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14 Die so genannten Synonyme I: Denotation und Konnotation

Eng bedeutungsverwandte Ausdrücke

Unsere Paradebeispiele für die Komponentenanalyse – die zitierten Analysen der Personenbezeichnungen und der Sitzmöbel – sind insofern problematisch, als sie jeweils nur wenige Lexeme berücksichtigen und gerade besonders eng bedeutungsverwandte Ausdrücke beiseite lassen. Ein bestimmtes Wesen ist in der Regel entweder Mann, Frau, Junge oder Mädchen, wählen kann man also nur zwischen einem dieser Ausdrücke und den Oberbegriffen Mensch bzw. Kind. Es gibt aber noch eine große Menge weiterer Lexeme, die man wahlweise einsetzen kann, um auf ein und dasselbe Wesen (bzw. die entsprechende Gruppe) zu referieren, Ausdrücke also, die quasi synonymisch sind. Demonstrieren wir dies lediglich an dem Ausschnitt für nicht-erwachsene Personen. Dafür erweitern wir zunächst die Lexemliste:

Nicht-erwachsene Personen

– Kind, Kleinkind, Baby, Säugling, Gör(e), Balg, Kids, Teenie

– Mädchen, Mädel, Maid, Dirn, Girlie

– Junge, Knabe, Bub(e), Bengel, Bursche

Referenzielle/ denotative Bedeutungsebene

In der ersten Gruppe, bei den geschlechtsunspezifischen Bezeichnungen, gibt es offenbar noch ein eindeutiges Differenzierungsmerkmal, nämlich das Alter. Offenbar reicht › – erwachsen‹ zur Abgrenzung nicht aus: Kleinkind, Baby und Säugling referieren auf jüngere Kinder, Teenie sollte nur für Kinder von mindestens (drei)zehn Jahren gebraucht werden können. Dieses Differenzierungskriterium ist, ebenso wie das Geschlecht, sehr leicht nachvollziehbar; es betrifft nämlich bestimmte Eigenschaften der Referenten, und zwar Eigenschaften, die ihnen objektiv zukommen. Sie dienen zur Unterscheidung von Gegenstandsklassen in der Wirklichkeit, und das war ja auch der Ausgangspunkt unserer Überlegungen: Worauf, auf welche Klasse von Objekten kann man mit dem Lexem referieren? Diese Art von Differenzierungsmerkmalen betrifft die referenzielle oder denotative Bedeutungsebene (zu lateinisch denotare ›bezeichnen‹), und auf ihre Herausarbeitung ist die Komponentenanalyse konzentriert. Was jedoch macht man mit bedeutungsverwandten Ausdrücken wie Kinder und Kids oder Junge, Knabe, Bub? Sie haben nämlich jeweils dieselbe referenzielle Bedeutung, es |74◄ ►75| lässt sich kein denotatives Merkmal finden, das sie gegeneinander abgrenzen würde. Und was unterscheidet ein Gör von einem Kind, ein Mädchen von einem Mädel und einem Girlie? Offensichtlich kommen hier andere Differenzierungskriterien ins Spiel. Die semantische Analyse ist mit der Aufdeckung der denotativen Merkmale eines Lexems nicht abgeschlossen.

Andere Bedeutungsebenen

Um sich zunächst darüber Klarheit zu verschaffen, wie diese Lexeme verwendet werden, wird man ein semasiologisches Wörterbuch benutzen (also eines, in dem die Ausdrücke alphabetisch angeordnet und mit einer Bedeutungsbeschreibung versehen sind). Wahrscheinlich müssen dies auch manche Personen mit Deutsch als Muttersprache tun, denn einige der genannten Ausdrücke sind nicht allen Sprachteilhabern vertraut. Außerdem werden sie (von verschiedenen Gruppen und in verschiedenen Situationen) auch unterschiedlich verwendet. Wir stoßen hier also erneut auf den früheren Befund, dass nämlich die Bedeutungsbeschreibung in Wörterbüchern kompliziert ist (und sein muss), weil Lexeme polysem sind und es verschiedene Varietäten einer Einzelsprache gibt. Dies ist nun auch der Grund dafür, dass man die Erläuterungen aus traditionellen Wörterbüchern nicht einfach vollständig in eine Komponentenanalyse des oben dargestellten Formats übersetzen kann. Es fehlen dort meist bestimmte Ebenen der Analyse.

In der Semantiktheorie ist sehr umstritten, wie diese Phänomene angemessen behandelt werden können, und es wurden zahlreiche Lösungen vorgeschlagen. Diese können hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden. Vielmehr geht es vor allem darum, einige grundlegende Unterscheidungen zu treffen, die es uns erlauben, über die verschiedenen Ebenen des konventionalisierten Lexemgebrauchs zu sprechen. Ferner sollen an den Beispielen die Veränderlichkeit von Wortgebräuchen, die Interaktion verschiedener Bedeutungskomponenten und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten für die Lexikografen aufgezeigt werden. Denn wie wir schon am Beispiel von Sack gesehen haben, sind die für die erste Auflage dieses Buchs herangezogenen Nachschlagewerke kontinuierlich neu bearbeitet worden, und das betrifft auch mehrere der hier diskutierten Beispiele. Schließlich haben sich die Arbeitsbedingungen für Lexikografen im letzten Jahrzehnt erheblich geändert und man kann heute auf Ressourcen zurückgreifen, die früher noch nicht zur Verfügung standen. Auch dies soll ansatzweise an den Beispielen demonstriert werden.

Beginnen wir mit dem Lexempaar Baby – Säugling. Im Duden Universalwörterbuch

Baby – Säugling

1996 fanden wir folgende Erklärungen:

Baby ›Säugling, Kleinkind im ersten Lebensjahr‹

Säugling ›Kind, das noch an der Brust der Mutter oder mit der Flasche genährt wird‹

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Offenbar sind beide Ausdrücke also synonym. In den neueren Ausgaben der Wörterbücher aus dem Dudenverlag ist nun die Bedeutung von Säugling in zwei Unterlesarten aufgespalten:

Säugling

a. ›Kind, das noch an der Brust der Mutter oder mit der Flasche genährt wird‹

b. ›Kind im ersten Lebensjahr‹

Das überrascht insofern, als die durch beide Bestimmungen definierten Gruppen ja referenzidentisch sind. Es sind eben Kinder im ersten Lebensjahr, die nur flüssige Nahrung zu sich nehmen können. Die frühere Differenz hatte ich damit erklärt, dass die relative Motiviertheit von Säugling, seine Verwandtschaft mit dem Verb saugen, bei der Bedeutungsbeschreibung ausgenutzt und ins Gedächtnis gerufen wird. Damit wird also die Ernährungsweise von Kleinkindern in den Mittelpunkt gerückt und dieses Merkmal zur Klassifizierung benutzt. In der Bedeutungsbeschreibung von Baby ist das nicht der Fall, hier wird das Alter als Differenzierungsmerkmal eingesetzt, denn Säuglinge haben eben auch die Eigenschaft, klein und vor noch nicht allzu langer Zeit geboren worden zu sein.

Die veränderte Eintragung lässt darauf schließen, dass nach Einschätzung der Lexikografen das Wachrufen der Motiviertheit von Säugling in den Hintergrund rückt und die Sprachteilhaber gar nicht mehr (immer, häufig) an diese Beziehung denken. Dies würde bedeuten, dass Säugling ein weniger sprechender Ausdruck ist als z.B. Brust-, Flaschenkind oder auch Neugeborenes und Wickelkind, dass es ein ziemlich neutraler Ausdruck ist, da in bestimmten Kontexten das geläufigere Baby nicht vorkommt (vgl. z.B. Säuglingsstation, Säuglingsschwester, Säuglingssterblichkeit ).

Dass tatsächlich die relative Motiviertheit ganz aus dem Bewusstsein verschwinden kann, zeigen am besten tote Metaphern wie etwa Handschuh, wo niemand mehr an die Übertragung des Ausdrucks für die Fußbekleidung denkt. Das ist erst recht der Fall bei synchron nicht mehr durchschaubaren Lexemen wie dem französischen enfant, das zurückgeht auf den lateinischen Ausdruck infans. Dieser ist relativ motiviert und benutzt das Nicht-Sprechen der Säuglinge als Differenzierungsmerkmal (in: ›Privativ/Negativ‹ und fans zu fari ›reden‹).

Da die genannten Eigenschaften den betreffenden Referenten alle gleichzeitig zukommen, sind die Ausdrücke referenziell identisch. Würde man also eine große Gruppe Menschen verschiedenen Alters an einem Ort versammeln und eine Person beauftragen, auf alle Babys zu zeigen, einer zweiten sagen, sie solle alle Säuglinge streicheln usw., dann müssten alle jeweils dieselben Menschen auswählen und dieselbe Gruppe von ›Kindern unter einem Lebensjahr‹ zusammengreifen. Dennoch sind die Lexeme semantisch unterschiedlich, sie fokussieren |76◄ ►77| nämlich einen jeweils anderen Differenzierungsaspekt – die Referenten werden unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. Im Unterschied

Konnotative Bedeutungsmerkmale

zu den referenziellen oder denotativen Merkmalen sprechen wir hier von konnotativen Bedeutungsmerkmalen (lateinisch con- ›mit‹).

Venus – Morgenstern – Abendstern

Führen wir dafür noch einige Beispiele an. Ein besonders berühmtes, das auch sehr schön verdeutlicht, inwiefern es um den jeweiligen Blickwinkel geht, ist der zweite Planet unseres Sonnensystems. Dieses Objekt gibt es nur einmal, es existieren aber drei geläufige Lexeme dafür im Deutschen: Von der Venus spricht man, wenn man das Gestirn im Zusammenhang mit unserem Sonnensystem betrachtet, vom Morgenstern, wenn man die Himmelskörper unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wie es am Morgen aussieht, vom Abendstern, wenn man dasselbe für den Abendhimmel tut.

Lexem – Semem

In den bisherigen Ausführungen zur Semantik haben wir auch schon eine solche Differenzierung nach unterschiedlichen Gesichtspunkten vorgenommen: Von einem Lexem spricht man unter dem Gesichtspunkt, dass das Zeichen zum Lexikon einer Sprache gehört, von einem Semem unter dem Gesichtspunkt, dass es sich aus Semen zusammensetzt.

Göre und Balg

Versuchen wir jetzt, die Lexeme aus unserer obigen Liste zu bestimmen, die sich gleichfalls auf Grund besonderer konnotativer Merkmale von anderen unterscheiden. Dafür kommen vor allem Göre und Balg in Frage. Für die beiden Ausdrücke fanden wir im Duden Universalwörterbuch (1996) die folgenden Erklärungen:

Gör(e): (nordd., oft abwertend):1. ›[schmutziges, unartiges] Kind‹
2. ›vorwitziges, freches kleines Mädchen‹
Balg: (ugs., meist abwertend):›[unartiges, schlecht erzogenes] Kind‹

Abwertende Ausdrücke: die Pejoration

Wie man sieht, wird uns hier gleich eine ganze Reihe von differenzierenden Merkmalen präsentiert. Zunächst interessiert uns die Charakterisierung ›(oft/meist) abwertend‹, also die Pejoration. Diese betrachten wir als einen Spezialfall der Konnotation: Mit pejorativen Ausdrücken (zu lateinisch peior, Komparativ von malus ›schlecht‹) bringt man ja auch einen bestimmten Blickwinkel, nämlich eine emotionale Einstellung ins Spiel, und zwar eine negative. Wer Lexeme wie Gör und Balg benutzt, bringt zum Ausdruck, dass ihm die Kinder auf die Nerven gehen, dass er sich über sie ärgert oder dergleichen. Nun gehen Kinder anderen (besonders erwachsenen) Menschen natürlich im Allgemeinen nicht überhaupt, sondern nur unter bestimmten Bedingungen und aus bestimmten Gründen auf die Nerven, z.B. wenn sie Arbeit machen – das tun sie, wenn sie sich schmutzig machen –, oder wenn sie etwas tun, was man für unartig, vorwitzig, frech hält, wenn man sie als schlecht erzogen erlebt. All diese Bestimmungen werden in der Bedeutungsbeschreibung genannt, und eigentlich erscheinen sie als denotative|77◄ ►78| Merkmale. Es handelt sich also nicht um echte Synonyme zu Kind, sondern um Ausdrücke für eine Untergruppe von Kindern, nämlich solche, die unartig usw. sind. Bei Gör in der geschlechtsspezifischen Lesart (›vorwitziges, freches kleines Mädchen‹) schien der Duden tatsächlich von einer solchen grundsätzlichen denotativen Komponente auszugehen. Für die Lesart ›Kind‹ dagegen wurden sowohl bei Gör als auch bei Balg diese referenziellen Komponenten nur in Klammern gesetzt. D.h. so viel wie: ›meist, aber nicht unbedingt unartig …‹. Haben sich die Gebrauchsbedingungen bei Gör(e), Lesart 2, in den letzten Jahren geändert? Jedenfalls sind inzwischen auch diese Adjektive in Klammern gesetzt. Man kann diese Lexeme also in beiden Lesarten auch in Bezug auf ganz brave Kinder verwenden. Das werden aber nur Leute tun, denen selbst artige Kinder noch auf die Nerven gehen; in diesem Fall liegt ausschließlich Pejoration, das konnotative Merkmal ›abwertend‹, vor.

Das Zusammenspiel der denotativen und konnotativen Ebene

Das Beispiel zeigt, dass man die denotative und konnotative Ebene durchaus nicht immer säuberlich auseinanderhalten kann. Dies ist kein Fehler der Beschreibung, sondern liegt in der Natur der Sache, um die es eben in der Kommunikation oft Streit gibt: Ist es nun der Fehler der Kinder, die zu unartig sind, oder der Fehler des Erwachsenen, der nicht kinderfreundlich genug ist, wenn sie diesem als Gören oder Bälger erscheinen? Dieser fließende Übergang zu denotativen Merkmalen ist bei wertenden Konnotationen die Regel; wenn man also in einem Text auf einen solchen Ausdruck stößt, steht man immer vor der Frage, ob dies nun auf eine für den Sprecher typische Einstellung zum Referenten schließen lässt oder auf besondere Eigenschaften des Referenten, dem der Sprecher im Allgemeinen neutral gegenübertritt.

Aufwertende Ausdrücke: die Melioration

Ähnliches gilt auch für das positive Pendant zu Pejorativa, die aufwertenden, ›bedeutungsverbessernden‹ Ausdrücke, die man auch meliorative (zu lateinisch melior, Komparativ von bonus ›gut‹) nennt. Hier wird die Sache in ein besonders günstiges Licht gestellt bzw. unter einem entsprechenden Gesichtspunkt betrachtet. Konventionalisierte meliorative Ausdrücke sind viel seltener als pejorative (anscheinend gibt es mehr Bedarf zum Ausdruck negativer Einstellungen). Ein Standardbeispiel für Melioration sind gewisse euphemistische Bezeichnungen für das Sterben, nämlich verscheiden oder heimgehen, in denen der Tod als eine Station auf einem Weg betrachtet wird, der noch nicht beendet ist und sogar heim (ins Paradies) führt. Sehr häufig werden jedoch in Parole-Akten (unter Umständen auch in einem längeren Diskurs über eine gewisse Zeit hin) positiv konnotierte (komplexe) Ausdrücke z.B. zur Verschleierung von Gräueln verwendet. Ein noch immer aktuelles Beispiel dafür ist der Ausdruck ethnische Säuberung, der von den Verantwortlichen für die Vertreibung und Vernichtung von bestimmten ethnischen Gruppen verwendet wird. Andere nennen dies Völkermord oder Genozid.

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Diminutiva

Positive Konnotationen kommen sehr häufig durch komplexe Ausdrücke zustande, z.B. durch die Kombination mit Verkleinerungsformen, durch diminutive Ausdrücke (zu lateinisch diminutum ›verkleinert‹). Kleinheit wird in Bezug auf viele Referenten nämlich mit ›niedlich‹ assoziiert. Schon die Fokussierung des Merkmal ›klein‹ in Baby führt dazu, dass dieser Ausdruck viel besser dazu geeignet ist, positive Emotionen zu transportieren als etwa Säugling oder Wickelkind. Man kann ihn auch noch zusätzlich mit verkleinernden Zeichen umstellen: Mein kleines Babylein. So ist es kein Zufall, dass heutzutage das aus dem Englischen entlehnte Baby das üblichste Wort zur Bezeichnung von Säuglingen ist, denn im Deutschen gibt es kein Erbwort mit dieser Konnotation. Schließlich führt die positive Konnotation auch zu einer Polysemie, die für Säugling oder Wickelkind undenkbar ist: Mit Baby referiert man ja nicht nur auf Kleinstkinder, sondern es ist auch ein geläufiges Kosewort (für Frauen).

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