammte. Aber irgendwann hatte er beschlossen, dass das wohl nur ein Name war, den die anderen lustig fanden. Denn der Elefantenfuß hatte keine Zehen. Und er hatte im Zoo beobachtet, wieviel Sorgfalt die Wärter mit der Pflege der Zehennägel verbrachten. Die Zehen waren also wichtig bei einem echten Elefantenfuß Und diese Sitzgelegenheit hatte keine! Also war das wohl nur ein Name, den alle in der äußeren Welt lustig fanden.

Es gab insgesamt zwei Elefantenfüße im Wohnzimmer und Jonathan hatte eine Idee. Er stellte den zweiten neben den ersten und legte auf einen zwei Leckerlis. Wie erwartet sprang Meredith auf den ersten Elefantenfuß. Doch sie blieb dann dort auch sitzen. Sie machte keinerlei Anstalten, auf das zweite Sitzkissen zu springen. Er legte auch auf des zweite Kissen ein paar Leckerlis. Meredith aber rührte sich nicht.

So saßen sie beide eine ganz Weile im Wohnzimmer und überlegten. Dann stand Jonathan auf und schob das andere Kissen dichter heran. Als er sich wieder gesetzt hatte, sprang Meredith tatsächlich hinüber und fraß die Leckerlis.

Jonathan blickte auf das Streifenmuster vom Laminat und prägte sich den Abstand ein, den Meredith für gut befunden hatte. Dann legte er wieder ein Leckerli auf das erste Kissen. Meredith sprang nach einiger Zeit tatsächlich hinüber.

Eigentlich mochte Jonathan keinen Circus. Alles war immer wild durcheinander und die anderen bestimmten die Zeit und die Abfolge der Dinge. Der Zoo war ihm lieber. Da konnte man den ganzen Nachmittag sitzen und die Flamingos beobachten, und wenn man dann endlich das Gefühl hatte, die Flamingos verstanden zu haben, wurde der Zoo geschlossen. Der Circus war aber schon zuende, bevor man verstanden hatte, was der Clown eigentlich wollte. Und dann kamen nach den Elefanten plötzlich Tiger und Löwen. Die einen sprangen durch Reifen und die anderen nicht. Das war alles verwirrend.

Aber er hatte eines verstanden: Es war immer jemand da, der den Tieren sagte, was sie tun sollten.

Er schnappte sich die Angel, ein Spielzeug an deren Ende ein paar Federn befestigt waren, und hielt sie zwischen den Sitzkissen in die Höhe.

Und tatsächlich: Meredith sprang von einem Kissen in die Höhe und versuchte die Feder zu erwischen. Dabei drehte sie sich in der Luft und landete auf dem anderen Kissen. Das sah schon recht beeindruckend aus, wie Jonathan fand. Sie übten es noch den ganzen Nachmittag. Dann war Bescherung und es gab etwas Leckeres zu essen.

Als Meredith in seinen Armen einschlief, hatte Jonathan das Gefühl, dass es ein schöner Tag für sie gewesen war.

Am nächsten Tag wollte Jonathan mit Meredith das Balancieren üben. Er erinnerte sich, dass im Bastelkeller noch etwas von der Holzleiste liegen musste, die sein Vater montiert hatte, als er das Laminat im Wohnzimmer verlegt hatte. Das war inzwischen einige Jahre her, aber Jonathan vergaß solche Dinge nie. Er wusste auch, wo sein Vater die übrig gebliebenen Leisten hingelegt hatte. Nur, er mochte den Bastelkeller nicht. Alles war so durcheinander! Überall standen Dinge und man konnte gar nicht so recht sagen, warum sie dort standen. Anders als in der Küche schien nichts einen festen Platz zu haben. Wenn man das nächste Mal in den Keller kam, standen die Dinge plötzlich an ganz anderen Stellen. Es war ein noch ungeordneterer Teil der äußeren Welt, als sonst im Haus.

Aber es war für seine geliebte Meredith. Er fasste sich ein Herz und ging hinunter in die gehasste Unordnung. Glücklicherweise standen die Leisten noch immer in die Ecke gelehnt, wo sein Vater sie vor Jahren abgelegt hatte.

Er war froh, als er wieder nach oben kam. Dann schnappte er sich zwei Stühle und legte die Leiste, die er mit nach oben gebracht hatte, quer über die Sitzflächen.

Meredith begriff schnell. Sie balancierte über die Leiste und forderte, auf dem anderen Stuhl angekommen, ihr Leckerli.

Irgendwann steuerte Sophie noch einen Hula-Hoop-Reifen bei, der eigentlich einer ihrer Puppen gehörte.

Jonathan und Meredith übten. Sie verbrachten nicht nur die Weihnachtstage damit, sondern übten auch die Tage danach ohne Unterlass. Das Programm, dass sie dabei entwickelten, war durchaus ansehnlich. Meredith konnte nicht nur zwischen den Elefantenfüßen springen und in der Luft Pirouetten drehen, sie sprang auch durch den Reifen und balancierte auf der Fußbodenleiste, die Jonathan immer höher platzierte. Selbst, als sie bereits auf den Stuhllehnen lag, hatte Meredith keine Probleme damit.

Dann kam der Tag, den Jonathan mehr hasste als alle anderen im Jahr. Es wurde draußen laut geknallt und seine Eltern luden Nachbarn und Freunde ein, die alle laut lachten und feierten. Und zu essen gab es Dinge, die man selber kochen musste, indem man sie in heißes Öl tauchte. Und weil das Öl zu heiß war, durfte er dann doch nicht selber kochen. Das war alles sehr verwirrend und störte ihn mächtig in seiner inneren Welt. Es gab wenige Tage, in denen die äußere Welt so massiv in seinen inneren Wohlfühlbereich eindrang, wie an diesem Tag im Jahr.

Da saß er nun am Abendbrottisch, alle hatten lange spitze Gabeln, mit denen sie Fleisch in das heiße Öl tauchten und Mama streifte ein paar Stücken auf seinem Teller ab, die sie für ihn bereits gebraten hatte. Dann goss sie Ketchup auf seinen Teller.

Auf seinem Schoß saß Meredith und blickte ihn an. Und dann hörte Jonathan sich auf einmal sagen:

"Meredith und ich wollen nachher noch ein paar Circus-Kunststücke vorführen." Nun war es raus. Alle blickten ihn an. Es war eine Überraschung, mit der keiner gerechnet hatte. Und es waren viel mehr Worte, als er sonst sprach. Und dann noch dazu vor den Gästen und Nachbarn.

Natürlich wollten alle die Kunststücke sehen, die Meredith und er trainiert hatten. Und schon bald nach dem Abendessen versammelten sich alle im Wohnzimmer. Einige mussten sogar stehen, denn die Sitzkissen und zwei der Stühle wurden ja gebraucht.

Es war eine sehr beeindruckende Vorstellung. Alle waren begeistert und beglückwünschten beide zu dem großen Erfolg. Meredith schien das richtig gut zu tun. Und Jonathan freute sich, dass er seiner Lieblingskatze diesen Erfolg ermöglicht hatte.

Als sie dann abends im Bett lagen, bekam Jonathan dann doch etwas Angst.

"Wirst du mich nun verlassen und zu einem richtigen Circus gehen?", fragte er ängstlich.

Meredith sah ihn an.

"Dich verlassen? Nie! Ich gehe nicht zum Circus. Wir holen uns das Publikum hierher."

Diese Lösung gefiel Jonathan richtig gut.

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