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Samweis, der Kirchenkater

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Samweis war ein Manager-Typ; strebsam und zielgerichtet. Schon nach der Geburt schob er seine beiden älteren Schwestern beiseite und sicherte sich bei seiner Mama den besten Platz. Er war der erste, der die Sache mit dem Klo verstand. Und er war zurecht stolz darauf. Mit anderen Worten, er war ein ganz besonderer Kater!

Rotblond getigert, die beste Fellfarbe, wie er fand. Denn Samweis war sehr selbstbewusst. Und trotzdem, so musste man zugeben, war er ausgesprochen liebenswürdig. Seinen aufmerksamen Augen entging nichts: Keine Maus, aber auch keine Träne, denn er hatte das Talent, die Stimmungen der Menschen um ihn herum stets richtig einzuschätzen. Und weil die Menschen um ihn herum ihm auch immer wichtig waren, spendete er Trost, wenn es notwendig war, munterte bei Bedarf auf, oder leistete ganz einfach Gesellschaft, sofern es ihm sinnvoll erschien.

Während der dunklen Jahreszeit las seine Familie oft und gern im Herrn der Ringe, und Samweis freute sich jedesmal, dass dort eine so gescheite Figur mitspielte, die seinen Namen trug.

Hatte ich schon erwähnt, dass Samweis ein guter Jäger war? Nein? Das ist aber wichtig, um die Geschichte zu verstehen. Keine Maus war vor ihm sicher. Meist zeigte er sich unbeteiligt und dann mit einem einzigen Hieb seiner kleinen Pranke, hatte er sie auch schon erwischt. Und obwohl er gut und häufig gefüttert wurde, verspeiste er sie meist auch unmittelbar nach dem Fang. Laut schmatzend fand man ihn dann oft auch in der Kirche, die auf dem Nachbargrundstück lag. Der Pastorin dort war das ganz recht, denn so hielten die kostbaren Altartischdecken länger, die ansonsten oft von den Mäusen angeknabbert worden waren. Die Kirche war, seitdem Samweis sie regelmäßig besuchte, praktisch mäusefei.

Und Samweis war ein regelmäßiger Kirchgänger. Nicht nur außerhalb der Gottesdienste, sondern auch während der Gottesdienste fand man ihn in der Kirche. Meist saß er auf der letzen Bank und lauschte der Orgelmusik. Es ist wohl anzunehmen, dass er der Predigt meist weniger Aufmerksamkeit schenkte. Die Stimme der Pastorin jedenfalls mochte er.

So war es auch an diesem speziellen Weihnachtsgottesdienst. Samweis saß in der letzten Bank und wunderte sich, wie wenig sich die übrigen Gottesdienstbesucher mit der Liturgie auskannten. Keiner wusste so recht, wann er aufstehen musste, und wann er sich wieder zu setzen hatte. Sie waren wohl viel zu selten im Gottesdienst, wie er fand. Viele der Gesichter hatte er noch nie gesehen, manche seit dem letzten Weihnachtsfest nicht mehr. So jedenfalls konnte das nichts werden mit der Liturgie. Sie hätten einfach auf ihn achten müssen. Sollte er sich im nächsten Jahr vorne in die Bank setzen?

Während er noch so überlegte, hörte er plötzlich einen lauten Schrei. "Iiiiiiih, eine Maus!", schrie eine ältere Dame, zwei Reihen vor ihm. Samweis wirkte irritiert. Schreien in der Kirche schien ihm deplatziert. Und während die Orgel spielte, fand er es noch schlimmer als bei der Predigt. Und überhaupt: Mäuse sollte es hier wirklich nicht geben. Er hatte am Nachmittag extra noch einmal kontrolliert.

"Iiiiih!", hörte er nun auch eine andere Dame schreien. Es gab wohl wirklich Handlungsbedarf.

Samweis sprang auf, und hatte die Maus sogleich erblickt. Zwei, drei Sätze und er hatte sie erreicht. Dann streckte er seine Pfote aus und hatte sie auch schon am Schwanz erwischt. Er wirkte zufrieden.

Doch dann hörte er aus der anderen Ecke der Kirche ein Mädchen heulen: "Jetzt tötet er gleich die arme, niedliche Maus!"

Samweis war etwas irritiert. Nun, das war der Lauf der Dinge. Wer sich in sein Revier verirrte, der war seines Lebens nicht sicher. Zumindest, wenn er eine Maus war. Aber nun schien es nicht so recht willkommen zu sein. Einige weitere Stimmen pflichteten dem Mädchen bei, während die meist älteren Damen lautstark signalisierten, dass die Maus unverzüglich zu verschwinden hätte.

Irgendwann hörte auch der Organist auf zu spielen. Es sang sowieso niemand mehr mit. Auch die Pastorin blickte irritiert auf Samweis. Denn nun wäre die Predigt an der Reihe gewesen. Doch sie befürchtete, dass ihr ohnehin niemand zuhören würde, so sehr, wie alle mit der Maus beschäftigt waren. Sie blickte auf Samweis und grübelte, wie er sich nun entscheiden würde.

Samweis erwiderte ihren Blick und erkannte, dass Mäusefangen am heiligen Abend eine ganz spezielle Herausforderung war. Einfach diese Maus im Mittelgang der Kirche zu verspeisen, schien nicht so recht willkommen zu sein. Und überhaupt, sie war eine Spitzmaus, nicht gerade die schmackhafteste Sorte. Und wenn er an die Leckereien dachte, die sie zuhause zubereiteten, als er zum Gottesdienst gegangen war, dann war es vielleicht gar nicht so eine gute Idee, sich mit ihr den Appetit zu verderben. Er hatte ja bereits unter Beweis gestellt, dass er ein guter Jäger war. Drei Sätze, und seine Pfote hatten den Nager erwischt. Gar nicht so schlecht, wenn man unter Beobachtung stand und nicht das Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte.

Während er noch überlegte, fiel sein Blick auf die große Krippe, deren Aufbau er beobachtet hatte. Allerlei Tiere saßen da nebeneinander im Stall. Sollte das der Sinn des speziellen Abends sein?

Er nahm die Maus vorsichtig am Nackenfell und trat mit ihr vor die Krippe. Dann setzte er sich davor und überlegte. Sie hier zu verspeisen war sicher keine gute Idee. Und die wieder laufen zu lassen auch nicht. Also drehte er sich mit der Maus in der Schnauze um und schritt majestätisch den Mittelgang der Kirche mit ihr entlang, hinaus zum Kirchentor. Der Küster öffnete ihm schnell die Tür und Samweis verschwand mit der Maus nach draußen. Dort ließ er die Maus dann schweren Herzens laufen.

Für den Rückweg wählte er seinen üblichen Weg durch das zerbrochene Kellerfenster. Als er wieder Platz genommen hatte, sah er, wie die Pastorin ihren Predigttext demonstrativ auf der Kanzel zerriss und meinte, sie würde eine andere Bibelstelle für die heutige Predigt wählen, nicht die bekannte Lukas-Geschichte, sondern einen Vers aus Jesaja 65. Genauer, den Vers 25: "Wolf und Lamm sollen weiden zugleich, der Löwe wird Stroh essen wie ein Rind, und die Schlange soll Erde essen. Sie werden nicht schaden noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR."

Alle blickten auf Samweis, und er wurde noch roter als sonst. Und dann meinte die Pastorin, dass er ein gutes Beispiel abgegeben hätte, wie er die Maus behandelt hätte. Alte Gewohnheiten ablegen und so. Und während der gesamten Predigt fiel der Name Samweis so oft, dass er beim Schlusssegen noch beschämter auf den Boden schaute als sonst.

Er verließ die Kirche erst, als alle anderen bereits gegangen waren. Nur die Pastorin war noch da. Sie setzte sich zu ihm in die Bank, drückte seine Pfote und wünschte ihm gesegnete Weihnachten, und dann kraulte sie ihm noch ein wenig seine Öhrchen.

Zufrieden ging er nach Hause und freute sich schon auf seinen reichlich gefüllten Fressnapf.

Weihnachten mit Kiara Borini

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