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Prolog

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Vanessa zog ihren Mantel enger um sich und hob die Schultern an, um dem kalten Nieselregen möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Verdammtes Scheißwetter, dachte sie, aber so richtig konnte der nasse Oktober ihre Laune doch nicht trüben. Dazu war sie zu verliebt, und sie hatte den ganzen Abend ihrer Freundin Christin vom letzten Wochenende vorgeschwärmt. Christin hatte sich für sie gefreut, aber sich auch ein bisschen Sorgen gemacht. „Heißt das, ihr seid jetzt zusammen?“ hatte sie wissen wollen. Vanessa hatte die Frage beiseite geschoben. Zusammen, was hieß das schon. Immerhin war es das dritte Mal, das Gabriel sie allen anderen vorgezogen hatte. Wahrscheinlich also verband sie beide tatsächlich ziemlich viel. Abwarten.

Statt einer direkten Antwort auf Christins Frage hatte sie ein paar Floskeln gemurmelt und sich wieder in die detaillierte Beschreibung der samstäglichen Nacht gestürzt. Die Bilder hatte sie auch jetzt noch lebhaft vor Augen, als sie durch die regnerische Dunkelheit eilte; sie ließen ihre Augen glänzen und ihre Wangen glühen.

Wie hatten sie sich verquatscht, Christin und sie! Erst um zwanzig nach zwölf hatte sie auf die Uhr geguckt und sich fürchterlich erschreckt, weil sie doch morgen fit sein mussten. Vor allem, weil morgen wieder das Steckenpferdreiten angesetzt war. Vanessa schnitt eine Grimasse. Eigentlich fand sie das ja ganz schön, dass der westfälische Friede auf diese Art und Weise jedes Jahr wieder gefeiert wurde, und meist sahen die Kinder mit ihren selbst gebastelten Steckenpferden auch total süß aus. Nur diesmal sollten es weit über tausend werden, hatte sie in der Zeitung gelesen, und wenn sie sich vorstellte, dass sie selbst mit einem leichten Kater und unausgeschlafen bei der Arbeit stehen würde, während draußen über tausend Zehnjährige rumorten, dann wurde ihr ganz anders.

Dass die lauten Viertklässler für sie kein Problem mehr darstellen würden, konnte Vanessa in diesem Moment nicht ahnen.

Sie verließ die Fußgängerzone und überquerte die Hase in Richtung Herrenteichswall. Als sie sich am gegenüberliegenden Ufer vor dem Haarmannsbrunnen, einem der ältesten Arbeitsdenkmäler Deutschland, nach links wandte, hörte sie schräg hinter sich Schritte.

Vanessa erschrak etwas – natürlich war es nicht ungewöhnlich, dass um halb ein Uhr in der Frühe an einem Donnerstag noch Leute in Osnabrück unterwegs waren, aber man weiß ja nie, wer so durch die Nacht schleicht. Sie beschleunigte ihren Schritt, als eine bekannte Stimme „Hey, Vanessa“ rief. Sie drehte sich um und erkannte die Person, die zu der Stimme gehörte. Erleichterung durchflutete sie, und sie blieb stehen, um zu warten.

„Hi, du hier? Was treibt dich denn noch so spät auf die Straße?“

Die andere Person war herangekommen und hob die Hand. „Du.“

Vanessa spürte einen brennenden Schmerz in der Brust, und dann war da nichts mehr.

Der bronzene Bergmann auf dem Haarmannsbrunnen schwang wie seit einem Jahrhundert Schlägel und Eisen, gänzlich unbewegt von der sterbenden jungen Frau zu seinen Füßen.

Fallende Blätter

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